Formal-dialektischer Überrumplungsversuch der Skepsis?

 

Es erscheint mir bemerkenswert, daß Descartes keine reductio ad absurdum der universell skeptischen Position versucht. [Der generell wahrheitsskeptische Ansatz könnte z. B. sein: „Es gibt keine Wahrheit. Und wenn vielleicht doch, dann ist sie für uns jedenfalls unerkennbar.“] An einer Stelle der Meditationes erwägt Descartes, dass bei der Zurückweisung alles Bezweifelbaren "vielleicht nur dies eine, daß nichts gewiß ist", als Wahres übrig bleibe. (Meditationes II, 2) Dies ist der Standpunkt, daß es keinerlei unbezweifelbare Erkenntnis gibt oder sogar nicht einmal geben kann. Descartes versucht nicht, das Argument zu schmieden, daß der skeptische Zweifel sich bereits mit dieser Feststellung selbst widerlege. (Dies in philosophischen Kreisen oft genannte Argument ist vermutlich der "formal-dialektische Überrumplungsversuch der Skepsis", von dem Heidegger in Sein und Zeit, S, 229 spricht.)

 

In m. E. sehr ansprechender, bemerkenswerter und ausführlicher Form findet sich das Argument der sich selbst aufhebenden generellen Wahrheitsleugung bei Aristoteles. „Der, der sagt, alles sei falsch, erklärt seine eigene Behauptung für falsch.“ [Metaphysik, G, 1012 b, 15 ff.] Über diese lapdidare Feststellung hinaus zeigt das gesamte Buch Gamma der ‚Metaphysik‘, für wie belastbar und weitreichend A. Überlegungen bezüglich sich selbst aufhebender Positionen hält. Aus diesem Grunde möchte ich an dieser Stelle einen etwas genaueren Blick auf diese Passagen werfen. Es fallen die Namen Heraklits, Anaxagoras, Protagoras, Empedokles und Demokrit. Gegen alle diese Denker und ihre charakteristischen Positionen, - besonders gegenüber gewissen Zuspitzungen dieser Positionen -, bringt A. das Argument des sich selbst aufhebenden Standpunkts in Stellung. Ihm selbst geht es um die Auszeichnung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch und des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten als fundamentaler Prinzipien wahrheitsgemäßer Reden.

 

„Gegenüber allen derartigen Behauptungen muss man, wie bereits oben gesagt, das Zugeständnis fordern, nicht dass etwas [so] sei oder nicht [so] sei, sondern dass man etwas bezeichne.“ [1012 b, 5 ff,]

 

Was wurde oben bereits gesagt?

 

„Der Anfang bei allen derartigen Überlegungen ist nicht die Forderung, der Opponierende soll sagen, dass etwas [so] sei oder nicht [so] sei (das nämlich könnte man schon für eine Voraussetzung des erst zu Beweisenden nehmen), sondern die Forderung, dass er etwas für sich und den anderen als geltend bezeichne. Denn das ist, sofern er überhaupt etwas sagen will, notwendig. Tut er es nicht, so gibt es wohl für einen solchen keine Diskussion, weder mit sich selbst noch einem anderen. Gibt dies aber jemand zu, so kann ein Beweis stattfinden, denn dann ist bereits etwas definiert.“ [1006 a 18 ff.]

 

A. [384 – 322 v. Chr.] verbindet ... mit einer Polemik gegen Heraklit, Anaxagoras und andere „Naturphilosophen“, übrigens auch gegen Protagoras. Heraklit, 540 – 480 v: Chr., „alles fließt“, Anaxagoras, 500 – 428 v. Chr., «Alles ist in allem enthalten», Protagoras, 485 – 415, „homo mensura“. In all diesen Fällen, jedenfalls in gewissen zugespitzten Lesarten der genannten Autoren erkennt A. sich selbst aufhebende Standpunkte.