Spiritualität und Substantialität des inneren Subjekts

 

Zurück zu Descartes : Ich suche eine unbezweifelbare Gewißheit und übe Urteils­enthaltung in bezug auf alles, was man rein theoretisch bezweifeln kann. Dabei fällt mir auf, daß ich existieren muß, um Urteilsenthaltung üben zu können. Daran, daß ich zweifle, kann ich nicht zweifeln. Die durch den methodischen Zweifel in ihrem Wahrheitsanspruch suspendierten Gedanken sind reale, aber nur subjektiv vorhandene Vorkommnisse und existieren derart, daß sie einem denkenden Subjekt inhärieren. Die suspendierten Gedanken sind offenbar nicht nichts und bedürfen eines denkenden Subjektes als Voraussetzung.

Wir sind bei der Feststellung angelangt, daß nicht nur die Existenz eines Subjektes, sondern auch die wesentliche Eigenschaft dieses Subjekts zweifelsfrei feststellbar ist:

 

"... wenn man prüft, wer wir sind, wir, die wir jetzt davon überzeugt sind, daß es nichts außerhalb unseres Bewußtseins gibt, das wahrhaft ist oder existiert, so sehen wir deutlich, daß weder die Ausdehnung, noch die Gestalt, noch die Ortsbewegung, noch ähnliches, was man dem Körper zuschreibt, zu unserer Natur gehört, sondern nur das Denken. Dies wird ... eher und sicherer als die körperlichen Gegenstände erkannt; denn man begreift es schon, während man an allem andern noch zweifelt." (Principia, 8)

 

Der Versuch weitestgehender Urteilsenthaltung wirft uns zurück auf das Geschehen des Zweifels, auf das subjektive Stattfinden von Gedanken. Diese Gedanken sind (in vielen Fällen) in ihrer Wahrheitsgültigkeit suspendierte Urteile über die äußere Wirklichkeit. Wenn ich lediglich glaube, einen Stuhl zu sehen, so impliziert dies keine äußere Tatsache, aber immerhin eine subjektiven Bewußtseinsinhalt. Da wir die Existenz körperlicher Dinge außerhalb unserer selbst generell als zweifelhaft zurückweisen, sind diese Gedanken als rein innerliche Vorkommnisse anzusehen: unkörperlich, immateriell, unsichtbar und außerhalb aller räumlichen Relationen zu anderen räumlichen vorfindlichen Dingen. Denken ist somit kein körperlicher Vorgang. Das Subjekt des Denkens ist aus demselben Grund eine essentiell innere Realität. Die Unbezweifelbarkeit seiner Existenz als Voraussetzung des Zweifels selbst führt uns auf diesen Sachverhalt. Die Innerlichkeit der so entdeckten Realität ist nicht ein Inneres bezüglich eines räumlich ausgebreiteten Gefäßes, sondern ein raum-fremdes Inneres. Diese Innerlichkeit ist eine absolute Nicht-Äußerlichkeit.

Uns Heutigen mag es naheliegen, die Existenz von Gedanken mit der physiologischen Tätigkeit eines zentralen Nervensystems, - z. B. mit dem Ablauf biochemischer und neuroelektrischer Erregungsmuster in Gehirnzellenarealen - in Zusammenhang zu bringen, aber ein solcher Ansatz genügt nicht der Descartesschen Methode. Die Existenz eines Gehirns in einer Welt körperlicher Dinge ist kein Sachverhalt, der dem Anspruch auf Unbezweifelbarkeit genügt, der subjektive Inhalt des Bewußtseins selbst liegt aber in der Sphäre des unbezweifelbar und subjektiv unmittelbar Gegebenen und findet deshalb nicht im Raum der ausgebreiteten körperlichen Wirklichkeit statt.

Also kennzeichnet Descartes das denkende Subjekt als res cogitans: seine Existenz wird aus dem inneren Gegebensein der Gedanken, bei skeptischer Einklammerung jeglicher äußerer Wirklichkeit erschlossen. Lateinisch gesprochen: Das Gegebensein der Gedanken ist ratio cognoscendi des denkendenen Subjekts, das Subjekt selbst aber ratio essendi der Gedanken.

Descartes konzipiert die Gedankeninhalte, derer er sich so sicher bewußt ist, als Modifikationen des denkenden Ich. Das Ich ist ihm der Träger der Gedanken und damit substantielle Wirklichkeit. Ebenso wie eine Eigenschaft oder ein Zustand nicht sein kann ohne etwas, das diese Eigenschaft oder den Zustand aufweist, (gemäß der sprachlogischen Struktur, daß wir etwas von etwas prädizieren,) kann der Gedanke nicht sein ohne die ihm subsistierende denkende Substanz.

Er rekurriert offensichtlich auf die traditionelle Unterscheidung von substantiellem und akzidentiellem Sein, die bereits von den altgriechischen Urvätern der Philosophie aus einer sprachlogischen Grundgestalt der behauptenden Rede hergeleitet wurde. Sie hatten bemerkt, daß eine Hauptstruktur des Logos darin besteht, etwas von etwas auszusagen. Wir sagen z. b. von Sokrates, er sei ein Mensch, und diesen Aussageinhalt kann man folgendermaßen paraphrasieren: Das Menschsein wird von Sokrates als seinem Subjekt ausgesagt, d. i. von Sokrates als Subjekt des Menschseins gilt das Menschsein als wahr. - So analysiert uns Aristoteles die Subjekt-Prädikat-Struktur der Rede. (Aristoteles, Kategorien, Kapitel 3 - 5) Sie ist ihm gleichbedeutend mit der Struktur der erkannten Wirklichkeit: Menschsein ist Eigenschaft des Sokrates, es gibt also ein Etwas, dem die Eigenschaft zukommt, d.i. das substantiell Seiende und ein Etwas, was ihm zukommt, d. i. die prädizierte Eigenschaft, das akzidentiell Seiende. An dieser Entsprechung von Logik und Ontologie fanden die Alten nichts Problematisches.

So auch Descartes. Daß die erkannte Wirklichkeit der Subjekt-Prädikat-Strukur der Rede genügt und eo ipso in Eigenschaften und Eigenschaftsträger zerfällt, bezeichnet er als "Gemeinbegriff", sozusagen als Selbstverständlichkeit. (Auch daran hält er keinen Zweifel für möglich.)

 

Eine Substanz kann nicht "daraus allein erkannt werden, daß sie ein daseiendes Ding ist, weil dieses allein uns nicht affiziert; aber wir erkennen sie leicht aus jedem beliebigen ihrer Attribute zufolge jenes Gemeinbegriffs, daß das Nichts keine Attribute, keine Beschaffenheiten und keine Eigenschaften hat. Denn daraus, daß wir die Gegenwart eines Attributes wahrnehmen, schließen wir, daß irgend ein existierendes Ding oder eine Substanz, der jenes zugeteilt werden kann, notwendig da sein muß." (Principia, 52)

 

Descartes behauptet, das Subjekt des Denkens sei ein substantielles Sein bezüglich der wechselnden Akzidentien gedanklicher Inhalte in ihm. Es handelt sich um ein Verhältnis von Subsistenz und Inhärenz, analog dem Sokrates als dem Subjekt seines Menschseins. Das Ego cogitans ist ihm substantieller Träger der gedanklichen Inhalte, welche die Zustände darstellen, in denen befindlich die denkende Entität existiert. An dieser Stelle versucht ihn später Kant zu fassen: nur die Anwendung auf raum-zeitlich ausgebreitete Wirklichkeiten könne der Unterscheidung von substantiellem und akzidentiellem Sein erkenntnisrelevanten Inhalt geben, weshalb die Konzeption des Ego cogitans als substantieller Entität unstatthaft sei.

Vergegenwärtigen wir die Relation von Substanz und Akzidens im vorliegenden Fall etwas ausführlicher! Nach der skeptischen Einklammerung der Außenwelt bleibt uns das innere Geschehen der Gedanken. Sind die Gedanken somit als innere Geschehnisse gekennzeichnet, ergibt sich die Frage nach dem "Ort" dieses Geschehens: ein uneigentliches Wo, da alle Eigenschaften eines irgendwie äußeren, räumlichen Nebeneinanders negiert werden müssen. Das Subjekt des Denkens ist somit der innere Schauplatz des Geschehens: es handelt sich um ein unräumliches Inneres. - Sage ich, die inneren Gedanken seinen Denkakte, d.i. Handlungen des Denkens, ergibt sich die Frage nach dem Subjekt des Handelns. Das Subjekt ist somit ein innerlich handelndes Wesen, dem die Denkakte zugerechnet werden. - Sage ich, die inneren Gedanken seinen Zustände, so ergibt sich die Frage nach dem Medium der Zustände: Das Subjekt ist somit ein innerlich existierendes Substrat, das sich in verschiedenen Zuständen befinden kann. Alle diese Möglichkeiten fallen in das Substanz-Akzidens-Verhältnis. Descartes verwendet keine Mühe darauf, die Frage zu klären, ob die Gedanken nicht auch als subjektlose Vorkommnisse konzipiert werden könnten. In § 56 der Principiae erklärt er uns, daß trotz Bedeutungsnuancen die Ausdrücke "Zustand", "Attribut" und "Eigenschaft" im selben Sinne verwendet werden können: die Ausdrücke gehören alle in die Aussagestruktur von subsistierendem und inhärierendem Sein: etwas gilt von etwas.

Fügen wir zu den inhärierenden Zustand auch noch inhärierende Zustandsfolgen hinzu, stoßen wir auf die zeitliche, aber raumlose Struktur des Bewußtseins. Die Gedanken im denkenden Ich wechseln bisweilen, und Zustandswechsel am Subjekt erfordert Zeit. Das Subjekt wird sich seiner selbst als in der Zeit existierend bewußt, d.h. die Bewußtseinsinhalte wechseln "in" oder "an" ihm, obwohl es an der Existenz der Dinge im Raum zweifeln kann. Kant wird später dieses Motiv zur Lehre von der Zeit als der Form des inneren Sinnes weiterbilden. Diese Zeit taugt mangels Anknüpfung an äußere periodische Geschehnisse nicht zur objektiven Messung, aber sie ermöglicht immerhin, daß das Ich nicht immer dasselbe denken muß und somit seine Urteile und Vorurteile gelegentlich suspendieren kann. (Insofern ist die zeitliche Ordnung der subjektiven Inhalte Voraussetzung der gedanklichen Freiheit, bezweifelbare Aussagen in ihrer Gültigkeit dahingestellt sein zu lassen, um unbezweifelbare Wahrheit zu erkennen zu können; - eine sehr bemerkenswerte Fähigkeit. Es besteht ein Zusammenhang von Erkennnisbefähigung, Zeit und der Freiheit, etwas für wahr zu halten, weil es wahr ist. Denn dies bedeutet eine gewisse Undeterminiertheit des Geistes durch physische und psychische Stimuli.)