Vom inneren Ich des Bewusstseins

 

Das Wort „ich“, was bezeichnet es? Oft denjenigen, der spricht. In vielem Fällen ändert sich die Wahrheit einer Aussage nicht, wenn wir das Wort „ich“ ersetzen durch die Wendung „derje­nige, der spricht“. Es sagt jemand: „Ich war Anfang Juni dieses Jahres in Frankfurt.“ Dann ist die Aussage ebenfalls war: „Derjenige, der jetzt hier spricht, war Anfang Juni dieses Jahres in Frankfurt.“ – Durch „ich“, „jetzt“, „hier“ und „dieses Jahres“ verknüpft sich die Äu­ßerung mit dem Ereignis ihres Geschehens: „Derjenige, der diese Äußerung tätigte, indem er zum Zeit­punkt der Äußerung am Äußerungsort etwas sagte, war Anfang des Jahres, in wel­chem dieses Äußerungsereignis stattfand, in Frankfurt.“ – Die hinweisenden Ausdrücke funk­tio­nieren offenbar geschehensreflexiv bezüglich ihrer Äußerungsereignisse.

 

Ausnahme für die Ersetzung des „ich“ durch „derjenige, der spricht“ ist der Satz „ich spreche nicht“, der ja wahr sein kann. Hier würde die Ersetzung einen Widerspruch erzeugen. Also wird der Ausdruck „ich“ nicht in allen Fällen sinngleich mit der Wendung „derjenige, der spricht“ verwendet. – Also ist auch die Ersetzung von „hier und jetzt“ durch „am Ort und Zeitpunkt des Äußerungsereignisses“ nur in vielen Fällen „wahrheitsäquivalent“, nicht in al­len. „Hier und jetzt wird nicht gesprochen, sondern geschwiegen.“ Dieser Satz kann wahr sein. Er enthält keinen Widerspruch.

 

Sehr interessant ist die Unterscheidung von Subjektgebrauch und Objektgebrauch des Wortes „ich“. Sie findet sich bei W., in seinem nachgelassenen Blue Book. Erstaunlich ist dies des­halb, weil W. in seiner Schrift „Philosophische Untersuchungen“ mit Argumenten gegen die Möglichkeit einer privaten Sprache landläufige Auf­fassungen von unserer Subjektivität als privater Innenwelt hatte zurückweisen wollen. Dennoch brachte er im Blue Book die Un­ter­scheidung von Subjekt- und Objektgebrauch des Ausdrucks „ich“ in’s Spiel. Wenn ich glaube, etwas zu sehen, etwas zu empfinden, etwas wahrzunehmen usw., dann ist die entspre­chende Subjektivitätsbekundung [vermittelst Privatsprache oder ohne] bzw. das subjektive Innewerden mit dem „Subjektgebrauch“ des Ausdrucks „ich“ verbunden. Ver­mittelst „Sub­jektgebrauchs“ der Wendung „ich“ formu­liere ich subjektives Bewusstsein: „Ich empfinde Freude. Ich glaube zu wissen, dass …“ Hier ist der Irrtum der Verwechslung ausge­schlossen. Ich kann mich nicht irren in der Weise, dass da jemand dies oder jenes empfindet, nicht aber ich es bin, der dies tut.

 

Der Objektgebrauch von „ich“ tritt auf, wo die Irrtumsmöglichkeit bezüglich der Person be­steht. „Ich war einmal am Ort X.“ Ich kann mich täuschen. „Ich habe das und das bereits ge­tan.“ Ich kann mich täuschen: ein anderer hat es für mich getan, nicht ich selbst. Das ist Ob­jektgebrauch des Wortes „ich“. Eine Person wird hier von andern unterschie­den. Aussageprä­dikat und Aussagereferenz sind vor Irrtum nicht gefeit. Es besteht keine Irrtumsimmunität. Ödipus wusste, dass ein Verbrechen begangen worden war und sagte: „Nicht ich habe das Verbrechen begangen.“ Die anderen versuchten, ihm beizubringen: „Doch, du, hoher Herr!“

 

Der Satz „Ich spreche“, auch das stillschweigende Bewusstsein „ich schweige gerade still“, beruht m. E. auf Objektgebrauch von „ich“, weil etwas über die objektiv und tatsächlich be­stehende Außen­welt be­hauptet wird, bezüglich der man ja träumen kann. Ich spreche, nicht jemand anderer, die Person steht also tatsächlich zur Debatte. Das „rein“ subjek­tive Bewusst­sein „ich glaube, hier zu sitzen und stillzuschweigen“, beruht dagegen m. E. auf Subjekt­gebrauch, denn hier steht nicht die Identität einer Person zur Debatte. Und auch kein objekti­ves Kriterium für den Inhalt des Glaubens bzw. Für-wahr-haltens. Die Frage, wa­rum dieser und nicht jener, was seine Eigenschaften sind und woher man dies alles weiß, erhebt sich hier nicht.

 

Sonderproblem beim „Subjektgebrauch“: In der psychologischen Subjektivitätsbekundung „ich emp­finde das und das“ kann der Inhalt bzw. das Was [der Empfindung] durch Reflexion in Zwei­fel gezogen werden. Ich bin z. B. unzufrieden mit einer bestimmten Situation und empfinde Ärger darüber. Dann aber macht mir jemand klar, dass meine Unzu­frie­denheit und mein Ärger gar nicht „echt“ ist, sondern eine „Gefühlsmasche“, Manipula­ti­onsmethode o. dgl… Er sagt: „Du willst es doch eigentlich gar nicht anders haben, dein Ärger und deine Aufregung ist dir angenehm.“ Die „Arbeit“ in der psychoanalytischen Situation kann so etwas mit sich bringen. Es gibt m. E. trotzdem kein [zureichendes] objektives Kriterium für das Stattfinden einer subjek­tiven Empfindung. Das sagt natürlich nichts gegen die Möglichkeit, ver­mittelst von Besprechung und Deutung [subjektiver Erlebnis- und Empfindungsweisen] subjektive und objektive Veränderungsprozesse in Gang zu setzen. – Veränderun­gen der Art meines „In-der-Welt-seins“, besonders meines „Mit-seins“ mit anderen,. haben subjektive und objektive Komponenten. Es sind sehr viele „projektive Sichtweisen“ darin enthalten, welche zum Teil auf denjenigen, der sie „unachtsam“ hegt, nachteilig [„unheilsam“] zurückwirken. Es gibt allerdings auch Projektionen, welche positiv zurückwirken. Man kann sie sich, u. U. zum eigenen Vorteil, zueigen machen.

 

Was die Irrtumsimmunität des „ich“ beim Subjektgebrauch betrifft, so beruht sie darauf, dass der Ausdruck „ich“ hier weder identifizierend noch unterscheidend auftritt. Je­denfalls nicht in dem Sinne identifizierend oder unterscheidend, dass hier eine Person oder ein Etwas anhand eines charakteristischen Merkmals von anderen Personen oder „Objekten“ un­terschieden wird. Deshalb liegt die Behauptung nahe, der Subjektgebrauch von „ich“ sei ohne sachliche Referenz. Weil ich mich damit auf nichts Bestimmtes beziehe, kann ich mich auch nicht der­art irren, dass ich etwas dabei mit etwas anderem verwechsle, nämlich mich selbst mit einer anderen Person. Deshalb hat sich W., wie vor ihm schon G. Ch. Lichtenberg, für „es denkt“ anstatt für „ich denke“ ausgesprochen. Das „ich“ in der Subjektgebrauchsweise könnte ein Schein­subjekt darstellen wie das „es“ in „es regnet“. Grammatisch ist hier wohl ein Subjekt vorhan­den, aber realiter wird hier kein Akteur bezeichnet, der die Tätigkeit des Regnens voll­zieht. So könnte es auch beim Denken sein, verschärft lediglich um die Problematik, ob Den­ken ein subjektiver, objektiver oder geistiger Vorgang ist, oder überhaupt nichts dergleichen.

 

Ich halte den Vorschlag, das „ich“ in „ich denke“ als Scheinreferenz aufzufassen, nicht für erhellend. Es bleibt uns nämlich gleichermaßen die Frage, um welche Art von Vorgang es sich beim Denken [von etwas als etwas] handelt. – Falls es sich um einen Vorgang handelt. - Der Modus des Denkens selbst [von etwas als etwas] ist ein sonderbares Thema, das uns er­halten bleibt, auch wenn wir die Rede von „ich denke“ vermei­den. Die Rede vom Denken selbst bezüglich aller Denkbarkeiten bedeutet eigentlich nichts anderes als die Rede vom Subjekt möglicher Gedanken. Im ersten Fall geben wir einer Aus­drucksweise unter dem Ge­sichtspunkt „Modalität“ (Form und Inhalt) den Vorzug, im zweiten Fall einer Ausdrucksweise unter dem Gesichtspunkt der Relation. Im ersten Fall heißt es: „Das Denken hat einen Inhalt.“ Im zweiten Fall heißt es: „Das Denken bezieht sich auf et­was.“   

 

 Ich halte es nun für berechtigt, den Subjektgebrauch des „ich“ mit der Kantisch-Fichteschen Tradition des „nicht-empirischen“, „absoluten“, „unbedingten“ oder „reinen“ Ich in Verbin­dung zu bringen. Der Subjektgebrauch des „ich“ wäre demnach ein alltagssprachliches Zeug­nis dafür, dass die philosophische Rede vom Ich, trotz aller Bedenken, die von vielen vieler­orts bezüglich dieser „Sache“ geäußert worden sind, einen gängigen, im alltäglichen Sprechen manifesten Begriff oder doch zumindest Begriffsversuch repräsen­tiert. Einen Begriffsversuch be­züglich der Art meines und des typisch menschlichen Be­wusstseins überhaupt.

 

Kant behauptete: „Das „Ich denke“ kann alle meine Vorstellungen begleiten.“ – Genau ge­nommen sagte er: „muss begleiten können“, lässt man aber das „muss“ weg, wird ein be­stimmter Aspekt des „Sachverhalts“ vielleicht deutlicher. Ich kann an meinem Bewusstsein bzw. an meinem Denken „Form“ und „Inhalt“ unterscheiden. Alle Inhalte [meines Bewusst­seins] sind auf ein mögli­ches Bewusstsein [dieser Inhalte] bezogen. Die Möglichkeit des Be­wusstseins und die Mög­lichkeit des „Ich denke“ sind dasselbe.

 

Diese Möglichkeit ist ein for­maler Aspekt an meinem Be­wusstsein, den ich von inhaltlichen Aspekten oder inhaltlichen Bezügen unterscheide. Wo­von mein Den­ken das Denken ist, was sein In­halt ist, was sein Gegenstand oder Thema, dies sind inhaltliche Gesichtspunkte, die ich unter­scheiden kann von der „Form des Denkens überhaupt“, wenn ich über die Art meines Be­wusstseins nachdenke. Die Art meines Bewusstseins, sein Modus bzw. seine Form besteht in dieser all­gemeinen Ich-Zentrierung [auf die Möglichkeit des Be­wusstseins hin] aller Be­wusst­seinsin­halte. – Auf die Möglichkeit des „Ich denke“ hin [die Möglichkeit meines Be­wusstseins schlechthin] ist alles inhaltlich Bewusste zentriert. Nicht auf die effektive Auf­merksam­keit bezüglich dieser Bewusstseinsfähigkeit, sondern lediglich auf die potentielle Aufmerk­samkeit darauf. Dieser besondere, potentielle Fokus meiner Aufmerksamkeit, ist das innere Ich mei­nes Bewusst­seins.

 

Man kann auch sagen: „das innere Licht oder Be­leuchtungsvermögen.“ Analog der Rede von Form und Inhalt kann man von einer Fähig­keit des Beleuchtens und der Möglichkeit des Be­leuchtet-werdens sprechen. Die Lichtmetapher wurde seit alters her beim Nachdenken über das Phänomen des Bewusstseins benutzt. Man darf allerdings daran erinnern, dass Lichtaus­breitung, Lichtdispersion und Lichtreflexion objektive physikalische Phänomene sind. Beim Denken und Bewusstsein dagegen macht uns der empirisch objektive Naturalismus gewisse Probleme, auf die wir zu sprechen kommen werden.

 

Wenn wir also von der prinzipiellen Fähigkeit des Bewusstseins mit Bezug auf irgendwelche Inhalte des Bewusstseins sprechen, be­deutet das nicht mehr, als dass ich über alles nachden­ken und reden kann. Die Möglichkeit einer Thematisierung aller Themen. Prinzipiell, nicht faktisch. Dieser Aspekt ist so universell, dass er nur das Denken des schlechthin Undenkbaren ausschließt, z. B. eine schlechthin undenkbare Begriffsverbindung oder in unserem Falle das Denken von etwas, das zwar einen Inhalt hätte, aber kein Denken wäre:

 

Dann „würde etwas in mir vorgestellt werden, war gar nicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein.“ [K. r. V.. § 16]

 

Auch bezüglich kaum bewusster und unbewusster Denk- und Verhaltensweisen besteht m. E. zumindest noch die prinzipielle Fähigkeit der bezugnehmenden Thematisierung.

 

Bei der Rede von Form und Inhalt des Bewusstseins handelt es sich also um „Reflexionsbe­griffe“ bezüglich des Bewusstseins selbst. Ich unterscheide an meinem Bewusstsein etwas, das [wechselnder] Inhalt des Bewusstseins ist, von der Möglichkeit des Bewusstseins über­haupt, welche [als absolute Inhaltslosigkeit] immer dieselbe ist. Trotz dieser „Dieselbigkeit“ [Iden­tität] gibt es keine Reidentifikation des „Bewusstseins über­haupt“ in unterschiedlichen Be­wusstseinsinhalten. Warum? Wegen der völligen Inhaltsleere des „reinen“ Bewusstseins. Diese „Form des Bewusstseins“ thematisiere ich derart, dass ich sage: „wenn ihr von allem möglichen Inhalt des Bewusstseins abstrahiert [abseht], …“, „wenn ihr von allen mög­lichen The­men abseht, ...“ Deshalb dürfen wir die Frage der Reidentifika­tion des Ich als dies oder jenes im Unterschied zu diesem oder jenem anderen Ich nicht stel­len. Diese Frage ver­stößt gegen die „Denkrezeptur“ des reinen Bewusstseins. Wir wollten doch absehen von al­lem In­halt oder thematischen Bezug. Von allem möglichen Inhalt, nicht nur von diesem oder jenem bestimmten Inhalt, nicht nur vom gerade gegenwärtigen Inhalt. Auf dieser ununter­scheidbaren Inhaltslosigkeit des Bewusst­seins überhaupt möchten wir beharren. Diese In­haltslosigkeit ist dasselbe wie das, wovon ich nicht den­kend abstrahieren kann, weil ich es voraussetze, so­lange ich denke. Diese Art von gedachtem Ich ist kein Teil der Wirklich­keit, weder physisch, noch psychisch, noch geistig. Dieses Ich ist absolute Inhaltsleere [des Den­kens überhaupt]. Gemäß seiner Denkre­zeptur.

 

Wenn ich Vorstellungen und Auffassungen bezüglich meiner selbst im Unterschied zu ande­ren Menschen entwickle, dann entspricht dies nicht dem Begriffsversuch des reinen Bewusst­seins als der bloßen Fähigkeit des Denkens im Unterschied zu allen möglichen Inhalten. Ich müsste ja anhand eines Merkmals einen Unterschied denken zwischen mir selbst und anderen Personen. Das reine Ich als Form des Bewusstseins aber sieht ab von allen inhaltlichen Merkmalen, wodurch ich mich von anderen Personen unterscheiden könnte.

 

Wir verfügen über die Denkrezeptur des reinen Ich, sind dadurch aber nicht bewusstseinsmä­ßig auf eine geistige Welt bezogen. „Bezogen“ jedenfalls nicht im Sinne tatsächlicher Refe­renz, gegenständlicher Wahrheit oder erkennbarer Wirklichkeit. Wir können zwar limitativ und ex negativo rein geistige Entitäten denken und davon sprechen, z. B. als nicht-körperlich, nicht-psychisch usw.. Aber wir können nicht sagen, wir seien dadurch auf eine geistige Wirk­lichkeit bezogen, weil wir ja nicht wissen, ob eine geistige Wirklichkeit existiert. Wir kön­nen auch das reine Ich nicht als geistige Wirklichkeit an­sehen, denn eine geistige Wirklichkeit wäre auch etwas Denkbares bezüglich des Denkens selbst. Das Ich ist auch kein Teil einer denkbaren geistigen Wirklichkeit, sondern die absolute In­haltsleere der Denkfähigkeit selbst. Das reine Ich setzt auch alle Arten von abstrakter oder geistiger Entität beiseite. Es ist kein richtiges Etwas, weil es in der Sonderungsfähigkeit von Form und Inhalt des Denkens besteht. Es ist also nicht so, dass wir durch das Ich-Bewusstsein wüssten, dass wir geistige Wesen sind. Wir haben dadurch zwar ein Bewusstsein von Bewusstseinsfähigkeit, diese Bewusst­seinsfähigkeit aber ist inhaltsleer und kann deshalb nicht als vollgültiges Etwas angesehen werden.

 

Descartes sagte: „ich denke, also bin ich“, bzw. „denkend bin ich“. Er beanspruchte für das Ich die Eigenschaft, eine Substanz, d. i. ein beharrliches Etwas zu sein. Wir sagen etwas vor­sichtiger: „ich denke, und das beinhaltet die Fähigkeit des Denkens“ Das Dass der von Des­cartes ausgesagten Existenz ist nichts anderes als die Existenz einer vorausgesetzten Fähig­keit. Und zwar nicht die Fähigkeit im Sinne einer empirisch objektiven Eigenschaft ei­nes biologischen Organismus, sondern im Sinne des Modus des Bewusstseins überhaupt be­züg­lich irgendwelcher subjektiver oder objektiver Bewusstseinsinhalte. Die „Möglichkeit des Denkens überhaupt“ ist also „subjektive“ Fähigkeit im Sinne einer nicht-physischen und nicht-psychischen Modalität. „Nicht-physisch“ und „nicht-psychisch“ wegen der limitativen, ex-negativo-Denkrezeptur, wegen der Rezeptur des „Weg-Sehens-von“. Nicht wegen dem Charakter des Hinsehens auf hyperphysische und hyperpsychische Entitäten, von denen wir vermutlich gar nichts wissen können. – Descartes allerdings beanspruchte für seine res cogi­tans den Status einer metaphysischen Entität, die wir denkend zu erfassen vermögen.

 

Die Form einer körperlichen Sache kann als Gestalt und Modus des Gegebenseins ihres In­halts betrachtet werden. Eine Statue z. B. hat die Form einer schönen Frau. Ihr Inhalt oder das Material, woraus die Statue besteht, ist z. B. Bronze. Die Statue ist innerlich massiv oder mehr oder weniger hohl. Die Form aller möglichen Bewusstseins­inhalte ist  keine körperliche Gestalt, sondern die mit allen Be­wussteinsinhalten verbundene Bewusstseinsfähigkeit, das innere Ich des Bewusstseins. Dasjenige, ohne welches keine Bewussteinsinhalte als Bewusst­seinsinhalte denkbar sind. Diese Form ist keine körperliche, psychische oder geistige Forma­tion oder Struktur, sondern körperlich, psychisch und geistige Nicht-Gestalt, die reine Mög­lichkeit der Verge­genständlichung oder Thematisierung irgendwelcher Inhalte. Ein reines Distanzierungs- oder Vergegenständlichungsvermögen. Gleichgültig wovon: physisch, psy­chisch oder geistig abstakt. Die reine Potentialität der Verge­genständlichung und Distanzie­rung. Diese Fähigkeit für sich selbst herausgestellt, ist das innere Ich. – Und man kann nur über diese Fähigkeit reflektieren, indem man sie selbst voraus­setzt.

 

Die systematische Flüchtigkeit des Ich, von der Gilbert Ryle so treffend spricht, als er uns erklärt, dass jede Rezension wiederum zum Thema einer anderen Rezension werden kann, ist Modus unseres Bewusstseins und damit das innere Ich selbst. – Diese bewusstseinsinnere Sonderungsfä­higkeit allen Bewusstseins in denkbaren Inhalt und Denken selbst [des denkba­ren Inhalts] ist das innere Ich. - Nicht die dritte, vierte oder fünfte Reflexi­onsstufe führt uns auf einen eigentlichen Ich-Kern unseres Bewusstseins, indem wir von einer Objektsprache zu immer höheren Metaspra­chen aufsteigen. Wir können vielmehr bezüglich der Möglichkeit des Bewusstseins überhaupt sagen, dass uns da etwas bewusst werden muss und dass wir ein Denken selbst bezüglich der Denkinhalte von den Denkinhal­ten unterschei­den können.

 

Das systematisch flüchtige Ich ist also gewissermaßen gar nicht flüchtig. So wenig wie es eine höchste Zahl, so wenig gibt es eine Metasprache höchster Stufe. Aber das Prinzip des Fortschreitens ist durchaus benennbar. Bei endloser Geduld der Verleger können wir jede Rezension wiederum rezensieren. Das entspricht der Form des Bewussteins. Wie wir über ein Thema geredet haben, darüber können wir wiederum reden. Es ist nicht die Fiktion einer höchsten Meta-Stufe des Redens, die uns hier in den Himmel der Abstraktion hinaufzieht, sondern die Fähigkeit, bezüglich gegebener Bewusstseinsinhalte Form und Inhalt zu themati­sieren. Das ist ein eigenartiger Grundzug des Denkens selbst. Ein Denken selbst ohne Denk­bares ist ebenso wenig denkbar wie ein Denkbares, das nicht der Inhalt eines Denkens wäre. So kann man die Rede erläutern: „kein Subjekt ohne Objekt, kein Objekt ohne Subjekt.“ We­der Subjekt noch Objekt sind hier gegenständliche, tatsächliche Realitäten. Wir stehen hier nämlich bei Fragen der „bloßen“ Denkbarkeit und noch nicht bei Fragen des tatsächlichen Existierens.

 

Man kann auch sagen: „Wir werden uns des Bewusstseins selbst bezüglich aller Bewusst­seinsinhalte als Voraussetzung bewusst.“ – Aber es gilt, den Gesichtspunkt der absoluten In­haltsleere festzuhalten. Er verwehrt es uns, vom „Dass“ oder „Was“ einer erkannten oder auch nur gedachten Wirklichkeit zu sprechen. Dafür werde ich den paradoxen Ausdruck wählen: „Das innere Ich des Bewusstseins ist ein Etwas, das kein Etwas ist.“

 

Die Fähigkeit, über das Denken nachzudenken, und die Fähigkeit, überhaupt über etwas nachzudenken, ist dasselbe. Sie besteht einfach in der bewusstseinsmäßigen Fähigkeit einer thematisch, gegen­ständlichen Bezugnahme.

 

Die Möglichkeit der Unterscheidung des Denkens oder Bewusstseins selbst von jedem mögli­chen Bewusstseinsinhalt, auch in etwaiger Reflexion auf die eigene Bewusstseinsfähigkeit, ist Modus und Weise unseres Denkens. – Was in [oder an] unserem Bewusstsein immer ist, und deshalb Subjekt oder Form des Bewusstseins, ist allein die prinzipielle und beständige Fähig­keit dieser Sonderung [in Form und Inhalt]. Auch das Nachdenken über das Bewusstsein ist ein Denken, auch hierfür besteht diese Sonderungsfähigkeit, die das Subjekt selbst ist. Die Fähigkeit der Unterscheidung in Form und Inhalt ist Form und prinzipielle Weise des Be­wusstseins. – Das klingt befremdlich und zirkelhaft. Aber die Fähigkeit des Denkens [bzw. Bewusstseins] setzen wir immer voraus, auch wenn wir an unserem Bewusstsein unterschei­den, was Form und Inhalt [Gegenstand, Thema] [unseres Bewusstseins] ist. Diese Sonde­rungsfähigkeit ist unum­gänglich vorauszusetzen, wenn man über etwas nachdenken kann. Diese Sonderungsfähigkeit ist das innere Ich. Nicht: „diese Fähigkeit hat das innere Ich.“

 

Es besteht also die Möglichkeit, von Form und Inhalt des Bewusstseins zu sprechen und da­durch den Gesichtspunkt der Modalität „meines“ Bewusstseins zur Geltung zu bringen, indem man [denkend] über das Denken nachdenkt. – Der Philosoph des „Bewusstseins überhaupt“ ist Denker des Denkens. - Man kann den „Sachverhalt“ von Form und Inhalt des Bewusst­seins auch unter dem Gesichtpunkt einer Relation zum Ausdruck bringen: ich unterscheide an meinem Bewusstsein Subjekt und Objekt. Derart dass für mein Bewusstsein eine gewisse Art von In­tentionalität gilt. Ich denke „etwas“. Etwas von etwas, etwas bezüglich etwas u. dgl.. Die Frage, ob wahr oder falsch, lassen wir hier beiseite, sie führt zu Fragen der Referenz und des tatsächlichen Gegebenseins. Auch wenn ich diese Frage beiseite lasse, kann ich das „reine“ Subjekt von „Inhalt“ und „intentionalem“ Bezug „meines“ Bewusstseins oder Den­kens unter­scheiden. Von der Subjekt-Objekt-Relation des Bewussteins zu sprechen, bedeutet also nicht mehr, als von einer gewissen Art der Intentionalität des Bewusstseins zu sprechen. Ich kann etwas, worüber ich nachdenke oder reflektiere, unterscheiden von der „Tatsache“, dass ich es bin, der da nachdenkt. „Ich“ hier aber im Sinne des unhintergehbaren Ich-Kerns meines Be­wusstseins, dieser bloßen Möglichkeit des Bewusstseins überhaupt. Diese Fähigkeit allein ist so unaufgebbar, dass ich sie mit dem inneren Ich gleichsetzen muss. Ich darf diese Fähigkeit dann nicht einem körperlichen oder psychischen Wesen zuordnen und sagen, das körperliche oder psychische Wesen sei das eigentliche Ich. Davon wollte ich abstrahieren. Wovon ich nicht abstrahieren kann, das allein ist das „absolute“ Subjekt.

 

Unzählige Diskussionen über die Subjekt-Objekt-Relation des Bewussteins wurden auf fal­scher Grundlage geführt. Man machte das innere Ich des Bewusstseins zu einem physischen, psychischen oder geistigen Wesen und vergaß die Denkrezeptur: „Wenn ich von allen mögli­chen physi­schen, psychischen und geistigen Inhalten abstrahiere [absehe], …“ Was dann noch bleibt, nach dem Motto: „ein Loch ist da, wo nichts ist“, das ist das absolute Subjekt oder in­nere Ich. Ich habe mich deshalb entschlossen zu sagen: „Das innere Ich ist ein Etwas, das kein Etwas ist.“ Es ist ein Etwas ganz besonderer Art. Kein Teil einer physischen, psychischen oder geistigen Wirk­lichkeit, weil man von alle dem einmal absehen wollte. Die Fähigkeit die­ses Absehens, dieses gewaltige Distanzierungs- und Abstraktionsvermögen bezüglich aller Inhalte des Bewusst­seins ist ein eigenartiger Zug des menschlichen Bewusstseins. Dieser ei­genartige Zug ist ge­nau der Modus selbst des Bewussteins, oder das absolute Subjekt, oder das Denken selbst usw..

 

Unter dem Gesichtpunkt der Modalität des Bewusstseins unterscheiden wir Form und Inhalt. Unter dem Gesichtpunkt der Relation des Bewusstseins unterscheiden wir Subjekt und Ob­jekt. Es sind Worte, die immer denselben „Sachverhalt“ aus leicht verschobener Fragestellung zur Geltung bringen. Wie ist es unter dem Gesichtpunkten von Quantität und Qualität?

 

Die Quantität betrifft die Frage „wie viel?“ „Eines oder vieles?“ Das innere Ich des Bewusst­seins ist nur eines. Warum? Es kann nur eines sein. Gemäß der Rezeptur seiner Denk­barkeit. „Wenn wir von allem möglichen Inhalt unseres Denkens abstrahieren, …“. Dann ha­ben wir eben absolute Inhalts- und Themenlosigkeit und können höchstens sagen, das sei ein Thema ganz besonderer Art. Das Denken selbst in allen Denkbarkeiten, als absolute Inhaltslo­sigkeit bezüglich aller möglichen Inhalte angesetzt, ist ein Singular. Man könnte höchstens argwöh­nen, zu verschiedenen Zeiten sei es ein anderes Denken von Denkbarem und insofern müssten wir das Denken selbst dieser Inhalte zu verschiedenen Zeiten reidentifizieren. Damit aber ha­ben wir schon wieder gegen die Rezeptur verstoßen. Wir wollten doch von allen zeit­lich wie­derkehrenden oder nicht-wiederkehrenden, sowie überhaupt von allen Inhalten abstra­hieren. Wir wollten allein den Gesichtspunkt des Bewusstseins selbst all dieser Inhalte zur Geltung bringen. Durch die Forderung absoluter Inhaltslosigkeit dürfen wir dann diese abso­lute Leere nicht gegenständlich reidentifizieren. So als ob es Merkmale dieser Inhaltslosigkeit gäbe, die einmal gege­ben sind und dann wieder nicht. Ich wollte ja von allem möglichen In­halt meines Bewusstseins abstrahieren, nicht nur vom gerade gegenwärtigen. Nur, was dann bleibt, ist absolutes Subjekt. – Das modale Argument ist also entscheidend: Ich kann an mei­nem Be­wusstsein etwas von allem möglichen Inhalt unterscheiden. Denkend kann ich das Denken selbst von seinem Inhalt sondern und eine inhaltsleere Aussage über das Denken selbst ma­chen. Bezogen auf die bloße Möglichkeit des Denkens überhaupt.

 

Was sich in unserem Denken voneinander unterscheiden kann, sind Inhalte des Denkens, ver­schiedene Denkbarkeiten. Be­züglich der Inhalte haben wir die Frage „Eines oder Vieles?“ Das Denken selbst von Denkba­rem bezieht sich auf vielerlei Denkbarkeiten. Die Fähigkeit selbst des Denkens all dieser Denkbarkeiten ist absolute Inhaltsleere. Diese Inhaltsleere, die Form oder auch Subjekt des Bewusstseins genannt werden kann, ist das innere Ich des Be­wusst­seins.

 

Nun zu dem Gesichtspunkt der Qualität. „Einerlei Beschaffenheit oder aus vielerlei Beschaf­fenheiten zusammengesetzt?“ ist hier die Frage. Da wir auf das Denken selbst in allen Denk­barkeiten zielen, unabhängig von allen physischen, psychischen und geistigen Angelegenhei­ten, über die man nachdenken kann, ist die Antwort klar. Die absolute Inhaltsleere ist nicht aus einzelnen, verschiedenen Leerheiten zusammengesetzt, sondern qualitative Einheit. Man kann sagen: Sie besitzt die Qualität völliger Qualitätenlosigkeit, weil wir ja von allem, was Qualität von irgendetwas sein könnte abstrahieren wollten. Das Denken selbst in allem Denk­baren bezieht sich auf vielerlei Denkbares von aller möglichen denkbaren Beschaffenheit. Es selbst ist ein Etwas von der Beschaffenheit völliger Beschaffenheitslosigkeit. Warum? Weil wir doch von allem, von Quantitäten und Qualitäten, abstrahieren wollten.

 

Zurück noch einmal zur Formulierung: „etwas, das kein etwas ist.“ Wenn ich also über mein Bewusstsein nachdenke und auf seine Form reflektiere, sage ich: „Da lässt sich etwas vom Inhalt unterscheiden.“ – Also thematisiere ich einen Inhalt absoluter Inhaltslosigkeit. – Dies ist der Modus. – Nun die Relation: Ich reflektiere auf das Thema absoluter Gegenstandslosig­keit. Ich habe den Gegenstand völliger Gegenstandslosigkeit, die Substanz völliger Sub­stanzlosigkeit. – Nun Quantität und Qualität: Die Quantität völliger Nicht-Vielheit und die Qualität völliger Beschaffenheitslosigkeit. – Quantitativ und qualitativ ist das innere Ich eines und einerlei, nicht vieles und vielerlei, weil wir eben von aller Quantität und Qualität, die et­was haben könnte, abstrahieren. Von allen Bestimmungen muss das innere Ich, weil es bloße Form des Bewusstseins ist, limitativ und ex negativo abgegrenzt werden. „Sage mir etwas vom inneren Ich und ich sage dir, dass es wegen seiner inhaltslosen Art dies nicht sein kann.“ Es ist die Fähigkeit des Hinausseins darüber, ein Sonderungs- und Distanzierungsver­mögen.

 

Es gibt also eine weitgehende Parallele zwischen dem der Subjektgebrauchsweise des Wortes „ich“ und dem „logischen Ich“ Kants. Gemäß der Subjektgebrauchsweise unterscheidet sich das innere Ich verschiedener Menschen nicht voneinander, weil diese Gebrauchsweise keine Personenidentifikation beinhaltet. Unterschiedliche Personen sind wir, insofern wir verschie­dene psychologische Subjektivitäten und verschiedene Körper besitzen. Dem inneren Kern des Bewusstseins gemäß ist unser aller Bewusstseinsfähigkeit durch ihre absolute Inhaltsleere ununterscheidbar dieselbe. Etwas, das eigentlich kein Etwas ist. Die Subjektgebrauchsweise des „ich“ ist immun gegenüber dem Irrtum durch Fehlidentifikation. Das entspricht dem Notwendigkeitscharakter bezüglich der Voraussetzung „meiner“ Bewusstseinsfähigkeit. „Dass“ und „was“ [Beschaffenheit] des Denkens selbst in allem Bewusstsein sind als „Dass“ und „Was“ eines unumgänglichen Denkbarkeitsmodus meines Bewusstseins bezüglich aller bewusstseinsfähigen Inhalte anzusetzen. Und es wird klar, warum Ausdrucksweisen wie „ich bin ein Subjekt“, „ich bin ein Ich“, „ich habe Bewusstseinsfähigkeit“ etwas Schiefes haben. Weil hier „vergegenständlichende“ Reden von etwas auftreten, das eigentlich kein Etwas ist. Man kann vom inneren Ich sprechen, aber es ist ein Gegenstand besonderer Art.

 

Zusätze: Es soll nicht behauptet werden, wir könnten denkend oder betrachtend hinter den Rücken des Bewusstseins gelangen, um dem inneren Ich gleichsam von hinten über die Schulter bei der Denkarbeit zuzusehen. Einen Vorwurf in dieser Art machte Schopenhauer Fichte gegenüber, nachdem er diesen gehört hatte. – Schopenhauer hörte Fichte 1811 in Ber­lin. - Wir werden denkend einer bestimmten „inneren“ Voraussetzung des Denkens inne. Es kommt zu einer Aussage über die Fähigkeit des Denkens selbst, die wahr ist allein aufgrund der Fähigkeit des Denkens selbst. Wichtig ist hier, Miss­verständnisse bezüglich dieser vorzu­setzenden Fähigkeit abzuhalten. Es geht lediglich um den Gehalt der freischwebenden [lo­gisch-apodiktischen] Evidenz bezüglich des möglichen Bewusstseins überhaupt [in bezug auf alle möglichen Bewusstseinsinhalte]. Dieser Gehalt ist formal und absolut inhalts­leer, denn er ergibt sich aus der Möglichkeit, eine Form des Bewusstseins vom Inhalt [des Bewusstseins] zu unterscheiden.

 

Diese Reflexionen sind selbst ein Denken und setzen selbst die allgemeine Denkfähigkeit voraus. Im besten Falle, wenn diese Reflexionen gelingen, ge­lingt es uns, gewisser sehr all­gemeiner Voraussetzungen, die mit der Denkfähigkeit überhaupt gemacht werden, inne zu werden. Sie betreffen die „Tatsache“, dass das Denken alle Denkinhalte begleiten kann. Sie betreffen m. E. die weitergehende „Tatsache“, dass wir von einer begrifflichen und urteilsmä­ßigen Beschaffenheit [Form] unseres Denkens ausgehen müssen. Materielle und psychische Voraussetzungen des Bewusstseins, die ich nicht leugne, sind nicht unter diese Art von mo­dalen Voraussetzungen zu rechnen. Man kann sagen, einige sind „innere“, andere „äußere“ Voraussetzungen.

 

Ich halte es z. B. nicht für „möglich“, über etwas nachzudenken, ohne im Besitz eines Gehirns zu sein und ohne gewisse subjektive Empfindungen zu haben. Dies gilt auch für das Nach­denken über die allgemeine „Möglichkeit des Bewusstseins“. Die Wendung „es ist möglich, dass …“ wird hier vieldeutig. Ich kann von der physikalischen Möglichkeit des Bewusstseins sprechen. Wären die Naturkonstanten z. B. geringfügig anders, könnte ich nicht hier sitzen und in Büchern lesen. Ich kann von der biologischen Möglichkeit des Bewusstseins sprechen. Hätte es keine Evolution der Lebensformen gegeben, würde ich auch nicht hier sitzen und über das Bewusstsein nachdenken. Ich kann von der psychologischen Möglichkeit des Be­wusstseins sprechen. Hätte ich keine subjektiven Empfindungen, könnte ich mir wahrschein­lich auch keiner Gedankeninhalte bewusst werden. Ich kann von der soziologischen Möglich­keit des Bewusstseins sprechen. Ohne gesellschaftliche Arbeitsteilung hätte sich keine Reli­gion, keine Literatur, keine Philosophie usw. entwickeln können. Ich kann, last but not least, von der sprachlichen Möglichkeit des Bewusstseins sprechen. Ohne Sprache und entspre­chende stimmliche und schriftliche Verlautbarungs- und Darstellungsmittel könnten wir we­der über das Phänomen des Bewusstseins sprechen noch darüber nachdenken. Die Verbin­dung von Sprache und Bewusstsein ist so eng, dass man sowohl hinsichtlich der Sprache als auch des Bewusstseins von einer „Unhintergehbarkeit“ sprechen kann. Wir können über kein Thema [„bewusstseinsmäßig“] nachdenken, ohne auch darüber zu sprechen oder zu schreiben. Es ist deshalb sehr zweckmäßig und erhellend gewesen, einen linguistic turn in die Philoso­phie einzuführen. Aussagen über die „Natur“ und „Logik“ des Denkens kann man zum Teil an­hand eines Studiums der Beschaffenheit unserer sprachlichen Ausdrucksmittel treffen. Wir reden dann von Syntax und Semantik irgendwelcher Sprachausdrücke. Diese läuft allerdings nur zum Teil der Rede von Form und Inhalt des Bewussteins parallel. Die Syntax einer Spra­che ist zunächst ein konventionelles, objektiv gegebenes Regelwerk, Sprache ein System von Zeichen mit Regeln der Verwendung dieser Zeichen. Gegeben sind diese Regeln durch die faktische Existenz der Konvention ihrer Verwendung. Die „Logik“ des Bewusstseins, Not­wendigkeit der Denkform usw., zielt dagegen auf überkonventionelle und überhistorische „innere“ Notwendigkeiten des Bewusstseins selbst, obwohl sich entsprechende Erörterungen zugegebener Maßen leicht in Missverständnisse und ausufernde Diskussionen verstricken.

 

Man sieht, die Sprache hat kein eigenes Wort für den allgemeinen Modus des Bewusstseins, diesen prinzipiellen Denkbarkeitsmodus unabhängig von subjektiven und objektiven Gege­benheiten. Also ist klar, dass unsere Tendenz zur Vergegenständlichung, die sogar der „Na­tur“ des Bewusstseins entstammt, subjektive oder objektive Vergegenständlichungen vor­nehmen wird. Man kann ja auch mit Recht z. B. von einer sozialpsychologischen Dimension des menschlichen Bewusstseins sprechen und fruchtbare Untersuchungen auf diesem Feld beginnen.

 

Man könnte sagen: das ungegenständliche Ich ist der logische Modus des Bewusstseins. „Lo­gisch“ im Sinne einer modalen Wendung von „denkbar“. Beim Wort „denkbar“ treffen wir aber genau auf die geschilderte Mehrdeutigkeit. Und das Wort „logisch“ fordert ebenfalls zu Rückfragen nach der Art dieses Logischen heraus. – Aber richtig wäre es m E. dennoch, vom logischen Wesen des Bewusstseins zu sprechen. Die Möglichkeit des Denkens überhaupt be­züglich irgendwelcher Inhalte, das wäre demnach „logische Form des Bewusstseins“.

 

Man kann auch vorschlagen, den nicht-empirischen Charakter der „Möglichkeit des Denkens“ dem psychologisch-subjektiven Denkbewusstsein sowie der empirisch objektiven natur-wis­senschaftlichen „Möglichkeit“ entgegenzusetzen. Hier lauert dann das Missverständnis von der notwendig zu denkenden Existenz einer nicht-empirischen, metaphysischen Entität. Als seien wir im „reinen“ Denken auf eine geistige Dimension unseres Daseins bezogen.

 

Unterscheidungen dieser Arten von „Möglichkeit“ müssen sorgsam eingeübt werden, denn es liegt in der Natur unseres Bewusstseins, fast alles, wovon wir reden, materiell oder subjektiv psychologisch zu vergegenständlichen. Es gilt aber, sich klarzumachen, dass wir nichts als subjektiv oder ob­jektiv gegeben annehmen können, ohne eine entsprechende Denkbarkeit als subjektiv oder objektiv gültig anzusetzen. Diese Bewusstseinsbindung [irgendwelcher In­halte] führt uns so­zusagen zu einem Idealismus der Denkbarkeit, obwohl wir an subjektive und objektive Gege­benheiten glauben. Wir sagen nicht „esse est percipi“ o. dgl., aber wir be­stehen darauf, dass auch die materielle Existenz harter Steine etwas Denkbares darstellt und dass wir entspre­chende Aussagen für wahr halten müs­sen, um von ihrer Wirklichkeit auszu­gehen. Eine [ob­jektsprachliche] Behauptung über die materielle Wirklichkeit [„so ist es“] ist immer äquiva­lent mit einer [metasprachlichen] Behauptung über die Wahrheit einer entspre­chenden Aus­sage [„Aussage X ist wahr.“]. Derart zählen auch materielle Sachverhalte unter die Denkbar­keiten, obwohl sie sicherlich mehr darstellen als „bloße“ Denkbarkeiten.

 

Berkeleys „esse est percipi“ behauptet die Übersetzbarkeit sämtlicher materieller Wirklich­keitsbehauptungen in ein Sprechen über subjektive Wahrnehmungsinhalte. Der hier vorge­schlagene Ansatz bei der Denkbarkeit und dem Bewusstsein überhaupt sagt lediglich: „Auch das materielle Bestehen ist etwas Denkbares.“ Wir sagen nicht: „lediglich etwas Denkbares.“ Es geht uns einzig und allein um die Bindung von Wirklichkeitsbehauptungen an Denkbar­keiten. Diese Art von „Idealismus“ ist m. E. bescheidener und mehr selbstverständlich als Berkeleys Übersetzungsprogramm. Wir sehen lediglich eine strenge Verbindung von Wirk­lichkeitsbehauptungen mit Behauptungen von entsprechenden Aussagewahrheiten.

 

Es ist interessant zu bemerken, dass auch das innere Ich des Bewussteins mehr darstellt, als eine bloße Denkbarkeit. Da ist die allgemeine Fähigkeit des Denkens überhaupt, die sich mit allen möglichen Denkinhalten verbinden kann. Es handelt sich um die Notwendigkeit einer bestehenden Möglichkeit: Die Möglichkeit des Denkens bezieht sich notwendiger Weise auf alles mögliche Denkbare, „das ‚Ich denke’ muss alle meine Vorstellungen begleiten können.“ Schwierig ist an diesen Äußerungen die Art und Häufung von Aussagemodalitäten: Die „be­stehende“ Notwendigkeit der Möglichkeit des Ich-Denkens behauptet nicht mehr als Denk­barkeit über­haupt bezüglich irgendwelcher Denkinhalte. Es handelt sich um logische Wahr­heit, die von allem Inhalt des Denkens absieht. Das „ich“, das hier auftritt, ist deshalb nur scheinbar ein Teil der Wirklichkeit. Es ist „lediglich“ [bzw. immerhin] ein prinzipielles Ver­mögen, bzw. eine prinzipielle Fähigkeit oder Potentialität des Denkens und kein Etwas sub­jektiver, objek­tiver, geistiger oder metaphysischer Art. – Und gewisse Äußerungen, welche die Denkbarkeit überhaupt von Inhalten betreffen, also die „allgemeine“ und „notwendige“ „Form“ selbst meines Bewusstseins, sind nach dieser Konzeption „logisch wahr“, also wahr aufgrund der (allgemeinen und prinzipiellen) Möglichkeit des Bewusstseins allein. Der Satz „ich existiere“ ist also in einer bestimmten  Bedeutung logisch wahr: wenn man das „ich“ im Sinne des inneren Ich des Bewusstseins nimmt, welches nichts anderes ist die allge­meine Möglichkeit des Denkens bezüglich irgendwelcher Denkbarkeiten. Es ist zwangsläufig, dass es hier Verwirrung gibt: Modalitätenzauber bezüglich der „Existenz“ bzw. des „Beste­hens“ von Möglichkeiten, Subjekt- und Objektgebrauchsweise des Wortes „ich“. Das reicht für jahrhundertelange Endlosdiskussionen.

 

Weil man diese Dinge nicht erkannt hat, gibt es auch endlose Missverständnisse in der Kant-Re­zeption. Alle zentralen Begriffe dieser Betrachtungen sind mehrdeutig. Die der Modalitäten „möglich“, „denkbar“, „notwendig“, die des „ich“, die des „Logischen“, des „Bewusstseins“.

 

Weiterer Zusatz: Das Ich ist ein Etwas, das eigentlich kein Etwas ist. Eigentlich ist es kein bestehendes Etwas, sondern nur die prinzipielle Fähigkeit des Denkens überhaupt. Es kann nur in Verbindung mit einem Inhalt des Bewussteins auftreten, obwohl wir versuchen, es für sich selbst als „Form des Bewusstseins“ zu bezeichnen. Deshalb ergibt sich folgender schwie­riger Punkt: Das innere Ich hat etwas mit Abstraktion zu tun und ist doch keine Ab­straktion. Dieser Punkt hat philosophiegeschichtlich einen Niederschlag in der Diskussion Reinhold-Fichte erhalten, denn Fichte hatte als erster erkannt und deutlich hervorgehoben, dass das Merkmal der Denkbarkeit an unseren Denk- bzw. Bewusstseinsinhalten kein abstrahiertes Merkmal dieser Inhalte darstellt. Wir setzen den Charakter der Denkbarkeit bezüglich aller möglichen Be­wussteinsinhalte vielmehr prinzipiell voraus, also ist dieser Charakter [dieses Gepräge, diese Beschaffenheit] kein aus gegebenen Inhalten abgesonderter allgemeiner Inhalt im Sinne einer Abstraktion.

 

© copyright Jürgen Baader, Bad Dürkheim, 2005