Parmenides

 

Die Lehre des Parmenides war kurz und bündig: Vom Nicht-Seienden kann man nicht spre­chen, noch darüber nachdenken, weil es das Nicht-Seiende nicht gibt. Was nicht existiert, existiert eben nicht, und man kann auch nichts darüber sagen. Fertig.

 

Damit ist das Argument fertig. Haben Sie es verstanden? Warum kann es das Nicht-Seiende nicht geben? Weil das, was es gibt, das Seiende ist und nicht das Nicht-Seiende. Aus Gründen der Denkbarkeit. Man kann nicht von etwas sagen: „Es gibt es“ und dann „was es da gibt, ist ein Nicht-Seiendes.“ – [Das heißt in weiterer Konsequenz, dass es notwendigerweise etwas gibt, also dass notwendigerweise etwas existiert, ein notwendiges Wesen, dessen Nicht-Sein nicht gedacht werden kann. Das Nicht-Seiende kann nach P. nicht gedacht werden.]

 

Andere Variante: Vom Existierenden kann man nicht sinnvoll sagen, es existiere nicht. Vom Nicht-Existierenden kann man nicht sinnvoll sagen, es existiere.

 

Wer annimmt, wir könnten auch über Dinge reden, die es nicht gibt, der muss die Dinge, über welche wir reden, einteilen in solche, die es gibt, und solche, die es nicht gibt. Dinge, die es nicht gibt, gibt es aber nicht, sagt P. dazu.

 

Also existieren auch keine Unterschiede zwischen verschiedenen Din­gen, denn dann müsste ja an dem einen etwas sein, was am andern nicht ist. Also gäbe es Nicht-Seiendes, was aber aufgrund seiner Un­denkbarkeit völlig ausgeschlossen ist.

 

Was ist denn ein Unterschied, möchte ich hier etwas parodistisch anklingen lassen. Es gibt z.B. den kleinen Unterschied, anhand dessen wir erkennen, ob ein Mädchen oder ein Bübchen geboren wurde. Aufgrund eines vergleichenden und unterscheidenden Urteils erkennen wir, dass in einem Falle etwas da ist, was im andern Falle nicht da ist. Und umgekehrt. Die Wahrheit der unterscheidenden Aussage ist äquivalent mit der Existenz eines Unterschieds. Dazu P.: „Ochsen seid ihr, die nicht denken können, wenn ihr so redet, als könnte das Nicht-Seiende sein.“ Nein, das Nicht-Seiende gibt es nicht. Weder kann etwas an etwas sein, was an einem andern nicht ist, noch kann es überhaupt zweierlei geben, denn alles ist eins und dasselbe.  Nichts kann sich von irgendetwas in irgendeiner Weise unterscheiden.

 

Es gibt auch keine Veränderung, weil es sie gar nicht geben kann. Gäbe es sie, müsste an dem sich verändernden Ding etwas sein, was vorher nicht an ihm war und später nicht mehr an ihm ist. Oder später müsste etwas daran sein, was jetzt nicht an ihm ist. Auch das liefe darauf hinaus, dass Nicht-Seiendes existieren müsste, was undenkbar ist. Unterschiede, Veränderung, Fehlbestände, Noch-nicht, Nicht-mehr, all das ist eigentlich undenkbar, insofern man dafür müsste sagen können, Seiendes könne unter Umständen auch nicht sein. Parmenides aber lehrt: Nur Seiendes ist, Nichtseien­des kann es überhaupt nicht geben. Das Seiende muss ein Denkbares sein, was es nicht wäre, wenn Nicht-Seien­des ebenfalls ein Seiendes wäre. Also wenn es auch Nicht-Seiendes gäbe. Das Nicht-Seiende kann es gar nicht geben, meint der Meister dazu. Absolut sicher sei das.

 

Parmenides hat damit allen Nachfolgern eine harte Nuss hinterlassen, liegt uns doch allen der Glaube an eine Wirklichkeit von bewegten und veränderlichen Dingen durch den Augen­schein sehr nahe. „Nur Seiendes ist, Nicht-Seiendes gibt es gar nicht“, dieser Satz klingt aller­dings auch sehr logisch. Mit unerbittlicher Konsequenz hatte der Alte daraus geschlossen, dass Entstehen und Vergehen in der uns umgebenden Wirklichkeit bloßer Sinnentrug sein müssten. Das Sein des Parmenides war ein großes, einheitliches, unteilbares Sein, sozusagen das große Weltei in makelloser Gänze, völlig aus einem Guss und auch wesentlich unteilbar. Nicht ein Atom, sondern das Atom. „Atom“ im griechischen Wortsinn des unzerschneidbaren Ganzen. Würde es unterscheidbare Teile in ihm oder an ihm geben, so würde das bereits be­deuten, dass an einem Teil etwas sein müsste, was am andern fehlte, oder einfach, dass dieser Teil eben nicht das Ganze wäre. Nicht-sein-des-Ganzen ist aber wiederum nur eine Variante der zu verwerfenden Existenz von Nicht-Seiendem.

 

Parmenides muss seinen Zeitgenossen und auch seinen Nachfolgern mächtig imponiert ha­ben, versuchten sie doch, den Grundgedanken der Einheitlichkeit, Unveränderlichkeit, Un­teilbar­keit usw. für das wahrhaft Seiende aufrecht zu erhalten, dennoch allerdings eine Welt des Werdens, des Entstehens und Vergehens von Dingen als denkbar darzustellen. Denn ließe man alles so, wie es sich Parmenides gedacht hatte, wäre das eine allzu große Zumutung für den gesunden Menschenverstand gewesen. Sie zer­splitterten das Sein des Parmenides in eine Menge [Vielzahl] einzelner Bestandteile mit eben den Eigen­schaften der Unveränderlichkeit, Unteilbar­keit [des Nicht-zusammen-gesetz-sein] und erklärten die Wirklichkeit des Wandels der Dinge als verschiedenartige Konfigurationen und Mischun­gen des eigentlich Unveränderlichen. Dazu führten sie allerdings den vom Meister verabscheuten leeren Raum ein, aber wie sollte man sonst der Fallgrube eines völlig unveränderlichen Seins entschlüpfen? So entstand die antike Elemen­tenlehre [Em­pedokles] und auch der antike Atomismus [Melissos, Leukipp, Demokrit]. M. E. eine Art fauler Kompromiss in beiden Fällen, denn die Zer­splitterung des Ganzen erfordert ebenfalls den Gedanken der Ver­schiedenheit [des Unter­schieds] und somit die [Annahme der] Existenz des Nicht-Seienden.

 

Parmenides dürfte dem Gedanken zugeneigt gewesen sein, das wahrhaft und wirkliche Sein, das nicht nicht-sein könne, sei nichts Zeitliches und Vergängliches. Er ließ ihm aber das Attribut des Im-Raum-Seins. Zenon sah, dass uns räumliche Attribute und zeitliche Attribute glei­chermaßen mit schwer erträglichen Konsequenzen konfrontieren. Er [Zenon] neigte deshalb dazu, räumliche und zeitliche Eigenschaften gleichermaßen als Bestimmungen des wahrhaft Seien­den zurückzuweisen. Damit sind wir fast bei einem rein geistigen Sein, bei einer rein theolo­gischen Entität angelangt. Dennoch ist festzuhalten, dass es den beiden eigentlich um körper­lich-materielle Gegenstände und deren Denkbarkeit ging. Eine Einteilung von verschiedenen Arten des Seins, wie z. B. in materiell-objektives, in subjektives und geistig-abstraktes Sein gab es damals noch nicht. Aber Parmenides brachte vor allem erst einmal zur Geltung, das das Sein jedenfalls ein Denkbares, bzw. etwas Denkbares, sein müsse! – was immer sonst noch es sei. – Er leugnete ja jeglichen Unterschied, alles war ihm eins. Da machte es für ihn wohl auch wenig Sinn, über verschiedene Seinsarten wie persönlich-subjektives, materiell-objektives und geistig-abstraktes Sein zu sprechen. Für ihn gab es nur eine einzige Entität, das Sein selbst.

 

So also Parmenides, einer dieser gewaltigen Urväter der Philosophie. Wenn man sich sein Argument betrachtet, wird das alltäglich anscheinend Wirkliche befremdlich und bestaunenswert, weil man nicht mehr sagen kann, ob es überhaupt unter die Denkbarkeiten zählt. Was man denkt und sieht, worüber man in alltäglicher Weise spricht, zählt das denn überhaupt zu den denkbaren Möglichkeiten? Gedankengänge dieser Art sind deshalb so anregend, weil sie uns zeigen, wie wenig vom alltäglich für wirklich Ge­haltenen wir aufzufassen vermögen, ohne uns bei spitzfindigen Rückfragen in Widersprü­che zu verstricken. Das führt zur Entstehung von begrifflichen Differenzierungen und der Erzeugung von denkerischen Mitteln, um die Wirklichkeit als denkbar darzustellen, d. h. ohne in Widerspruch mit sich selbst zu geraten. Parmenides fing also mit einem Argument für die prinzipielle Unmöglichkeit des von uns für wirklich Gehaltenen an, und ver­schiedene Opponenten unter seinen Nachfolgern entwickelten Konzepte dafür, wie das prinzipiell für unmöglich Gehaltene im Einzelfall vielleicht doch denkbar und sogar wirklich sein könnte.

 

Man liest oft, Parmenides habe Denken und Sein identifiziert. Gemäß Fragment B 3, das man dann übersetzt findet mit: „Denken und Sein sind dasselbe.“ Man übersetzt aber besser:  „Dasselbe kann gedacht werden und sein.“ Das bedeutet dann: „Sein kann nur, was [auch] gedacht werden kann.“ In dieser Lesart ist das Sein bzw. das Seiende ein Teilbereich des Denkbaren, bzw. notwendige Bedin­gung des Seins ist jedenfalls Denkbarkeit, ohne die es eben nichts Denkbares wäre. Parmeni­des hatte mit seinem Sein wahrscheinlich ein materiell-körperliches Sein im Sinn, das den Raum erfüllt, und zwar in Gänze. Er war Gegner des leeren Raums, den er ebenfalls für eine Form des Nicht-Seins ansah. Unendlichkeit und Unbegrenztheit des Raumes lehnte er gleichermaßen ab. Die Frage, ob die endliche Seinskugel nicht durch leeren Raum umgrenzt sein müsse, hat er nicht erörtert. Vielleicht kann man darauf verweisen, dass auch mo­derne Kosmolo­gen keine Schwierigkeit darin sehen zu sagen, das Weltall sei unbegrenzt und doch von endli­chem Volumen. Es ist jedenfalls nicht erforderlich, das endliche Weltvolumen in einen alles umgebenden leeren Raum eingebettet vorzustellen. [Die Voraussetzungen, auf denen diese geometrischen Vorstellungen beruhen, sind zugegebener Maßen nicht die des Parmenides. Aber immerhin kann man sagen, dass man ein schlüssiges Argument, wie er es im Falle seines Seins vortrug, nicht mit Schwierigkeiten in einem an­deren Problembereich belasten sollte.]

 

Säkular und naturwissenschaftlich gesehen ist Parmenides unveränderliches Sein der Vorläu­fer der physikalischen Erhaltungssätze geworden, z. B. der Erhaltung der Energie, des Bewe­gungs­impulses. In der vorrelativistischen Physik auch der Masse. Im Grunde genommen zollt man dem Parmenides Tribut, wenn man sagt, etwas Neues könne nur durch Umformung des alten entstehen, und eine gewisse Quantität des Seienden müsse erhalten bleiben. Ex nihilo nihil fit, in nihilum nil possit rerverti, klingt hier an. Die Erhal­tungs­größe entspricht so der Unveränderlichkeit des Seins und bringt, wie man heute auch sagt, die Ho­mogenität der Zeit zum Ausdruck. Danach gelten zu unterschiedlichen Zeiten dieselben Ge­setze, nach denen sich etwas zu etwas anderem wandeln kann. Nach dieser Kon­zeption bleibt alles grundlegend dasselbe und wandelt sich doch. Wandel ist Gestaltenwandel des im Grunde genommen ewig Gleichen. Hier haben wir die Beharr­lichkeit des Seins in Form der Erhaltung einer Größe im Fluss immerwährenden Gestal­tenwandels.

 

Auch die moderne Vorstellung einer Invarianz der Naturgesetze bezüglich einer Symmetrie­gruppe entspricht P.s Konzeption des unveränderlichen Seins. Die Lorentz-Transformation definiert z. B. die Gruppe gleichförmig bewegter Systeme in der speziellen Relativitätstheo­rie. Die Transformationsregeln bezüglich der systemspezifischen Zeit- und Ortskoordinaten dienen der Annahme einer Invarianz [Einheit, Unveränderlichkeit] der Naturkonstanten und verschiedener grundle­gender physikalischer Gesetzmäßigkeiten. [Optik, Elektrodynamik.] Zunächst fiel dies be­züglich der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit auf. Der Ausdruck c für die Lichtgeschwin­digkeit steht für constant. Die Lorentz-Transformation wird genau unter der Anforderung einer in verschiedenen Systemen invarianten Lichtgeschwindigkeit c hergeleitet. P.s unveränderli­ches, unentstandenes und unvergängliches Sein entspricht dem Gedanken einer einheitlichen Natur in der Vielfalt gesetzmäßiger Geschehensfolgen. Dies ist gleichbe­deutend mit dem Konzept der Invarianz bezüglich einer Sym­metriegruppe. Deshalb gehört eine Betrachtung des Themas „Parmenides“ zu dem Thema „Einheit der Natur“. Worin be­steht die Einheit der Natur? Letztlich ist es vermutlich der Gesichtspunkt der Einheit des Denkens [von denkba­ren Zusammenhängen], welcher uns zu der Annahme einheitlicher Grundregeln für die Viel­falt der Geschehnisse motiviert. Die Einheit der raum-zeitlichen Wirklichkeit besteht dem­nach in der Einheitlichkeit des Denkens der angenommenen Zu­sammenhänge. Das entspricht auch der Einheit des großen zeitlichen Zusammenhangs der empirischen Wirklichkeit insge­samt. – Wenn man sagt, der Energieerhaltungssatz entspreche der Homogenität der Zeit, dann entspricht dies der Einheitlichkeit der Umwandlungsprozesse [gemäß einheitlicher Grundre­geln] für den Gesamtverlauf der Zeit.

 

Isomorphie der Zeit: Es gelten dieselben naturgesetzlichen Zusammenhänge in verschiedenen Zeitpunkten und Zeitabschnitten. In verschiedenen Zeitpunkten, wenn sie Zeitpunkt-bezogen sind, in verschiedenen Zeitabschnitten, wenn sie Zeitabschnitt-bezogen sind. Dies entspricht der Einheitlichkeit und Unveränderlichkeit der naturgesetzlichen Zusammenhänge. Diese Art von Gesetz macht keinen Unterschied für verschiedene Zeitpunkte bzw. für verschiedene Zeitabschnitte. Einheit und Unveränderlichkeit des Seins betreffen also die Homogenität der Zeit und der in ihr bestehenden Gesetzmäßigkeiten.

 

An dieser Stelle eine boshafte kosmologische Bemerkung in Parenthese: Die Energie entsteht nicht und wird nicht verbraucht, wenn wir die Energie als unveränderliche Erhaltungsgröße annehmen. Man sieht nun in den Teilchenmassen dieser Wirklichkeit positive Energiebeträge, gemäß der Einsteinschen Formel für die Äquivalenz von Energie und Masse: „E = m * c2. In dem Gra­vitationspotential der verteilten Massen sieht man dagegen negative Energiebeträge. Die Energiebilanz des Universums, derart aufgestellt, geht möglicherweise null auf null auf. Sie be­trägt konstant null. Die uns umgebenden Umsetzungs- und Umwandlungsprozesse resultieren aus vorübergehen­den Kräfte­spielen mit einer sich erhaltenden Energiemenge vom Quantum Null. Episoden im endlos un­veränderlichen Nichts bilden den tumultuösen Weltlauf. Im Wirbel unruhig fluktu­rierender Kräftespiele [fluctuo = Wogen werfen, schwanken, unruhig sein] beharrt ein unver­änderliches Sein mit der Gesamtquantität Null. Be­harrliches Sein und beharrliches Nichts sind gera­dezu dasselbe. – Hegel lehrte die Einheit von Sein und Nichts in einem anderen Sinn. Para­phrase der Hegellehre: “Alles von allem zu sagen ist eben so viel wie nichts von etwas sagen.“ Eine inhaltsleere Aussage [ohne Informationsge­halt] hat den Charakter der reinen Selbstverständlich­keit. So sagte ja auch Parmenides, hielt aber Sein und Nichts nicht für dasselbe. Ich übersehe es im Moment nicht, ob sich zwischen den beiden Auffassungen der Identität von Sein und Nichts ein Zusammen­hang feststellen lässt, vermute es aber.

 

Es ist an dieser Stelle nahe liegend, für den einen oder anderen Fall, mit der Vorstellung von veränderlichen, in ihrer Gültigkeit regional eingeschränkten „Naturgesetzen“ zu liebäugeln. Führt man im nachhinein doch wieder Gesetze [höherer Ordnung] für die Änderung von Ge­setzmäßigkeiten [niederer Ordnung] ein, nähert man sich wieder, jedenfalls mehr und mehr, der Vorstellung eines einheitlichen Zusammenhangs für immer weitere Wirklichkeitsbereiche an.

 

Spekulativ theologisch und transzendent-metaphysisch gesehen, treffen die Prädikate von Parmenides unveränderlichem Sein, – unentstanden und unvergänglich, - direkt auf das Sein Gottes zu. Er ist All der Realität, In­begriff aller denkbaren Realitäten, rei­nes denkbares Sein, dem nichts fehlt, das nichts außer­halb seiner selbst hat, und von dem es im Grunde genom­men nichts Verschiedenes gibt und geben kann. Un­entstanden, unvergänglich, nicht aus ver­schiedenen Bestandteilen bestehend, keine Zusammensetzung aus verschiedenen Kompo­nenten. Nur ein Prädikat des Parmenides trifft hier nicht: Das Im-Raum-Sein des Seins, die Tatsache, dass gewöhnli­che existierende Dinge räumliches Ausmaß besitzen und mit der Gesamtheit der sie umge­benden Wirklichkeit einen gemeinsamen Rand. Man kann sagen: das Sein des Parmenides, abzüglich seiner Räumlichkeit, und damit völlig metaphysisch trans­zendent ge­nommen, zuzüglich der anthropomorphen Eigenschaften des Erkenntnis- und Willenhabens, selbstver­ständlich beides in optimierter Qualität und höchster Perfektion, das ist der personale Gott. Natürlich bleibt die Frage, ob wir wissen können, dass es ihn gibt. Oder ob wir wissen kön­nen, dass es ihn nicht gibt. Oder ob seine Existenz etwas ganz Selbstver­ständliches ist wie die von Parmenides Sein. – Hier stehen wir ganz in der Nähe des sogenannten ontologischen Arguments für Gottes Dasein. Das Nicht-nicht-sein-können des Seins, weil wir ansonsten von etwas reden würden, was kein Etwas wäre.

 

Es ist nahe liegend, im Falle von P.s Problem des Seins und des Nicht-Seins, eine Lösung durch Bedeutungsunter­scheidungen zu versuchen. Das Wort „Sein“ bedeutet bei ihm sowohl „Existenz“ als auch „Essenz“. „Existenz“ bedeutet das „Dass-Sein“ von etwas, „Essenz“ das „So-Sein“ von et­was, die Tatsache, dass etwas eine (wesentliche) Ei­genschaft besitzt, die es zu dem macht, was es ist. [Ich sehe hier ab von der Unterschei­dung von Eigenschaften in wesentliche und unwesentliche.] Denkt man nun etwas von etwas, oder spricht darüber, vermittelst der sozialen Errungenschaft der Sprache, so muss dieser Be­zugs­gegenstand der Rede [ihre Referenz] tatsächlich existieren. Sonst würde man etwas von nichts, möglicher­weise sogar nichts von nichts denken, was uns rätselhafter Weise sogar manchmal gelingt. Aber das Nicht-so-sein von Dingen, über die wir reden, ihre Unterschiedlichkeit können wir gelten lassen. Insofern kann an etwas eine Eigenschaft sein, was an etwas anderem nicht Ei­genschaft ist. – Das Nicht-Sein von etwas, das bestimmte Nichts würde nach diesem Konzept unter die Denkbarkeiten zählen und wäre ein Seiendes. Wir würden in einer Wirklichkeit der Unterschiede leben, Unterschiede wären etwas Denkbares, unterscheidende Aussagen könnten wahr, falsch und auch unentscheidbar sein. – Nur unter dem prinzipiellen Aspekt der Denkbarkeit wäre dennoch alles eins und dasselbe, nämlich etwas Denkbares.

 

Warum sollte man sich ansonsten mühen, in langwierigen Erörterungen etwas von etwas zu unterscheiden? Wenn im Grunde genommen doch alles eins ist und dasselbe. – Nähme man die Überlegung des Parmenides in diesem destruktiven Sinn auf, würde sein Gedanke zu einer Rechtfertigung des negativen Pauschalurteils, obwohl er selbst die Allexistenz des Seienden für großartig hielt. Platon versucht im Dialog „Sophistes“ die Art des wahren Philosophen vom sophisti­schen Scheinwesen abzugrenzen und stößt dabei genau auf das Problem, dass ein Unterschied nicht denkbar wäre, wenn es keine Unterschiede im So-Sein von etwas gäbe. Also ist die Existenz von Nicht-Seiendem eine Denkbarkeit, entgegen dem Parmenides. In einem beson­deren Sinn kann man also doch vom Sein des Nicht-Seienden sprechen. Es handelt sich dabei um nichts anderes als die Existenz von Unterschieden im Bereich des vielfältig Denkbaren. – Diese Überlegung spielt an auf das Thema „Einheit und Vielfalt“. Es geht um die Einheit des Denkens bezüglich vielfältiger Denkbarkeiten. Das Denken ist Denken eines Denkbaren, das Seiende ein Teilbereich des Denkbaren. – Derart gehören Sein und Denken zueinander.

 

So also ging es vorwärts in der Entwicklung des abendländischen Denkens. Vieles hielt man für ausgeschlossen, und es war dann doch der Fall.

 

Man sagt mit völligem Recht, in der Philosophie geschehe eine Problematisierung des Trivi­alen. Ich setze hinzu: des anscheinend Trivialen. Der Zusatz erfolgt deshalb, weil es uns kaum gelingen wird, uns zu einigen über den Bestand und Inhalt dieser Trivialitäten. Was der eine als selbstverständlich ansieht, erscheint dem anderen als problematisch. Einigung unter Men­schen, wenn sie erfolgt, erfolgt aufgrund von Gemeinsamkeiten des Nicht-in-Frage-Stellens und nicht aufgrund der Gemeinsamkeit explizit zu machender Überzeugungen mit einem all­gemein anerkannten Anteil von Selbstverständlichkeiten.

 

Parmenides aus Elea in Süditalien lebte 520 bis nach 460 v. Chr..

Heraklit lebte um dieselbe Zeit in Ephesos, Kleinasien, heutige Türkei.

Zenon, 490 – 430 v. Chr, Elea.

Sokrates, 470 – 399 v. Chr, Athen.

Platon, 427 – 347 v. Chr, Athen.

 

 

 

 

 

 

Um etwa 445 v. Chr. sollen Parmenides und Zenon mit dem jungen Sokrates [nach Platons Aussage] in Athen zusammengetroffen sein. Sokrates war also damals 25, Parmenides 75, Zenon 45 Jahre alt. Wir sind natürlich außerstande zu entscheiden, ob das wahr oder gut er­funden ist.

 

 

© copyright Jürgen Baader, Bad Dürkheim, 2004/2013