Der Ausdruck "subjektiv"
Umgangssprachliche Unschärfen in der Verwendung des Ausdrucks ‚subjektiv’ bilden eine Zugangsbarriere bezüglich Descartes’scher (und z.B. auch Leibniz’scher und Spinoza’scher) Argumentationsansätze, bei denen die Unstofflichkeit (Immaterialität, Nicht-Exterioralität) des subjektiven Bewusstseins eine entscheidende Rolle spielt.
Wenn ich behaupte, ein Ufo zu sehen, dann kann meine Bekundung (Behauptung) einen Irrtum darstellen, der auf Missdeutung (einer Wahrnehmung) oder gar auf ‚Sinnentrug’ beruht (Beispiele: Halluzination, Fata Morgana). Wenn ich aber lediglich behaupte, dass ich glaube, ein Ufo zu sehen, und mir selbst oder andern gegenüber diesen Inhalt meines Bewusstseins bekunde, dann behaupte ich eigentlich gar nichts (über die mich umgebende Wirklichkeit), sondern beschränke mich [in der Bekundung, u. U. allein „innerlich“, mir selbst gegenüber] auf mein subjektives Wahrnehmungsbewusstsein, bei dem eigentlich nichts zur Debatte steht. Dieser Sachverhalt stellt für Descartes die ‚Unmittelbarkeit’ des denkenden Bewusstseins dar, den Ausdruck ‚subjektiv’ finden wir bei ihm nicht. Er spricht in Principia, § 9 nach Einführung des Ausdrucks ‚Denken’, der all das bezeichne, „was derart in uns geschieht, dass wir uns seiner unmittelbar aus uns selbst bewusst sind“, vom „Bewusstsein meines Sehens und Gehens“, das „auf den Geist bezogen wird, der allein wahrnimmt oder denkt, er sähe oder ginge.“ Dies impliziert bereits die Unstofflichkeit des subjektiven Bewusstseins. Argument ist: Am Dasein äußerer Dinge kann ich zweifeln. Das ‚Denken’ dagegen „erkenne“ ich „eher und sicherer als die körperlichen Gegenstände“, „denn man begreift es schon, während man an allem anderen noch zweifelt." (Principia, § 8) „Materiell“ [„körperlich“] ist das Äußere der uns umgebenden Wirklichkeit, „Nicht-Exterioralität“ ist das Kennzeichen der subjektiven Bewusstseinsinhalte.
Der Dualismus der Wirklichkeiten oder Wirklichkeitssphären ist also für Descartes ein Dualismus des Äußeren und des Nicht-Äußeren, d. i. des Inneren. Ein Dualismus des unmittelbar und mittelbar Bewussten. Ein Dualismus von Denkinhalten, weil diese Denkinhalte entweder subjektiv Gegebenes oder objektiv Gegebenes beinhalten bzw. betreffen. Ein Dualismus des Bewusstseinsinneren und des Bewusstseinsäußeren. Was hier in zwei Sphären geschieden wird, ist das Gegebene, das Wirkliche insgesamt. Das Wirkliche ist entweder Denken oder äußeres Dasein, unmittelbar oder mittelbar Gegebenes.
Ob man im Falle derart "subjektiven" Bewusstseins von "Erkenntnis" oder auch nur von "Bewusstsein von unmittelbar Gegebenem" sprechen kann, führt uns auf ein Knäuel schwieriger Fragen. Erkenntnis wird oft mit objektiver Erkenntnis gleichgesetzt. Insofern ist subjektives Bewusstsein von Empfindungs-, Wahrnehmungs- und Gedankeninhalten keine Erkenntnis. Und wie ist es mit der Formulierung „unmittelbares Bewusstsein“ oder „Bewusstsein von unmittelbar Gegebenem“? Die Formulierung: "es gibt in meinem subjektiven Bewusstsein Inhalte der und der Art" führt uns auf das Folgeproblem einer Charakterisierung und eventuell Identifizierung einzelner dieser Inhalte. Und wir stoßen auf das Folgeproblem einer unvermeidlichen Hermeneutik [Deutung, Interpretation] dieser Inhalte, welche die "Unmittelbarkeit" ihres Gegebenseins eventuell in Zweifel stellt.
Die „Unmittelbarkeit“ subjektiver Bewussteinsinhalte besteht nach D.s Ansicht in ihrer sich selbst bezeugenden subjektiven Gegebenheitsweise. Es bedarf keiner objektiven Behauptung, um solches subjektives Gegebensein zu behaupten. Dem kontrastierend ist Bewusstsein objektiver Gegebenheiten „mittelbares“ Bewusstsein. Im Medium des subjektiven Bewusstseins stellt sich ein Sachverhalt so und so dar, und der Sachverhalt besteht tatsächlich. Das wäre subjektives Bewusstsein objektiver Gegebenheiten, bzw. objektives Bewusstsein. Bewusstsein körperlicher Wirklichkeit, die auch besteht, wenn wir wahrheitsgemäß etwas von etwas Äußerem behaupten.
Man kann folgende Sprechweise versuchen „Lediglich subjektive Bewusstseinsinhalte sind selbst-referentiell, d. h. in ihrem subjektiven Gegebensein beziehen sie sich lediglich auf sich selbst.“ Eigentlich beziehen sie sich nur nicht auf Äußeres, sie stehen insofern nicht für ein Anderes ihrer selbst. Sie stehen lediglich für sich selbst. Man kann sie sich selbst und andern bekunden. Z.B. eine geglaubte Wirklichkeit kann man sich selbst und andern bekunden. „Mir scheint, dass ....“ Über objektives Gegebensein soll bewusst nichts ausgesagt sein, wenn man derart redet. Derart, mit solcher Klausel versehen, kann man über „Vorstellungen“ und Inhalte des subjektiven Bewusstseins sprechen, bzw. sie [sich und andern] kundtun. In gewisser Weise ist das ein Sprechen über etwas, wobei dieses Etwas sich durch sich selbst bezeugt oder durch sich selbst [als es selbst] kundtut. Etwas und nicht nichts ist in diesem Fall Bewusstseinsinhalt, etwas und nicht nichts ist in diesem Falle Denkbarkeit. Das Subjektive ist eben auch ein Teil des Denkbaren überhaupt. Das Nicht-Exterioriale, das Nicht-Objektive, das unmittelbar Gegebene des Denkens, das Subjektive sind also nach dieser Redeweise dasselbe.
In Kontrast zu lediglich subjektiv vorhandenen Denkinhalten stehen „objektive Bewusstseinsinhalte“, bzw. Bewusstsein objektiver Gegebenheiten, wenn eine Behauptung [Verknüpfung von geeigneten Aussageinhalten] objektiv wahr ist. Eine Aussage ist wahr dann und nur dann, wenn ein entsprechender äußerer Sachverhalt besteht. Im Falle objektiver Bewusstseinsinhalte besteht insofern „Mittelbarkeit“ des Bewusstseins, als subjektive Gedankeninhalte hier „fremd-referentiell“ auftreten, „anderes ihrer selbst“ bedeuten, bzw. sich auf etwas außerhalb ihrer selbst beziehen. – Insofern kann man im Falle der subjektiven Inhalte von „Für-sich-Seiendem“, bzw. von „Für-sich-selbst-Stehendem“ sprechen. Im Falle objektiver Denkinhalte wäre zu sagen: „es ist hier nicht mit sich selbst bezeugender Subjektivität getan.“ Ohne tatsächlich bestehende äußere Wirklichkeit hat eine Verknüpfung von Denkinhalten nicht den Charakter der Objektivität und ist insofern nicht Bewusstsein objektiver Gegebenheiten.
Folgendes erscheint mir als gangbarer Weg in der Frage der „Unmittelbarkeit“ der Denkinhalte: Ich setze den nicht- bzw. nichts-behauptenden Kundgabecharakter der subjektiven Bewusstseinsinhalte als die für diese Bewusstseinsinhalte charakteristische Eigenschaft an. - Wegen der Fähigkeit der Urteilssuspension, bzw. Behauptungsparenthese werden wir uns der Eigentümlichkeit dieser Bewusstseinssubjektivität bewusst. - Subjektive Bewusstseinsinhalte geben sich mir kund, bzw. ich werde mir ihrer „innerlich“ bewusst, ohne damit behauptend etwas zur Debatte zu stellen. Ich werde mir gewisser Inhalte meines Denkens [meines Bewusstseins] inne, bzw. bestimmte Inhalte stellen sich in meinem subjektiven Bewusstsein dar. Ich werde mir mancher dieser Inhalte bewusst, rede eventuell darüber usw. Ob ich einzelne Inhalte meines subjektiven Bewusstseins kulturunabhängig und rein konstatierend festzustellen vermag, lasse ich dahingestellt. Das Was der subjektiven Kundgabe ["was sich mir subjektiv kund gibt"], besonders wenn es dann im Weiteren zu einer äußeren Kundgabe [Verlautbarung] darüber kommt, gehört sehr weitgehend in einen zwischenmenschlichen, historisch kulturellen Zusammenhang. Es ist unter diesem Gesichtspunkt keine auf eine einzelne Person beschränkte Angelegenheit. Die Inhalte meines subjektiven Bewusstseins sind Resultate der Wechselwirkung menschlicher Denk-, Handlungs-, Empfindungs- und Verhaltensweisen. Manches habe ich mir in meiner Denk- und Verhaltensart zueigen gemacht, manches nicht, vieles mehr oder minder. Art und Inhalt meines Denkens [und Verhaltens] beruht auf vergangenen Lernprozessen, auf der lebendigen Erfahrung mitmenschlicher Kommunikation und Kooperation, auf menschlichem Mit-, Gegen- und auch Durcheinander.
Ich gehe trotz vieler Bedenken von der subjektiven [nicht-objektiven] Existenz einer Sphäre subjektiver Bewusstseinsinhalte aus. Die Inhalte, mit der diese Sphäre besetzt ist, sind dabei in vielen Fällen Vorstellungen äußerer Wirklichkeit, und zwar einer auf die Körpersinne bezogenen äußeren Wirklichkeit. Im Falle begrifflicher Kennzeichnung solcher Inhalte, z. B. beim Wahrnehmungsbewusstsein des Tageslichts, haben wir Gedanken und Wortbedeutungen im Spiel, die sich auf identifizierbare Weise wiederholt im subjektiven Bewusstsein darstellen. Hier müssen wir in der Tat an konventionelle Gebrauchsregeln für Sprachmaterialien anknüpfen, um Subjektives sprachlich und gedanklich zum Ausdruck zu bringen. Insofern zolle ich dem Privatsprachenargument Wittgensteins Tribut, gehe aber davon aus, dass es uns erstaunlicher Weise trotzdem gelingen kann, mit öffentlichen Wortbedeutungen in nicht- und nichts-behauptender Weise subjektiv sich darstellende Inhalte [„subjektiv Gegebenes“] zum Ausdruck zu bringen, bzw. uns selbst zu Bewusstsein zu bringen.
Nehmen wir ein Beispiel für die kulturelle Vermittlung und die sich selbst bekundende Unmittelbarkeit dieser Inhalte in einem. [Wir haben eine Äquivokation von „Unmittelbarkeit/ Mittelbarkeit“ im Spiel. Unmittelbarkeit des Dass des Gegebenseins subjektiver Denkinhalte und kulturelle Mittelbarkeit in der Bekundung des Was dieser Gegebenheit.] Ich glaube z. B. einer Versuchung und Anfechtung des Teufels zu unterliegen. Es scheint mir, dass der Teufel mir etwas einflüstert. Ob es den Teufel, Anfechtungen u. dgl. wirklich und in allgemein nachvollziehbarer Weise gibt, sei per Behauptungsparenthese dahingestellt. Wir beziehen hierzu methodisch-skeptische Distanz. Diese Inhalte sind sicherlich kulturell und historisch [durch einschlägige Erzählungen, ev. religiöse Indoktrinierung] vermittelt, vermute ich. Wenn ich niemals von dergleichen Dingen gehört hätte, käme ich vielleicht nicht auf den Gedanken, dass es so etwas geben könnte. Wenn es mir aber nun einmal so erscheint [so vorkommt], [aus welchen Gründen auch immer,] dass dies oder jenes sich so und so verhält und ich mir entsprechender Inhalte bewusst bin, dann ist dieses so und so bestimmte Bewusstsein unmittelbar gegeben. Unmittelbarkeit des Gegebenseins bedeutet hier also: das So-und-so-Bestimmtsein des subjektiven Bewusstseins unter Absehung von einer darüber hinausgehenden objektiven Behauptung. Es handelt sich um die Bestimmtheit des subjektiven Bewusstseins unter Absehung von jeglichem Behauptungsanspruch, dass unabhängig von meinem Dafürhalten etwas wirklich so oder so sei.
Es liegt in der [nicht-objektiven] Natur der Sache, dass das Was des subjektiv unmittelbaren Gegebenseins sich nicht „dingfest“ machen lässt. Der Gesichtspunkt einer enormen Suggestivität, Formbarkeit und Beeinflussbarkeit tritt in diesem Zusammenhang hervor. Dies ist ein wichtiger Aspekt seiner eigenartig kriterienlosen Existenz.
Das subjektive Bewusstsein der scheinenden Sonne ist Bewusstsein von etwas Subjektivem. Kriterium dafür ist nicht die tatsächliche Existenz der scheinenden Sonne, sondern die subjektive Innerlichkeit [das subjektive Innesein] des so und so geformten [„bestimmten“] Bewusstseins.
Unter dem Gesichtspunkt der Intentionalität betrachtet ist das subjektive Bewusstsein Bewusstsein von sich selbst. Also ist das subjektive Bewusstsein der scheinenden Sonne Bewusstein des so und so bestimmten Bewussteins ohne objektive Kriterien dafür oder dagegen.
Unter dem Gesichtspunkt der intentionalen Ausrichtung [Inhalts- oder Gegenstandsbezug] sind die inneren Bewusstseinsinhalte Bewusstsein von etwas; - und nicht von nichts. Von etwas Gegebenem. Und zwar sonderbarer Weise vom Gegebensein ihrer selbst. Wir können von reflexiver Intentionalität sprechen. Dieser sich selbst bekundende Charakter der subjektiven Bewusstseinsinhalte stellt den Sinn dar, in welchem sie ‚unmittelbar‘ sind.
Ein Blick zurück auf Descartes:
Wenn man so will, verschiebt Descartes die Feststellung, dass vermittelst [des Innewerdens] des subjektiven Bewusstseins nichts behauptet werde, an dem ein Zweifel möglich sei bzw. das bestritten werden könnte, zu der Feststellung, das subjektive Bewusstsein beinhalte (und bekunde damit) etwas Unanfechtbares, unmittelbar (allerdings ‚subjektiv’) Gegebenes. Wir sollten sein Zweifelsarrangement nicht lediglich als Vorbereitung seiner Theorie der apodiktisch gewissen Subjektexistenz, sondern zunächst einmal als Anerkenntnis einer eigenen Sphäre subjektiver Evidenz würdigen, die z. B. erst einmal vom subjektiven Wahrnehmungsbewusstsein (im Unterschied vom Bewusstsein wirklich existierender Dinge) spricht. Diese subjektive Evidenz können wir nicht ohne Weiteres auf objektive, empirische Gegebenheiten ‚zurückführen’, insofern wir damit schwächere, eigentlich unproblematische „Behauptungen“ oder „Bekundungen“ durch stärkere, viel weiter gehende Behauptungen ‚begründen’ würden. – (Die objektivistische, einer bestimmten Art von versprechender Wissenschaft glaubende Tendenz unserer Zeit sieht hierin allerdings kein Problem. Sie setzt auf die Objektivierung des Subjektiven und verzichtet auf solche Subtilitäten wie objektive, subjektive (u.a.) Evidenz. Das liegt wohl daran, dass ihr die Frage „was kann ich wissen?“ fremd geworden ist.
Ein Wörterbuch der deutschen Sprache erklärt die Verwendung des Ausdrucks ‚subjektiv’ anhand folgender Wendungen: "auf das handelnde Subjekt bezogen", "ichbezogen", "persönlich", "individuell bedingt", "einseitig", "voreingenommen", "nicht dem tatsächlichen Sachverhalt entsprechend", "einseitig", "willkürlich", "unsachlich". Eine eher ‚subjektive’ Berichterstattung lässt in objektiver Hinsicht zu wünschen übrig. Denkbar erscheint vielleicht eine objektive, zudem in subjektiver Hinsicht eindringliche Berichterstattung, wenn sie anschaulich und gefühlswirksam ist.
Wenn also meine Aussagen, meine Verhaltens- und Erlebnisweisen als ‚subjektiv’ gekennzeichnet werden, dann beinhaltet das (für den Fall meiner Aussage über eine Sache) die Feststellung, dass meine Ansichten mehr mit mir selbst als mit dem Rest der Welt zu tun haben. Ebenso kann das, was ein anderer Mensch über irgendeine Sache für wahr und richtig hält, (für einen Außenstehenden) mehr über diesen Menschen selbst als über diese Sache ‚besagen’.
An dieser Lesart von "subjektiv" (im Gegensatz zu "sachlich", "sachbezogen" oder "objektiv") fällt nun auf, dass sie die Rede von einer ‚Objektivität des Subjektiven’ nicht ausschließt. Nichts an dieser Lesart hindert uns, die sogenannte Subjektivität eines Menschen als objektives Faktum (in der Wirklichkeit) anzusprechen und z.B. psychologische Aussagen mit Objektivitätsanspruch darüber zu fällen. Die Subjektivität des Menschen kann nach dieser Lesart als Teil der objektiven Welt behandelt werden. Ohne Weiteres kann man im Einklang mit dieser Lesart von einer Biologie, von einer Physiologie usw. der menschlichen Subjektivität sprechen.
Eine solche Rede wird in unserer Zeit auch von vielen geführt; - mit teilweise großer Leichtfertigkeit. M. E. sollte man sich dabei aber im Klaren darüber sein, dass man damit eine Vorentscheidung über die Gültigkeit eines naturwissenschaftlichen Monismus getroffen hat. Danach kann es nichts geben, was nicht auf materielle Gegebenheiten und Prozesse der objektiven Wirklichkeit ‚zurückgeführt’ werden kann. Als materielles Substrat der menschlichen Gefühls-Subjektivität gelten spezifische Bereiche der neuronalen, biochemisch und elektrophysiologisch arbeitenden „Maschinerie“. Z. B. gewisse Hirnareale wie Amygdala, limbisches System und andere subkortikale Kontrollinstanzen, die in der Evolution früher als andere Bereiche entstanden sind und „Gefühle hervorrufen". Die Großhirnrinde selbst und andere Areale gelten als physiologische Gegebenheiten, ohne die wir nicht denken, rechnen und sprechen würden. Es gibt vielversprechende Ansätze der naturwissenschaftlichen ‚Reduktion’ von Subjektivität, z.B. für die Themen "Fühlen und Denken". Man kann auch Fragen zum Thema des Wollens, der Freiheit und Verantwortung mit physiologischen Funktionen in Zusammenhang bringen. Auch hierzu gibt es umfangreiche einzelwissenschaftliche Forschungsergebnisse. Die Frage, die uns aber bleibt, ist, ob es sich bei dem genannten Monismus nicht lediglich um ein riesiges Forschungsprogramm handelt, eine weitgehende Absichtserklärung. Oder handelt es sich bereits um die ausgemachte Gültigkeit der projektierten allumfassenden naturwissenschaftlichen Objektivität?
Im Bereich logischer Wahrheiten wie z. B. dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch haben wir ein analoges Beispiel, wo sich ein Bereich von Phänomenen der naturalistischen Reduktion wegen einer spezifischen Eigenart [entsprechender Evidenzen oder Gültigkeitsansprüche] entzieht. Die Eigenart logischer Wahrheiten besteht darin, dass man sie nicht aus objektiver Erfahrung herleiten kann, weil eine Erfahrung im Widerspruch dazu gar nicht denkbar wäre. Hier kommt es allerdings darauf an, Denkbarkeit im weitest möglichen Sinne anzusetzen, z. B. dass ich nicht etwas von etwas prädizieren kann, indem ich es nicht prädiziere.
Der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch verbürgt nach Aristoteles [Metaphysik, G, 1006 a 18 ff, 1012 b, 5 ff] nicht mehr und nicht weniger als die Einheit des Bezeichneten und Gesagten, besteht also in der Forderung, dass etwas [eines] [von etwas] in einer Behauptung gesagt werde und nicht nichts. Ein solches Prinzip hat universelle Gültigkeit vor aller empirisch-objektiven Erfahrung und ist durch Hinweis auf empirische Einzelbefunde nicht zu widerlegen. Gültigkeiten dieser Art [die im Verhältnis zur Undenkbarkeit des Gegenteils stehen] widersetzen sich der Rückführung und Ableitung auf [aus] empirisch-objektive[n] Beobachtungsbefunde[n] aus Gründen der spezifischen Art nicht-empirischer Evidenz. In Analogie hierzu widersetzen sich subjektive Bewusstseinsinhalte durch ihre spezifische Bewusstseinsart und Gegebenheitsweise einer Rückführung auf objektiv Emprisches. Wir entdecken in ihnen zwar nichts, was im Verhältnis zur Undenkbarkeit gegenteiliger Inhalte steht. In ihrem Fall entdecken wir lediglich ihre Gegebenheit in Unabhängigkeit von empirisch-objektiven Kriterien, die genannte „Unmittelbarkeit des Gegebenseins“.
Der Satz des zu vermeidenden Widerspruchs ist nach A. ein erstes bzw. ein letztes Prinzip aller Wahrheit und Denkbarkeit. Also ein Prinzip, dessen Gültigkeit man nicht aufgrund eines anderen Prinzips erweisen kann, sondern zum Zwecke der Argumentation bereits mitbringen muss, d. h. man muss es in seine Gültigkeit voraussetzen, wenn man Gültigkeitserwägungen anstellt. Die Wahrheit, bzw. die Gültigkeit eines solchen Prinzips, d. i. in diesem Falle seine Gültigkeit als „Denkbarkeitsgesetz“, wäre demnach in sich selbst gründend und nicht ableitbar. Es wäre gültig „aufgrund seiner selbst“ als Prinzips etwaiger Ableitungen.
Wir haben in unserer Betrachtung nunmehr drei Arten von Evidenz und Gültigkeit: objektive, subjektive und logische, die jeweils streng voneinander zu unterscheiden sind. Andere Arten von Evidenz, z. B. moralische Evidenz bezüglich einer schlechthin gebotenen Verhaltensnorm, kommen in Betrachtungen anderer Art hinzu.
Alternative zu einem Naturalismus des Logischen ist m. E. kein Hypernaturalismus, sondern ein Apriorismus des Logischen. Z.B. die logische Form, dass wir etwas von etwas denken. Konventionalismus der logischen Form ist eine andere Alternative, die ich hier nicht vertreten möchte. Ich gebe zu, dass sich ein Apriorismus logischer Formen leicht zu einem Arsenal absoluter Denkbarkeiten und hyperphysischer Realitäten aufbauscht.
Im Fall objektiver Erkenntnisse müssen wir alle logische Formen des Denkens, die wir in's Spiel bringen, auf die raum-zeitliche Wirklichkeit beschränken. Das ist Kantisches Gedankengut.
Unsere Absage an den Naturalismus des Subjektiven entspricht sozusagen dem "Erklärungslückenargument": [Joseph Levine, The explanatory gap] Durch die Erörterung entsprechender objektiver Zusammenhänge komme ich vielleicht bis z. B. Konzept des Denkens als Probehandeln, was sich evolutionär als zweckmäßig erwiesen haben könnte. Aber die eigenartige Subjektivität in der inneren, subjektiven Kundgabe von Wahrnehmungsbewusstsein usw. [bei dem Dahin-gestellt-sein-lassen objektiver Behauptungen] wird dabei vorausgesetzt und nicht durch die Rückführung auf Objektives „erklärt“. Die „subjektiv bestimmten Bewusstseinszustände“, bzw. die „subjektiv existierenden Inhalte meines subjektiven Bewusstseins“ entsprechen m. E. den „Qualia“, die in der analytischen Philosophie der letzten Jahrzehnte diskutiert worden sind.
Popper, in: das Ich und sein Gehirn, spricht in diesem Zusammenhang [Physikalismus des Subjektiven] von ‚versprechendem Materialismus’. Für diejenigen unter uns, die den Begriff ‚Materie’ so eng auslegen, dass Energie, Wärme, Licht, Strahlung u. dgl. keine ‚Materie’ bzw. ‚nichts Materielles‘ sind, müssen wir sagen: Objektivismus, oder ‚Physikalismus’.]
Unser Körper ist auf mehreren Kanälen für spezifische Reize unserer Umgebung geöffnet. Anders gesprochen: Es gibt Schnittstellen unseres Körpers mit der uns umgebenden Wirklichkeit. Schallwellen gelangen an unser Ohr, lösen sensorische Ereignisse in unserem Körper aus, und letztlich werden wir uns einer Hörempfindung bewusst. Sichtreize treffen auf unser Auge und letztlich haben wir subjektives Sehbewusstsein einer objektiv vorhandenen äußeren Wirklichkeit. [In der Praxis ist natürlich die Korrelation mit dem objektiven Faktum interessant.]
Die Sinnesrezeptoren sind körperliche Gebilde, angeschlossen an ein Reizverabeitungssystem, das ebenfalls ein körperliches Gebilde darstellt. An vielen dieser Gebilden ereignen sich biochemische und elektrophysiologische Vorgänge, also ebenfalls objektiv-empirische Vorgänge und rufen letztlich hervor, - und hier geschieht der hiatus -, die subjektive Präsenz subjektiver Bewusstseinsinhalte. Diese führen wiederum, - ebenfalls per hiatus -, zu anderen biochemischen und elektrophysiologischen Vorkommnissen und - per Muskelinnervation - u. U. auch zu beobachtbarem Verhalten des Gesamtorganismus. Für den hiatus opfern wir jeweils den Grundsatz, dass Physisches nur mit Physischem korreliert. Von effektiver Erklärbarkeit des einen durch das andere rücken wir ab. Körper und Psyche [und ein Geist] wirken zusammen, aber man weiß nicht wie und kann im besten Fall erkennen, warum man das nicht wissen kann.
Wir sprechen von subjektiver Hörempfindung, subjektiver Sehempfindung usw. wie vom Zahnschmerz, indem wir Objektives und Subjektives vermischend korrelieren und z. B. das [äußerlich] Gehörte als Ursache des subjektiven Hörbewusstseins aufführen. Das ist in vielen Fällen berechtigt, aber wir sollten bedenken, dass das Objektive weder hinreichende noch notwendige Bedingung des Subjektiven ist. So kann ich etwas zu hören glauben, ohne dass ein entsprechender Reiz von außen an meinen Körper gelangt ist und verarbeitet wurde. Umgekehrt kann es sein, dass ich nichts höre, wo für andere durchaus etwas zu hören ist. Dies gilt sogar für den Fall eines intakten Reizverarbeitungssystems. Es besteht also ein sonderbarer Hiatus zwischen Subjektivem und Objektivem, eine „Emergenz“ oder „Supervenienz“, deren Eigenart das Rätsel des Subjektiven darstellt. Die subjektive Art des Bewusstseins, besonders im Kontrast mit der Bezweifelbarkeit [im Sinne der methodischen Skepsis] alles objektiv Feststellbaren ist der entscheidende Punkt. [Diese Bezweifelbarkeit läßt sich auch mit der Fähigkeit des Distanzierens und des Abstrahierens in Zusammenhang bringen. Vom Materiellen kann ich mich geistig distanzieren, von vielen seiner Aspekte, sogar von seiner Existenz, kann ich abstrahieren usw.]
Aber nun zu Descartes und seinen Nachfolgern, die in der Frage von Denken und Ausdehnung Dualisten waren. [Beiläufig gesagt denke ich, dass das nicht reicht: wir werden für Pluralismus optieren.]
© copyright Jürgen Baader, Bad Dürkheim, 2003