Verschiedene kritische Bedenken: Nietzsche, Wittgenstein, Ryle

 

Die Kritik der neueren Philosophen hat so große Schwierigkeiten an Descartes Argumentation gefunden, daß sie sehr oft durch die Abgrenzung von Descartes ihren Standpunkt gefunden hat. Einige Hauptlinien, soweit mir bekannt, möchte ich nennen:

Nietzsche verdächtigte als einer der ersten die sprachliche Grammatik, zu metaphysischen Fehlschlüssen anzuleiten:

 

"Ehemals ... glaubte man an "die Seele", wie man an das grammatische Subjekt glaubte: man sagte, "Ich" ist Bedingung, "denke" ist Prädikat und bedingt - Denken ist eine Tätigkeit, zu der ein Subjekt als Ursache gedacht werden muß." (Jenseits von Gut und Böse, Abschnitt 54)

 

Dann die sehr detaillierten Bedenken aus der ordinary language philosophy. Wittgenstein verwirft die Konzeption vom Gegebensein der Gedanken als essentiell privater Vorkommnisse, womit introspektive, mentale Vorkommnisse generell zugunsten eher behaviouristischer Lesarten zurückgedrängt werden. Eine Privatsprache erscheint ihm unmöglich und die Gegebenheit eines essentiell privaten Vorkommnisses, vom dem nur ich selbst etwas wissen kann, erscheint ihm wie die Existenz eines Käfers in einer Schachtel, von dem nur eine Person Bescheid wissen kann:

 

"Nun, ein Jeder sagt es von sich, er wisse nur von sich selbst, was Schmerzen seien! - Angenommen, es hätte jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir "Käfer" nennen. Niemand kann je in die Schachtel des andern schaun; und jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. - Da könnte es ja sein, daß jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, daß sich ein solches Ding fortwährend veränderte. - Aber wenn nun das Wort "Käfer" dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? - So wäre es nicht die Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas: denn die Schachtel könnte auch leer sein."

(Philosophische Untersuchungen, § 293)

 

Ein weiterer Gesichtspunkt Wittgensteins (Über Gewißheit) ist das sehr plausible Argument, daß man nicht an allzu vielem zugleich zweifeln könne und je nach Kontext auf die Erfordernisse funktionierender Sprachspiele rekurrieren müsse. (Erfordernisse funktionierender Sprachspiele sind wiederum intersubjektive Kriterien für eine intersubjektive Praxis. Ein prinzipiell privates Kriterium wäre aber kein Kriterium.)

 

In der Nachfolge Wittgensteins stehen Gilbert Ryles groß angelegte Untersuchungen über die alltägliche Funktionsweise mentaler Ausdrucke wie "denken", "wissen", "fühlen" usw.. Descartes Überlegungen beschreibt er als "Mythos vom Gespenst in der Maschine" mit all den Konsequenzen des menschlichen Geistes als einer inneren Bühne, mit wesentlich privaten Vorkommnissen und privilegiertem Zugang. Er plädiert sozusagen für eine adverbielle Auffassung des Mentalen: "Bewußt", "denkend" usw. sind Arten und Weisen, wie sich unser Verhalten ereignet. Eine prinzipiell private Wirklichkeit gibt es bei Ryle nicht, wir leben alle in einer gemeinsamen Welt, wenn auch niemand - füge ich scherzhaft an - in der Welt, in der er zu leben glaubt. Aber unsere Fehleinschätzungen sind dann als Dispositionen zu sonderbarem Verhalten für viele erkenntlich:

 

"Wir haben von verschiedenen Ausgangspunkten her dafür argumentiert, daß wir, wenn wir von jemandes Geist oder Seele sprechen, nicht von einem zweiten Schauplatz von Vorfällen einer besonderen Art sprechen, sondern von gewissen Weisen, in denen manche Vorfälle seines einen Lebens geordnet sind. Sein Leben ist nicht eine Doppelreihe von Ereignissen, die sich in zwei verschiedenartigen Materien abspielen; es ist nur eine Verkettung von Ereignissen verschiedener Gattungen, deren Unterschiede hauptsächlich darin bestehen, daß logisch verschiedene Typen von Gesetzesaussagen und gesetzähnlichen Aussagen auf sie anwendbar beziehungsweise unanwendbar sind. Behauptungen über den Geist eines Menschen sind daher Behauptungen einer besonderen Art über diesen Menschen. Fragen über die Beziehungen zwischen einem Menschen und seinem Geist sind daher, genau wie solche über die Beziehungen zwischen dem Körper und dem Geist eines Menschen, unzulässige Fragen. Sie sind unzuläassig auf ähnliche Weise wie die Frage: "Welche Verhandlungen finden zwischen dem Unterhaus und der britischen Verfassung statt."" (The Concept of Mind, Übersetzung von Kurt Baier, Reclam 1969, 6. Kapitel, S. 226)

 

Bemerkenswert sind seine Erörterungen zur "systematischen Flüchtigkeit von "Ich"". Man kann sie als Erklärung für die absolute Innerlichkeit des reinen Ich lesen. Kant hatte eben diesen Sachverhalt so beschrieben: "die einfache und für sich selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstellung" sei Vorstellung eines "Subjekts", "um welches wir uns in einem beständigen Zirkel herumdrehen, indem wir uns seiner Vorstellung jederzeit schon bedienen müssen, um irgend etwas von ihm zu urteilen." (B 404)

 

"Der Versuch zu beschreiben, was man gerade getan hat oder tut, ist die Besprechung eines Schrittes, der nicht selbst, außer per accidens, eine Besprechung ist. Aber die Besprechung ist und kann nicht der Schritt sein, den sie bespricht. ... Es muß also meine Besprechung meiner Tätigkeiten immer über eine Tätigkeit schweigen nämlich über sich selbst, und diese Tätigkeit kann nur der Gegenstand einer anderen Besprechung sein." (S. 264)

"Ein gewöhnlicher Rezensent mag ein Buch rezensieren, während ein Rezensent höherer Ordnung Rezensionen des Buches kritisiert. Sie selbst kann nur in einer Rezension dritter Ordnung kritisiert werden. Bei unbeschränkter Langmut eines Herausgebers könnte jede beliebige Rezension jeder beliebigen Ordnung veröffentlicht werden, obwohl in keinem Stadium alle Rezensionen kritische Besprechungen erhalten haben. Ebensowenig können alle Taten eines Tagebuchführers Gegenstand einer Eintragung in seinem Tagebuch sein; denn die letzte in seinem Tagebuch verzeichnete Eintragung verlangt noch immer, daß ihre Verzeichnung nun ihrerseits verzeichnet werde." (S. 265)

 

Die Erklärung taugt auch für das Bewußtsein von Undeterminiertheit und Freiheit:

 

"Die Vorhersage einer Tat oder eines Gedankens ist eine Handlung höherer Ordnung, deren Ausführung nicht unter den in der Aufstellung der Vorhersage erwogenen Daten sein kann. Aber da meine Geistesverfassung vor einer Tat von mir diese Tat beeinflussen kann, so folgt, daß ich zumindest eines der für meine Vorhersage relevanten Daten beiseite lassen muß." (S. 266 - 267)

"Ich kann auf alles andere mit meinem Zeigefinger zeigen, und andere Leute können auf diesen Zeigefinger  zeigen. Aber er kann nicht der Gegenstand sein, auf den er selbst zeigt. Noch kann ein Geschoß sein eigenes Ziel sein, obgleich alles andere nach ihm geworfen werden kann." (S. 267)

 

Ryles umfangreiche Ausführungen haben mich weitgehend überzeugt, aber nicht völlig. Er findet Paraphrasen für das Gegebensein von Empfindungen, Affekten, Leidenschaften, Willensregungen und Gedanken, und er ersetzt die so problematische Introspektion durch Retrospektion, die seinem Konzept der "Selbstkenntnis ohne privilegierten Zugang" zu entsprechen vermag. Eines folgt daraus mit Sicherheit: Es gibt einen objektiven Gebrauch "subjektiver" Ausdrücke: Wenn ich etwas über den Bewußtseinszustand eines anderen behaupte, so mache ich eine im Grunde genommen objektive Behauptung, für die ich Intersubjektivität beanspruchen muß.