Wahrnehmungsurteile nach Kants Prolegomena sind mit Descartes Cogitationes
identisch.
Urteile der Art "es
scheint mir, daß ..." nennt Kant (Prolegomena § 18) "Wahrnehmungsurteile".
Sie bringen folgendes zum Ausdruck: "eine Beziehung der Wahrnehmung auf ein
Subjekt." "Wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der
Schwere; aber nicht: er, der Körper, ist schwer; welches soviel sagen will,
als, diese beiden Vorstellungen sind im Objekt, d.i. ohne Unterschied des
Zustandes des Subjekts, verbunden, und nicht bloß in der Wahrnehmung (so oft
sie auch wiederholt sein mag) beisammen." (K.d.r.V., § 19) Kant
argumentiert hier im Kontext seiner Kategorienlehre, was wir hier auf sich
beruhen lassen möchten. Man sieht aber, daß auch für ihn der subjektbezogene
("subjektive") Bewußtseinsstrom außer Frage steht. Er wird Descartes
erst bei der Substanzialität des Subjekts die Gefolgschaft verweigern.
Die Wahrnehmungsurteile
Kants sind m. E. identisch mit Descartes subjektiv gegebenen
Bewußtseinsinhalten. Es macht keinen Sinn, an ihrer Gegebenheit zu zweifeln, da
sie nichts behaupten, was nach objektiven Kriterien entschieden werden könnte,
dennoch sind sie subjektiv vorhanden. Es macht für mich selbst einen
Unterschied, ob ich die Sonne zu sehen glaube oder den Mond: der subjektiv
gegebene Gedankeninhalt ist ein anderer. Es fällt uns auf, daß die Prädikate
"... ist die Sonne" und "ist der Mond" Prädikate äußerer
Gegenstände darstellen und der Satz "ich glaube, daß ich die Sonne
sehe" ist lediglich die depotenzierte, in ihrer Gültigkeit suspendierte
Aussage: "Ich sehe die Sonne wirklich (d. h., sie ist da)". - Der
innere Sinn wird mit Vorstellungen von äußeren Gegenständen besetzt, so
beschreibt Kant irgendwo dieses Phänomen. - Es wird nicht behauptet, es gebe
eine innere Sonne oder einen inneren Mond, auf die sich das Wahrnehmungsurteil
beziehen könnte, nur für den problematisch-potentiellen Aussageinhalt
["möglich, daß die Sonne scheint"] wird subjektive Gegebenheit
gefordert ["es scheint mir, daß die Sonne scheint"]. Es ist dies die
Behauptung, daß Aussageinhalte, die anhand objektiver Kriterien als wahr oder
falsch qualifiziert werden können, als Bedeutungsgehalt formulierter Aussagen
auftreten und sich zugleich als subjektiv gegebene Bewußtseinsinhalte manifestieren.
Sowohl - alsauch. - Für Kant gilt: Widerspruchsfreiheit ist das Kriterium für
Denkbarkeit: "Denken kann ich alles, sofern ich mir nicht
widerspreche." Subjektiv unmittelbares Bewußtsein ("gelten bloß für
uns, d.i. für unser Subjekt") ist das "Kriterium" der
Privatgültigkeit. Deshalb sagen wir hier: im subjektiven Denken manifestiert
sich Denkbares. Für den Fall, daß ich Widersprüchliches denke, denke ich
Undenkbares, d.i. nichts.
Auch hier wird ein ordinary
language philosopher widersprechen. Eine Wendung wie "es scheint mir, daß
..." kann in vielen Fällen wie folgt interpretiert werden: "Verlaß
Dich lieber nicht darauf!" - Andererseits ist aber ein Beweis für die
strikte Unmöglichkeit echt subjektiven Bewußtseins kaum zu führen. Es dürfte
kein Zufall sein, daß Descartes besonders das Phänomen des Traumes heranzieht,
denn hier kann allein der Träumer authentisch von Subjektivem erzählen. Es geht
nicht darum, andere zu warnen, daß sie sich nicht ohne weiteres auf meine
Aussage verlassen sollen. Descartes methodischer Zweifel und die Fähigkeit der
Urteilssuspension zeigen uns "tatsächlich", daß uns etwas subjektiv
bewußt bleibt, wenn wir die skeptische Einklammerung unserer Aussageinhalte
vollziehen und auf den Anspruch objektiver Gültigkeit bewußt verzichten.