Kants "Ich denke"
In Kants berühmten Worten
lautet der Satz vom Subjektbezug des Denkens:
"Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein." (B 131 f.)
Für Kant gibt es zweierlei
Anforderungen an jegliche Erkenntnis: Kriterien der Denkform und Kriterien des
Sachbezugs, die gleichermaßen erfüllt werden müssen. Die Anforderung der
Denkform gibt der Erkenntnis die Beschaffenheit einer für mich denkbaren
Erkenntnis, die Anforderung des Sachbezugs, die unter den Titel
"Anschauung" fällt, restringiert den gegenständlichen Inhalt, der dem
Denken zur Verfügung steht, auf raum-zeitliche Gegebenheiten. Die Anforderung
der Denkform bedingt den begrifflichen und urteilsartigen Charakter unserer
Erkenntnisse, die Anforderung des Sachbezugs bedingt die Notwendigkeit einer Einschränkung
auf raum-zeitliche Gegebenheiten, deren Eigenschaften und Relationen (auch
höherer Ordnung). "Alles Denken aber muß sich [...] zuletzt auf Anschauungen
beziehen [...]". (B 33) "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen
ohne Begriffe sind blind." (B 75)
Für unsere Untersuchung über
lediglich subjektives Bewußtsein bedeutet das: In zeitlicher Reihenfolge
gegebene subjektive Inhalte sind uns bewußt, insofern sie durch die Fähigkeit
des subjektiven Denkens zur Einheit des "Ich denke" zusammengesetzt
sind; - ohne Subjektbezug könnten sie nicht das Merkmal des für mich Gegebenen
(im Sinne des subjektiv Bewußten) besitzen: sie würden "für mich nichts
sein". Ich kann zwar das zeitliche Gegebensein irgendwelcher Inhalte in
der erkenntnistheoretischen Betrachtung von den Anforderungen des Gedacht-werden-könnens
isolieren (und insofern von Inhalten "vor allem Denken" [B 132]
sprechen). Da aber [mir mögliches] Denken eine notwendige Bedingung sogar des
lediglich subjektiven Bewußtseins darstellt, bilden die subjektiv gegebenen
Inhalte meines Denkens zwangsläufig die Einheit Einer Subjektivität. Es sind
meine Vorstellungen, sie treten auf als Denkinhalte, von vornherein mit dem
Merkmal der Ich-Zentrierung, d.i. mit dem Merkmal des Subjektbezugs. "Das:
Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können": eine notwendig
bestehende Möglichkeit, als Erfordernis des Gedacht-werden-könnens der mir
möglichen Bewußtseinsinhalte.
Auch hier lassen wir
Descartes entgegnen: "Du redest von etwas und nicht von nichts. Die
Einheit des "Ich denke", das genau ist meine res cogitans. Denkend
ist sie sich ihres Seins bewußt, solange sie denkt." - Für Kant ist das
Subjekt des Denkens eine gedachte Entität, aber er pocht gemäß seiner
Zwei-Stämme-Lehre [der Erkenntnis] auf einen Unterschied zwischen der bloß
gedachten Existenz einer Entität und der durch gültige Erkenntnis verbürgten
Feststellbarkeit ihrer Existenz:
"Soviel ist gewiß: daß ich mir durch das Ich jederzeit eine absolute, aber logische Einheit des Subjekts (Einfachheit) gedenke, aber nicht, daß ich dadurch die wirkliche Einfachheit meines Subjekts erkenne." (K. r. V., A 356)
Nach Kants Theorie der
Erkenntnis ist der Bezug auf räumlich und zeitlich strukturierte Gegebenheiten
zwingendes Erfordernis einer jeden als Erkenntnis gültigen theoretischen Aussage.
Das Denken selbst erfordert die Begleitung durch das mögliche Bewußtsein
"Ich denke", Erkennen aber fordert darüber hinaus den Bezug auf
raum-zeitlich gegebene Wirklichkeit. Diese Auffassung ermöglicht es Kant, die
Feststellbarkeit der Existenz eines geistigen Subjekts zu bestreiten und
dennoch vom Subjekt der Gedankeninhärenz als einer notwendigen Illusion des
Denkens zu sprechen, die den Menschen immer narren wird.
Die Illusion, "ein
Blendwerk, welches bleibt, ob man gleich weiß, daß der vermeinte Gegenstand
nicht wirklich ist", ist lediglich durch die Berücksichtigung [der
Ganzheit] aller Erfordernisse für Erkenntnisgültigkeit durchschaubar, d. h.
durch die spezifisch Kantische Theorie von Raum und Zeit als Formen der Anschauung
[Formen des bloßen Gegebenseins von Erkenntnisinhalten]. Sämlichte Begriffe
müssen inhaltsleer bleiben ohne den Bezug auf diese Daseinsformen der uns
umgebenden Wirklichkeit. Kant sagt uns: "Mit dem Ich als Subjekt des Bewußtseins,
- obwohl als etwas gedacht, - habt ihr nicht die Erkenntnis eines wirklichen
Wesens, sondern nur die gedachte Einheit als Fiktion einer Realität." Das
Ich ist ihm das unerläßliche Subjekt möglicher Bewußtseinsinhalte, selbst aber
an Inhalt völlig leer. Als existierende Wirklichkeit, auf die eine erkennende
Aussage irgendwelcher Art sich beziehen könnte, läßt er es nicht gelten.
Die gedachten
Bewußtseinsinhalte selbst sind ebenfalls kein richtiger Gegenstand vollgültiger
Erkenntnis, sondern es handelt sind um die angeführten Wahrnehmungsurteile,
Ausageinhalte ohne behauptende Kraft. Sie werden nicht mit Erkenntnisanspruch
verbunden und gehören in die Sphäre des bloß Subjektiv Gültigen.
Interessant wird die Frage,
was eine nicht einmal subjektiv gültige Aussage sein könnte. Tritt neben die
Unterscheidung von objektiv wahr oder falsch eine Unterscheidung von subjektiv
gültig (gegeben) und subjektiv ungültig (subjektiv nicht gegeben)? Das liefe
wohl darauf hinaus, daß ich mir folgendes vorstellen kann: ein [für mich]
subjektives Gegebensein eines [für mich] nicht gegebenen Subjektiven.
Es muß nachdrücklich
festgehalten werden, daß alles Denkbare subjektiver Bewußtseinsinhalt sein
kann; - sonst könnte es "für mich nichts sein".
Kants Auffassung ist im
Unterschied zu Humes Wahrnehmungsinhalten anzuführen, die bereits in ihrem
bloßen passivischen, rezeptiven Gegebensein bewußte subjektive Inhalte (ohne
Subjektbezug) sein sollten. Diese Auffassung soll hier zurückgewiesen werden.
Die Feststellung von gegebenen Bewußtseinsinhalten ist bereits eine Verbindung
von Denken und innerer Anschauung. Das heißt, es sind uns keine
Bewußtseinsinhalte ohne den Zusatz des Denkens bewußt (im Sinn des
Gedachtwerdens), die Inhalte unseres subjektiven Bewußtseins sind uns lediglich
begrifflich gedeutet bewußt, in bloßer Gegebenheit ohne Ausrichtung auf ein begrifflich
strukturiertes Bewußtsein (in dem etwas von etwas gedacht wird) sind keine
solchen Inhalte bewußtseinsfähig (im Sinn des Gedacht-werden-könnens).
Ein Material, aus dem ich
nach Humes Anleitung eine Mengenabstraktion ableiten könnte, wäre m. E. eine
Menge objektiver, einzeln für sich selbst feststellbarer Gegebenheiten, an
denen festgestellt werden kann, ob sie sich der Erinnerungsrelation fügen oder
nicht. Kants Wahrnehmungsurteile dagegen enthalten subjektiv gültige Denkinhalte,
wobei die Eigenschaft ihrer Subjektivität darin besteht, daß sie den Bezug
"lediglich auf das Subjekt" besitzen. Ohne diesen Bezug könnten sie
mir nicht bewußt sein und ich könnte auch nicht feststellen, ob sie in der Erinnerungsrelation
zueinander stehen. Diese Subjektivität wird in den nicht-objektivierten
Begriffsverknüpfungen [Aussageinhalte ohne Objektivitätsanspruch] des
Wahrnehmungsurteils dargestellt.
Die rein zeitlich gegebene
Folge der Bewußtseinsinhalte ist wesentlich subjektiv, Inhalt und Gegebensein
dieser Subjektivität sind keine objektive Fakten. Auch die Zeitfolge dieser
sonderbaren Inhalte ist nicht objektivierbar, es gibt kein Kriterium für früher
oder später. Es ist uns einfach nicht alles gleichzeitig und uno intuitu
bewußt, der Inhalt unseres Bewußtseins ist eingeengt und endlich.
Descartes brachte uns durch
seinen methodischen Zweifel auf die Subjektivität des Subjektiven, die
Innenperspektive des Bewußtseins. Denken kann demnach kein körperlicher,
objektiv feststellbarer Vorgang sein, es kann aber auch nicht nichts sein, denn
"es gibt" subjektiv bewußte Denkinhalte. Das "Phänomen" der
Subjektivität des Denkens selbst ist nach Kant das naheliegendste Argument dafür,
daß Menschen fast aller Zeiten den Begriff einer Seele gebildet haben; - auch
wenn es nicht der Begriff einer wirklichen Sache ist:
"Es können uns niemals unter äußeren Erscheinungen denkende Wesen als solche, vorkommen, oder, wir können ihre Gedanken, ihr Bewußtsein, ihre Begierden usw. nicht äußerlich anschauen; denn dieses gehört alles vor den inneren Sinn. In der Tat scheint dieses Argument auch das natürliche und populäre, worauf selbst der gemeinste Verstand von jeher gefallen zu sein scheint, und dadurch schon sehr früh Seelen, als von den Körpern ganz unterschiedene Wesen, zu betrachten angefangen hat." (A 357/8)
Das Fundament der
Begriffsbildung: der Ich-Bezug des innerlich Subjektiven. Und genau hierin
liegt auch das Problem. Es ist Illusion des Bewußtseins, der Gedanke vom
nicht-körperlichen Wesen des denkenden Geistes sei identisch mit der
erkenntnisgültigen Aussage seiner Wirklichkeit. Es ist ein zwar ein zwingender
Gedanke, aber doch Aussage einer unberechtigten Metaphysik, wenn er als erkennbare
Wahrheit aufgefaßt wird.
Zusatz: Ein Hauptmotiv
dafür, die Theorie des Subjektiven zur vorgeblichen Erkenntnis des
immateriellen Wesens der Seele weiterzubilden, sieht Kant darin, "dieses
Subjekt von aller Materie zu unterscheiden" und von der
"Hinfälligkeit" auszunehmen, der das Materielle unterworfen ist. Es geht
natürlich um den Versuch, die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen. Descartes
Hauptmotiv war das Problem der Gewißheit, und gerade in diesen Zusammenhang
entfaltet seine Argumentation ihre Stärke. In der Übersicht zu seinen sechs
Meditationen erklärt uns Descartes, daß erst aus der Gesamtheit der sechs
Meditationen folgt, "daß der Körper zwar äußerst leicht untergeht, der
Geist aber seiner Natur nach unsterblich ist." Aber diese Aussage
erfordert wesentlich mehr als die Überlegungen zur Selbstgewißheit des
Subjektiven: Ontologischer Gottesbeweis, Ausführungen zu Wesen und Dasein der
körperlichen Natur usw.. Allerdings:
"Das erste und wesentliche Erfordernis zur Erkenntnis der Unsterblichkeit der Seele ist aber, sich von ihr eine möglichst klare und von jedem Begriff eines Körpers durchaus verschiedene Vorstellung zu machen." (Synopsis der Meditationes)
Das Subjekt des Denkens ist
also bei Kant (wie später im Tractatus des jungen Wittgenstein) kein Stück,
kein Teil der Wirklichkeit, sondern letzte Grenze der Abstraktion. Insofern muß
man von ihm sagen: es ist etwas Denkbares, etwas Einfaches (und infolge dessen:
unteilbar, nicht in Teilstücke zerbrechlich), ein Singular (und infolge dessen:
immer dasselbe), raumfern, immateriell,geistig. So muß es gedacht werden, weil
wir von jeder objektivierenden Behauptung Abstand genommenhaben, dabei
subjektives Bewußtsein mit Subjektbezug entdeckt haben und nun vom Subjekt
dieses Subjektbezugs selbst sprechen möchten. Aus der Tatsache aber, daß wir
derart von ihm denken und sprechen können, dürfen wir nicht folgern, da sei
etwas, von dem wir erkannt hätten, daß es existiert. Es gibt neben dem
sonderbaren Subjektbezug andere, unerläßliche Bedingungen für das Stattfinden
von Erkenntnisobjektivität, von denen gerade abstrahiert wurde. Ein Existenzurteil
bezüglich eines immateriell, geistigen Wesens würde aus dem unerläßlichen
Subjekt des Denkens, das die Grenze der mir möglichen Abstraktion darstellt,
ein Stück erkennbarer Wirklichkeit machen:
Ich verwechsle "die mögliche Abstraktion von meiner empirisch bestimmten Existenz mit dem vermeinten Bewußtsein einer abgesondert möglichen Existenz meines denkenden Selbst [...]" (K.r.V., B 427)
Soviel zu Kant, der
ursprünglichen Apperzeption und dem Paralogismen- Kapitel, aus dem seine
Stellung zu Descartes' Cogito herauspräpariert werden kann.
Daß Kant dann doch im ganz
anderen Zusammenhang von Postulaten der ethischen Vernunft ein subjektiv
zureichendes Fürwahrhalten (wo kein Mensch Bescheid wissen kann) der
Seelenmetaphysik (in puncto saliens "Unsterblichkeit) lehrt, soll hier
völlig übergangen werden. Die Postulate setzen allerdings die Denkbarkeit der
metaphysichen Entitäten voraus und die (wißbare) Tatsache, daß kein Mensch über
Existenz oder Nicht-Existenz dieser raum- und zeitlosen Dinge Erkenntnis haben
kann. [Dazu Nietzsche: "verschmitzt kluge Skepsis".]