Teil 1, das Froschkönigmärchen
Der Frosch, den wir vor
unserem geistigen Auge sehen, ist der Frosch aus dem Froschkönig-Märchen der
Brüder Grimm. Er möchte durch die Macht der Liebe erlöst werden und hat sich zu
diesem Zweck eine Königstochter ausgesucht. Er ist eigentlich kein Frosch,
sondern ein Königssohn, der in einen Frosch verwandelt wurde. Die
Rückverwandlung ist die Erlösung, die er ersehnt. „Erlösung aus der
Froschform“, das kann man auch so deuten: durch das gemeinschaftliche,
liebevolle Leben mit einer Prinzessin möchte er eine höhere Lebensform mit einem Zustand des „besseren
Bewusstseins“ erlangen. Er möchte glücklicher werden, als er derzeit ist.
An dieser Stelle ein
Einschub: die gemeinschaftliche Lebensform mit einer Prinzessin beinhaltet
nicht zwangsläufig den höheren menschlichen Wert im Verhältnis zu dem in einem
Brunnen stattfindenden Froschleben. Das Einzel-Leben kann durchaus Qualitäten
des Guten beinhalten, wenn ein Frosch sich ernstlich bemüht, aus seinem Leben
das Beste zu machen, schöne Künste pflegt und Sinn für höhere Werte des
menschlichen Daseins hat. – Wenn er also kein Banause ist. Banausen sind nach
A. diejenigen, denen es an Sinn für das Höhere fehlt. [Politische Schriften,
1338 b 2 f.] - In seinem Einzel-Leben kann unser Frosch also durchaus
ästhetische und ethische [Verhaltens-]Qualitäten verwirklichen. Und umgekehrt
kann das gemeinsame Leben mit einer Prinzessin in ein ungutes Miteinander
ausarten, wo ästhetische und ethische Qualitäten [des menschlichen Denkens und
Verhaltens] keine große Chance haben. Wenn man z. B. nicht mehr ordentlich über
die gemeinschaftlichen Angelegenheiten spricht. Wenn man für die Interessen
des andern kaum etwas übrig hat. Wenn man keine Zeit füreinander findet. Oder
wenn man sich gar vermittelst Wort und Tat unfair behandelt, bitteren Streit
führt und sich überhaupt durch den Mangel an mitmenschlicher Achtung
voreinander schlecht behandelt. Mit herabsetzenden, „despektierlichen“
Redeweisen fängt so etwas an. – In all diesen Fällen ist man alleine in der
besseren Situation. Wenn ein Mann eine Frau hat, mit der er nicht auskommt,
ist schlimmer, als wenn er keine hat. Er hat im letzteren Fall wenigstens die
Freiheit, sich eine zu suchen, die zu ihm passt. Ohne sich mit
Loyalitätskonflikten u. dgl. herumschlagen zu müssen.
Es schwebt also unserem
Frosche vor, dass er durch die Liebe zu einer Prinzessin erlöst werden könnte.
Seine Handlungsweise zu diesem Zweck ist klar und eindeutig. Die Königstochter
hat ihren goldenen Ball verloren, der ihr Lieblingsspielzeug ist. Der Frosch
kann ihr diesen Ball wieder beschaffen, denn er ist in den Brunnen gefallen,
den der Frosch bewohnt. Er nötigt der Prinzessin das Versprechen ab, ihr
Gefährte sein zu dürfen. Er will mit ihr essen, er will ihr Freund sein, er
will zu ihr in's Bett. Sie aber will das alles nicht.
Trotzdem gibt sie das problematische Versprechen.
Sie macht sich vor, sie müsse das Versprechen wahrscheinlich gar nicht
erfüllen. Zu diesem Ernstfall kann es ihrer Meinung nach nicht kommen. „Was
redet dieser Frosch? Dieser Frosch kann eines Menschen Geselle nicht sein“,
sagt sie sich. Die Ausdrucksweise ist ein wenig pathetisch. – Sie ist selbst
nicht ganz überzeugt davon und ahnt Schlimmes.
Wir bemerken nun erstens, dass der Frosch ein
solches Versprechen aus inhaltlichen, mitmenschlichen Gründen nicht fordern dürfte. Das werden
wir später genauer erläutern. - Wir bemerken zweitens, dass die Prinzessin ein
solches Versprechen nicht geben dürfte. – „Versprich etwas, und das Unglück
ist da“, sagten die alten Griechen sehr weltklug. Immerhin kann man trotzdem
Versprechen geben. Sehr vieles im menschlichen Leben beruht auf Zusagen, Abmachungen
und Erwartungen, worauf man sich verlassen zu können meint, aber es sind nicht
alle Zusagen und Erwartungen gleichermaßen unproblematisch. Mit den Zusagen
und den darauf aufbauenden Erwatungen und Konsequenzen kann es sogar sehr heikel
werden. Ein ausgeglichener, zartfühlender Frosch würde ein solches Versprechen
nicht fordern. – Nicht einmal die emotionale Hitze des Erlösungswunsches und
die innige Liebesglut, die er bezüglich der Prinzessin fühlt, rechtfertigen
eine derartige Versprechensforderung. – Im Gegenteil, wer wahrhaft liebt,
nach dem Gedanken der Anerkennung der wechselseitigen Freiheit, beschreitet
solche Wege der Versprechensbindung nicht. Vor allem nicht schon von Anfang
an und im Austausch für eine bloße Gefälligkeit. - Wenn er dies Versprechen
dennoch erhielte, würde ein ausgeglichener und zartfühlender Frosch nicht
auf die Einhaltung des Versprechens drängen. Er würde sagen: „Da hat mir
jemand etwas sehr Problematisches versprochen, und ich muss vorsichtig und
subtil damit umgehen.“
Im wirklichen Leben ist es mit den heiklen
Versprechungen oft nicht ganz so eindeutig, sondern weitaus unklarer und
schwieriger. Erwartungen und Hoffnungen, die da mit und ohne explizite
Versprechungen erregt wurden oder einfach nur irgendwie entstanden sind, werden
manchmal willkürlich und einseitig wie klar definierte Abmachungen
aufgefasst. – Und Erwartungen werden manchmal enttäuscht, das wird sich kaum
vermeiden lassen. - Beachtenswert und schwierig ist der Bereich stillschweigender
oder „impliziter“ Zusagen und Versprechen. Ihre Einhaltung wird eventuell
genauso rigoros gefordert wie bei einem expliziten, genau ausgehandelten Versprechen.
– Aber sogar ein explizit ausgehandeltes Versprechen enthält u. U. Formeln und
Wendungen, unter denen man sich in Tagen erhitzter oder gemäßigter Stimmung, -
oder gar im Streitfall, - zum Teil sehr Verschiedenes vorstellt. – Menschen,
die das Glück eines Einvernehmens zunächst einmal erleben, sind auf einmal
überrascht und uneinig darüber, worüber sie sich vorher doch offenbar einmal
einig waren. Es erhebt sich da leicht die strittige Frage, was der Inhalt
ihres Einvernehmens, ihrer Vereinbarungen, Verträge u. dgl. „eigentlich“
war. - Ein Rechtswesen der Vereinbarungen und Verträge hat sich aus diesem
Problemfeld entwickelt. Man behandelt dort übrigens auch die Frage, was alles
Gegenstand von Verträgen und Vereinbarungen sein darf, und worin die
angemessenen Rechtsfolgen beim Bruch der Vereinbarungen und Verträge bestehen
können, dürfen oder sollten. – Darauf aber wollen wir hier nicht hinaus, weil
wir keine Juristen sind, sondern die Liebhaber zarter, literarisch-psychologischer,
manchmal sogar metaphysischer Gedanken über das menschliche Mit-, Gegen- und
Durcheinander. – „Metaphysisch“, wenn es sehr allgemein und grundsätzlich
wird.
Unser Punkt ist, dass der Frosch nach
mitmenschlichem, humanitärem Maß dieses Versprechen nicht hätte fordern
dürfen. Wenn er ein zartfühlender Frosch gewesen wäre. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt: die Prinzessin hätte das Versprechen auch nicht geben dürfen.
Wenn sie eine zartfühlende Prinzessin gewesen wäre. Der dritte Punkt: Wenn sie
das Versprechen nun doch unverantwortlicher Weise gegeben hat, kann sie die
Sache des unverantwortlich gegebenen Versprechens nicht dadurch wieder gut
machen, dass sie es einhält. – Das Versprechen müsste einfach für nichtig erklärt werden, und wie man es in
einem strittigen Fall als ungültiges oder nichtiges Versprechen erkennen
kann, ist das eigentliche Problem. Im Idealfall würden der Frosch und die
Prinzessin gemeinsam erkennen, dass mit der Forderung des Versprechens und
seiner tatsächlichen Leistung etwas nicht in Ordnung war. – Genau deshalb ist
der Knoten der überforderten Erwartungen nicht aufzulösen. - Sie würden gemeinsam
über die Torheit des menschlichen Geistes lachen und sagen: „Ja, ja, die
triebbedingt erhitzten Emotionen bei den erlösungsbedürftigen Fröschen!“
Aber die beiden lachen nicht über die Torheit und
die trügerische Art des menschlichen Geistes,
die sich besonders dann zeigt, wenn dieser Geist in einen Zustand
emotionaler Überhitzung geraten ist. Sie machen ein sehr ernstes Problem aus
diesem Versprechen, als ob sie es genau wissen wollten mit den gültigen und
ungültigen Versprechen. Als ob sie es genau wissen wollten, wie es ist mit
echten Versprechen und Fehlleistungen des Versprechens, welche nur
Scheinversprechen sind. Standpunkt des Frosches ist, dass das Versprechen
trotz erkennbaren Widerwillens der Prinzessin gehalten werden muss. – Die
Prinzessin möchte es nicht einhalten, sie muss aber bemerken, wie schwierig es
ist, von dem Versprechen wieder entbunden zu werden, wenn so ein Frosch einfach
nicht die Bereitschaft zeigt, sie davon wieder zu lösen.
Was wäre der Fall, wenn nun die Prinzessin dem
Problem dadurch gerecht werden wollte, dass sie das problematische
Versprechens, bei innerlichem Widerstreben, einfach einhielte?
Sie, die Prinzessin, würde durch die Einhaltung des
Versprechens unverantwortlich handeln bezüglich ihres eigenen und des Frosches
zukünftigen Lebens. – Böse Stimmung, dicke Luft, eine Atmosphäre
wechselseitiger Vorwürfe, der Kontrolle und der Provokation würde sehr
wahrscheinlich entstehen, in welcher der menschliche Geist sehr leidet. –
Heiterkeit ist die Quelle günstiger Einfälle, sagt ein französischer
Aphoristiker [Vauvenargues]. Böse Stimmung ist die Quelle giftiger Einfälle,
kann man hinzusetzen. – Durch kommunikatives und kooperatives Verhalten können
Menschen sehr viel erreichen, sie können sich aber auch das Leben unglaublich
schwer machen, durch unkommunikatives und unkooperatives Verhalten, durch den
Weg der Zwietracht und des Streites. – Mit-, Gegen- und Durcheinander sind die
allgemeinsten Aspekte unseres Verhaltens. Dabei verbirgt sich im Miteinander
oft ein geheimes Gegeneinander, im Gegeneinander oft ein bestimmtes Maß an
Übereinstimmung. Hegels Prinzip der Identität von Identität und Differenz ist
also in der philosophischen Menschenkunde gut anwendbar. – Überall findet man
ein Nebeneinander von Disparatem, Übereinstimmung und Verschiedenheit
zugleich.
Der vierte Punkt: Der Frosch und andere Beteiligte [im Märchen der Vater der
Prinzessin, der König] sollten die Prinzessin nicht zur Einhaltung des
Versprechens drängen oder gar zwingen. – Im Grunde war es ein unsittliches
Versprechen, welches für nichtig erklärt werden müsste. Aber wer soll es für
nichtig erklären, wenn die beiden sich nicht einig sind? - Ein wenig Verständnis
für die unratsame Leistung solchen Versprechens möchten wir hier bekunden,
denn es geschieht nicht alle Tage, dass wir einem sprechenden, in Liebes- und
Erlösungsnot sich befindenden Frosche begegnen. Gut, die Prinzessin bemerkt
von der besonderen Situation und Stimmung des Frosches nicht viel. Sie denkt
nur an ihr verlorenes Spielzeug. Die Situation ist aber dennoch außergewöhnlich.
Weil Frösche normalerweise nicht sprechen können. Da kann jemandem, durch die
Not der Stunde, durch Unachtsamkeit und im Alltagsstress, - diesem ungesunden
Gemisch aus Ungeduld, Übereilung und überforderten Erwartungen -, die
Fehlleistung eines eigentlich unmöglichen und unverantwortlichen Versprechens
vielleicht doch unterlaufen. – Obwohl es nicht richtig ist.
Problematisch ist der Inhalt des geforderten
Versprechens deshalb, weil der Frosch durch eine Art Dienstleistung oder Gefälligkeit die betroffene Person zu
wertschätzender Aufmerksamkeit und Zuwendung ihm gegenüber verpflichten
möchte. So etwas darf man eigentlich nicht tun, weil man es umgekehrt für sich
auch nicht so haben wollen würde. –
„Was tun wir uns gegenseitig an, in blinder Zumutung?“ ist hier die
Frage. Wenn da z. B. eine Froschdame käme und hätte Interesse an ihm, und er
könnte sich einfach nicht für sie erwärmen, dann würde er ja auch nicht von
ihr dazu genötigt werden wollen, und sei es durch sogenannten „moralischen
Zwang“. In persönlichen Sachen, zumindest doch hier, in Angelegenheiten
emotionaler und sexueller Selbstbestimmung, soll uns ein Stück Selbstbestimmungsrecht
unverlierbar und unveräußerlich gewahrt bleiben. Nicht einmal dann, wenn wir
unsererseits zu wertschätzender Aufmerksamkeit und Liebe bereit wären, - und
insofern Gleiches für Gleiches, nämlich Liebe für Liebe geben oder
austauschen würden -, könnten wir die reziproke Aufmerksamkeit und Gegenliebe
fordern. Werbende Verhaltensweisen sind in Ordnung, die fordernde Verhaltensweise
ist es, die hier nicht passt. Die fordernde Verhaltensweise ist der subtilen
Eigenart wertschätzender Zuwendung nicht verträglich. Der Übergang von den
Bedürfnissen und Wünschen zu intensivem Verlangen, Forderungen und
„moralischen Zwängen“ ist das Problem. – Seinen Wünschen muss niemand entsagen,
aber wenn ein Müssen und starre Forderungen daraus werden, sollte man darüber
nachdenken, ob dieses Forderungsgepräge mit dem Prinzip der gemeinsamen
Freiheit vereinbar ist.
Mit dem Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung
darf man es nicht übertreiben. Wenn ich verliebt in jemanden bin, kann ich ihm
dadurch keine Verbindlichkeit auferlegen, meine Gefühle zu erwidern. Da gibt es
nichts zu fordern. In diesem Sinne soll man in Liebesdingen [„affaires du
coeurs“] nach Gelegenheiten gehen und auf den Willen sowie die Gefühle der
Betroffenen Rücksicht nehmen.
Der Frosch aber wird in seiner Drängelei auf
Einhaltung des Versprechens zum Qualgeist. Er wird zur Nervensäge, wie man es
auch an Kindern beobachten kann, wenn man ihnen in einer schwachen Stunde etwas
unachtsam zugestanden hat, was man eigentlich nicht versprechen hätte sollen,
weil man es kaum erfüllen kann. Bohrend und fordernd kann das Verhalten der
Kleinen dann werden. Wie sehr unser Leben an Phänomenen des moralischen Drucks
leidet, an Fragen der Folgeverpflichtung und des gesellschaftlich-mitmenschlichen
Zwangs, der tief in unserer Psyche wirkt, das wird uns in solchen Situationen
klar, obwohl die Motive des moralisch kindlichen Zwanges mit einer wahrhaften
Moral der freien Sitte nichts zu tun haben. „Was man versprochen hat, das muss
man auch halten“, heißt es da. Wir ahnen hier, dass ethischer Rigorismus und
Terrorismus in einem wild gewordenen Kindheits-Über-Ich wurzeln können. – Hier
im Nachhinein mit Theorien des unsittlichen Versprechens u. dgl. zu kommen, ist
wohl [in vielen praktischen Situationen] ein Ding der Aussichtslosigkeit.
Es sei wiederholt: die Prinzessin hätte das
Versprechen auch wirklich nicht geben dürfen, und „normalerweise“ muss man ein
Versprechen halten. Pacta sunt servanda, ein Satz von fast grundlegender
Bedeutung in der Rechtsphilosophie. Wenn man hier anfängt und sagt, z. B. die
Liebesschwüre oder die ungleichen Vereinbarungen [z. B. zwischen schwer reichen
Industriekonzernen und fast besitzlosen Arbeitnehmern], das seien eigentlich
gar keine verbindlichen Versprechen, wo kämen wir da hin? Pacta sunt
servanda, sagt die Rechtsphilosophie, zusammen mit dem Frosch und den kleinen
Kindern, und der weltkluge Grieche steht dumm da, wenn er sich zu einem
Versprechen hat hinreißen lassen, bei dem es ihm schwer oder unmöglich wird, es
zu erfüllen. Unsere Prinzessin steht besonders dumm da, weil sie sich ein sehr
folgenreiches Versprechen hat abringen lassen, das sie eigentlich gar nicht
hatte geben wollen und auch schon in dem Augenblick, als sie es gab, nicht
erfüllen wollte. Wenn sie insgeheim denkt, dieser Frosch könne ja gar nicht
eines Menschen Geselle sein, ihm dies aber nicht sagt, dann handelt es sich um
eine sogenannte reservatio mentalis. Ein innerlicher Vorbehalt, der das
Versprechen unaufrichtig und zu einer Fehlleistung macht. – Der Frosch kann nun
treffend den Sarastro aus Mozarts Zauberflöte zitieren: „Zur Liebe kann ich
dich nicht zwingen, doch geb’ ich dir die Freiheit nicht!“ In kolossalem
Basston sang Sarastro diese Worte. – Implizit unterstelltes Einvernehmen, das
stillschweigende Einverständnis ist noch eine Stufe komplizierter als ein
explizit gegebenes Versprechen. Wenn es hier zu Missverständnissen oder
Streitfällen kommt, lässt sich die Situation nur selten ohne Verrechnungsnotstand
und Kontaktabbruch aufklären. In beiden Fällen, implizit und explizit, bemerken
wir das Phänomen des moralischen Zwanges, und es macht uns sehr zu schaffen.
Unser Frosch jedenfalls, in diesem Fall aufgrund
eines explizit gegebenen Versprechens, setzt die Prinzessin sehr unter Druck.
Sie weiß sich keinen Rat mehr. Sie sieht keinen Weg mehr außer dem Weg der
Gewalt, ergreift den Frosch und wirft ihn an die Wand. „An die Wand mit diesem
fürchterlichen, nervtötendem, grünen Frosch“, schreit sie in äußerster
seelischer Not. Völlig ausgerastet! Ja, der Geschlechterkampf kann gehen bis
auf Leben und Tod. Durch diese Gewalttat, die wir für verwerflich halten,
verwandelt sich der grüne Frosch dann
in einen akzeptablen Prinzen. In dieser Gestalt „kann er eines Menschen
Geselle sein.“ Er ist erlöst, genießt mit der Prinzessin die Freuden der Liebe,
und alles ist gut. – Gut, denken wir, wenn auch durch eine Folge sehr heikler
Wechselwirkungen menschlichen Verhaltens.
Was soll man dazu sagen? Dass man auch vor
Gewalttaten nicht zurückschrecken soll, um Konflikte zu lösen? Besonders wenn
es darum geht, Erlösung zu erlangen? – Nein, eine solche Lehre möchte ich
nicht verantworten. Gewalt erzeugt in aller Regel Gegengewalt, bittere, schwer
gekränkte Gefühle und oft sogar einen Teufelskreis der Gewalt, - den „Fluch der
bösen Tat“, - sie gehört einfach nicht zu den statthaften Mitteln des guten
Miteinanders. – Das einzige, was sich diesem Ende abgewinnen lässt, ist
folgende, kontemplative Betrachtung: Trotz unstatthafter Versprechen, Nötigung
und Gewalttat kommt es im menschlichen Leben
manchmal zu einem glücklichen Ende. Das ist das Phänomen der felix
culpa. Sie ist als ein besonderer Glücksfall zu verstehen. Obwohl sich im
menschlichen Leben Fehlverhalten auf Fehlverhalten häuft, kann es, durch
höhere Fügung, dazu kommen, dass eine Geschichte gut ausgeht. Es geht hier
also nicht um die Propagierung von Kampfesbereitschaft und erlösender Gewalttat.
Man muss sogar davon ausgehen, dass es ohne unstatthafte Versprechungen, ohne
Nötigung und ohne Gewalttat noch viel häufiger zu einem glücklichen Ende
kommen könnte.
Das Märchen zeigt uns also, wie man es nicht machen
soll. Obwohl dergleichen häufig geschieht. Insofern zeigt uns das Märchen eine
typische Sequenz menschlicher Verhaltensweisen wie in einem Zauberspiegel mit
überlebensgroßen Figuren.
Vom Kuss des Frosches ist übrigens im Märchen nichts
zu lesen. Wir sollten in diesem Punkte in Erwägung ziehen, dass sich durch
einen solchen Kuss nicht zwangsläufig ein Frosch in einen Prinzen verwandelt.
Es könnte z.B. auch geschehen, dass sich die Menschenfrau in eine Froschfrau
verwandelt. Wir hätten dann zwei Frösche, die nach Erlösung schmachten.
Wir sollten den Erlösungsbegriff in dieser
Froschgeschichte überhaupt sehr kritisch betrachten. – Der Frosch, als er
nachher in einen Prinzen zurückverwandelt war, sagt zur Prinzessin, nur durch
sie habe er erlöst werden können. Deshalb musste er ihr so furchtbar mit seiner
Konsequenzmacherei zusetzen. – Mir scheint dies ein Indiz für eine idée fixe,
für eine übermäßig verfestigte Erwartung zu sein, wo sich jemand etwas viel zu
fest in den Kopf gesetzt hat. Das hat weniger mit Willensfestigkeit als mit
finsterer Leidenschaft [der Besitzergreifung] zu tun. Der erotische Trieb
richtet sich nicht spezifisch auf einen einzelnen Menschen. Es ist die
Entscheidung, die das bewirkt, und der Zeitpunkt, wann man solche
Entscheidungen fällen möchte, oder sollte, ist das eigentlich interessante
Problem. In seinen Entscheidungen soll man sich jedenfalls nicht zu schnell
und nicht zu sehr fixieren, weil man dadurch sich selbst unter gewaltigen
Druck und in böse emotionale Überhitzung bringen kann. Wenn nun nämlich der
verwegene Frosch-Plan, die Prinzessin durch ein derart fragwürdiges Versprechen
für sich zu gewinnen, nicht klappt, und das wird m. E. im praktischen Leben
aller Wahrscheinlichkeit nach auch so geschehen, dann gilt: „All sein Glück
ist dahin.“ „Nie mehr lieben!“ Ein solcher Satz kann schlimme Emotionen
auslösen. So ist das mit „Entweder – Oder“, „Alles-oder-nichts“. Es wäre viel
vernünftiger, zu sagen: „Wenn diese Prinzessin mich nicht zum Gefährten
annehmen will, dann werde ich mich in Fassung und in Geduld üben, vielleicht
kommt ja sogar irgendwann eine liebenswerte Froschdame des Wegs, die viel besser
zu mir passt.“ – Jedenfalls kann ein Frosch auch ohne eine solch problematische
Prinzessin gut über die Runden kommen. Wissen wir denn immer so genau, was
das Beste für uns ist? – Deshalb hieß es bei den Alten: „Auch wenn wir nicht
darum bitten, Zeus, gewähr uns das Gute, doch vor dem Bösen behüt uns auch
dann, wenn wir es erflehen.“
Das Verhalten des Frosches ist also ziel- und
verfahrensfixiert, er hat sich sowohl auf sein Ziel als auch auf die
Verfahrensweise, dieses Ziel zu erstreben, so sehr festgelegt, dass der höhere
Gesichtspunkt der gemeinsamen Freiheit für ihn nicht mehr zählt. „Wer A sagt,
muss auch B sagen“, meint er und vergisst, dass die Liebe, die er doch
eigentlich erstrebte, nur als Wechselspiel gemeinsamer Freiheit und nicht als
„moralischer“ Zwang zur Konsequenz möglich ist.
Es ist nicht allgemeingültig wahr, dass ein Frosch
durch das Zusammensein mit der begehrten Prinzessin beglückt wird. Es sind uns
Fälle bekannt, wo jemandem Schlimmes zuteil wurde, als er erhielt, wonach er
schmachtete. Es ist nicht allgemeingültig wahr, dass sich durch das Zusammensein
eines Frosches mit der Prinzessin Seele und Geist der beiden zu einer höheren
Form des Daseins erheben. Leicht können gehässige Missverständnisse und
kleinliche Streitigkeiten entstehen, wodurch man sich wechselseitig Schlimmes
antut.
Ein weiterer Punkt: wer sagt uns denn, dass sich der
Prinz nicht wieder in einen Frosch zurückverwandeln wird, wenn es irgendwelche
Schwierigkeiten gibt? Die er dann eventuell wieder mit Druck und „moralischem
Zwang“ lösen möchte? Denn dieses Spiel beherrscht er, und es gehört zu seinen
typischen Machtmitteln und Verfahrensweisen. – Es spricht in meinen Augen sehr
viel dafür, dass diese Rückverwandlung geschehen wird, wenn es neue Schwierigkeiten
geben wird. Wenn in wichtigen Dingen etwas nicht so läuft wie vorgesehen und
erwartet, fallen wir in die für uns typischen Denk- und Verhaltensweisen
zurück, die wir im Laufe unseres Lebens verfestigt haben. Die beiden, Frosch
und Prinzessin, haben sich nicht darüber verständigt, dass sie, zur Erreichung
ihrer jeweiligen Ziele, Verhaltensweisen angewendet haben, die vor dem Maß
mitmenschlicher Reziprozität einer Prüfung nicht standhalten würden. – Das
Licht des Bewusstseins hat die tatsächlich angewendeten Denk- und Verhaltensweisen
nicht erreicht. Es sind die Gewohnheiten des Denkens und Verhaltens, die man
als selbstverständlich für berechtigt und angebracht erachtet. Sie werden
häufig „betriebsblind“ appliziert.
Der entscheidende, „höhere“ Gesichtspunkt ist nicht, ob unsere Wünsche und Erwartungen erfüllt werden, sondern ob wir unsere Wünsche auf mitmenschliche Weise verfolgen, nach dem Gedanken der wechselseitig bestehenden Freiheit. Dies gilt natürlich auch für den Fall des „Erlösungsstrebens“.
Folgende Bemerkung erfolgt gegen ein mögliches
Missverständnis: Wenn ein anderer ein gegebenes Versprechen von mir einfordert,
und für mich klar ist, dass diese Forderung nicht aus moralischem Motiv,
sondern aufgrund von „egoistischen und instrumentellen“ Motiven erfolgt, dann
überhebt mich diese Einschätzung „normalerweise“ keineswegs der Verbindlichkeit,
das Versprechen einzuhalten. Diese Konstellation ist m. E. sogar menschliche
Regelmäßigkeit und Üblichkeit, denn die Motive moralisch nötigender
Forderungen sind selten rein moralisch. Es ist aber zu bedenken, dass das
Versprechen durch eine Willensvereinbarung und Einigung zustande kam. Diese
Vereinbarung kann ich nicht einseitig, sondern nur in gegenseitigem
Einvernehmen auflösen. Es gibt nun aber Versprechen mit einem Inhalt, der
eigentlich nicht versprochen werden kann, weil es sich z. B. um eine effektive
Unmöglichkeit oder um etwas ganz Unverhältnismäßiges handelt. Natürlich
entsteht ein Problem, wenn es dennoch zu dergleichen Versprechen kommt, z. B.
zu einem Versprechen unbedingter Liebe oder Loyalität, und man müsste dann in
der Konsequenz eventuell aus Liebe ein Verbrechen gegenüber Dritten begehen.
Ein solches Versprechen darf man nicht geben, weil es ungültig ist. –
Keineswegs sollte man denken, man könne es geben, weil es ungültig sei, wie
unsere Prinzessin für sich meinte. -
Günstigster Fall ist auch hier, das Versprechen in gegenseitigem
Einvernehmen aufzulösen. Ist der Fall aber strittig, wie zwischen Frosch und
Prinzessin, hat man eine regelrechte Aporie produziert, eine Ausweglosigkeit.
Bricht die Prinzessin das Versprechen, wird die begründete Erwartung des Frosches
verletzt. Hält sie das Versprechen, bedeutet das für sie eine ganz unverhältnismäßige
Konsequenz,. Es wird zwischen den beiden aller Wahrscheinlichkeit nach in der
weiteren Folge keinen Frieden geben. – Als Außenstehender würde ich dazu
raten, das Versprechen wegen dieser Unverhältnismäßigkeit und den
wahrscheinlichen Konsequenzen zu brechen, obwohl das keine befriedigende Lösung
ist. Ist man aber in der Aporie, gibt es eben keine befriedigende Lösung.
Deshalb kommt alles darauf an, gar nicht erst in eine solche Situation hinein
zu geraten. Es ist eine Fehlentscheidung, durch die man eine solche Situation
gerät, ganz von alleine ergibt sie sich ja nicht.
Wir sind also tatsächlich zu dem Ergebnis gekommen,
dass es eine Spielart von Versprechen und Abmachungen gibt, die eigentlich
keine echten Versprechen und Abmachungen sind. So wie es Frösche gibt, die
eigentlich keine Frösche sind. Die abgenötigten Liebesversprechen gehören zu
den Scheinversprechen, auch die Liebesschwüre und wahrscheinlich auch die
Versprechen ewiger Treue. In unserem emotionalen Wunschdenken haben sie eine
große Bedeutung, aber eine Einforderung gegen den veränderten Willen einer
der Beteiligten ist weder praktisch durchführbar noch empfehlenswert.
Teil 2, die Projektionserzählung
Der Frosch im Märchen kann sprechen wie ein Mensch und ist deshalb eigentlich ein Mensch und kein Frosch. Er ist ein Mann, der sich in eine Frau verliebt hat. Der Gefühlszustand, in dem er sich befindet, bewirkt, dass ihm die Frau wie eine Prinzessin erscheint. Sich selbst sieht er, vermutlich infolge eines Mangels an Selbstwertgefühls, als Frosch, die weibliche Person, auf die er ein Auge geworfen hat, sieht er als ein Wesen höherer Art im Vergleich zu sich selbst. Das ist typische Verliebtheitsprojektion. Unter dem Einfluss emotionaler Erhitzung sehen wir Dinge und Menschen unter einer stark subjektiven Perspektive. Manche Dinge erscheinen uns überlebensgroß, andere Dinge, die ebenfalls vorhanden sind, übersehen wir eventuell ganz. Man kann erkennen, dass unser Geist unter dem Einfluss einer übermäßigen Innenhitze besonders selektiv arbeitet und einem Willen zu Einseitigkeit und Übertreibung in besonders hohem Maße huldigt. So wird aus einem jungen Mann ein Frosch und aus einem selbstbezogen spielenden Mädchen [von lockender Schönheit] eine strahlende Prinzessin.
Aus der Behausung des Mannes wird ein Brunnen, aus der Behausung der Dame wird ein Schloss. – Möglicherweise wird die Situation dadurch kompliziert, dass beide Personen in unterschiedlichem Ausmaß gesellschaftliche Reputation genießen, dass also ein Unterschied des gesellschaftlichen Status besteht. Wir haben dann alles beisammen, was die Kommunikation und Kooperation zweier Menschen schmerzlich und schwierig machen kann.
Die Projektionen unseres Frosches und unserer Prinzessin bringen das anschauliche Bild der Märchenszene hervor. Eine theatralisch wirksame Szene, bei der man gerne stehen bleibt und vergisst, dass das gute Theater der Selbsterkenntnis und einem besseren Verhältnis zu sich selbst, im Denken, Empfinden und Verhalten, zu dienen vermag. – Das Theater in den Niederungen des Alltags dient dagegen meist nur der Bemäntelung geheimer Interessen. Wir tragen die Maske der Heuchelei, um geheime Interessen hinter dem Rücken anderer zu verfolgen . – Wenn wir das Märchen als Zauberspiegel und als Theater der Selbsterkenntnis auffassen, bedeutet die Froschrolle, dass der Mann, unter dem Einfluss verliebter Innenhitze, einer verzerrten Realitätswahrnehmung huldigt und sich in seiner Selbstwahrnehmung herabsetzt. Davon ist ihm abzuraten. Das Stichwort dazu lautet „Ressourcenstärkung versus Ressourcenschwächung“. - Korrespondierend hierzu sollte er auch die Prinzessin als normalen Menschen wahrnehmen und sich innerlich auf gleichen Fuß zu ihr stellen. Es gibt keinen Grund, sich selbst in der wertenden Auffassung herabzusetzen, und es gibt keinen Grund, den andern in der wertenden Auffassung zu überhöhen. Es ist lediglich die Voraussetzung der wechselseitig zu berücksichtigenden Freiheit zu machen.
Die Szene mit Frosch und Prinzessin ist in dieser Lesart die gelungene Darstellung, wie der menschliche Geist unter dem Einfluss emotionaler Überhitzung arbeitet, also die Darstellung einer subjektiven Perspektive. Die Darstellung dieser Perspektive ist sehr gelungen: es ist die Darstellung von menschlicher Wirklichkeit, subjektiver und objektiver Wirklichkeit, zugleich, durch die „Konstruktion von Gestalt“ [Rem. an C. F. Weizsäcker]. – Nicht lediglich abbildend. - Obwohl uns diese Darstellungsweise zu begeistern vermag, sollten wir deshalb die dargestellten typisch menschlichen Denk- und Verhaltensweisen nicht und als gut und richtig bewerten. Gut und richtig wäre es vielmehr, die emotionale Innenhitze ein wenig abzukühlen und zu entdecken, dass man sich herabsetzende und überhöhende Denkweisen zueigen gemacht hat, mit welchen man sich den Schaden einer Ressourcen- und Selbstbewusstseinsschwächung zugefügt hat. – Es sind also genau die so anschaulichen Übertreibungen, Frosch, Prinzessin, Brunnen u. dgl., durch welche der männliche Protagonist seine Handlungsfähigkeit schwächt. Wenn er wegen dem ästhetischen Reiz dieser Darstellungsweise seine Auffassung als unveränderlich und endgültig fixiert, dann schafft er sich ein Problem - „Wie überwindet man die finstere Leidenschaft für gekränkte Gefühle?“ Keine Zusatzschwierigkeiten schaffen! [Primum nil nocere!] Sichtweisen relativieren! Überreaktionen vermeiden! Für Entspannung sorgen! – Aber nicht beim ästhetischen Ausdrucksbedürfnis und der Frage stehen bleiben, wie furchtbar sich der Schmerz der Entbehrung anfühlt!
Der Subjektivitätsanteil in der Auffassung der Situation durch den männlichen Protagonisten zeigt sich also in gewissen Übertreibungen und tendenziösen Einseitigkeiten. Wir sagten, durch die Art dieser Auffassung, welche interpretatorische Zusätze in die nüchterne Betrachtung hineinbringt, betreibe der männliche Protagonist Ressourcenschwächung und mindere seine Handlungsfähigkeit. Auch in der Darstellung seiner Wünsche und Absichten finden wir diese Eigenart. Er strebt nach „Erlösung“ aus der Froschform seines Daseins, die einzig dadurch möglich sei, dass die Prinzessin auf sein Vorhaben eingeht. Durch diese Übertreibung wird sein Wunsch zu einem dringenden, fast unabweisbarem Bedürfnis intensiviert. Als ob es nicht vielleicht doch eine Alternative im Ziel oder in der Verfahrensweise gäbe. Man kann das „Anhaftung“, „Fixierung“, „Objektbesetzung“ o. dgl. nennen.
Der Wunsch, der Prinzessin näher zu kommen, wird also obsessiv [von lat. obsideo: in Anspruch nehmen; besetzt halten; belagern; bedrücken]. Er wird fordernd. In dieser Qualität wird er nicht nur für die Prinzessin unangenehm und quälend. Der Frosch bringt sich auch selbst in Bedrängnis mit dem allzu intensiven Wunsch. Er kann durch die Dramatisierung des Wunsches zum Erlösungsverlangen nicht mehr gelöst und gelassen mit seinen Absichten und Verfahrensweisen umgehen. Es spricht nichts dagegen, dass er versucht, die Prinzessin aufmerksam zu machen auf sich und seine Wünsche. Aber seine Wünsche finden eine Grenze am freien Willen und dern Gefühlen der betroffenen Person. – Wie bereits erwähnt: „In Liebesdingen sollte man nach Gelegenheiten gehen und auf den Willen und die Gefühle der Betroffenen Rücksicht nehmen!“ – Auch wenn wir unsere Wünsche zu Erlösungswünschen intensiviert haben, berechtigt uns das nicht zu Rücksichtslosigkeit. – Auch nicht zur Selbst- und Fremdschädigung durch die Leidenschaft für gekränkte Gefühle und für den Schmerz der Entbehrung.
Zum Schein achtet unser Frosch diesen freien Willen der betroffenen Person, indem der den Weg der Versprechensbindung wählt. Der Weg dieser Versprechensbindung ist aber inhaltlich problematisch, weil unser Frosch mit dieser Verfahrensweise vergisst, dass wertschätzende Aufmerksamkeit nur möglich ist im Zusammenspiel wechselseitig bestehender Freiheit. Die Nötigung durch „moralischen Zwang“, in Liebesdingen und Erlösungsfragen, hat etwas Äußerliches und ist als unangemessen zu verwerfen. Das Glück eines Mannes, der eine Frau bekommt, die ihn „eigentlich“ gar nicht will, steht darüber hinaus unter einer sehr ungünstigen Prognose. – Auch hier „tut sich der Frosch etwas an“. Er versucht, etwas zu erzwingen, was keinen Zwang verträgt. Dadurch produziert er „Stress“. Er bringt die Prinzessin und sich selbst gleichermaßen unter Druck. Er übersieht die Auswirkung seiner Denk- und Verhaltensweisen auf die Art der kommunikativen Situation, - die „Atmosphäre“ der Gemeinsamkeit, - die er mit der Prinzessin selbst dann haben würde, wenn sie sich seinen Forderungen fügte. Er verlässt den Weg des guten Miteinanders, obwohl es ihm doch eigentlich darum geht, ein gutes Miteinander mit der Prinzessin zu erzielen. Die Art seines Strebens nach dem Glück ist eigentlich unsinnig und macht ihn „unwert“ oder „unwürdig“, sein Ziel zu erreichen.
Teil 3, die Froschberatung
Nun zu unseren
Frosch-Empfehlungen, die im Gestus ironischer, aber nicht zynischer
Sitten-Unterweisung vorgetragen werden:
Frösche, die Welt ist groß. Wen Amor empfiehlt, der
fliegt mit leichten Schwingen. Gut beratene Frösche aber kennen die Abgründe
der besitzergreifenden Liebe und springen dort nicht hin, wo sie persona
ingrata sind.
Kriegs- und Liebeskunst. In der Kriegskunst versucht
man, ein Ziel gegen den Willen des Gegners zu erreichen, eventuell sogar zu
erzwingen. Auch sogenannte „moralische“ Zwänge fallen unter diese Rubrik. Im
besten Falle ein Nullsummenspiel, führt das in der Regel zur Eskalation
destruktiver Konflikte.
Bei den niederen Formen der Liebe ist es ähnlich. Es
geht um Manipulation und Besitzergreifung. Man respektiert nicht den freien
Willen des anderen, jedenfalls nicht in genügender Weise und stuft ihn dadurch
herab zu einem Objekt der Manipulation und des Begehrens. Vom Standpunkt der
gemeinsamen Freiheit, vom Standpunkt der wechselseitig bestehenden und zu
respektierenden Freiheit, verdient das Tadel.
Bei den höheren Formen der Liebe versucht man, ein
Ziel unter Berücksichtigung der andern, der Betroffenen, zu erreichen. Die
Anerkennung des fremden Willens gehört hier selbst zum erstrebten Ziel. Man
kann diese Anerkennung auch als empfehlenswerte Verfahrensweise propagieren, in
diesem Fall kann man sagen, dass eine bestimmte Art des Verfahrens auch ein
Ziel oder Zweck ist.
Viele sind unfähig zu den höheren Formen der Liebe,
weil sie sich einseitig auf [eventuell] triebbedingt erhitzte Emotionen
fixieren, welche zwar nicht vernachlässigt werden dürfen, aber auch nicht außer
Kontrolle geraten sollten. Man verfällt in schmachtendes Begehren, man entfacht
den Zorn der Libido und schnürt den Knoten überforderter und übertriebener
Erwartungen.
Stichwort „Zorn der Libido“. Es handelt sich um den
sozusagen „triebtheoretischen“ Gesichtspunkt. Er sollte ergänzt werden um
einen „bindungstheoretischen“ Gesichtspunkt: Der Zorn der frustrierten Libido
macht uns vielleicht weniger zu schaffen als die dramatisierende Leidenschaft
für verletzte Gefühle. Frühkindlich frustriertes Bindungsverhalten und
frustriertes Anerkennungsbedürfnis haben Emotionsmuster in uns entstehen lassen,
die uns Situationen von Ablehnung und
[dafür gehaltener] Zurückweisung in persönlichen Dingen besonders
intensiv empfinden lassen. – „Vor Zorn der Liebe zischt er laut“, [Rheingold,
1. Szene], ist das resultierende Verhaltensphänomen. Es ist tendenziöse, sehr
persönliche Auffassung darin, sowie fremd- und selbstschädigende Überreaktion.
Die Liebe, die man loben soll, ist ein Kind der
gemeinsamen Freiheit, welche einseitige Vereinnahmung meidet. „Sei
wechselseitig!“ ist ihr Motto. Man sieht die normative Komponente, man braucht
aber, für den höheren Standpunkt in solchen Fragen, die Unterscheidung einer
Moral der gemeinsamen Freiheit von einer konventionellen Moral der sozialen
Kontrolle, Verhaltensdressur und Verhaltensgewohnheit. Die konventionelle Moral
der sozialen Kontrolle setzt auf Außensteuerung und Fremdbestimmung, weil sie
der inneren Motivation des Menschen misstraut. In der Liebe sollten wir uns
darüber erheben, um der Regel der gemeinsamen Freiheit im erhöhten Maße zu
entsprechen, nicht aber, um sogar noch unter das konventionelle Maß zurückzufallen.
Der Grund dafür: Die konventionelle Moral widerstreitet nämlich der Moral der
gemeinsamen Freiheit nur zum Teil. Sie beinhaltet, trotz aller Bedenken, wegen
Außensteuerung, Fremdkontrolle und betriebsblinder Gewohnheit, ein bestimmtes
Niveau der gemeinsamen Freiheit und des Schutzes [dieser Freiheit] vor den
Auswüchsen triebbedingter Emotionen. Wenn man also vom Konventionellen
abweicht, sollte man dieses Niveau [der darin realisierten gemeinsamen
Freiheit] nicht unterschreiten, sondern überbieten in Hinsicht auf wahrhaft empfehlenswerte Denk- und
Verhaltensweisen.
So sprechen die Frösche: „Liebe und Anerkennung
suchen wir, aber Ablehnung und Zurückweisung wird uns zuteil.“ Die gekränkte
Reaktion erfolgt aufgrund eines Auslösers, aber auch aufgrund von tendenziöser
Zuschreibung und Interpretation. Die Eitelkeit wird gekränkt, die Libido
frustriert, Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung macht sich breit. Der
betroffene Frosch setzt wahrscheinlich noch ungeeignete Bewältigungsversuche
und problematische Ersatzbildungen hinzu und schafft sich
Zusatzschwierigkeiten, die eigentlich vermieden werden sollten. – Aber es
entspricht der Eigenart des Menschen, erst einmal Zusatzprobleme zu erzeugen,
wenn es Schwierigkeiten gibt.
Die Frösche erfahren Frustration ihres Anerkennungs-
und Liebesbedürfnisses, sollten aber ablassen von den deprimierenden
Gefühlsmustern. Zumindest sollten sie einen Versuch machen, diese
Gefühlsgewohnheiten abzuschwächen.
Die Frösche sollten ihren Wünschen nach
besitzergreifender Liebe entsagen und das Lob der gemeinsamen Freiheit zu
singen erlernen.
Die Frösche gehen durch schwierige Gefühle. Gefühle
und Emotionen soll man nicht unterdrücken, aber zweckmäßig steuern, moderieren
und gestaltend mäßigen sollte man sie doch. Zweckmäßig in welcher Hinsicht?
Hinsichtlich der wechselseitig bestehenden Freiheit.
Die Verhaltensqualität des Frosches wird an einer
bestimmten Stelle fordernd und widersprüchlich zugleich. Dass er erlöst werden
möchte, ist ein legitimer Wunsch. Dass dies durch die Macht der Liebe geschehen
soll, ist eine weit verbreitete Präferenz. Dass dies durch moralischen Zwang
und Einforderung eines Versprechens erfolgen kann, ist eine Illusion der
Besitzergreifung und Vereinnahmung. – Es ist zwar richtig, dass man Versprechen
im allgemeinen einhalten sollte, aber es gibt Umstände, wo es der Takt
verbietet, Versprechen zu fordern.. Ihre Einhaltung sollte man dann erst recht
nicht fordern. – Insbesondere gibt es keine Berechtigung zu vergeltenden
Maßnahmen, wenn Hoffnungen erregt werden und dann unerfüllt bleiben.
Frosch, lass ab von übermäßigen Forderungen! Sieh
die Menschen, die sich selbst und andere mit übermäßigen Forderungen verrückt
machen! Wegen übertriebener Forderungen verlieren sie Machbarkeit und
Opportunität aus den Augen. Ach, was können Menschen sich Schwierigkeiten
machen!
Der Wunsch nach Liebe, die nur im Zusammenspiel
gemeinsamer Freiheit möglich ist, wird ersetzt durch besitzergreifendes Verlangen.
Unter den Bedürfnissen des Menschen ist das
Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung. Leider aber strebt man oft nach Liebe und
Anerkennung, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen, die ja ebenfalls dieses
Bedürfnis haben. Wir alle haben ein Selbstbestimmungsrecht, wie wir es mit
unseren Bedürfnissen nach Liebe und Anerkennung halten möchten. Grenze dabei
ist, dass wir den Willen der anderen berücksichtigen müssen, also die
Wechselseitigkeit.
Klagt nicht über Zurückweisung und Kränkung, wenn
andere Handlungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen, die ihr selbst u. U. auch in
Anspruch nehmen möchtet! – Wie werdet ihr handeln, wenn ihr den erotischen
Notfall zu erkennen glaubt?
Das Gefühl der enttäuschten Hoffnung verbindet sich
mit Erinnerungen an vergangene Kränkungsgefühle. – Mit der vergeltenden
Kränkungsverarbeitung macht ihr Euch schuldig nach dem Maßstab wahrhaft
moralischer Liberalität.
Es tut den Fröschen weh, dass die Prinzessinnen
nicht mit ihnen zusammensein möchten. Aber sie sollten dies auf sich beruhen
lassen, Geduld, Fassung und Gelassenheit sollten sie wahren, um nicht unwürdig
zu werden.
Das Unglück des Liebes- und Aufmerksamkeitsentzugs
ist schwer zu ertragen. Aber es werden sich neue Gelegenheiten finden, an
gemeinsamen Unternehmungen mit gutwilligen Froschdamen Freude zu finden.
Frösche! Süße Früchte sind nicht das Höchste im
Leben. Oft ist es wirklich so, dass man sich von einer Sache zu viel erwartet.
– „Sache“ hier im Sinne von erwünschter Situation, an der auch Personen
beteiligt sein können. – Gerade bei innigen Wünschen und beim Begehren ist es
oft der Fall, dass man sich selbst, durch die Erzeugung bitterer Gefühle,
Schaden antut wegen illusionsbedingter Hochschätzung und Überhöhung eines
Wunschziels. – Das Gefühl der enttäuschten Hoffnung verbindet sich leicht mit
Erinnerungen an vergangene Enttäuschungen.
Die Frösche sollten nicht länger der finsteren
Leidenschaft für verletzte Gefühle und Kränkungen frönen. Sie sollten ablassen
von den deprimierenden Gefühlen.
Man darf sich nicht verrückt machen und sagen, damit
müsse man allen Wünschen ähnlicher Art entsagen. Nein, man wahrt die Freiheit,
diese Wünsche weiterhin zu verfolgen. Dass man in der Wahl der Mittel und der
Ziele auch die Verantwortung vor dem Forum der eigentlichen Humanität wahrt,
ist der wichtigste Punkt.
Wenn man eine Hoffnung zurückstellen oder aufgeben
muss, dann kann man sich fragen: „Ist es wirklich so schlimm oder hat es mir
vielleicht Schlimmeres erspart?“ „Warum über eine Situation klagen, die
vielleicht sogar das Beste für alle Beteiligten ist, was sich hat ergeben
können?“ Man muss einen Wunsch und eine Projektion loslassen, keine Realität.
Warum über eine enttäuschte Erwartung klagen, wenn
vielleicht für alle Beteiligten das Beste geschehen ist? Eine entstandene
Erwartung wurde enttäuscht. Aber es hätte ja auch Schlimmeres geschehen
können. – Eine Situation missglückter Gemeinsamkeit hätte entstehen können.
Eine unglückliche Bindung hätte entstehen können. Es könnte also sein, dass
euch ein Unglück erspart geblieben ist.
Die einseitige Art, gemeinschaftliche Unternehmungen
zu definieren, oder gar Kontaktabbrüche zu tätigen, stellt eine schlechte
Prognose dar für das Gelingen von Wechselseitigkeit. – Damit wird es sogar
wahrscheinlich, dass euch ein Unglück erspart geblieben ist.
Die Befriedigung triebbedingter Wünsche soll in
Übereinstimmung mit dem Geist der wechselseitigen Freiheit erfolgen, der
gewahrt werden will. Auch das Bewusstsein dieses Geistes ist wichtig. „In uns“,
sagt Schelling, „schlägt die Natur die Augen auf und wird sich ihrer selbst
bewusst.“ Das Kleid der konventionellen Moral werden wir ablegen, dann aber
stehen wir unter einer Moral der freien
Sitte, die Wesentliches von uns fordert.
In Verliebtheit und Liebe sollte man nach günstigen
Gelegenheiten gehen und darf sich nicht zu starr fixieren. Man muss das Beste
aus der Situation machen, Optionen nutzen und nicht zerstören. Nur was in
wechselseitigem Einvernehmen entsteht, ist akzeptabel und lobenswert.
Das romantische Liebesideal hat einen Zug von
Nötigung und Terrorismus. Man setzt dabei alles auf eine einzige Option und
bedenkt nicht, dass das Leben auch gut weitergehen könnte, wenn sich eine
Hoffnung zerschlägt. Das ist vergleichbar mit Ellis’ Prüflingsbeispiel: „Wenn
ich diese Prüfung nicht bestehe, dann werde ich niemals einen akzeptablen Job
erhalten!“ Mit dieser „Muss-Turbation“ kann man sich verrückt machen und total
blockieren. Man sollte sich deshalb in mäßigenden Betrachtungen üben. – „Ich
will vieles tun, um die Prüfung zu bestehen, aber wenn es nicht klappt, dann
gibt es vielleicht auch noch einige Chancen, mit Würde und Fassung über die
Runden zu kommen.“
Der Fuchs mit den sauren Trauben ist auch im Spiel.
Er spricht jetzt:
Die Trauben sind wahrscheinlich süß, aber ich kann
sie nicht erreichen. Ist deshalb mein Unglück ausgemacht? Nein, vielleicht
erspart es mir sogar eine Magenverstimmung.
Süße Trauben, die man nicht erreichen kann,
rechtfertigen es nicht, dass man sich deshalb verrückt macht. Wenn man sich das
klar macht, hat man etwas Höheres verwirklicht, als der Genuss süßer Trauben
ist. Eine Denk- und Verhaltensgestalt von innerem Eigenwert ist das, während
der Genuss süßer Trauben lediglich
einen relativen Wert darstellt, der nur unter der Bedingung akzeptabel ist,
dass er niemandes Freiheit schädigt.
Man überschätzt oft
eine Sache, die man schmerzlich entbehrt. Dabei ist nicht einmal gesagt,
dass es uns gut tun würde, wenn wir sie erhielten.
Triebbedingte Emotionen sind oft mit illusionären
Zuträglichkeitserwartungen verbunden. Illusionär insofern, als uns das Ziel
vielleicht doch nicht so gut tun würde, wie wir es erwartet hatten.
Nicht die Schönheit einer Frau ist entscheidend für
das Glück, das du mit ihr erleben kannst, sondern die Art des [kommunikativen
und kooperativen] Miteinanders, das du mit ihr hast.
Dass wir fast alle an frustriertem Liebesverlangen
leiden, ist kein ausreichender Gesichtspunkt, dass wir uns zusammentun
sollten, um uns zu lieben. Es gibt ja tatsächlich schwerwiegende Disharmonie
der Mentalitäten.
Der Mann sollte sich eine Frau suchen, die
ihrerseits einen Mann sucht und ihn als Bewerber für eine Partnerschaft
akzeptiert. Liebe, in der Misshandlung und Nötigung stattfinden, ist
tadelnswert.
Frösche, was habt ihr von Frauen, die euch nicht
haben wollen? Eine Frau zu erhalten, mit der man dann nicht zurechtkommt, ist
ein Unglück! Wegen jeder Kleinigkeit kann es zu Streit und Zwietracht kommen.
Ihr werdet Loyalitätskonflikte erleiden und könnt euch nicht denjenigen
zuwenden, die euch vielleicht gefallen würden.
Was macht es für einen Sinn, eine Frau haben zu
wollen, die einen selbst nicht will? Oder nicht mehr will? Was hat man davon? –
Streitigkeiten, üble Stimmung, Kränkungen und verletzte Gefühle. Eigentlich
wäre man da besser dran, wenn man sich ohne Rücksicht auf Loyalität einer
anderen Person zuwenden könnte, um in freiem Einvernehmen gemeinschaftliche
Unternehmungen durchzuführen.
Manche Frauen gefallen den Fröschen so gut, dass es
für ihre Seelenruhe gefährlich wird. Man will sich ihnen nähern und erträgt es
nicht mit der richtigen Fassung, von ihnen mit Gleichgültigkeit behandelt zu
werden. In diesem Fall kann es hilfreich sein, sich vorzustellen, sie trügen
ein Schild mit der Aufschrift: „Wer mich erwählt, bekommt was er verdient!“ Es
ist eines der Mottos der Kästchenwahl in Shakespeares „Kaufmann von
Venedig“. In diesem Motto liegt etwas
verhalten Drohendes, was der Idealisierung der angeschmachteten Person
entgegenwirkt.