Subjektlose Subjektivität bei Hume

 

Hume gehört in die Tradition des auf Locke zurückführenden Empirismus und fragt nach dem unmittelbar Gegebenen unseres Bewußtseins. Er anerkennt subjektive Bewußtseinsinhalte als gegeben. Angeborene Begriffe lehnt er ab nach dem Motto: "Nil est in intellectu quod ante non fuerit in sensu." Die Vorstellung eines denkenden Subjekts sei nun kein gegebener Bewußtseins- oder Wahrnehmungsinhalt. Hume hat Bedenken gegen die Subjektbezogenheit des Subjektiven:

 

"... alle diese (Wahrnehmungen) sind verschieden und können getrennt betrachtet werden, wie sie auch getrennt existieren können, sie brauchen auch in ihrer Existenz von nichts gestützt zu werden. Wie denn gehören sie also zum Ich und wie denn sind sie mit ihm verbunden? Wenn ich für meinen Teil am tiefsten in das eindringe, was ich mein "Ich" nenne, so stolpere ich immer auf diese oder jene Einzelwahrnehmungen, auf warm oder kalt, hell oder dunkel, Liebe oder Haß, Schmerz oder Lust. Nie kann ich mein "Ich" allein und ohne eine Wahrnehmung erfassen, und nie kann ich etwas anderes als nur die Wahrnehmung beobachten." - Wenig später erfolgt die berühmte Bemerkung, der Mensch sei "nichts anderes als ein Bündel oder Haufen verschiedener Wahrnehmungen", "die mit großer Geschwindigkeit einander folgen und sich in ständigem Strömen und Bewegen befinden." - "Nur die aufeinanderfolgenden Wahrnehmungen bilden den Geist."

 

In den Wahrnehmungen selbst, in ihrer bloßen subjektiven Gegebenheit, liegt nach Hume kein Subjektbezug. Hume konstruiert die Einheit der Subjektivität allererst aus einer Erinnerungsrelation, die über der Menge aller subjektiven Bewußtseinsinhalte definiert wird. Insofern es eine Erinnerungsreihe gibt, denen eine Menge verschiedener Bewußtseinsinhalte zugehört, handelt es sich um die Subjektivität eines einzelnen, bestimmten Menschen. Insofern es andererseits verschiedene Reihen gibt, denen kein gemeinsamer Inhalt angehört, sind wir bei verschiedenen Subjektivitäten verschiedener Menschen angelangt. Das subjektive Bewußtsein des einzelnen ist somit "Bündel von Wahrnehmungen". Eine Konstellation, die geradezu nach mathematischer Relationenlogik höherer Stufe schreit, denn der Begriff der Reihe bzw. des Bündels läßt sich in dieser Prädikatenlogik (als Eigenschaft von Relationen) sehr schön definieren. Die Definition führt ihn auf die Erinnerungsrelation und ihre Elemente zurück.

Es ist Humes Ansatz, den B. Russell in folgenden Worten formuliert:

 

"Und 'ein Bewußtsein' können wir ... als eine Kollektion von Ereignissen definieren, die untereinander in beiden Zeitrichtungen durch 'Erinnerungsketten' verbunden sind. Eine solche Kollektion von Ereignissen - nämlich die, aus der wir selbst bestehen - kennen wir intimer und unmittelbarer als alles, was es auf der Welt sonst noch gibt."

(Philosphie, Die Entwicklung meines Denkens, Kap. 2, S. 26)

 

Das Ich tritt in die Betrachtung ein, indem eine Folge subjektiver Bewußtseinsinhalte die meinigen sind, und dies sind sie gemäß der zwischen ihnen bestehenden Relationen der Erinnerungsverknüpfung. Das Ich ist demnach eine mengentheoretische Abstraktion, ein Prädikat höherer Ordnung, das letztlich nichts anderes als eine bestimmte Menge gegebener Bewußtseinsinhalte repräsentiert. Analog z. B. der Eigenschaft, rot zu seine, die man Röte nennen kann, welche die Menge aller roten Dinge repräsentiert.

Der Cartesianische Denker vernachlässigt infolge seines Unbezweifelbarkeits-Ansatzes die prekäre Existenz anderer Menschen, aber es bleibt tatsächlich die Frage, wieso sich seine Bewußtseinsinhalte zwangsläufig ordnen zu Einer Subjektivität, der alle diese Inhalte zuzurechnen sind. - Hier leuchtet der Gedanke auf, die Einheit des denkenden Bewußtseins könne etwas Konstruiertes oder Konstituiertes sein, vielleicht sogar eine Art Fiktion.

Descartes könnte sich wehren: "Du redest doch trotz allem von einer subjektiven Einheit, der alle Deine Bewußtseinsinhalte zugeordnet werden. Das genau meint meine res cogitans. Denn Du redest von etwas und nicht von nichts."  Hume könnte entgegnen: "Eine definierbare Größe stellt nur eine abkürzende Sprechweise dar. Berücksichtige Ockhams Rasiermesser: 'Entia non sunt multiplicanda sine necessitate.'" Descartes kann sein Argument verschärfen: "Nicht nur alle gegebenen und entsprechend geprüften Bewußtseinsinhalte ordnen sich zu Einer Subjektivität, sondern es ist sogar für alle mir möglichen Gedankeninhalte voraussehbar, daß sie dies tun werden. Ein subjektiver Bewußtseinsinhalt, der nichts für mich Denkbares ist, kommt nicht in Frage als etwas, das ich denken könnte.