Öffentliche Wortbedeutungen und private Subjektivität

 

Kehren wir noch einmal zu Ryles Argumentation zurück, denn sein Hauptargument wurde m. E. von Russell nicht genügend berücksichtigt. Wittgensteins Privatsprachenargument, auf dem Ryles Erörterungen beruhen, kann wie folgt formuliert werden:

Eine Sprache, in der wahre und falsche Aussagen formuliert werden können, ist eine öffentliche Institution und die Gebrauchsregeln ihrer bedeutsamen Zeichen (begriffliche Bedeutungen, Klassifikationskriterien) beruhen auf intersubjektiv entscheidbaren Kriterien. Subjektive Bewußtseinsinhalte sind nun weder etwas (anhand von intersubjektiven Kriterien) objektiv Klassifizierbares noch die Kriterien selbst für irgendwelche objektiven Klassifikationen. Also ist das prinzipiell Private im Sinne des rein Subjektiven als intersubjektve Bedeutung begrifflicher Zeichen ausgeschlossen.

 

Eine äußerst gelungene Formulierung des Privatsprachenarguments findet sich z.B. auch bei Quine: "Language is a social institution serving, within its limitations, the social end of communication; so it is not to be wondered that the objects of our first and commenest utterances are socially shared physical objects rather than private experiences. Physical objects, if they did not exist, would (to transplant Votaire's epigram) have to be invented. They are indispensable as the public common denominators of private sense experience." (W. v. O. Quine, Methods of Logic, 1964, Introduction, p. xii).

 

Wir können also (in der Mehrzahl aller Fälle) keine rein subjektiven Gegebenheiten als Wortbedeutungen einer wesentlich öffentlichen Sprache akzeptieren. Aber müssen wir deshalb die Existenz wesentlich privater subjektiver Bewußtseinsphänomene prinzipiell verneinen? Es drängt sich eine andere Möglichkeit auf: Zeichen mit intersubjektiver Bedeutung können ohne Objektivitätsanspruch (für die Verknüpfung selbst) verknüpft werden und insofern Subjektiv Gegebenes zum Ausdruck bringen. Für alle diese Fälle ist das Prinzip intersubjektiver Wortbedeutungen dennoch gewahrt. Das leuchtet ein für Wendungen wie "es scheint mir, daß ...", also für Kants Wahrnehmungsurteile. Die Wendung "es scheint mir, daß ..." bringt die Subjektivität des Aussageinhals zum Ausdruck, obwohl einige der übrigen Wörter, die für die Punkte eingesetzt werden könnten, mit intersubjektiven Anwendungskriterien verbunden sein könnten.

Wie aber sollen wir es halten mit subjektiver Schmerzwahrnehmung und dgl.? Niemand wird Ryle bestreiten können, daß ein Prädikat wie "... hat Schmerzen" verhaltensmäßige Relevanz besitzt. Aber die Unsinnigkeit einer Formulierung wie "es scheint mir so, daß ich Schmerzen habe" legt die Vermutung nahe, daß die Subjektivierung der Aussage unsinnig ist, weil es sich hier bereits um Subjektives handelt. Da uns die Wahrnehmungsurteile einen Weg gezeigt haben, am cartesianischen subjektiven Bewußtsein festzuhalten, dürfen wir auch in diesem Falle  behaupten, die Subjektivität des Phänomens sei gegeben. Denn es gilt: Auch im Falle des Fehlens jeglichen objektiven physiologischen Befundes kann eine Schmerzempfindung subjektiv gegeben sein. Und umgekehrt: Selbst im Falle schwerwiegender physiologischer Befunde kann eine Schmerzempfindung fehlen. Wir haben also ein Phänomen vor Augen wie im Falle der subjektiven Wahrnehmungsurteile: trotz Verzicht auf jede objektive Behauptung bleibt die subjektive Gegebenheit des Bewußtseinsinhaltes, nur daß der "Begriff" des Schmerzes im Gegenteil zum Begriff einer äußeren Sache schon von vornherein nicht auf intersubjektiv entscheidbaren Kriterien gründet. Denn dann müßte eine Aussage möglich sein wie: "es ist nicht wahr, daß ich Schmerzen habe, auch wenn ich sie empfinde."

 

Es ist das Verdienst von Gerold Prauss, in verschiedenen Büchern und Aufsätzen auf Kants Theorie der Wahrnehmungsurteile und damit des subjektiven Bewußtseins hingewiesen zu haben. So z.B. in dem Aufsatz "Zur Philosophie des Psychisch-Geistigen", erschienen in dem Sammelband "Philosophie und Psychologie", Hrsg. Wolfgang Marx. Interessant ist seine Analyse der Aussage "Ich habe Zahnschmerzen". Prauss sieht hier erstens den subjektiven Bewußtseinsinhalt des Schmerzes, zweitens die objektive, d.h. wahre oder falsche Behauptung, die Ursache des Schmerzes sei ein Zahn und drittens den Versuch, die Qualität des Schmerzes zum Ausdruck zu bringen. Er sagt: "Auch innerhalb eines solchen Gesamtausdrucks" - wie "Zahnschmerz" - "bleibt ein Teilausdruck wie 'Zahn' ausschließlich für das Äußere eines Dings eigentümlich, eben Ausdruck für einen Zahn, und wird nicht etwas zur eigentümlichen Bezeichnung für das Innere dieses Gefühls, das vielmehr weder selbst ein Zahn ist noch auch nur so etwas wie ein Zahn." (S. 204)

 

Natürlich haben alle ordinary language philosophers recht, die behaupten, es sei eine ungebräuchliche Formulierung zu sagen: "Ich weiß, daß ich Schmerzen habe." Oft wollte man mit solchen Formulierungen die unmittelbare Gewißheit des subjektiven Empfindens illustrieren. Diese Methode ist m. E. wirklich ungeeignet, um den Angriffen des späten Wittgenstein zu entgehen. Aber wenn man die Sache anders angeht, mit öffentlichen Bedeutungen für die meisten Ausdrücke beginnt, dann die Wahrnehmungsurteile als eine Art subjektivierter Aussagen einführt und schließlich für einige wenige Ausdrücke des subjektiven Empfindens und Denkens intersubjektive Anwendungskriterien verneint, dann bleibt die Feststellung: Das Privatsprachenargument kann letztlich nicht die Unmöglichkeit rein privater, subjektiver Bewußtseinsinhalte beweisen. Wir können diesem Argument nur entnehmen, daß eine überwiegend intersubjektive Sprache für die Mehrzahl ihrer bedeutungsvollen Worte rein subjektive Gegebenheiten als Bedeutungen ausschließt. Dann erst sind wir imstande, das Phänomen der subjektiven Existenz einer essentiell subjektiven Subjektivität zu würdigen. Hier existiert etwas im Sinn des Aussageinhalts einer prinzipiell nicht objektivierbaren Existenzaussage.

Entschließen wir uns also trotz schwerer Bedenken, Schmerz, Freude als subjektive Bewußtseinsinhalte anzuerkennen. Und im Falle des Denkens: Akzeptieren wir, daß intersubjektive Bedeutungsinhalte sich in subjektiven Verknüpfungen subjektiv bewußtseinsmäßig manifestieren.

Abschließend merke ich an, daß es uns für den Begriff der Subjektivität wenig hilft, eine Art  Zustandsanzeige in der Art einer Maschine anzunehmen, die etwas über ihren internen Zustand anzuzeigen vermag. Diese Art von internem Zustand ist ein objektiv Inneres, über das es wahre und falsche Aussagen geben kann. Subjektivität meines Denkens ist aber lediglich subjektiv gegeben, entkleidet jeglichen Anspruchs auf Objektivität, weder wahr noch falsch.