Zeitmodi

 

Die Zeitmodi sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

 

Die Zeit zerfällt in Vergangenheit und Zukunft, die mit der ausdehnungslosen Gegenwart aneinander grenzen. Die Gegenwart ist "zeitlich", sie hat sehr viel mit der Zeit zu tun, aber sie ist kein Teilstück der Zeit, weil sie keine zeitliche Erstreckung (Dauer) besitzt. Deshalb sage ich nicht: "Die Zeit zerfällt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft." Das gegenwärtige Jetzt stellt das Ende der Vergangenheit und den Anfang der Zukunft dar, eine haarscharfe Grenze, die kein "dazwischen" kennt, sondern nur "davor" und "danach".

 

Die Zeit besteht aus dem Zusammenhang ihrer Teilbereiche Vergangenheit und Zukunft, die in der ausdehnungslosen Gegenwart einen gemeinsamen Rand besitzen. Die Gegenwart ist weder Teilstück der Vergangenheit, noch Teilstück der Zukunft, noch der Zeit überhaupt.

 

Das Argument für die Ausdehnungslosigkeit der Gegenwart:

Gesetzt der Fall, die Gegenwart hätte eine wie auch  immer geringe Dauer. Alles davor sei Vergangenheit, alles danach Zukunft. Innerhalb der zeitlich erstreckten Gegenwart würde es gemäß Voraussetzung keinen Sinn ergeben, zwischen bereits verflossenen und noch kommenden Teilstücken der Gegenwartsdauer zu unterscheiden. Nun sind verschiedene Teilstücke einer jeglichen Zeitdauer im Verhältnis zueinander vorher oder nachher. Innerhalb der ausgedehnten Gegenwart, sofern ihre Dauer in Teilabschnitte zerlegt werden kann, gibt es also ein Vorher bezüglich irgendwelcher Teilabschnitte, die nicht dem Bereich ihrer Vergangenheit zugehören, und ein Nachher, die nicht zum Bereich ihrer Zukunft rechnen. Manches Vorherige wäre also in Bezug auf Gegenwärtiges nicht vergangen, manches Nachheriges nicht zukünftig, gleichzeitig aber auch nicht, weil eben vorherig bzw. nachherig. Dies scheint mir eine reductio ad absurdum darzustellen. Also ist Gegenwart in präzisem Sinne ausdehnungslos, wenn wir nämlich Vergangenheit und Zukunft genau voneinander abgrenzen wollen.

 

 

Das Vergangene ist nicht, weil nicht mehr, das Zukünftige nicht, weil noch nicht, die ausdehnungslose Gegenwart, die das eine vom andern trennt, ohne Dauer. Als Teil(stück) einer Zeitdauer hätte die Gegenwart selbst wiederum Dauer, enthielte vorherige Teilabschnitte, die nicht vergangen, und nachherige, die nicht kommend wären.

 

Sofern man allerdings das genannte Argument verwerfen und der Gegenwart des erlebten Augenblicks eine kurze Dauer zuschreiben wollte, würde die Gegenwart ein echtes Teilstück einer Zeitdauer darstellen. Genau genommen zerfällt zwar auch die kleinste gegenwärtige Zeitspanne in nacheinander liegende Teilstücke, von denen einige bereits vergangen und andere noch zukünftig sind, aber dieser Konsequenz entgeht vielleicht, wer behauptet, es gäbe kleinste Zeitlängen, die Zeit sei keine kontinuierliche Größe, sondern bestehe aus kleinsten unteilbaren Zeiteinheiten. Dies wäre eine diskrete Zeit, in der das Jetzt, anstatt in ständigem Fluß zu sein, in kleinen Sprüngen ruckartig zum nachfolgenden Zeitteil überspringen würde. Zwischen den ruckartigen Sprüngen würde die Zeit jeweils für diese kleinste Dauer stillstehen, und erst beim nächsten Sprung wäre jeweils ein minimales Zeitintervall vergangen. Ein "dazwischen" zwischen diesen Sprüngen gäbe es nicht, der Zeitverlauf stände vor oder nach dem nächsten Sprung, der Sprung selbst würde niemals aktuell geschehen, sondern stünde bevor oder wäre geschehen ohne sich dazwischen vollzogen zu haben.

Dazu Stegmüller

Stichwort "Minute"

Stichwort "Aristoteles über Teilbarkeit von Zeit, Raum und Bewegung"

 

Wir nehmen unseren Faden wieder auf: Vergangenheit und Zukunft sind spezifische Weisen des Nicht-seins, weil nicht mehr und noch nicht. Die Gegenwart ist streng genommen völlig ausdehnungslos.

Das ausdehnungslose Jetzt ist die Seinsart des gegenwärtig Wirklichen: es (das gegenwärtig Wirkliche) ist jetzt wirklich, weder ein vergangenes noch zukünftig Wirkliches. Diese Gegenwart besteht aus Spuren der Vergangenheit, die zugleich Kristallisationskeime der Zukunft darstellen. Das Jetzt enthält den augenblicklichen Zustand alles Überbliebenen, Gewordenen und Werdenden.

Gegenwart ist Spur der Vergangenheit und Kristallisationskeim des Zukünftigen zugleich.

Das ausdehnungslose Jetzt ist jeweils schon vergangen, wenn bewußt. Das hinweisende Wort "jetzt" bezeichnet in situationsabhängiger Weise den jeweils gegenwärtigen Zeitpunkt, immer bereits ein anderer als alle vorherigen, die bereits nicht mehr sind. Es kann uns nicht zweimal derselbe Zeitpunkt gegenwärtig sein. "Jetzt" ist immer etwas anderes, eben die jeweilige Gegenwart.

Es kann immer nur ein bestimmter Zeitpunkt der gegenwärtige sein, jeder andere ist entweder noch zukünftig oder bereits vergangen. Dies ist die Eindimensionalität der Zeit.

Kein vergangener Zeitpunkt ist noch zukünftig, kein zukünftiger bereits vergangen. Also ist Vergangenheit unwiederbringlich dahin, nur Gleichartiges oder Ähnliches kann wiederkehren. - Die ewige Wiederkehr derselben Ereignisse, wenn man sie annehmen wollte, verstößt gegen diesen Sachverhalt.

Die Zeitkoordinate der Physiker bringt das Phänomen des ständig fließenden Jetzt, verbunden mit Vergangenheit und Zukunft als spezifischen Weisen des Nicht-Seins (Nicht-mehr und Noch-nicht) nicht zum Ausdruck. Im Koordinatensystem (mit dem reellen Parameter t) wird kein Zeitpunkt als gegenwärtig ausgezeichnet, nur die Relation "später als" bzw. "zeitlich nacheinander" wird dargestellt.

Physikalische Betrachtungen berücksichtigen das In-der-Zeit-Sein der Prozesse als Vorher und Nachher verschiedener Zustandsgrößen, enthalten aber keine Auszeichnung eines Jetzt, das die Vergangenheit von der Zukunft trennt. Ohne Auszeichnung eines Jetzt gibt es weder Vergangenheit noch Zukunft. Diese Auszeichnung ist nicht physikalisch objektivierbar.

A. Einstein (1955): "Für uns gläubige Physiker hat der Unterschied von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft den Charakter einer, wenngleich hartnäckigen Illusion."

Dazu. Gespräch Einstein - Carnap

(Darüber hinaus, mangels Auszeichnung der Zeitrichtung in den meisten physikalischen Gesetzen –Ausnahme ist der zweite Hauptsatz der Wärmelehre, d.i. der Satz von der Entropiezunahme – ist eventuell nicht einmal die Zeitrichtung (vom früheren zum späteren Zeitpunkt) physikalisch faßbar.)

"Jetzt" identifiziert einen Zeitpunkt in situationsabhängiger, subjektiver Weise, und dies ist der gegenwärtige: der Zeitpunkt meiner Äußerung, der Zeitpunkt meines Bewußtseins. Objektive Zeitangaben enthalten keinen Hinweis mehr auf Jetzt, Nicht-mehr und Noch-nicht, sie enthalten lediglich Relationen wie "vorher", "nachher" und "gleichzeitig" bezüglich anderer objektiver Ereignisse, z.B. "zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde.". Sage ich, dies war vor zweitausend Jahren und ist vergangen (bezüglich meiner Gegenwart), während das einundzwanzigste Jahrhundert noch zukünftig ist, so enthält meine Aussage ganz wesentlich einen Bezug auf hier und jetzt, das ich hinweisend identifiziere: "Ermittle den Zeitpunkt meiner Äußerungssituation und auf eben diesen Zeitraum beziehe meine Aussage!". Mein Sprechen, mitsamt Zeitrelationen zu anderen Ereignissen, ist zwar objektives, für die Allgemeinheit prinzipiell nachweisbares Vorkommnis in intersubjektiver Wirklichkeit, aber die Kennzeichnung der Gegenwart als Nicht-vergangen (Nicht-nicht-mehr) und Nicht-zukünftig (Nicht-Noch-nicht) fehlt in der objektiven Verortung meines Jetzt. "Im zwanzigsten Jahrhundert" ist eine objektive Zeitlokalisation, aber gerade unter Absehung von der Tatsache, daß das einundzwanzigste noch nicht gegenwärtig ist, alle vorherigen dagegen vergangen. Für einen Menschen des dritten Jahrtausends wird das zwanzigste Jahrhundert auch zur Vergangenheit zählen. Er hat ein anderes Jetzt.

Fakten und Ereignisse sind objektive Vorkommnisse, ihr Jetzt, Nicht-mehr- und Noch-nicht-sein ist offenbar keine objektive Auszeichnung. Beim Wort "jetzt" fällt uns dies leicht auf, denn wir spotten: "wann ist jetzt? Immer und nie!" und sehen, daß es eventuell einer objektiven Bestimmung bedarf, um zu verstehen, wovon gesprochen wird. Aber wir sollten uns darüber klar werden, daß "gegenwärtig" und "jetzt" auf denselben Zeitpunkt hindeuten und gleichermaßen beinhalten, daß die Vergangenheit bereits geschehen und Zukünftiges sich noch nicht ereignet hat. Nun erscheint uns das Noch-nicht-geschehen-sein des Zukünftigen und das Nicht-mehr-sein des Vergangenen wie ein objektiver Sachverhalt, obwohl dieses Noch-nicht und Nicht-mehr nur in Bezug auf das Jetzt-sein des Jetzt faßbar sind. - Andererseits ist es offenbar immer möglich, in wissenschaftlichen Betrachtungen subjektive, situationsbezogene Zeitangaben durch objektive Kennzeichnungen zu ersetzen. Diese Substitution des situationsabhängigen Hinweises erleichtert die allseitige Verständigung und ermöglicht sogar, die Gedanken der Menschen vergangener Zeiten zu verstehend zu rezipieren, sowie zukünftigen Generationen verständliches Zeugnis unserer Gegenwart zukommen zu lassen; - nur kann ohne Jetzt von Vergangenheit und Zukunft eigentlich gar keine Rede mehr sein.

 

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