Raum-fremde Innerlichkeit des geistigen Subjekts

„Gedanken sind ‚in’ mir, klar, dass ich existiere.“ So kann man das cogito-Argument des Descartes wiedergeben. An der Wahrheit sämtlicher Aussagen, die räumlich lokalisierbare Sachverhalte betreffen, kann man – zumindest prinzipiell – zweifeln – insofern die empirischen Evidenzen hierzu keine ‚absoluten’ Gewissheiten sein können. Also muss der Ausdruck ‚in’ in der Wendung ‚Gedanken in mir’ gegenüber dem räumlich gedeuteten ‚in’ negativ bestimmt werden: es ist kein Sachverhalt räumlicher Art, kein Geschehnis in meinem Kopf oder dgl., insofern ich [gemäß der Rezeptur der cartesianischen Zweifels] keine empirisch objektive Evidenz in einer ‚äußeren’ Sache behaupten will und kann. Ausgeschlossen ist also die Behauptung von Fakten bezüglich raum-zeitlich lokalisierbarer Sachverhalte. Dies gilt für verschieden komplexe und auch ‚höher-stufige’ empirisch-objektive Aussagen. Als Aussagen über äußere Sachverhalte sollen gelten: Aussagen über Dinge, Eigenschaften und Relationen verschiedenster Sprachstufen, sofern empirisch-objektive Evidenzen in ihrer Begründung ‚eine Rolle spielen’.

Die Unbestreitbarkeit (Unbezweifelbarkeit?) des inneren (subjektiven) Geschehens des Denkens selbst, auf die der methodische Zweifel zurückfällt, erlaubt uns als nächsten Schritt den Schluss auf ein nicht-körperliches Subjekt einer inneren subjektiven Wirklichkeit; eine Vielfalt von Gedanken, die dem innerlichen Subjekt innewohnen, ist gegeben. Also ist die Existenz des denkenden Ich ein unbezweifelbarer Sachverhalt (besonderer Art). Dieser Sachverhalt kann nicht der äußeren Wirklichkeit zugerechnet werden, da äußerlich Wirkliches ‚lediglich’ den erkenntnistheoretischen Status nicht gewissheitsfähiger Sachverhalte besitzt. Wenn man diesen Sachverhalt positiv wendet, muss man das ‚lediglich’ eigentlich streichen:

Für die Annahme von etwas äußerlich Wirklichem (jedenfalls im konkreten Einzelfall) bedarf es einer empirisch- objektiven Evidenz, die weder (ausschließlich) auf logisch Prinzipielles noch (aussschließlich) auf etwas Unbestreitbares an meinem subjektiven Zustand zurückgeführt werden kann. [Den Fall sonstiger prinzipieller nicht-empirischer Evidenz klammere ich hier aus.] Es bedarf eben empirischer Gründe. In empirischen Gründen aber kann es keine ‚absolute’ Gewissheit geben. Und auch die Subjektivität eines Für-wahr-haltens führt nicht über ihren subjektiven Inhalt hinaus.

Ein Wort noch zur Innerlichkeit des Denkens und der Gedanken: Ich kann (nach einem berühmten Beispiel von Descartes selbst) nicht wissen, ob wirklich Menschen auf der Straße unter meinem Fenster vorbeigehen, wenn ich sie zu sehen glaube. Aber dass ich etwas zu sehen glaube, das kann ich als unbestreitbaren subjektiven Tatbestand zum Ausdruck bringen.

"... es scheint mir doch, als ob ich sähe, hörte, Wärme fühlte, das kann nicht falsch sein, das eigentlich ist es, was an mir Empfinden genannt wird, und dies, genau so verstanden, ist nichts anderes als Bewusstsein." (Meditatio II, De natura mentis humanae, 9)

Bewusstsein ist infolge dieses Ansatzes die Gesamtheit solcherart bewusst gegebener subjektiver Inhalte, es enthält sozusagen nur helle, d.i. wirklich bewusste Bewusstseinsinhalte: diese nennt er "Gedanken" ("cogitationes").

Das Subjektive wird bei Descartes nicht als Eigenschaft eines Menschen entdeckt, die ihn selbst und persönlich betrifft, insofern er als relativ stark isoliert von seiner Umwelt betrachtet werden kann. Sie tritt vielmehr in den Blick als Unbestreitbarkeit (Unbezweifelbarkeit für mich selbst) von Inhalten des Bewusstseins, insofern ich mich jeglicher Objektivitätsbehauptung bezüglich objektiv- empirischer Sachverhalte enthalten kann und dabei auf die Unbestreitbarkeit (Unbezweifelbarkeit) subjektiver Bewusstseinsinhalte aufmerksam werde. Sofern es gelänge, einzelne Inhalte ‚reiner, unvermischter’ Subjektivität zu nennen, wären diese ‚subjektiv- empirisch’ oder ‚empirisch – subjektiv’. – Es handelt sich also um stark verschiedene Arten von Gegebenheiten, die deshalb so oft so schwer zu unterscheiden sind, weil wir in unseren sprachlichen Prädikaten nur wenige Beispiele für unvermischt Objektives oder Subjektives vorfinden. Der Ausdruck „ein großes Haus“ betrifft sicherlich äußere, objektive Wirklichkeit, aber er beinhaltet nicht ausschließlich objektiv entscheidbaren Inhalt.

Die Debatte über subjektive Bewusstseinsinhalte wird in den letzten Jahrzehnten besonders mit Ausdrücken wie „Qualia“ und „phänomenales Bewusstsein“ geführt. Als Beispiele werden oft Farbempfindungen genannt.

Nachdem es sich in der Psychologie, besonders seit Freuds Psychoanalyse, als zweckmäßig erwiesen hat, Inhalte des subjektiven Bewusstsein zwar nicht pauschal, aber in ihrer einzelnen inhaltlichen Bestimmtheit, in Frage zu stellen, ist es schwierig geworden, unverfängliche Beispiele für subjektive Inhalte zu liefern. Wenn ich z.B. glaube, etwas Blaues zu sehen und auf Unbestreitbarkeit der subjektiven Empfindung poche, kann man dennoch einen Dialog mit der Frage in Gang bringen: „Glaubst du wirklich, etwas Blaues zu sehen? Oder vielleicht eher Violett? Oder vielleicht gar nichts Bestimmtes?“ Erst recht geht die Sache in’s Weite, wenn man Fragen stellt wie: „Glaubst du wirklich, dass diese Sache zu einem guten Ende kommen kann?“ „Bist du wirklich überzeugt davon, dass ...?“ Es gibt eigentlich keine eindeutigen Beispiele dafür, wo es Sinn macht, auf der Unbestreitbarkeit einzelner konkreter subjektiver Inhalte zu insistieren. In ‚normalen’, ‚unverfänglichen’ und unverkrampften Situationen ist Insistenz auf Unbestreitbarkeit subjektiver Inhalte kaum vorstellbar. „Glaubst du wirklich, die Sonne zu sehen und nicht den Mond?“ – Im Grunde geht es hier darum, die Aufmerksamkeit auf etwas zu richten und dann neu zu entscheiden, was es war; - es ist unwahrscheinlich, dass der Kontext in einem solchen Fall unvermischt subjektiv sein sollte; allein wg. Feststellung der Einzelbeschaffenheiten subjektiver Inhalte. – Es scheint mir außerhalb der cartesianischen Meditation keine alltäglichen Beispiele für unvermischte Subjektivität zu geben. [In einem alltäglichen Gespräch findet cartesianische Meditation dann statt, wenn wir zu der Feststellung gelangen, dass wir an die Existenz empirisch- objektiver Sachverhalte glauben, damit aber noch nichts über die Sache selbst gesagt ist.]

„Glaubtest du damals wirklich, dass ...?“ hat mit Erinnerung und Anknüpfung an äußere Wirklichkeiten zu tun. Fragen wie „was empfindest du jetzt? zielen zwangsläufig über den Inhalt des augenblicklichen subjektiven Zustands hinaus; „spricht die Seele, so spricht die Seele nicht mehr.“ Da rekonstruiert sie bereits.

„Hast du wirklich solche Schmerzen?“ frage ich einen Freund. „Empfindest du wirklich, was du zum Ausdruck bringst?“ „Fühlst du dich wirklich krank?“ „Empfinde ich wirklich, was ich zu empfinden glaube?“ „Aber was ist es eigentlich, das ich empfinde oder zu empfinden glaube?“ Diese Fragen beinhalten eine ganz sonderbare Problematik, die irgendwie auf Anhaltspunkte, Nachweislich- und Feststellbarkeiten hinauslaufen von etwas, das zugestandener Maßen als nicht nachweisbar, nicht objektiv feststellbar vorausgesetzt wurde. Hinreichend objektive Kriterien für zugestandener Maßen Nicht-Objektives kann es nicht geben, es sei denn, man folgt einem Konzept der Objektivität des Subjektiven. Lassen wir es an dieser Stelle damit bewenden, dass ich subjektiv so und so empfinden kann, ohne dass es anhand objektiver Evidenzen entscheidbar ist, was, wie und ob überhaupt. Objektiv unentscheidbar ist, ob es „in mir“ eine subjektive Wirklichkeit dieses oder jenes Inhalts gibt.