Der allumfassende Raum, die allumfassende
Raum-Zeit-Struktur
Wovon sprechen wir? ‑ Von
demjenigen, worin alle Ordnung des Nebeneinanderseins stattfindet. Etwas, das
alles körperlich-Wirkliche enthält. Das große Worin-alles-ist. Der nicht‑materielle
Behälter alles Materiellen. Woher wissen wir, dass es einen [den] allumfassenden
Raum gibt? Ist es die Erfahrung, Beobachtung oder Experiment? Jedenfalls haben
wir die Wahrnehmung vom räumlichen Nebeneinander der Dinge. Wir nehmen an, dass
zwei verschiedene Dinge zur gleichen Zeit niemals denselben Raum erfüllen
können. Auch wenn sich zwei Flüssigkeiten vermischen, müssen die Teile der
einen zwischen sich Platz für die Teile
der anderen machen.
Räumliches Nebeneinander ist eine Existenzform materieller Gegenstände. Daran dürfte niemand Anstoß nehmen. Aber ist es mit dem Wissen um das Nebeneinandersein als einer Relation verschiedener Körper wie mit dem Wissen um die Relation des Verliebtseins zwischen Hans und Gerda? ‑ Im zweiten Fall muss ich Hans und Gerda beobachten, um aus ihrem Verhalten Schlüsse auf das Verliebtsein zu ziehen. Muss ich ebenso verschiedene Körper beobachten, um Schlüsse auf die Tatsache zu ziehen, dass zwischen ihnen die Relation des Nebeneinanderseins besteht? Oder weiß ich das von vornherein? An Körpern kann ich die Erfahrung räumlichen Nebeneinanders machen. Muss aber nicht erst einmal räumliches Nebeneinander als umfassender Raum existieren, damit überhaupt Körper existieren können?
Je nach Formulierung würde ich
eine der beiden Alternativen bevorzugen. Räumliches Nebeneinander ist immer ein
räumliches Nebeneinander von körperlichen Dingen, und es gibt [in der
beobachteten Wirklichkeit] wohl kein räumliches Nebeneinander ohne körperliche
Dinge. Insofern ist die Existenz körperlicher Dinge ein Erfordernis für
räumliches Nebeneinandersein. Andererseits ist auch folgender Gedanke
plausibel: es muss Raum dafür dasein, wenn raumerfüllende Dinge existieren
sollen. Der Raum macht das Nebeneinander des Verschiedenen [zur gleichen Zeit]
allererst "möglich". Wo sind wir nun angelangt: Kein Raum ohne Körper
und kein Körper ohne Raum?
Sicherlich: kein Nebeneinander,
das nicht ein Nebeneinander von Körpern wäre. Aber auch: Kein Raum ohne Körper?
‑ Ein berühmter Gedanke Kants dagegen lautet:
"Man kann sich niemals eine
Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl
denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden." (B 38)
Damit haben wir den Begriff vom
Raum als Begriff eines nicht‑materiellen Behälters alles Materiellen
eingeführt: Keine materielle Realität ohne entsprechenden Raum dafür; ‑
wohl aber ein Etwas, nämlich der Raum selbst, ohne materielle Wirklichkeit. Materielle
Dinge ohne Raum sind Undinge; ‑ der Raum ohne materiellen Inhalt nicht.
Somit wäre „der“ Raum
[begrifflich] erfaßt als Bedingung räumlichen Nebeneinanders, nicht als das
Nebeneinander an den räumlichen Dingen selbst. ‑ Nun darf man allerdings
nicht von der Wahrnehmbarkeit dieses vor-empirischen Raumes (der dingliches
Nebeneinander-sein) „allererst möglich“ macht) sprechen. So hält Kant ganz
konsequent dafür, dass der "Raum in Gedanken" "den physischen,
d.i. die Ausdehnung der Materie selbst möglich mache". (Prol. § 13,
288) Wir fragen uns: Warum vom räumlichen Nebeneinander zu einer Voraussetzung
dieses Nebeneinanders übergehen, die es allererst ' "möglich"' mache?
‑ Für den „physischen" Raum wird gewiß gelten: "Kein physischer
Raum ohne Körperdinge“; ‑ und vermutlich ist er ein empirisches Objekt.
Und zwar das größte, das es gibt: Gegenstand wohl auch einer empirisch-
physikalischen Geometrie. ‑ Ist aber der nicht-empirische Raum (als nicht‑materielles
Worin alles Materiellen) vielleicht nur eine philosophische Sophistikation?
Zu sagen, der "physische
Raum", als Ausgedehntsein des Materiellen, setze einen metaphysischen Raum
voraus, ist wohl dasselbe, wie zu sagen, die Relation des Nebeneinanderseins
setze "etwas" voraus, "worin alle Ordnung des Nebeneinanders
materieller Partikel stattfindet“. Warum bleiben wir nicht bei dem physisch-
empirischen Nebeneinander[sein]?
Provisorische Antwort: Die Relation „räumliches Nebeneinander“ unterscheidet sich von anderen Relationen (wie z.B. dem Verliebtsein) durch ihren außerordentlich fundamentalen Charakter. Wir erwarten für je zwei verschiedene Dinge, die gleichzeitig existieren, von vornherein, dass die Relation des Nebeneinander zwischen ihnen besteht. ‑ Räumliches Nebeneinander [zur gleichen Zeit] ist ein zureichendes Kriterium für körperliche Verschiedenheit, körperliche Verschiedenheit notwendig und hinreichend für räumliches Nebeneinander. ‑ Räumliches Ineinander ist nur ein Fall von Nebeneinander: siehe das Beispiel ‚Vermischung von Flüssigkeiten‘. Aber lassen wir den Faden unseres Gedankens erst einmal liegen.
"Man kann sich niemals eine Vorstellung davon
machen, daß kein Raum sei“,
das zentrale Argument für
"Apriorität" des Raumes in der Kantischen Raum-Zeit-Lehre. Was besagt
diese Behauptung? ‑ Die Vorstellung vom Nichtsein des Raumes ist eine
Vorstellung ohne "Inhalt", eine Vorstellung ohne Vorgestelltes, nicht
die Vorstellung von etwas, im Grunde genommen überhaupt keine Vorstellung? ‑
Wie ist es aber mit dem Begriff von Gott? ‑ Ist das nicht eine
Vorstellung mit Bezug auf ein Nichtsein des Raumes, wenn auch vielleicht
„limitativ“ bzw. „ex negativo“ bzw. „via negationis“? „Stelle dir ein unräumliches Etwas vor!“ mag die
Anweisung lauten; und dann so und so weiter!“ Wie soll ich entscheiden, ob es
möglich ist oder nicht? ‑ Kant selbst hielt ja Gott für ein unräumliches
Etwas außerhalb von Raum und Zeit. Ist das nicht eine Vorstellung mit
Bezug auf ein Nichtsein des Raumes bzw. mit Bezug auf ein Nichtsein im Raum? ‑
Sollen wir hier sagen, daß es sich wohl denken lasse, daß etwas ohne Raum dafür
existiere, aber dieses Etwas sei dann auch nur noch insofern zu charakterisieren,
als wir sagen können, was nicht von ihm gelte; ‑ nicht aber, welche Eigenschaften
ihm [positiv] zukämen?
In gewissem Sinne sind die
Vorstellungen vom Nichtsein des Raumes und vom Nichtsein im Raume Vorstellungen
von "etwas"; ‑ nämlich vom Nichtsein des/im Raume(s). Ein anderer Bereich: Gefühle von Lust und
Unlust, Stimmungen etc. sind ebenfalls keine räumlich-körperlich bestimmten
Entitäten; ‑ sie kommen und gehen in der Zeit, und Kant hält sie für
Inhalte der Introspektion. Erst sekundär sind sie Dispositionen zu
beobachtbarem Verhalten (in der räumlich‑körperlichen Welt).
Nehmen wir einmal an, es gebe
wirklich Introspektion. Sie führt dann ‚lediglich‘ zur "subjektiven
Wahrheit"; nicht zu dem Erkenntnis- und Objektivitätsanspruch, dass etwas
sich so und so verhalte, unabhängig von meiner Willkür, Lust und Laune; ‑
und unabhängig von bloß persönlichem Dafürhalten. ‑ Schwieriger ist die
Frage, ob wir nicht z.B. mit dem Begriff von Gott eine Vorstellung vom
Nichtsein des Raumes haben; ‑ und warum dieser Begriff nicht Vorstellung
von „etwas“ heißen dürfe. Zu sagen, es sei eine Vorstellung ohne Inhalt, weil
von nichts Räumlichem, setzt ja die Gültigkeit der These voraus, dass eine Vorstellung von Nicht-Räumlichem
nicht die Vorstellung einer Sache sein könne. Allerdings kann ein Begriff wie
„... ist (ein) Gott" auf kein beobachtbares Ding zutreffen; - und
"Gott existiert außerhalb von Raum und Zeit, ist vollkommen und lenkt die
Welt“ ist kein Beobachtungsbefund (oder Beobachtungsbefunde interpretierender
Satz). Ich weiß zwar auch nicht recht, welche Tatsachen im einzelnen dieser
Satz genau zur Debatte stellt, aber könnte es nicht Dogmatismus sein, zu sagen,
er habe keinen Inhalt, insofern er nicht von der körperlichen Wirklichkeit handele?
Ich möchte jetzt zur Probe die
Annahme machen, dass folgendes gilt:
„Für jede erkennbare Tatsache
gilt: sie betrifft direkt oder indirekt räumlich ausgebreitete Wirklichkeit.“
Zudem:
„Für alle Eigenschaften und
Relationen, die erkenntnisgemäß auf etwas zutreffen, gilt: sie betreffen
räumlich ausgebreitete Dinge.“
Die Wirklichkeit [Gesamtheit von
Erkennbarem „überhaupt“] besteht aus abstrakten und konkreten Tatsachen. Dass
es z. B. die Kunstströmung „Expressionismus“ gegeben hat, ist abstrakte Tatsache.
„Expressionismus“ selbst ist kein konkretes, sichtbares Ding, aber die Tatsache
der Existenz dieser Kunstströmung könnte nicht bestehen, ohne dass konkrete
raum-zeitliche Tatsachen bestehen würden. So müssen Menschen existiert haben,
die z. B. Bilder mit gewissen typischen Merkmalen gemalt haben. Das ist in der
räumlich-körperlichen Welt geschehen. Wir beschränken uns im Moment auf die Annahme,
dass auch abstrakte Tatsachen im allgemeinen mit der räumlich ausgebreiteten
Körperwelt zu tun haben. Ist es nun vielleicht vorauszusehen, dass es
„außerhalb“ einer [der] Raum-Zeit-Ordnung keine „objektivierbaren“ Tatsachen
und keine „inhaltlichen“ Begriffe geben kann? [Beiläufig: es gibt auch
innerhalb dieser Ordnung weniger „objektivierte“ Tatsachen, als man im allgemeinen
glaubt.]
Die körperliche Wirklichkeit ist
eine Wirklichkeit von ganz besonderer Wichtigkeit: gäbe es sie nicht, dann gäbe
es die abstrakte Wirklichkeit erst recht nicht. Gäbe es z. B. kein einziges
expressionistisches Bild, dann gäbe es die Kunstströmung expressionistischer
Malerei erst recht nicht. Umgekehrt kann es ein Bild bestimmter Art geben, ohne
dass es eine entsprechende Kunstströmung gibt.
Müssen sich aber wirklich alle
nicht-konkreten Sachverhalte von Phänomenen der körperlichen Wirklichkeit
„herleiten“?
Bei allen wahren Aussagen, die
sich von der Wahrnehmung „herleiten“, fällt uns die Antwort leicht: Empirisch
fundierte Erkenntnisse, seien sie noch so abstrakt, sind eben deshalb
empirisch, weil sie auf der Wahrnehmung räumlich-körperlicher Dinge gründen.
Dass alle körperlichen Dinge im Raum sind, ist ganz selbstverständlich. Aber
der Satz „alles Wahrnehmbare ist im Raum“ enthält wohl mehr als der Satz „alles
bisher Wahrgenommene war im Raum“. Ich nehme an, dass Wahrnehmbares nur im Raum
Existenzmöglichkeiten hat. Der Satz „alles Beobachtbare ist im Raum“ dürfte
nicht-analytisch sein. Wahrscheinlich ein synthetischer Satz a priori!
So weit bin ich mir im Klaren:
die beobachtbare Wirklichkeit steht und fällt mit der Existenz bzw. der Nichtexistenz
des Raumes. Das Im-Raum-sein ist eine allgemeine Eigenschaft alles
Wahrnehmbaren. Das Wahrnehmen von unräumlichen Gegenständen ist unmöglich. Wenn
alles Wahrnehmbare die Eigenschaft des Im-Raum-Seins besitzt, dann gibt es auch
den „allumfassenden“ Raum als das große Worin-alles-Wahrnehmbaren. Der Raum
wäre in diesem Sinne „formale“ Eigenschaft („Form“) alles Wahrnehmbaren. Wenn
es ihn nicht gäbe, dann gäbe es auch keine Wahrnehmbarkeiten; in dem Sinne,
dass Wahrnehmbares dann keine Existenzmöglichkeit mehr hätte.
Insofern gäbe es auch keine durch
Wahrnehmungsbefunde begründeten Erkenntnisse. Auf Beobachtung gegründete
Objektivität [objektive Beobachtungsbefunde] hätten wir dann nicht.
Versuchen wir uns an einer
Paraphrase von Ziffer 1 der „metaphysischen Erörterung“ des Raumbegriffs:
„Der Raum ist kein wahrnehmbares
Ding, von dessen Existenz wir allein aus Erfahrung wissen. Denn damit unsere
Wahrnehmungen auf etwas bezogen werden können, das unabhängig von unserem
Dafürhalten auch tatsächlich existiert, dazu muss es den Raum geben. Demnach
weiß ich nicht durch Beobachtung allein davon, dass der Raum existiert, sondern
Beobachtbares kann es nur insofern geben, als [der] Raum dafür existiert.“
Ziffer 2 könnte in etwas so
paraphrasiert werden:
„Dass der Raum existiert, ist
eine a priori entscheidbare Tatsache, die allen empirischen Sachverhalten als
Existenzbedingung vorangeht. Dass der Raum nicht existiert, könnte unter
keinerlei Umständen ein Ergebnis von Beobachtungen sein, obwohl umgekehrt nicht
behauptet werden kann, dass es irgendwelche empirischen Sachverhalte notwendiger
Weise bestehen. Das Dasein des Raums ist also Existenzbedingung alles erfahrungsgemäß
Wirklichen und nicht aufgrund von Beobachtungen allein feststellbarer
Sachverhalt. Das Dasein des Raumes ist ein a-priori-Sachverhalt („für alles
Beobachtbare voraussehbar“), der bestehen muss, wenn es eine beobachtare
Wirklichkeit geben soll. [falls etwa „überhaupt“ etwas beobachtbar Wirkliches
besteht.] [Das „soll“ ist hier nicht normativ“ gemeint.]
Der Hauptinhalt der Kantischen
Behauptungen liegt in folgendem: „Eine Beobachtung mit Bezug auf die
Nichtexistenz des Raumes hätte keinen beobachtbaren Gegenstand.“
Allerdings geht die Behauptung,
dass man sich keine Vorstellung machen könne, dass kein Raum sei, über die
Behauptung hinaus, dass man keine Beobachtung davon erwarten kann, dass kein
Raum sei. Erst hieraus ergibt sich die Möglichkeit, der alten Metaphysik mit
ihren nicht-empirischen Gegenständen die theoretische Existenzberechtigung zu
bestreiten. Die These, dass man sich diese Vorstellung nicht machen könne, dass
also Aussagen bezüglich Dingen außerhalb von Raum und Zeit „gewissermaßen“ ohne
sachliche Referenz seien, und dass man das definitiv wissen könne, ist m. E.
der entscheidende Hauptpunkt von Kants Raum-Zeit-Lehre in der K. r. V..
Dies ist ein wichtiger Punkt, der den Standpunkt
der K. r. V. von dem Standpunkt der „Dissertation“ unterscheidet. [Als
46-Jähriger hatte Kant „De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et
principiis“ veröffentlicht. Dem Anlass gemäß, für den diese Schrift verfasst
wurde, würde man aus heutiger Sicht eher von einer Habilitationsschrift als von
einer Dissertation sprechen. Kant wurde 1770 zum Ordinarius für Logik und
Metaphysik in Königsberg ernannt. Die akademisch Tradition verlangte, dass er
aus diesem Anlass eine in lateinischer Sprache geschriebene
„Inauguraldissertation“ von einem „Respondenten“ gegen einen „Opponenten“
verteidigen ließ.]
Auch in der „Dissertation“ sind Raum und Zeit
Bedingungen (die „Form“) der empirischen Wirklichkeit, Prinzipien der sinnlich
wahrnehmbaren Welt [obwohl die sinnlich wahrnehmbare „Welt“ bzw. „Wirklichkeit“
als Ganzes nicht wahrnehmbar ist]. Die „Kritik der reinen Vernunft“ geht aber
darüber hinaus, indem sie (direkte oder indirekte) Raum-Zeit-Bezüglichkeit als
„Inhaltskriterium“ („Sachbezugserfordernis“, „Sinnkriterium“) für alle
theoretischen Begriffe und Aussagen einführt.
Das führt letztlich zu der anspruchsvollen Aufgabe
zu zeigen, wie sich gewisse formale Aussagestrukturen, nämlich Regeln „des
Denkens überhaupt“ und allgemeine „kategoriale“ Aussage“inhalte“ bzw. Aussage“formen“,
auf die raum-zeiltlich gegebene Wirklichkeit beziehen können.
Vorausgesetzt also z. B., der Begriff von Gott als
Urgrund des Seienden überhaupt erweise sich als Begriff eines denkbaren Etwas
außerhalb von Raum und Zeit [wie Kant annimmt], dann bewirkt Kants Sinn- bzw.
Bedeutungskriterium, dass dieser Begriff für alle theoretischen und objektiven
Zusammenhänge diskreditiert wird. Er ist kein „sinnvoller“, „inhaltlicher“,
„sachbezüglicher“ Begriff, weil er gegen ein entscheidendes Sachbezugskriterium
[„Raum-Zeit-Bezüglichkeit“] verstößt. Er wird ausgeschlossen aus allen
theoretischen Kontexten. Ähnlich die metaphysische „Seele“ als eine Entität,
die ex negativo bezüglich räumlichem und zeitlichem Geschehen begrifflich
„konstruiert“ wurde.
In Nachfolgeüberlegungen zur Ethik weist Kant dann
den „metaphysischen“ Entitäten doch noch einen legitimen Platz zu. Als
Gegenständen eines interessierten „Vernunftglaubens“ in Bereichen, wo es wesentlich
kein Wissen aus objektiven Gründen geben kann. Er musste das Wissen aufheben,
um für den Glauben einen Platz zu finden, heißt das bei ihm. [Vorrede zur 2.
Auflage, K. r. V., XXX] Der „vernünftige Glaube“ wird dadurch zu einem
„subjektiv zureichenden“ [!] Fürwahrhalten, ohne dass eine objektiven
Entscheidung [anhand eines „objektiven“ Kriteriums], sei es pro, sei es contra,
überhaupt in Frage käme.
Ziffer 3 wirft nun die Behauptung
auf, der Raum sei kein Begriff. Das ist zunächst eine wenig erstaunliche
Behauptung. Obwohl es einen Begriff des Raumes gibt [der ja hier erörtert wird
[B 38]], muss der Raum selbst noch lange kein Begriff sein. Ebenso gibt es
einen Begriff vom Pferd, aber Max, der ein Pferd ist, ist sicherlich kein
Begriff. Was will uns Kant hier nahebringen?
Der Relationsbegriff „räumlich
nebeneinander“ ist sicherlich ein Begriff, nämlich „von [empirisch-objektiven]
Verhältnissen der Dinge“. Auf je zwei verschiedene Körperdinge, die
gleichzeitig existieren, trifft er zu. Der Begriff „.... ist [ein]
allumfassender Raum“ ist auch ein Begriff, obwohl er nur auf ein einzelnes Ding
[„Etwas“] zutrifft, nämlich auf das nicht wahrnehmbare
Worin-alles-äußerlich-Wahrnehmbaren, eine Art von grenzenlosem, unsichtbarem
Gefäß von allem [Wahrnehmbarem]. Der alles äußerlich Wahrnehmbare umfassende
[beinhaltende] Raum ist also etwas, das es nur einmal gibt und eigentlich schon
aus begrifflichem Grund nur einmal geben kann, wenn es sich denn um die
allgemeine Existenzbedingung alles äußerlich [nicht-subjektiv] Wahrnehmbaren
handeln soll. Der Raum selbst ist etwas begrifflich Bestimmbares, aber keine
begriffliche Bestimmung.
Unter einer begrifflichen
Bestimmung verstehe ich den Begriff einer Eigenschaft bzw. Relation, d.i. den
Begriff eines Kriteriums, etwas als etwas [klassifikatorisch] zu erkennen. Das
Pferd Max ist durch den Begriff „... ist ein Pferd“ begrifflich bestimmbar, der
Raum z. B. durch den Begriff „... ist ein Worin“.
Der Raum ist dasjenige Worin, in
dem all dasjenige ist, das die Eigenschaft des Im-Raum-Seins besitzt. Wir
müssen hinzusetzen: „insofern es die Eigenschaft des Im-Raum-Seins besitzt“,
denn das Räumliche ist insgesamt auch in der Zeit. Also ist der Raum ebenso
einmalig und einzigartig wie irgendein
konkretes Ding. Er gehört zu den begrifflich klassifizierbaren Dingen, nicht
aber zu den Klassifikationsregeln wie die Begriffe „Pferd“, „Behälter“ usw.,
dessen ungeachtet, dass er unter den Begriff „Behälter“ tatsächlich fällt.
Anders formuliert: der Raum ist etwas, das Eigenschaften besitzt, nicht aber
Eigenschaft, die besessen wird. Das Im-Raum-Sein der sichtbaren Dinge ist zwar
deren Eigenschaft, aber der Raum selbst ist das Worin alles dessen, das diese Eigenschaft
besitzt. Ebenso wenig ist der Raum und die Eigenschaft, Raum zu sein, identisch.
Das Pferd Max und die Eigenschaft, ein Pferd zu sein sind ja auch nicht
dasselbe. Ein Ding besitzt Eigenschaften, aber es ist keine seiner
Eigenschaften. In diesem Sinn wird der Raum selbst von der Eigenschaft, Raum zu
sein, unterschieden. Es gibt also ihn selbst und auch den Begriff davon.
Wer also die
erkenntnistheoretische These vertritt, dass die Wirklichkeit in Tatsachen,
Dinge, Eigenschaften und Relationen zerfällt, sollte den Raum unter die Dinge
zählen.
Eine andere Paraphrase zu Ziffer
3:
„Der Raum ist keine Relation der
Dinge [jedenfalls nicht ‚nur’ empirisch gegebene ordo coexistentium], sondern
er ist die unsichtbare Existenzbedingung alles Sichtbaren. Eine ganz besondere
Existenzbedingung des Materiellen. In gewissem Sinne gibt es nur einen einzigen
Raum. Wenn wir von vielen Räumen sprechen, so sind es nur Teile desselben
einzigartigen Raums. Diese Teile stellen nicht etwa einzelne Bestandteile des
Raumes dar, aus denen er zusammengesetzt wäre.. Denn derart würde der Raum nur
existieren können, wenn jeder einzelne Raumbestandteil sich an der richtigen
Stelle befinden würde, um in der Zusammensetzung mit allen andern den
allumfassenden Raum zu bilden. Es verhält sich aber anders: Der allumfassende
Raum ist die Existenzbedingung jedes irgendwie begrenzten Raumes, weil jeder
irgendwie begrenzte Raum die Eigenschaft des Im-Raum-Seins besitzt und nur als
Rauminhalt zu existieren vermag.
Anders formuliert: Raumteile sind
Rauminhalte. Für jeden Rauminhalt gilt zweierlei: er enthält Raum in sich, und
er ist im umfassenden Raum enthalten. Der umfassende Raum kann nicht aus
Dingen, die er umfasst, bestehen, denn dann wäre er nicht ihre Existenzbedingung,
sondern sie seine.“
Der Raum selbst ist ein einziger,
jeder Rauminhalt wird von ihm umfasst. Er ist ein Gegenstand a priori, wir
müssen keine Beobachtungen anstellen um festzustellen, was er ist und ob er
existiert, denn er ist eine Existenzbedingung des Beobachtbaren insgesamt.
Allen Begriffen, die auf raum-beinhaltete und raum-beinhaltende Dinge
zutreffen, liegt der umfassende Raum zugrunde.
Als Existenzbedingung begrifflich
bestimmbarer Dinge ist er die Bedingung dafür, dass sich klassifizierbare Dinge
für entsprechende Klassifikationsregeln finden könnten. Begriffe können
Anwendungsfälle haben, wenn sie Begriffe von Eigenschaften [oder Relationen]
räumlich ausgebreiteter [raumerfüllender] Wirklichkeit sind.
Allen begrifflich fassbaren
Verhältnissen von räumlichem Nebeneinander geht die Existenz des allumfassenden
Raums voraus. Viele geometrische Sätze lassen sich als Sätze über Verhältnisse
im umfassenden Raum deuten, und sie wären insofern wahr allein aufgrund der
Existenz des allumfassenden Raums als eines concretum a priori. [Diese Deutung
Kants ist nicht zwingend.]
Folgesatz: Weil der Raum nicht
aus Bestandteilen besteht, besteht er auch nicht aus kleinsten Bestandteilen.
Es gibt also kein Quantum an räumlicher Ausdehnung, in Verhältnis zu dem es
nicht noch ein kleineres gäbe. Es gibt kein kleinstes Volumen. Kein Volumen
seinerseits besteht aus Volumina, die es in sich befasst. Das befasste Volumen
bedarf des umfassenderen Volumens als Existenzbedingung, nicht umbekehrt.
Der Raum besteht weder aus
Punkten, noch aus Geraden, noch aus Ebenen, noch aus Volumina, sondern all dies
sind Entitäten mit der Eigenschaft des Im-Raum-Seins. Nur die Volumina sind
Raumteile, wenn auch keine Bestandteile: es sind Quantitäten an allseitiger
räumlicher Ausdehnung: nach vorn und hinten, links und rechts, oben und unten.
Die Deutung Kants der
euklidischen Geometrie [als Wahrheit a priori über die Wirklichkeit] ist nicht
zwingend. Es gibt keine einzelne, einzige Interpretation der geometrischen
„Wissenschaft“, die alle anderen Optionen ausschließt. Man kann z. B. das Phänomen
„Geometrie“ als undefinierten Kalkül auffassen, das mit Wahrheit [über die
wirkliche Welt] nichts zu tun hat. „Punkt“, „Gerade“, „Ebene“ wären demnach
eigentlich undefinierte und ungedeutete Grundbegriffe, der Kalkül mit ihnen
wäre ein Spiel nach gewissen Regeln. Erst durch eine komplizierte
Zuordnungsregelung z. B. bezüglich von geometrischen Geraden und Lichtstrahlen
[zwischen zwei Ereignissen] ergäbe sich eine Geometrie mit Wahrheitsanspruch,
die dann allerdings empirisch wäre. Es ist demnach eine empirische Frage,
welche Art von Geometrie [die man inzwischen ‚entdeckt’ oder ‚erfunden’ hat],
sich zur Beschreibung der wirklichen Welt besonders gut eignet. Nach Einsteins
Theorien leben wir in einer kosmischen Wirklichkeit, in welcher der Satz des
Phythagoras oder auch z. B. der Satz von der Winkelsumme des Dreiecks mit 180
Grad nur näherungsweise gilt.]
Es ist in meinen Augen ein
folgenschwerer Missgriff Kants gewesen, mit seinem synthetischen Apriori als
Wissenschaftstheoretiker der Geometrie und dann auch der Newtonschen Physik
aufzutreten. [Diese beiden Beispiele sehe ich hier nicht direkt in Zusammenhang.]
Die wahre Leitlinie des synthetischen Apriori als einer Form des definitiven
Wissens wäre in meinen Augen etwas anderes gewesen. Die Einsicht nämlich, dass
sich ein solches definitives nicht-hypothetischen Wissen auf nichts anderes
beziehen kann als auf seine eigene Methode selbst: auf Erfordernisse und
allgemeine Beschaffenheiten eines solchen angestrebten Wissens. [Diese Methode
wird hier zum Erkenntnisinhalt, sozusagen der Weg zum Ziel.] Daraus ergibt sich
dann auch, dass die Interpretation gegebener [vorgeblicher]
Wissenschaftsbeispiele niemals „eine einzig mögliche“ sein kann. Genau in solch
einem Punkt kann es nämlich keine Einsicht a priori geben. Eine geschichtlich
empirische Betrachtung gegebener Wissenschaften [z.B. mit typischen
Argumentationsweisen usw.] erscheint in diesem Falle fruchtbarer als die
Deutung von einer Transzendentalphilosophie her, die eigentlich ganz wesentlich
abstrakte Prinzipientheorie der „Möglichkeit des Wissens überhaupt“ darstellt.
Die Inanspruchnahme der euklidischen Geometrie und auch Newtons war für Kant
natürlich insofern eine große Verführung, als es ihm die Motivation seiner
Philosophie [der Erkenntnis a priori] in seiner Zeit wesentlich erleichterte.
Heute sind diese Berufungen eher Erschwernisse, den systematischen Zugang zu
seiner Theorie überhaupt noch zu finden.
Ähnliches gilt für die Anzahl der
Dimensionen, die der Raum hat. Eine Geometrie mit dreidimensionalem Raum
besitzt demnach eine besondere Eigung (Zweckmäßigkeit), bestimmte Berechnungen
für unsere Wirklichkeit vorzunehmen. Aber wir verfügen nicht, wie Kant als
Instanz in Anspruch nahm. über ein Wissen a priori bezüglich der Unmöglichkeit
von anderen Dimensionszahlen.
Dass wir uns also keine
Vorstellung davon machen können, dass kein Raum sei, stellt Kants Hauptargument
dafür dar, dass der allumfassende Raum ein ganz besonderes Objekt der
Denkbarkeit darstellt. Das „Machen-Können“ von Vorstellungen müssen wir
allerdings so deuten: Der Raum-Zeit-Bezug unserer Begriffe und Aussagen ist ein
wesentliches Erfordernis dafür, dass sie überhaupt Inhalt und Referenz haben
können; also ein notwendiges und nur in wenigen Fällen hinreichendes Kriterium
für Referenz sachbezüglicher Aussagen. Begrifflichen Konstruktionen von raum-
und zeitlosen Entitäten wird damit der Boden entzogen. [Als Denkbarkeiten
bleiben sie uns erhalten.]
Ohne spezifisch philosophischen
Wissensanspruch lässt sich eine solche Position nicht behaupten. Geht es doch
tatsächlich um Wissbarkeit bezüglich von a priori-Wissensansprüchen ganz
allgemein, um die definite Erkennbarkeit der „Erkenntnisart“, „sofern sie a
priori stattfinden soll“. Ich beziehe den „sofern“-Zusatz zunächst auf Erkenntnisart.
Im weiteren aber, weil es um den definitven Anspruch geht, muss die Erkenntnis
dieser a priori-Erkenntnisart selbst den Status einer a priori-Erkenntnis beanspruchen.
Was zunächst als Methode und Frage nach dem möglichen Weg [zu
nicht-hypothetische, definitiver Erkenntnis] erschien, entpuppt sich damit als
Inhalt, Ziel und eigentlicher Gehalt dieser Wissens- bzw. Erkenntnisart selbst!
Definitive Erkenntnis ist als Erkenntnis einer bestimmten Erkenntnisart möglich
und sonst nicht! Man kann sagen: definitive, nicht-hypothetische Erkenntnis ist
als Selbsterkenntnis der nicht-hypothetisch erkennenden Vernunft möglich.
[Kritik der reinen Vernunft, im genetivus obiectivus verstanden, also eine
Theorie etwaig möglicher Methoden in etwaig möglichen nicht-hypothetisch und definitiv
zu beantwortenden Fragestellungen entpuppt sich letztlich als Kritik der reinen
Vernunft, im genetivus subiectivus verstanden. Erkennbarkeit der a
priori-Erkenntnisart wird dabei eher vorausgesetzt als erwiesen oder abgeleitet.
Es handelt sich um eine Art Selbstsetzung oder Selbst-Voraussetzung der
nicht-hypothetisch erkennenen Vernunft, die behauptet, erkennen zu können,
welcher Art von Anforderungen die besondere Art der definitiven Erkenntnisse
genügen müssten, falls es sie gäbe.
Es ergibt sich in der Folge von
Kants Raum-Argument tatsächlich das Desiderat, eine Philosophie mathematischer
und geometrischer Gebilde zu entwerfen. Denn bei Zahlen z. B. fällt fast jedem
aus, dass das keine körperlichen Gebilde sind. Auch bei geometrischen
Strukturen fällt uns das Rätsel auf, dass es möglich ist, am grünen Tisch,
Berechnungen und Konstruktionen vorzunehmen, die dann für die Wirklichkeit
gelten sollen. Um es aber zu wiederholen: Es gibt andere Deutungen, nach denen
es sich hier nicht um a priori-Erkenntnisse handelt, sondern um etwas anderes
als Wirklichkeitserkenntnisse. Es ist nicht zwingend notwendig, rein
mathematische Wahrheiten überhaupt als Wahrheiten bezüglich einer
außersprachlichen Wirklichkeit aufzufassen.
Die Geometrie des kosmischen
Raums hat man jedenfalls nach Einsteins Theorien zu einer Sache gemacht, die
nicht allein am grünen Tisch entschieden wird.
Auch logische Notwendigkeit u.
dgl. stellt uns vor das Problem, woher sich ihre spezifische Evidenz begründet.
Es ergibt sich also auch das Desiderat einer Philosophie der Logik. – Es macht
die „Würdigung“ kantischer Philosopheme enorm schwierig, dass man an jedem
Einzelpunkt gleich auf ein ganzes Problemknäuel von weitläufigen Fragen stößt.
Logik, Begriff, Anschauung, Zahl, geometrische Form usw. usw., wer fängt da
gleich mit den richtigen Vorbegriffen an? Gibt es doch in allen diesen Dingen
weitläufige Kontroversen, was diese Dinge im Wesentlichen und Allgemeinen sind.
Es steht fast zu vermuten, dass solche Überlegungen vom Hundertsten ins Tausendste
führen müssen, wenn man sie gründlich vornehmen will.
Dass es den Begriff des einen
allumfassenden Raumes gibt, die „Tatsache“ seiner Denkbarkeit, wofür Kant als
hinreichendes Kriterium Widerspruchsfreiheit [der Denkbarkeit dieser Sache]
fordert, zeigt eigentlich von vornherein, dass unser
begrifflich-klassifikatorisch und identifizierendes Denken den Bezug auf die
raum-zeitliche Wirklichkeit herzustellen vermag. Dies steht im Gegensatz zu
Nietzsches Verdacht, unser fixierend identifizierendes Denken müsse in einer
Welt des konkreten raum-zeitlichen Werdens zwangsläufig in die Irre gehen.
Die Fähigkeit eines [potentiell]
allumfassenden Denkens, der wir uns im Gedanken von Denkbarkeit überhaupt
bewusst werden, erkennt also in dem Begriff des allumfassenden Raums die
Fähigkeit der menschlichen Aussage, sich auf die entlegensten Dinge zumindest
prinzipiell zu beziehen. Den allumfassenden Raum, „als Gegenstand vorgestellt“,
der „Zusammenfassung“ und „Einheit“ enthält, nennt Kant in der wichtigen
Anmerkung zu B 161 „formale“ Anschauung im Gegensatz zu „Form der Anschauung“,
die wohl eher nur ein potentiell Zusammensetzbares bedeutet. Dass wir den
Begriff dieser allumfassenden [potentiellen] Einheit des äußerlich Wirklichen
zu bilden vermögen, wird ihm ein entscheidendes Argument dafür, dass sich
abstrakte Aussagestrukturen auf raum-zeitliche Gegebenheiten toto genere zu
beziehen vermögen. [Das ursprüngliche Thema war aber eigentlich, ob sie sich
nicht in Einzelfällen doch auch auf außerräumliche und außerzeitliche Entitäten
beziehen könnten.]
Jedenfalls ist der Bezug der
abstrakten Aussagestrukturen auf die Raum-Zeit-Form der Wirklichkeit ein
Hauptanliegen seiner „Deduktion“. Entscheidend in puncto Metaphysik war aber in
der Tat, dass sich abstrakte Aussagestrukturen auf nichts anderes zu beziehen
vermögen, ohne eines „möglichen“ Inhaltes „überhaupt“[und „möglicher“ Referenz
„überhaupt“] verlustig zu gehen. Das negative und positive Resultat hängen zwar
eng zusammen, sind aber zumindest zwei verschiedene Wendungen desselben Gedankens.
Es ist offenbar eine sehr
erstaunliche Tatsache, dass wir den Begriff des allumfassenden Raumes besitzen.
Es handelt sich um den Begriff einer außerordentlich fundamentalen Struktur der
unabhängig von unserem subjektiven Für-wahr-halten bestehenden Wirklichkeit.
Kants stark umstrittener Begriff
„Ding an sich“ ist der Begriff einer denkbaren Entität „außerhalb“ von
Raum-Zeit-Bezügen, also wesentlich ex negativo, limitativ oder via negationis
bestimmt. Es steht in direkter Konsequenz seiner Raum-Zeit-Lehre, dass wir
nicht wissen können, ob es ein solches ‚Ding’ gibt. Ob es eins oder mehrere
davon gibt usw., das ist objektiv unentscheidbar.
Raum-zeitlich bestimmte,
empirische Sachverhalte nennt er Erscheinung bzw. Phänomen und bewegt sich
damit im Einklang mit unserem alltäglichen Begriff des empirischen Phänomens.
Das „Ding an sich“, die denkbare außerzeitliche und außerräumliche Entität darf nun m. E. nicht als Ursache,
eigentliche Essenz usw. des empirischen Phänomens aufgefasst werden. Auch wer
es [wie z. B. Schopenhauer] als Konsequenz des Wortes „Erscheinung“ ansieht,
dass da etwas sein muss, was in der Erscheinung als eigentliches Wesen und Kern
der Sache erscheint. Das käme aber der Behauptung gleich, das Ding an sich [oder
einige Dinge an sich] hätten objektive Realität und stünden in Kausalnexus zu
empirischen Phänomenen, bzw. in einem Verhältnis von einem eigentlichen Gehalt
zu seiner Manifestation, Objektivation u. dgl.
Die Textlage bei Kant ist nicht
wirklich eindeutig, aber es widerspricht m. E. dem systematischen Ansatz der
Raum-Zeit-Lehre in der K. r. V., die Existenz von denkbaren Entitäten ohne
Raum-Zeit-Bezug für entscheidbar zu halten. In der Philosophie der objektiven
Wirklichkeit wird das Denkbare auf die Raum-Zeit-Struktur „restringiert“. Zielt
ein Begriff oder eine Aussage über diese Struktur hinaus, dann haben wir das
Bespiel eines leeren Begriffs, eines Begriffs ohne Anschauung.
In der Philosophie der ethischen
Norm[en] startet Kant mit dem Versuch, die ethische Norm wesentlich deontisch
und ohne jeden Schluss vom Sein zum Sollen zu begründen. Im Kontext dieser
Überlegungen entdeckt er allerdings Voraussetzungen des unbedingten Sollens.
Zunächst einmal die Annahme, dass wir die Freiheit dazu besitzen müssen, dasjenige
zu tun, von dem wir erkennen können, dass wir es tun sollen. Denn ultra posse nemo
obligatur. Kant hält
die Freiheit [als ratio essendi der ethischen Norm] für einen
außernaturalistischen Sachverhalt. Da in seiner Zeit universeller Determinismus
des Natürlichen im Schwange stand, war dies für ihn naheliegend. Ob heute,
wegen der des bekannten Indeterminismus der quantenphysikalischen Wirklichkeit
die Freiheit, eine Reihe von Begebenheiten von selbst anzufangen, um dadurch
einer Verantwortung gerecht zu werden, auch naturalistisch zu denken ist, lasse
ich hier dahingestellt. Kant jedenfalls entwickelte aus Folgeproblemen seines
naturalistisch-ethischen Dualismus eine Postulatenlehre bezüglich von Entitäten
außerhalb raum-zeitlichen Bezügen, die in einer Religionslehre enden.
Dass das empirische Phänomen
unter der wesentlichen Abhängigkeit einer allumfassenden Raum-Zeit-Struktur
steht, bezeichnet Kant in äußerst missverständlicher Weise als „subjektive“
Bedingtheit der empirischen Welt. Der Ausdruck „subjektiv“ bedeutet hier aber
nicht mehr und nicht weniger als dass wir in nicht-empirischer Weise erkennen
können, dass alle sachhaltigen Aussagen und Begriffe auf die Raum-Zeit-Struktus
bezogen sein müssen. Wir können dies a priori und definitiv wissen. Niemals
wird uns eine Erfahrung über die Existenz von außerräumlichen und
außerzeitlichen Entitäten belehren. Kant hat also eine sehr leicht falsch zu
verstehende Spezialbedeutung von ‚subjektiv’ eingeführt, die geradezu das
Gegenteil von ‚subjektiv’ beinhaltet, wenn wir z. B. vom subjektiven
Dafürhalten oder subjektivem Gegebensein unserer Empfindungen sprechen und
damit zum Ausdruck bringen, dass es an objektiven Kriterien fehlt. Die Form des
Objektiven als subjektiv zu bezeichnen, um dadurch ihren erfahrungsübergreifenden
Charakter zu kennzeichnen, hat fast alle Kant-Exegeten in die Irre geführt.
Der Ausdruck ‚subjektiv’ im
Zusammenhang mit der Raumanschauung findet lediglich insofern eine Motivation,
als sich der Gesichtspunkt der Raum-Zeitlichkeit unserer Wirklichkeit nicht von
einer begrenzten Menge an Einzelbefunden herleitet, sondern für alle
Einzelbefunde a priori vorhersehbar ist. Das ist ja tatsächlich eine
Bedeutungskomponente von ‚subjektiv’: nicht von den Gegenständen herkommend,
hergeleitet oder abstrahiert. Das bedeutet aber nicht, dass der Raum lediglich
in unserem Kopf wäre oder dergleichen. Der Raum im Kopf und der Kopf im Raum,
das wäre wirklich verzwickt. Raum und Zeit sind effektiv außerhalb unserer
selbst. Wir sind ein Teil der raum-zeitlichen Wirklichkeit. Aber Raum und Zeit
als Daseinsformen der materiellen Wirklichkeit haben einen außergewöhnlichen
nicht-empirischen Charakter, insofern der Bezug auf sie ein Kriterium a priori
für die Inhaltlichkeit unserer Begriffe und Aussagen darstellt.
Kants Phänomenalismus hat in
diesem Sinn nichts zu tun mit dem erkenntnistheoretischen Ansatz, dass wir
unsere Erkenntnis aus subjektiven Bewusstseinsinhalten aufzubauen hätten. Die
Textlage ist zugegebener Maßen außerordentlich uneindeutig und missverständlich.
Der Übergang von der Kennzeichnung „nicht-empirisch“ zur Kennzeichnung
„subjektiv“ bringt nichts hinzu und beinhaltet nicht, dass Raum und Zeit nur
subjektive Bewusstseinsinhalte wären, die es in Wirklichkeit vielleicht gar
nicht gäbe. Es gibt sie vielmehr in der objektiven Wirklichkeit in
außerordentlich fundamentaler Weise. Sie sind die fundamentale Daseinsweise der
materiell empirischen Wirklichkeit. Es ist auf eine besondere Weise
vorauszusehen, dass wir in unseren Beobachtungen und Experimenten niemals auf
Entitäten außerhalb dieser Fundamentalstruktur bezogen sein werden. Von diesem
systematischen Grundgedanken her können wir Uneindeutigkeiten und
Missverständlichkeiten in Kants Texten zur Entscheidung bringen. Wir haben eine
Theorie erkenntnismäßiger Aussageinhalte und Aussagebezüge vor unseren Augen.
Raum und Zeit sind Aussageinhalte, Aussagebezüge, concreta a priori, weder mehr
noch weniger.