Über die Subjektivität der Zeitmodi

 

Mit dem Wort „jetzt“ machen wir keine objektive Zeitangabe.

 

Das Wort „jetzt“ ist nicht synonym mit dem Ausdruck „im Augenblick [in etwa], in dem gesprochen wird“ oder „mit dem Augenblick [in etwa] gleichzeitig, in dem diese Formulierung geäußert wird.“ Grund: der Gedanke „Im Augenblick [also jetzt] wird nicht gesprochen“ enthält nichts Widersprüchliches. Aber der Satz „Im Augenblick, in dem gesprochen wird, wird nicht gesprochen“ würde einen Widerspruch beinhalten.

Schwieriger wird es, wenn wir sagen, das Wort „jetzt“ sei synonym mit der Wendung „im Augenblick [in etwa], in dem ich denke“. Das Bewusstsein meines Denkens, bzw. meine Feststellung, dass ich jetzt denke, behauptet [jedenfalls in cartesianischer Lesart] nichts objektiv Feststellbares, sondern nur mein subjektives Bewusstsein, z. B. des in seiner Wahrheit als unausgemacht dahinstehenden Aussageinhalts: „es kommt mir so vor, als sei es so und so.“ Diese Art von cartesianischer Subjektivitätsauffassung verzichtet [zunächst] auf jegliche Anknüpfung des Subjektiven an objektive Gegebenheiten und enthält insofern auch keine objektive Zeitpunktsbestimmung. [Die Art der Verknüpfung des subjektiven Jetzt mit einer objektiven Zeitangabe ist in dieser Lesart wahrscheinlich bereits ein Fall von Leib-Seele-Dualismus, bzw. zumindest eines Dualismus von subjektiv und objektiv gegebenen Entitäten.]

 

Wenn etwas ‚jetzt‘ geschieht, im Unterschied z. B. von ‚am 16.09.2002 nach Christi Geburt‘ oder irgendeiner anderen handfest an objektiven Fakten anknüpfenden Datierung, dann bringt das „jetzt“ die lediglich subjektive Zeitbestimmung zum Ausdruck. Ich kann in gegebenem Augenblick auf mein subjektives Bewusstsein reflektieren und zum Ausdruck bringen, was mir gerade der Fall zu sein scheint. Ich kann auch vom ‚jetzigen‘ Stand der Dinge sprechen, aber durch den Ausdruck „jetzig“ füge ich meiner Beschreibung dieses Stands der Dinge keine objektive, sondern eine lediglich subjektive Zeitbestimmung hinzu; in situationsabhängiger, hinweisender Weise. Ich sage mit der Wendung „jetzig“ offenbar nichts Objektives. Aber ich verknüpfe ansonsten Objektives wie z. B. die Tatsache, dass ein Stuhl in einem Raum steht, mit dem subjektiven Bewusstsein des Hier und des Jetzt.

 

Das Jetzt, bzw, die Eigenschaft des Jetzig-Seins [des Gegenwärtig-seins] ist ein Phänomen des subjektiven Bewusstseins. Es enthält keine objektive Zeitbestimmung.

 

Ausdrücke wie „gestern“, „morgen“, „vergangenes Jahr“ enthalten eine verkappte subjektive Zeitbestimmung, indem sie von der Gegenwart, dem Jetzt her rechnen. Das Jetzig-sein der Gegenwart ist dabei kein objektives Faktum. Objektiv wäre die Zeitbestimmung nur anhand der Relationen „vorher“, nachher“, „gleichzeitig“, wenn diese Relationen ausschließlich bezüglich objektiver Fakten eingeführt sind und lediglich bezüglich objektiver Vorgänge verwendet werden. Es ist ja so, dass objektive Vorgänge objektive Zeitspannen andauern, Zeitstrecken belegen, so dass wir durch entsprechende Feststellungen des Vorher, des Nachher und des Gleichzeitig [bezüglich objektiver Vorgänge] objektive Zeitverhältnisse begründen. [Dabei kann man mit Berücksichtigung relativitätstheoretischer Überlegungen zugestehen, dass dies nur bezüglich „lokalzeitlicher“ Ereignisse, also nur für raum-zeitlich eng benachbarte Ereignisse „ohne weiteres“ gelingt.] Die Subjektivität des Denkens in unserem Zusammenhang ist jedenfalls kein objektives Faktum. Das subjektive Bewusstein wird [gemäß der Prozedur und dem gedanklichen Hilfsmittel „phänomenologische Reduktion“ bzw. „methodischer Zweifel“] durch gewollten und bewussten Verzicht auf jede Objektivitätsbehauptung erzeugt. Würden wir bestimmte Aktivitätsmuster des Gehirns als Bezugspunkt der Datierung nehmen, hätten wir eine objektive Anknüpfung. Dann aber bleibt uns das Problem, wie wir diese physiologische Aktivität mit dem Jetzt des subjektiven Bewusstseins verknüpfen können, über das wir nicht objektiv reden können.

 

„Jetzt“, „gegenwärtig“, „soeben“, „vergangen“, „gleich“, „zukünftig“ sind subjektive Zeitbestimmungen und insofern Phänomene des lediglich subjektiven Bewusstseins. Die Relationen „vorher“, „nachher“, gleichzeitig“ definieren dagegen auch eine objektive Zeitordnung von objektiv feststellbaren Ereignissen bzw. physischen Vorgängen. Insofern ist die Rede von der „phänomenalen“, subjektiven Zeit im Unterschied zur objektiven Zeit berechtigt. Objektives und subjektives Vorher, Nachher usw. sind also zweierlei, es gibt eine objektive und eine subjektive Zeitordnung, wobei die Phänomene des Jetzt, d. i. der Gegenwart, dann des Soeben und des Gleich Phänomene der subjektiven Zeitordnung darstellen.

 

Gemäß der subjektiven Zeitstruktur zerfällt die [subjektive] Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Gemäß der objektiven Zeitstruktur ordnen sich die Vorgänge der Wirklichkeit in Vorher, Nachher und Zugleich. [Dabei verdient die Anknüpfung der lediglich subjektiven Bewusstseinsaktualität an objektive Zeitbestimmungen (objektiver Vorgänge) besonderes Interesse. Durch die „Tatsache“, dass das subjektive Jetzt mit einem Zustand der objektiver Wirklichkeit ‚zugleich‘ ist, ergibt sich nicht die „Objektivität des Subjektiven“. Diese Relation ist in der Tat ein Sonderfall einer Relation von Subjektivem und Objektivem, wobei am Zustand der Wirklichkeit selbst nichts „Jetziges“ oder kein „Gegenwartscharakter“ objektiv feststellbar ist, damit auch kein Noch- nicht und kein Nicht- mehr.]

 

Um einem Missverständnis vorzubeugen, füge ich folgendes hinzu: Wenn wir vom ‚jetzigen‘ Stand der Dinge sprechen, dann geht es zum Teil durchaus um Aussagen mit zugehörigen empirisch- objektiven Kriterien ihrer Wahrheit. Nur die Zeitbestimmung ‚jetzig“ ist in diesem Fall subjektiv. Sie impliziert: ‚noch nicht vergangen‘, ‚nicht erst kommend‘, die ebenfalls subjektiver Natur sind. Wenn sich die Zeitbestimmung ‚jetzig‘ auch in vielen Fällen durch objektive Zeitbestimmungen ersetzen läßt [lediglich „salva veritate“ und nicht qua Synonymität], so enthält die Aussage, dass etwas gerade jetzt und nicht vorher oder zukünftig geschieht für sich selbst genommen keine solche objektive Zeitbestimmung, sondern lediglich die Verknüpfung mit der Präsenz des subjektiven Bewusstseins. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sind ausschließlich Modi und Gegebenheitsweisen subjektiver Bewusstseinsinhalte. Erinnerungsbewusstsein z. B. ist die aktuelle Präsenz (Gegenwart) von Vergangenheitsbewusstsein.

 

Es wirkt befremdlich, dass es nach diesen Überlegungen keine objektive Tatsache sein kann, dass sich Zukünftiges noch nicht ereignet hat und Vergangenes ‚tatsächlich’ vergangen ist. Aber ohne Anknüpfung an das gegenwärtige Jetzt kann man offensichtlich nicht von Noch-nicht-Geschehenem oder Bereits-Vergangenem sprechen. Mit der Rede vom Jetzt oder von der Gegenwart wird aber offensichtlich keine objektive Zeitbestimmung vollzogen. Demnach sind unsere Redeweisen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Beispiele dafür, wie weit wir in unserem alltäglichen Sprechen von einer Elimination subjektiver Bestimmungen [aus einer Menge von zum Teil objektiven Behauptungen] entfernt sind. Mit objektiven Zeitbestimmungen läßt sich nicht vom Vergangensein der Vergangenheit, vom Gegenwärtigsein der Gegenwart und vom Noch-nicht-sein des Zukünftigen reden.

 

Das ‚Hier‘ ist im Gleichklang zum ‚Jetzt‘ als Phänomen subjektiver Zeitbestimmung ein Phänomen der subjektiven Ortsbestimmung „Hier und jetzt ist es so und so“ enthalten also die Anknüpfung objektiver Gegebenheiten an subjektive Zeit- und Ortsbestimmungen und insofern die Anknüpfung an Phänomene, die wesentlich Phänomene des subjektiven Bewusstseins sind. Der Bezug auf „Jetzt-sein“, „Jetzigkeit“, „Gegenwart“, Bewusstseinsaktualität, auf den gegenwärtigen Augenblick, in einer (subjektiven) Zeitreihe stehend mit eben vergangenen Augenblicken einerseits und herannahenden Augenblicken andererseits, ist also nur der Subjektivität des Bewusstseins und nicht den empirisch-objektiven Gegebenheiten der Dinge zuzurechnen. In der objektiven Wirklichkeit gibt es den Unterschied von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht. [Die Relation „Vorher“ usw. ist den empirisch-objektiven Gegebenheiten durchaus zuzurechnen. Und zwar als außerordentlich fundamentale Existenzform, für die Kant in oft missverstandener Weise auch eine Art von Subjektivität reklamiert. Es geht dabei aber um das Apriori der Zeitordnung für alles Empirisch-Objektive und nicht [wie hier] um den nicht-objektiven Charakter subjektiver Zeitbestimmungen, welche wir in den Zeitmodi antreffen.]

 

Es stellt sich hier die Frage, ob wir Subjektivität und Situativität des Bewusstseins fälschlicherweise zusammendenken. Der Bezug meiner Aussagen auf ein Hier und Jetzt lässt sich salva veritate für einen Außenstehenden durch objektive zeitliche und räumliche Lokalisierungen ersetzen. Allerdings enthält das subjektive Bewusstsein des Hier und Jetzt nach der cartesianischen Urteilsenthaltung [für objektiv Körperliches] nur noch den Bezug auf subjektive Bewusstseinspräsenz. Derart konstatiert die Aussage: „Ich bin jetzt hier“ nichts Objektives und ist auf sonderbare Weise unbezweifelbar richtig und wahr.

 

Eine weitergehende Frage ist z. B.: „Ist das Jetzt immer dasselbe oder immer wieder ein anderes?“ Man könnte sagen: „Das Jetzt ist immer dasselbe, aber die Inhalte wechseln.“ Aber man kann auch sagen: „Das Jetzt ist immer wieder neu, ein anderes als vorher.“ „Das Jetzt fließt.“ [Husserl] Das „Hier und Jetzt“ scheinen eine Art „Grundqualität“ des subjektiven Bewusstseins darzustellen, wobei sich im Bewusstsein immer wieder andere Inhalte präsentieren. Der „Hier-und-Jetzt“-Charakter einer Szene ist, wie bereits betont, nichts Empirisch-Objektives an ihr. Insofern ist auch diese Grundqualität des subjektiven Bewussteins [sein Hier-und-Jetzt-Sein] etwas rein Subjektives.

 

Wahrscheinlich ist es wirklich ein Gang an den Grenzen der Sprache [Wittgenstein], wenn man solche Fragen überlegt wie „Ist das Jetzt immer dasselbe oder ein anderes?“ Sprachliche Intuitionen über die Verwendung des Indikators „jetzt“ leiten zum Teil unsere Überlegungen, dann die Beobachtung, dass man vom „jetzigen, vergangenen und zukünftigen Stand der Dinge“ sprechen kann. Damit haben wir bereits eine Eigenschaft, nämlich „jetzig“ in’s Spiel gebracht. Durch Nominalisierung der Eigenschaft gelangen wir dann zur „Jetzigkeit“, zu „Jetzten“ usw.. Dies wirkt u. U. befremdlich.

 

Die Frage, was wir mit dem Ausdruck „jetzt“ bezeichnen, wirkt dabei noch harmlos. Genau sie führt aber auf die Jetzigkeit des Jetzt, alltäglich gesprochen: auf die Gegenwärtigkeit des Gegenwärtigen. Wir müssen diese Frage zulassen. Und wir antworten: Gegenwart ist ein Phänomen des subjektiven Bewusstseins und nicht ein objektives Charakteristikum empirisch- objektiver Vorgänge.

 

Edmund Husserl war sich vielleicht nicht bewusst, wie sehr uns in der Beschreibung des subjektiven Bewusstseins „sprachliche Intuitionen“ [bezüglich der Indikatorworte „ich“, „hier“ und „jetzt“] leiten, also letztlich Sprachkonventionen, Redensarten usw.. Aber der subjektiven „Sache“ nach sind seine Überlegungen berechtigt. Die Frage, die sich hier allerdings aufdrängt, ist, wie uns gelingen kann, vermittelst konventionell geregelter, öffentlicher Wortbedeutungen über Privat-Subjektives, also einen Bereich nicht-objektiven Gegebenseins zu sprechen.

In der Sache halte ich Husserls Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins also für berechtigt. Wenn wir Subjektivität cartesianisch [gemäß der Rezeptur des methodischen Zweifels] ansetzen und uns nicht von der oft etwas leichtfertig gemachten Voraussetzung einer „Objektivität des Subjektiven“ irreleiten lassen, dann bleibt [nach der Rezeptur des methodischen Zweifels] „subjektiv tatsächlich“ das subjektiv Gegebene als ein Bereich von „Selbstgegebenheiten“. In Worten Husserls:

 

„Ist mir irgendetwas problematisch, so ist mir das mindestens absolut gewiss, dass es problematisch ist, und von da geht es weiter zur Evidenz der cogitatio überhaupt und des darin Cogitierten. Absolute Selbstgegebenheit ist also sicher kein leeres Wort.“ [Husserl in einem Text zum Zeitproblem in der phänomenologischen Fundamentalbetrachtung (1909 – 1911)]

 

Wir stehen vor dem Problem, dass sprachliche Ausdrücke ihre Bedeutung durch Regeln ihres tatsächlichen Gebrauchs im Rahmen einer sozialen Praxis besitzen. Mit Ausdrücken, die solcherart eine Bedeutung besitzen, beziehen wir uns unter anderem auch subjektive Inhalte des phänomenalen (subjektiven) Bewusstseins. Dass dies möglich ist, setzen wir voraus. Wir sind nicht dazu bereit, aufgrund der sozialen Natur der Sprache und aufgrund des konventionell, öffentlichen Charakters alltagssprachlicher Ausdrucksmittel einen Bereich des nicht-objektivierbar Subjektiven für unmöglich oder ausgeschlossen zu erklären. Gerade weil es nicht um den objektiven Existenznachweis subjektiver Bewusstseinsinhalte gehen kann, erscheint mir dieser Standpunkt vertretbar und plausibel. [Dass wir uns vermittelst der Umgangssprache auf subjektive Bewusstseinsinhalte zu beziehen vermögen, ohne einem Naturalismus der Subjektivität beipflichten zu müssen, erscheint mir zugegebener Maßen im Lichte von Wittgensteins Überlegungen als erstaunliches Phänomen.]

 

Husserls Standpunkt ist der Standpunkt der bewussten Subjektivität, der Standpunkt des Bewusstseins der subjektiven Empfindung usw.. Das ist ein Standpunkt des reflektierten Bewussteins, also Bewusstsein des Bewusstseins, denn sonst könnte man nicht z. B. über Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Erwartungsbewusstsein sprechen. In einem gewissen Gegensatz zu Descartes geht es ihm nicht um Folgerungen aus dieser Ausgangslage in Richtung auf die Existenz des denkenden Subjekts, des Dasein Gottes usw., sondern um die inhaltliche Analyse von Wahrnehmungsbewusstsein, Erinnerungsbewusstein, Erkenntnisbewusstein usw.. Während Descartes also mit seinem cogito auf die Sicherheit der Existenz des denkenden Subjekts abhebt, interessiert sich Husserl in starkem Maß für Beschaffenheit und Aufbau der Bewusstseinsinhalte, also z. B. für die cogitationes in ihrer inhaltlichen Beschaffenheit selbst. Das subjektive Gegenwartsbewusstsein ist sozusagen das Medium der Präsenz, die Gegebenheitsweise von Inhalten und Dingen aller Art, worüber man nachdenken kann. All unser Denken und Sprechen scheint an ein aktual gegebenes subjektives Bewusstsein gebunden zu sein. Der Bezug auf Gegenwart ist ein subjektives Charakteristikum des subjektiven Bewusstseins, sozusagen die Grundbeschaffenheit aller Bewusstseinspräsenz.

Zum Grundlegungsanspruch der Phänomenologie möchte ich mich hier nicht äußern. Die subtilen Analysen über Bewusstsein von Dauer, Zeitfolge, Retention, Protention und der Konstitution einer Einheit von alle dem halte ich für stimmig. In Husserls Texten hierzu haben wir also eine Analyse bestimmter subjektiver Bewusstseinsphänomene mit Mitteln der Sprache, die solcherart Subjektives zu bezeichnen vermag. Da ich Wittgensteins Privatsprachenargument [als eine Art „Unmöglichkeitsargument“] für überzogen halte, steht die Möglichkeit solcher Betrachtungen m. E. offen. Husserls „phänomenologische Reduktion“ entspricht dabei Descartes methodischem Zweifel. Es fällt mir dabei lediglich auf, wie weitgehend Husserl die Inhalte des Bewusstseins nach der „Reduktion“ noch für thematisierbar, feststellbar und beschreibbar hält, während es bei Descartes hauptsächlich um die Existenz des Subjekts, sozusagen um die „Form“ zu diesen Inhalten geht.

Der Unterschied von objektiver und subjektiver Zeit findet sich bei Husserl deutlich hervorgehoben:

 

„Die Zeit, die da [im Wahrnehmungsakt] auftritt, ist keine objektive und keine objektiv bestimmbare Zeit. Die lässt sich nicht messen, für die gibt es keine Uhr und keine sonstigen Chronometer. Da kann man nur sagen: Jetzt, vorher, und weiter vorher, in der Dauer sich verändernd oder nicht verändernd etc.“

 

Vom „Jetzt“ kann man m. E. sagen, es sei überhaupt kein Phänomen der objektiven oder objektiv bestimmbaren Zeit, sondern essentiell subjektive Zeitbestimmung, obwohl [merkwürdiger Weise] anknüpfbar an objektive Zeitbestimmungen, z. B. in der Formulierung „heute ist der soundsovielte Tag nach dem Ende des zweiten Weltkriegs“. Der hinweisende Charakter der Äußerung [Indexikalität] beinhaltet in vielen Fällen die Prätention einer solchen Anknüpfung. Lediglich das cartesianische Zweifelsexperiment beweist uns ein geradezu ungeheuerliches Distanzierungsvermögen von allen objektiven Fakten. Erstaunlicherweise bleibt ein Bewusstsein reiner Subjektivität übrig.

 

Das Argument für die bloße Phänomenalität, bzw. Subjektivität der Zeitmodi beruhte auf zweierlei: auf der Subjektivität der Zeitbestimmung „jetzt“ und auf der Annahme, dass wir von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur mit Bezug auf das subjektive Jetzt sprechen können. Dass die Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zerfällt, ist also keine objektiv Tatsache. – Machen wir dennoch [zur Probe] den Versuch einer objektivistischen Konzeption der Zeitmodi, da wir die Relationen des Vorher, Nachher und Zugleich als objektive Tatbestände zugestanden haben.

 

Alle Ereignisse, wofür es nachherige Ereignisse gibt, sind vergangene Ereignisse. Gegenwärtige Ereignisse sind dagegen diejenigen, zu denen es vorherige Ereignisse, aber keine nachherigen Ereignisse gibt. Kann man also am Nicht-geschehen-sein des Zukünftigen ansetzen, um die Zeitmodi zu objektivieren?

Nehmen wir einmal an, unsere Aussagen über Tatsächliches zerfielen in die Menge der wissenschaftlich geprüften wahren und falschen Behauptungen. Für die Zukunft hätten wir allerlei Prognosen, aber naturgemäß noch keine Beobachtungsbefunde, weil sich eben das Zukünftige noch nicht ereignet hat. Kann man aus dieser Befundlosigkeit für die Zukunft nichts Objektives machen? Derart, dass man über Mengen von beobachtungsmäßig gestützten und [noch] nicht gestützten Aussagen spricht? – Man könnte auch sagen: Bezüglich zukünftiger Ereignisse besteht die Möglichkeit der Einwirkung, bezüglich der Vergangenheit nur die Möglichkeit der „Erinnerungsarbeit“. Dies ist ein Ausdruck für die Offenheit bzw. Unbeobachtbarkeit der Zukunft. Wird durch solche Kennzeichnungsversuche das Noch-Nicht des Zukünftigen erfasst? Zukünftig sind Tatsachen bezüglich derjenigen Aussagen, wofür Wahrheit und Falschheit noch nicht entschieden sind?

An sich sei jede Aussage oder ihr kontradiktorisches Gegenteil wahr, lehrte Aristoteles, aber es gebe eine wichtige Ausnahme, welche Einzelereignisse der Zukunft betreffe. Ob in 10000 Jahren eine Seeschlacht stattfinde oder nicht, das sei nicht zu jeder Zeit, also noch nicht heute entschieden. Wohlgemerkt, das Einzelglied der Disjunktion, also „es wird eine Seeschlacht stattfinden“ ist nicht „an sich“ zu allen Zeiten [bereits] wahr oder falsch zu nennen. Hat man also in der Offenheit des Zukünftigen das Charakteristikum der Zukunft, wobei man diese Offenheit ausgehend von der Unbestimmtheit irgendwelcher Aussagen bezüglich Wahrheit und Falschheit explizieren könnte?

Entscheidbare Aussagenwahrheit gibt es nur bezüglich Gegenwart und Vergangenheit, sagen wir versuchsweise und hängen damit am Begriff des verifizierten bzw. [irgendwelche weitergehenden Hypothesen] verifizierenden Einzelbefundes. Hätten wir also die Menge aller wirklichen Befunde [bezüglich der Wirklichkeit], hätten wir auch den Unterschied von Zukunft und Verhangenheit, da es bezüglich der Zukunft [noch] keine Befunde, sondern lediglich Prognosen und Mutmaßungen gibt und geben kann.