Aus: Dorn, Physik, 1970, S. 454

Das Szenario

S ist ein langer, gerader Bahnsteig, ist ein mit 100000 km/s nach rechts fahrender Zug.

Vom Zug aus gesehen: S ist ein Bahnsteig, der sich mit 100000 km/s nach links bewegt. (Der Kontraktionsfaktor k beträgt hier k=0,94. Herleitung s. u.)

Als die beiden Anfangspunkte A (x=0) und A´ (x´=0) aneinander vorbeiliefen, stellte man die Uhren im jeweiligen System auf t=t´=0. (Zukünftig aber werden sie, obwohl gleicher Bauart, verschiedene Zeiten anzeigen.)

1.      Im Punkt des Zuges S´ (1=0) leuchtet zur Zeit 1 ein Lichtblitz auf. Es sei der Augenblick, wo A und zusammenfallen, also ist t1=t´1=0, das Aufblitzen des Licht ist gleichzeitig für S und S´. Von diesem Augenblick an bewegt sich A´ nach der Formel x2=v*t2 nach rechts, also pro Sekunde, in S gemessen, 100000 km.

2.      Nach den Uhren von S´ sei 2=1 s verstrichen, dies ist die Situation in unserer Abbildung. Punkt A´ (x´1=0) hat vom Bahnsteig aus gesehen die Koordinate x2=(x´1+v*t´2)/k=100000 km/k=106000 km. Der in S bei x2=106000 km stehende Beobachter liest an seiner Uhr t2=1/k s= 1,06 s ab, im Zug selbst aber ist genau eine Sekunde vergangen (Zeitdilatation).

3.      Im Zeitpunkt t´3=1 s kommt der Lichtblitz in B an, also gilt im Zug t´2=t´3. Das Licht hat sich in S´ eine Sekunde lang ausgebreitet, daher die Koordinate von B (x´3=300000 km). Auf dem Bahnsteig S hat diese Koordinate folgenden Wert: (300000 km + 100000 km)/k= 425000 km. Der in S bei x3 befindliche Beobachter liest an der vorbeifahrenden Uhr von S´ t´3=1 s, an seiner eigenen t3=4/3 k s, d.h. 1,42 s ab.
In S also beträgt die Lichtgeschwindigkeit 425000 km/1,42 s = 300000 km, in S´ 300000 km/s.

S´ ist eine S´-Sekunde lang nach rechts geflogen, während das Licht in S´ sich ebenfalls eine S´-Sekunde lang ausgebreitet hat, es galt: t´2=t´3. Die in Punkt 2 und 3 beschriebenen Ereignisse der vollendeten 1 S´-Sekunden-Bewegung von S´ und der Ankunft des Lichtblitzes in B sind also für S´ gleichzeitig, von S aus gesehen nacheinander, es gilt für S: t3>t2.

Herleitung der Lorentz-Transformation

Bezüglich der Koordinaten der verschiedenen Systeme jedoch tritt ein Kontraktionsfaktor k auf, für den gilt:

k2 = 1 - (v/c)2

[Das ergibt für unser Beispiel einen Wert von 0,94. K2 = 1 - (100000 /300000)2 = 1 - 1/9 = 0,88. Quadratwurzel aus 0,88 ist 0,94.]

Wie leiten wir diesen Faktor her?

Der Kontraktionsfaktor k wird durch Verknüpfung einiger weniger Gleichungen hergeleitet. S´ bewegt sich S gegenüber mit der Geschwindigkeit v nach rechts. In S hat der Anfangspunkt A´ des S-Systems im Zeitpunkt t die Koordinate x=v * t. Ein Punkt B in S´ mit der Koordinate x´ wird von S aus um den Faktor k auf k * x´ verkürzt gemessen. Für die Koordinate x des Punktes B in S gilt also:

x = k * x´ + v * t

(Gleichung 1)

 

 

x

x-Koordinate des Punktes B in S gemessen

 

x´-Koordinate des Punktes B in S´gemessen

 

k

Verkürzungsfaktor von x´ auf x

 

v

Geschwindigkeit von S´ relativ S

 

t

Bewegungszeit der Anfangskoordinate von S´ in S gemessen

Von S´ aus gesehen bewegt sich das S mit der gleichen Geschwindigkeit v nach links. Zur Zeit t´ des S´-Systems hat A also die S´-Koordinate -v * t´. Nunmehr wird aber die in S gemessene Koordinate x von S´ aus verkürzt gemessen: k * x. Kontraktionsfaktor k und v sind gleich groß wie in der ersten Gleichung, da beide Systeme als gleichwertig angesehen werden. Für die Koordinate x´ von B (in S´) gilt also:

x´ = k * x - v * t´

(Gleichung 2)

Sie enthält die Beziehung folgender Größen:

 

x´-Koordinate des Punktes B in S´ gemessen

 

x

x-Koordinate in S gemessen

 

k

Verkürzungsfaktor von x auf x´

 

-v

Geschwindigkeit von S relativ S´

 

Bewegungszeit der Anfangskoordinate von S in S´ gemessen

Das sind die Ansätze für die Koordinate desselben Punktes B von S und S´ gemessen: x und x´.

Man den Kontraktionsfaktor k nun so bestimmen, daß sich in beiden Systemen derselbe Wert für die Lichtgeschwindigkeit ergibt:

Geht zur Zeit t=0 vom Punkt A, wobei x=x´=0, ein Lichtblitz aus, so erreicht das Licht in der Zeit t die S-Koordinate x = c * t. - In S´erreicht das Licht die S´-Koordinate x´ = c * t´. Diese wird in die Gleichungen oben eingesetzt, also "c * t" für x und c * t´ für x´. Wir erhalten also:

c * t = k * c * t´ + v * t

und

c * t´ = k * c * t - v * t´

Durch Umformung erhalten wir:

(c - v) * t = k * c * t´

und

(c + v) * t´ = k * c * t

Nun multipliziert man diese Gleichungen miteinander, also die Terme links und rechts der Gleichheitszeichen und erhält:

(c - v)(c + v) * t * t´= k2 * c2 * t´ * t

Beide Seiten können nun durch t * t´ dividiert werden, und wir erhalten: k2 = (c2 - v2)/c2 bzw.:

k2 = 1 - (v2/c2)

Nun lösen wir Gleichung 2 nach x auf und erhalten:

x = (x´ + v * t´)/k

Lorentztransformation der x´-Koordinate

(d. i. des Längenmaßstabes in der Bewegungsrichtung)

 

Im Zusammenhang mit unserer Bestimmung von k2 können wir mit dieser Gleichung x´-Koordinaten von S´ in x-Koordinaten von S transformieren.

Nun zur Transformation der Zeitkoordinate t´ à t. Wir benötigen eine Formel der Art ´t = f(t´)´. Wir setzen den Ausdruck für x in Gleichung 2 ein und erhalten:

x´ = k * (k * x´ + v * t) – v * t´

Die Ausmultiplikation der Klammer ergibt:

x´ = k2 * x´ + k*v*t – v * t´

Wir vertauschen die Seiten und lösen auf nach k * v * t´:

k * v * t = x´- k2 * x´+ v * t´

Wir formen weiter um (Ausklammerung von x´):

k * v * t = x´ * (1 – k2) + v * t´

Wir lösen nach t auf:

t = [x´ * (1 – k2) + v * t´] / k * v

Wir ersetzen den Ausdruck ´(1 – k2)´ durch v2/c2, denn es gilt k2 = 1 – v2/c2.

t = [x´ * (v2/c2) + v * t´] / k * v

Wir kürzen den Bruch mit v und sind am Ziel:

t = [t´ + x´ * (v/c2) ]/ k

Gleichung der Zeittransformation

Darstellung basiert auf Dorn, Physik, 1970, § 171, S. 450 - 458.

Die Formel erlaubt uns die Umrechnung der S´-Koordinate t´ in die S-Koordinate t. Es tritt eine Abhängigkeit von den S´-Koordinaten x´ und t´, sowie v und c auf. Der Zeitparameter t´ wird also keineswegs lediglich durch k dividiert. Der relativitätstheoretische Ansatz hat zur Folge, die Messwerte von Zeitgrößen in S als Funktion von Geschwindigkeit, Zeit und Raumgrößen des sich entfernenden Systems S´ darzustellen. Dies ist der Kern der oft betonen relativistischen Raum-Zeit-Union: Wir betrachten relativ zueinander bewegte Systeme und Bewegung ist nun einmal Ortsveränderung in der Zeit. Wir messen unsere Koordinaten in Abhängigkeit von Bewegungszuständen. Der Unterscheidung von Zeit- und Raumgrößen wird dadurch nicht aufgelöst, der Ansatz erfolgt lediglich von der Bewegung der Systeme und des Lichtes her.

Gut Aristotelisch ist die Zeit also nicht die Bewegung selbst, sondern etwas an der Bewegung Messbares. Es bedarf der Zeit, damit sich etwas bewegen kann, ohne Zeitdauer gibt es keine Veränderungsabläufe. Was Aristoteles aber nicht ahnte und ahnen konnte, ist die Tatsache, dass die räumliche Erstreckung und der Zeitpunkt eines Vorganges systemrelative Größen darstellen. Wenn Sekunde und Meter in den verschiedenen Systemen auf dieselbe Weise definiert sind, hat dennoch derselbe Vorgang, in den verschiedenen Systemen gemessen, unterschiedliche Maße. Die Zeit- und Raummaße des Vorganges sind keine universell gültigen Eigenschaften sondern systembezügliche Größen.

Link zu W. Fendts Java Applets "Zeitdilatation"

Walter Fendt, Gymnasiallehrer für Mathematik und Physik in Augsburg, bietet auf seiner prämierten Home-Page großartige Java-Applets zur Veranschaulichung verschiedener grundlegender physikalischer Zusammenhänge.

Warum wird die Zeit von einem bewegten System aus anders gemessen? Antwort des relativistischen Physikers: durch die Relativierung von Längen und Zeitmessungen auf verschiedene, relativ zueinander bewegte Systeme wird das Phänomen der Lichtgeschwindigkeit c, die in all diesen Systemen konstant gemessen wird, widerspruchsfrei beschrieben. Es gilt die Gleichberechtigung all der Systeme, in denen die Naturkonstante c gilt.

Die Bewegungsgeschwindigkeit verschiedener Systeme, die sie relativ zueinander besitzen, führt zu anderen raum- zeitlichen Erstreckungen in den verschiedenen Systemen.

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