Logische, sprachlich-hermeneutische und psychologische Bewusstseinseigen­schaften

 

 

Ein Thema wie „Denken und Bewusstein“ bzw. „Sprache und Bewusstsein“ oder auch nur „was ist denken?“ eignet sich gut, um in zentrale Philosophiebereiche vorzudringen, verschiedene Möglichkeiten des Philosophierens aufzuzeigen und dennoch einen übergreifenden Gesichtspunkt zu haben. Eben unter diesem Thema hat man einen übergreifenden Gesichtspunkt. In irgendeiner Weise hat es die Philosophie besonders damit zu tun, was Denken und Bewusstsein ist. Insofern praktiziert die Philosophie ein Nachdenken [bzw. diverse Weisen des Nachdenkens] über die Art des menschlichen Denkens. Ich möchte zeigen, inwiefern man das Thema unter verschiedenen Aspekten angehen kann, weil es eben verschiedene Eigenschaften der Art unseres Denkens gibt, nämlich logische, sprachlich-hermeneutische und psychologische [sozial – und individualpsychologische].

 

Logische Eigenschaften

 

Wenn ich von logischen Eigenschaften des menschlichen Bewusstseins spreche, beziehe ich mich auf die „Tatsache“, dass unsere Meinungen und Wirklichkeitsannahmen begrifflich und aussageartig beschaffen sind, zumindest begriffs- und aussageversuchend. – Wir suchen und versuchen zutreffende Be­griffe. - Unser Bewusstsein (der uns umgebenden Wirklichkeit) ist begrifflich und aussagear­tig aufgebaut („strukturiert“). Begriffe sind Regeln für das Denken, etwas als etwas kriterien­ge­mäß zu klassifizieren. – Sie sind Regeln des inhaltlich bestimmten Denkens. Inhaltlich bestimmtes Denken läuft hinaus auf Klassifikationen von Gegenständen. Die Kriterien dieser Klassifikationen sind die Begriffsinhalte. Eine durch das Denken „tat­sächlich“ ausgeübte Klassifikation, kriterien­gemäß anhand der Beg­riffsinhalte vollzogen, ist bzw. führt zu eine[r] „Aussage“, traditionell [zu] ein[em] „Urteil“. Die Menge aller Vorkomm­nisse, worauf ein Begriff kriteriengemäß angewendet werden kann, ist der Begriffsumfang. – Begriffsanwendung auf­grund der Tatsache, dass die Anwendungskriterien erfüllt sind, also die kriteriengemäße Men­gen- oder Klassenzuordnung ist mit einem Wahrheitsanspruch äquivalent. Kriterien der Men­genzugehörigkeit sind in diesem Falle Kriterien des So-Seins.

 

Man kann auch sagen: „Die begriffliche Klassifikation von Gegenständen erzeugt Verhält­nisse des Ein- und Ausschlusses.“ Im Falle eines scharfen Begriffs wird der Gegenstand ja anhand eines Kriteriums einer Menge zugeordnet oder von ihr ausgeschlossen, das ist eine Relation von Element zu Menge. Die Klassifikation läuft also auf ein sonderndes, unterschei­dendes Denken hinaus. Sie besteht in Gegens­tandsson­derung und Unterscheidung, anhand eines sondernden, „diskriminatorischen“ Merkmals. – Dies ist in Fällen problematisch, wo die Sonde­rung willkürlich, weitgehend ohne Kriterien, oder anhand von unrelevanten oder unstatthaften Kriterien erfolgt. – Man denke an den Satz: „Juden dürfen keine Staatsbeamte werden.“ Hier hat man einen Zusammenhang von willkürlicher Klassifikation und willkürlicher „Konse­quenzmacherei“. Wer Jude war, wurde letztlich dekretorisch bestimmt, per ordre de mufti, bestimmt, und dann dezisionistisch die Konsequenz der Ungleichheit festgesetzt nach dem Motto: „Alles schickt sich nicht für alle.“

 

In der Praxis haben wir oft das Problem unpräziser Begriffe. Der Gebrauch der Alltagssprache beruht nur in geringem Maß auf exakten Begriffsinhalten.. Sprachliche Wendungen und Re­densarten, die wir uns zueigen gemacht haben, sind oft nur „wohlfeiles Ungefähr“. Es erhebt sich immer die Frage nach der begrifflichen Substanz unseres Denkens, also die Frage nach den Denkinhalten und Kriterien. Möglicherweise sind sie niemals völlig präzise. Wir lassen sie lediglich in situationsabhängiger Weise als hinreichend präzise gelten. Vom logischen Ideal der exakt definierten Begriffe und Begriffsumfänge [Mengen, Klassen] her gesehen ist dieser Sachverhalt ein Problem: Wir kön­nen nicht genau sagen, was eigentlich wir denken und reden. Vom Standpunkt der Alltags­sprache her gesehen ist unser alltägliches Sprechen durch diese logische Unvollkommenheit flexibel und kreativ. Vielleicht sind wir ja unterwegs zu treffenden Weisen des Sprechens und Handelns. Der Vergleich verschiedener Redeweisen im Zusammenhang mit verschiedenen Situationen, sowie die Sonderung in mehr oder weniger treffende und passende Redeweisen hilft uns dabei. – Passung und Treffung haben in diesem Falle aber oft auch einen stimmungsmäßigen Anteil.

 

Eine interessante Frage an dieser Stelle ist, inwiefern wir das Nachdenken über passende Aus­sageinhalte, bezüglich einer wirklichen oder möglichen Situation, wiederum in Vergleich mit verschiedenen möglichen Situationen und anderen Aussageinhalten, „begriffsanalytisch“ nen­nen können. Kants Lehre vom analytischen Urteil, das wahr sei, allein aufgrund „gegebener“ Begriffsinhalte, und des Satzes von der Identität des Denkens, trifft einen berechtigten Ge­sichtspunkt. Man darf aber darüber nicht vergessen, dass die Aussage über einen einzelnen stimmigen Begriff [für eine denkbare Situation] eine Menge vergleichender Reflexionen über verschiedene Aussageinhalte erfordert, die man in konjunktivischen und indikativischen Er­wägungen sammelt und sondert. Hier ist ein Punkt des Übergangs von analytischem und her­meneutischem Selbstverständnis der Philosophie. [Überlegungen zum Thema „reflektierende Urteilskraft“ waren ein Anregungspunkt für Gadamers Hermeneutik.]

 

Hermeneutische Eigenschaften

 

Unter sprachlich-hermeneutischen Bewusstseinseigenschaften verstehe ich die Tatsache, dass unsere Meinungen und Annahmen nur im Medium einer interpretationsbedürftigen Sprache verständlich gemacht werden können. Wir können nichts als wirklich annehmen, ohne ent­sprechende sprachlich formulierbare Aussageinhalte als wahr anzunehmen, wobei sich unsere Formulierungen beim Nachdenken meistens als unvollkommen und erklärungsbedürftig er­weisen. – Der hermeneutische Aspekt eignet sich sehr gut, um das Phänomen der Vagheit unserer Begriffsversuche herauszustellen. Wörter und alltägliche Reden sind oft „wohlfeiles Ungefähr“. Dennoch sind sie wirkungsmächtig.

 

Beispiele für die Vagheit alltäglicher Begriffe: der Übergangsbereich zwischen Tier und Pflanze, wo wir für bestimmte Wesen nicht unterscheiden können, ob sie Tier oder Pflanze sind [bestimmte Algen]. Dann: lebendig oder tot [Viren], gesund oder krank. Zum Phänomen der Vagheit unserer Begriffe kommt das Phänomen der Unentscheidbarkeit eventuell präziser Begriffe für bestimmte Situationen hinzu. Es gibt z. B. hinreichend präzise Regeln der Objek­tivierung bestimmter Messwerte zeitlicher und räumlicher Längen. Dennoch gelingt es uns vielleicht nicht, bestimmte Sturmgeschwindigkeiten im Innern eines Hurrikans zu messen, weil die Turbulenz des Geschehens z. B. die Messapparate zerstört.

 

Psychologische Eigenschaften

 

Unter psychologischen Bewusstseinseigenschaften verstehe ich die Tatsache, dass unser Den­ken nicht allein begrifflichen und sprachlichen Objektivitätsanforderungen unterliegt, sondern auch sehr weitgehend von persönlichen und üblichen Erwartungen und Aufmerksamkeits­mustern beeinflusst und geprägt wird. In diesen Bereich gehören Fragen der Selektivität unse­rer Wahrnehmung, unserer Aufmerksamkeit [unseres Bewusstseins], sowie Phänomene der Vereinfachung, des Zurechtlegens, der Vorurteilsbil­dung und der übermäßigen, tendenziösen Verallgemeinerung. – So kann ich z. B. die Frage aufwerfen, warum immer genau dann, wenn ich es eilig habe und angefahren komme, die Ampel auf Rot umspringt. – Das hat etwas mit der Psyche und der menschlichen Ungeduld zu tun.

 

„Logisch“ kommt von „logos“, einem griechischen Ausdruck für „sinnvolle Rede“, „Begriff“, „Wort“ usw.. Die Römer übersetzten es mit „ratio“, ein Ausdruck, der in unseren Ohren viel­leicht etwas zu sehr in Richtung „Verhältnis“, „Zahlenrelation“ und „Kalkulation“ tendiert. „Logisch“, „rational“ und „ver­nünftig“ ist also ungefähr dasselbe, weil es eine gemeinsame Schnittmenge für die Anwendung dieser drei Ausdrücke gibt. Die Ausdrücke sind nur in ein­geschränktem Sinn bedeutungs­gleich. Zumindest die Konnotationen sind verschieden. „Lo­gisch“ und „unlogisch“ kann man z. B. auf begriffliche und aussageartige Zusammenhänge anwenden, um die Frage der Stim­migkeit oder Konsistenz [der begrifflichen und aussagearti­gen Zusammenhänge] aufzuwer­fen.

 

„Hermeneutisch“ kommt von „hermeneuein“, einem griechischen Ausdruck für „deuten“, lateinisch „interpretari“. Der „interpres“ ist ein Vermittler, ein Unterhändler, ein Dolmetscher, ein Ausleger und ein Erklärer. – Eine deutungsbedürftige Sprache steht sozusagen zwischen uns und der uns umgebenden Wirklichkeit. Wir können nichts als wirklich annehmen und behaupten, ohne entsprechende Aussageinhalte als passend und wahr anzunehmen. – Die „Unhintergeh­barkeit der Sprache“ ist ein ganz entscheidender Punkt für die Philosophie. Unser Denken kann nicht aus dem Medium der Alltagssprache heraus. Sprachbindung, zu­mindest prinzi­pielle Sprachbindung, ist eine diskussionswürdige Variante für „etwas Absolu­tes“.

 

„Psychisch“ steht für „seelisch“, „auf die innere Motivations- und Erlebnisweise eines Lebe­wesens bezogen“. Das Lebewesen bewegt sich, handelt und denkt eventuell irgendwie aus sich selbst [„sua sponte“] und wird nicht einfach durch Druck und Stoß von außen bewegt wie ein Stein. Diesem geheimnisvollen Streben versucht man durch die Rede von einer „seeli­schen Wirk­lichkeit“ gerecht zu werden. Gefühle, Emotion, Instinkt und Trieb spielen hier eine Rolle. Das menschliche Denken, die Tendenz unserer Wahrnehmung und Aufmerk­samkeit steht stark unter dem Einfluss solcher Subjektivitäten und Befindlichkeiten. Wir sind uns der tendenziö­sen Art unseres Bewusstseins oft nicht bewusst. Die Selektivität unserer Aufmerk­samkeit entgeht uns.

 

Man sollte die Betrachtung nicht auf individualpsychologische Qualitäten der menschlichen Aufmerksamkeit beschränken, sondern auch sozialpsychologische Aspekte berücksichtigen, da sie im menschlichen Alltag eine große Rolle spielen. Der Mensch denkt und spricht in Ge­sellschaft anders als er es alleine für sich selbst tut. Ein Wort gibt das andere, wie man sagt. Typische Muster des menschlichen Mit- und Gegeneinanders sind aus der Perspektive indivi­dueller Bedürfnisreize oft nur unzulänglich zu beschreiben. Die Wechselwirkung menschli­cher Denk- und Verhaltensweisen, in der Kommunikationsinhalte erzeugt, modifiziert, ange­nommen und verworfen werden, ist eines der interessantesten und unerschöpflichsten Themen der menschlichen Frage nach sich selbst.

 

Hauptteil

 

Bewusstsein ist ein zentrales philosophisches Thema. Es ist auch grundlegend für Systemati­sierungsversuche in der Philosophie.

 

Beispiele für Bewusstsein sind Wahrnehmungsbewusstsein und Denkbewusstsein. – Diese zwei Bereiche entsprechen den englischen Ausdrücken „awareness“ und „consciousness“. – Unterbereiche für Wahrnehmungsbewusstsein sind: Seh-, Hör-, Tastbewusstsein. In diesen Fällen handelt es sich um auf die Wahrnehmungssinne bezogenes Bewusstsein. Ich sehe z. B. die Farbe eines Anzugs, ich höre Trompetenton. Man kann auch völlig korrekt sagen: „ich sehe den Anzug, ich höre die Trompete.“ – Eine Systematisierung in Denken und Wahrneh­mung kann anset­zen an der Unterscheidung von Wahrnehmungsbewusstsein und Denkbe­wusstsein. Man kann Wahrnehmungs- und Denkbereiche zur Aufzählung bringen. Es gibt z. B. das Sehen des Sichtbaren und das Hören des Hörbaren. Das Denken der Denkbar­keiten beinhaltet z. B. das Nachdenken über mathematisch-physikalische Sachverhalte, z. B. die Relation von Druck und Volumen eines Gases. Das Denken der Denkbarkeiten beinhaltet weiterhin z. B. das Nachdenken über menschliches Verhalten und typisch menschliche Erleb­nisweisen der Wirklichkeit. Es beinhaltet auch das Nachdenken darüber, wie ein Mensch sich in dieser oder jener Situation verhalten sollte, obwohl er sich in Wirklichkeit oft anders ver­hält.

 

Das Wahr­nehmbare gilt mir auch als Denkbares. Allerdings unterscheidet man die unwieder­holbare Einmaligkeit des Konkreten von der Wiederholbarkeit abstrakter Gedanken- bzw. Aussagein­halte.

 

Beispiele für Denkbewusstsein sind Wirklichkeitsbewusstsein, Rechtsbewusstsein, reli­giöses Bewusstsein, auch Standesbewusstsein, ideologisches Bewusstsein usw.. Interessanter Weise ist Bewusstsein nicht zwangsläufig Bewusstsein von etwas Wirklichem, da man auch über Dinge nachdenkt, die es gar nicht gibt. – Das Parmenides-Problem. – Mit einer Aufzählung der Bereiche des menschlichen Denkens hätte man eine umfassende Systematik des menschli­chen Denkens. Man spricht zwar nicht von mathematischem Bewusstsein, son­dern von ma­thematischem Denken. Dennoch sind die Redeweisen „bewusst sein“ und „den­ken“ weitge­hend deckungsgleich. Deshalb verteidige ich auch Kants Gleichsetzung von „Form des Den­kens“ und „Form des Bewusstseins“.

 

Ein weiterer Punkt ist folgender: Man spricht leichter von „unbewusstem Denken“ als von „unbewusstem Bewusstsein“. Aber ich sehe keine Schwierigkeit, auch von „unbewusstem Bewusstsein“ zu sprechen. „Denken ist ein unbewusster Akt“, sagte z. B. H. James. Dies wird auf folgende Weise plausibel: Wir können über irgendwelche Aussage- und Gedan­ken­inhalte sprechen, erst recht über irgendwelche Teilbereiche der Wirklichkeit, sind uns aber der Art unseres Denkens nicht bewusst, z. B. der Art der für relevant erachteten Gesichtpunkte, der Tendenz unseres Denkens usw.. Deshalb haben wir bei dem Ausdruck „unbewuss­tes Be­wusstsein“ den Ausdruck „bewusst“ in zweifache Bedeutung. Ich bin mir z. B. der Tat­sache bewusst, dass Herr Schulze ein größeres Auto als Herr Meier fährt. Aber ich bin mir nicht bewusst, dass ich das mit der Annahme eines höheren gesellschaftlichen Status von Herrn Schulze verbinde. Oder gar mit einem versteckten Neidgefühl. In die­sem Sinne ist Bewusst­sein ein unbewusster Akt, weil uns viele Projektionen und Asso­ziatio­nen unseres Bewusst­seins zunächst entgehen. Auch die Irreleitung unseres Verstandes durch verbreitete Urteils­gewohnheiten und Redens­arten entgeht uns, indem wir z. B. nur die Fragen stellen, die, bei bestimmten Gelegenheiten, üblicherweise ge­stellt werden.

 

Weiteres Beispiel: Ein Lehrer berechnet die Zensuren seiner Schüler bis auf 2 Stellen nach dem Komma genau, unter Beachtung einer Regel für Auf- und Abrundung. Er ist sich aber nicht der Tatsache bewusst, dass er die Sorgfalt seiner Rechnung mit einer hinreichen­den und umfassenden Sorgfalt [seines Denkens], ja sogar mit der völligen Gerechtigkeit seines Be­wertungsverhal­tens, gleichsetzt. Er bemerkt nicht, dass ein Präzisionsideal durchaus mit willkürlichen Ansät­zen in anderen, durchaus relevanten Aspekten zusammen gegeben sein kann. Es schwebt ihm vor, die Verhaltensbeurteilung eines Menschen mit mathematischer Gewissheit vollzogen zu ha­ben, nur weil in seinen Überlegungen auch eine Rechenaufgabe eine Rolle spielt.

 

Schwierig ist die Frage, ob man definieren kann, was Bewusstsein ist. Jedenfalls gibt es keine allgemein anerkannte Definition. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Begriff „bewusst“ um einen undefinierten Grundbegriff [bzw. „Begriffsversuch“] des alltäglichen Denkens. Aber auch mit die­ser Sichtweise verwickelt man sich sofort in Schwierigkeiten, wenn man z. B. sagen möchte, Bewusstsein sei eine beobachtbare Eigenschaft menschlichen Verhaltens. Das Phänomen „Bewusstsein“ ähnelt einerseits stark einem theoretischen Konstrukt oder Mo­dell, das sich nicht direkt auf empirisch nachweisbare Einzelbefunde bezieht. Nicht direkt, sondern nur mittelbar, wie z. B. die Annahme von Massepunkten und Kräften in Newtons Physik. Andererseits ist die Rede von Bewusstsein dicht in die Alltagssprache verwoben und wirkt von daher gesehen gar nicht modellhaft und theoretisch konstruiert. „Bewusst sein“ überschneidet sich stark mit „denken“, „bemerken“ und „aufmerksam sein“. In gewissem Sinn kann man also sagen, es sei eine empirische Tatsache, dass der Mensch Bewusstsein habe.

 

Es ist fraglich, ob es eine naturwissenschaftliche bzw. naturalistische Konzep­tion von Be­wusstsein mit Erklärungsanspruch geben kann. „Erklärung“ nehme ich hier im Sinn von „Zu­rückführung auf etwas Bekannteres“. Etwas Bekannteres oder doch besser Ver­ständliches. – Die Phänomene „Erklärung“ und „Verständnis“ enthalten übrigens die Voraussetzung, dass mir oder jemandem anders etwas bewusst und verständlich sein kann. Schwierig zu er­örtern ist dabei aber die Art dieser Voraussetzung: ein logisches Prius? Ein psychologisches Prius? Ein faktisch empirisches Prius? Oder alles zusammen in unentwirrbarer Mischung?

 

Es gibt also Subjektivitäts- und Objektivitätsbewusstsein, bzw. das Nachdenken über subjek­tive und das Nachdenken über objektive Gegebenheiten. Die Gültigkeitskriterien machen da­bei den entscheidenden Unterschied. Empirisch objektive Gültigkeitskriterien geben den Aus­schlag für objektives Bewusstsein, wogegen subjektives Bewusstsein, zumindest in der ersten Person Singular, das bloße Dafürhalten erfordert und insofern für sich selbst steht. In anderen Personen treffen wir auf die Subjektivität des Fremdpsychischen, welches eine eigentümliche Zwischenstellung zwischen reiner Subjektivität und empirischer Objektivität aufweist. Sub­jektivität lässt sich, sowohl in der ersten als auch in anderen grammatikalischen Personen formuliert, auch als Disposition zu beobachtbarem Verhalten auffassen. In diesem Sinn ist Subjektivität etwas Objektives. – Die reine Subjektivität ist m. E. am besten am Modus des Für-wahr-haltens zu erkennen. Wenn ich mir eines Aussageinhalts bewusst werde, ohne et­was Objektives behaupten zu wollen. – Die andern Beispiele für Subjektivität, nämlich Schmerzempfinden, Freudeempfinden usw.., lassen sich leicht als Verhaltensdispositionen interpretieren. Sie sind auch Verhaltensdispositionen, aber ich möchte ihnen die Komponente reiner Subjektivität, die man natürlich nicht objektiv-empirisch nachweisen kann, nicht ab­sprechen.

 

In logischer Sicht ist Bewusstsein das Aussagevermögen. Wir denken etwas von etwas, wir sind uns der Tatsache bewusst, dass etwas so und so ist. In dieser Hinsicht ist Bewusstsein ein Sonderungs- oder Unterscheidungsvermögen. Etwas von etwas auszusagen, bedeutet, eine klassifikatorische Mengenzuordnung [aufgrund tatsächlichen So-Seins] vorzunehmen. Damit der Gegenstand von der gegenteiligen Menge [von Einzelfällen], welche dieses So-Sein nicht aufweisen, ausgeschlossen. Man teilt die Menge der Tiere z. B. in Elefanten und Nicht-Ele­fanten ein. Etwas von etwas aussagen heißt immer, etwas, nämlich das kontradiktorische Ge­genteil, von etwas verneinen. Omnis determinatio est negatio, nannte Spinoza dieses Prinzip, in der Sprache der Mengenlehre schließen wir mit der Zuordnung eines Elementes zu einer Menge die Zugehörigkeit zur komplementären Menge aus. Mit einer Aussage wird eine ge­genteilige Aussage zwangsläufig negiert. – Wir haben allerdings das Problem, dass wir bei unpräzisen Aussageinhalten oft nicht leicht sagen können, worin der Aussageinhalt und damit der gegenteilige Aussageinhalt besteht. Bei unpräziser determinatio habe ich als Gegenteil eine unpräzise negatio. Also prinzipiell bedeutet „etwas von etwas denken“: eben „nicht die gegenteilige Eigenschaft vom Gegenstand denken“.

 

Gleichbedeutend mit der genannten Aussagestruktur des „etwas von etwas“ ist der Satz der Identität oder der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch. Diese Regeln laufen lediglich, bzw. immerhin darauf hinaus, dass gewährleistet ist, dass etwas von etwas ausgesagt wird und nicht nichts. – Selbstverständlich ist dies merkwürdigerweise nicht. Wenn wir etwas länger reden und darauf achten, was wir gesagt oder nicht gesagt haben, bemerken wir, dass uns die wiederspruchsfreie Verwendung irgendwelcher Aussageinhalte oft nicht über längere Zeit gelingt. Es treten auch Interpretationsprobleme bezüglich des Gedachtem, des Gesagten und Gemeinten auf.

 

Interessant ist die „Tatsache“, dass das Bewusstsein des Menschen, also das prinzipielle Denk- und Aussagevermögen, ein Sonderungsvermögen in mehrerlei Hinsicht ist. Etwas von etwas denken, heißt, den Inbegriff des Denkbaren auf bestimmte Denkinhalte einzuschränken. Weniger pathetisch: den Gegenstand vom Mengenkomplement auszuschließen. Aber das Be­wusstsein selbst, das Denken von etwas als etwas, sondert sich innerhalb seiner selbst in Aus­sagestruktur und Ausssageinhalt. An unserem Denken unterscheiden wir das Denken selbst vom Inhalt des Denkens. Das bedeutet: wir unterscheiden strukturelle und inhaltliche Merk­male unseres Denkens voneinander.

 

Reflektiert man also auf unser Sprechen und Denken in prinzipieller, „logischer“ Hinsicht, ergibt sich eine interessante Interpretation der traditionellen Subjekt-Objekt-Spaltung. Die Rede von einer Subjekt-Objekt-Relation stellt eigentlich eine Erläuterung dessen da, was un­ser Bewusstsein ist. Was es ist, einem Begriff gemäß, den wir in der Alltagssprache von „Be­wusstsein“ haben, jedenfalls als eine so sondernde Komponente in der alltäglichen Rede von Bewusstsein: ein Denk- und Aussagevermögen (Fähigkeit), das sich auf eine Wirklichkeit zu beziehen vermag; - vermittelst wahrer, d.i- wirjlichkeitsgemäßer Aussagen. Es ist zu bemer­ken, dass die Rede von Form und In­halt des Denkens zu weniger Missverständnissen führt als die Rede von Subjekt und Objekt. – Bei „Subjekt“ denkt man allzu leicht an ein individuelles Lebewesen und bildet sogar einen Plural, die „Subjekte“. Bei „Objekt“ denkt man allzu leicht an körperliche Einzelgegenstände, die in verschiedenen Situationen wiederkehren, am Schluss fragt man sich: „Wie kommt das Bild der Außenwelt in meinen Kopf?“ – Die Frage hat ihr Recht, aber sie stellt eigentlich nicht das Thema dar, welches im Zentrum der großen erkennt­nistheoretischen Philosophie steht. Die Frage nach Struktur [Form] und Inhalt wahrheitsfähi­ger Gedanken steht im Zentrum, nicht die Frage, wie ein Bild der Welt in meinen Kopf gelan­gen konnte. So interessant diese Frage ist, es ist eigentlich ein anderes Thema, das hier zur Sprache kommt. – Der Weg der großen erkenntnistheoretischen Philosophie besteht in der Sammlung bestimmter Aussagen über die Art unseres Bewusstseins, in dieser Linie sehe ich z. B. Aristoteles, Descartes und Kant. Ein anderer Weg ist die naturwissenschaftliche Erklä­rung des Bewusstseins im Sinne einer empirischen Experimental- oder Beobachtungswissen­schaft. Hier ist der Weg nicht die „Begriffsforschung“, nicht die Darstellung und Sonderung von Redeweisen. Die Philosophie hat dagegen den Charakter eines begrifflichen Selbstver­ständigungsversuches durch Nachdenken über unsere Sprechweisen in bestimmten zentralen, aber sehr allgemeinen Themen. – So sagen wir z. B.: „Wir reden über Form und Inhalt unse­res Denkens. Wir meinen damit dies und das, in Abgrenzung zu diesem oder jenem.“

 

So ist Bewusstsein und Denken in der genannten „logischen“ Hinsicht, als Fähigkeit der wahrheitsfähigen Rede, zu andern, und innerlich zu sich selbst, nicht nur kein physisches, sondern auch kein psychisches Phänomen; - es wird einfach in nicht-empirischer Weise „als gegeben“ vorausgesetzt. -

 

Im Falle einer gültigen Prädikation bezüglich eines Einzelfalls haben wir ein bestehendes Ein­zelobjekt. Deshalb ist die Rede vom Aussageinhalt unverfänglicher als die Rede vom Objekt. – Subjekt ist einfach das Potential zu wahrheitsgemäßen Denkbestimmungen, das wir in einer prinzipiellen Weise voraussetzen, wenn wir etwas von etwas wirklichkeitsgemäß anzunehmen glauben. Dieses Subjekt ist nur eins, es ist die Unhintergehbarkeit des Denkens selbst [„über­haupt“] in unseren Wahrheitsansprüchen, und „realisiert“ sich in uns als verschiedenen Indi­viduen. Im Menschen realisiert sich die allgemeine Denkfä­higkeit, kann man sagen, er hat das Potential zum Denken und wahrheitsfähigen Sprechen, dieses Potential ist das eigentliche Subjekt.

 

Mit jeder bestimmten wahrheitsgültigen Aussage, dass etwas so oder sei, haben wir somit ganz selbstverständlich eine Form-Inhalt- bzw. eine Subjekt-Objekt-Relation. Das bedeutet aber nicht mehr, als dass wir nichts für wirklich oder gegeben halten können, ohne eine ent­sprechende Aussage für wahr zu halten. Hier besteht eine logische Äquivalenz, kein Erklä­rungszusammenhang. – Wir philosophieren aus Begriffen, es sind keine empirischen Erklä­rungszusammenhänge, die wir hier aufbauen.

 

Das prinzipielle Aussagevermögen ist uns sozusagen „unhintergehbar“, „absolut“ oder „ein Absolutum“. Dabei wissen wir nicht hinreichend genau, welches z. B. die biochemischen Voraussetzungen der Realisation dieses Denkvermögens sind. Die „Denkform“ unseres Spre­chens setzen wir einfach vor, weil wir eben aus der Sprache insgesamt und dem aussageori­entierten Denken nicht heraus können. Auch die Rede von „nicht heraus“, „unhintergehbar“ u. dgl. birgt Gefahren des Missverständnisses, sie ist metaphorisch. – Am elegantesten ist es vielleicht, wenn man an Aristoteles anknüpft und Formulierungen bildet wie: „Wir sagen et­was von etwas, oder wir sagen etwas von vielem, oder etwas von allem.“ „Wir sagen etwas bejahend oder verneinend oder beschränkend, z.B. den Aussageinhalt „unsterblich“.“ – Das bedeutet: vermittelst dieser Denk- und Aussagestrukturen (Formen) bezieht sich unsere ganz allgemeine Denkfähigkeit auf Aussageinhalte. Vermittelst solcher Strukturen kommt es zu wahrheitsfähigen Aussagen, [im Falle eine singulären Prädikation) auch zu Aussagen mit der Referenz auf Einzelobjekte.