Die Osterwoche

 

Dies ist eine besondere Woche. Der erste Frühlingsvollmond wird sich runden. Die Natur erwacht zu neuem Fortpflanzungsgeschehen, - im Guten wie im Bösen, wie man skeptisch-kritisch an­merken darf. Die Osterhäschen, sehr jung noch und völlig unschuldig, üben Früh­lings­yoga auf der Wiese. Dies ist ein Aspekt der Unschuld des Werdens, nachher entwickelt sich ver­mutlich nicht alles zum Besten, immerhin manches aber doch. Jede Zeit ist ein­malig und wenn einmal vorbei, eigentlich unwiederbringlich dahin, aber es gibt jedes Jahr eine er­neut wiederkehrende Woche des Frühlingsvollmondes, als Zeichen der Einheit von Erneue­rung und Wiederkehr bereits bekannter Daseinsformen.

 

Das Christentum hat ein Sym­bol tödlichen Scheiterns und dann dennoch endgültiger Aufer­stehung und Verklärung hinzugenommen. Das sind die ex­tremsten Gegensätze, die man sich innerhalb eines Wochengeschehens vorstellen kann.

 

Es ist zu bemerken, dass es den Wechsel der Jahreszeiten und das Erdenjahr selbst noch nicht immer gegeben hat und nicht immer geben wird. Die Erde selbst gibt es erst seit 5 Mrd. Jah­ren, und es wird sie vermutlich in 5 Mrd. Jahren nicht mehr geben.

 

Woher man das alles weiß? Das ist das Werk der Wissen­schaft. Wahrnehmung und Denken führen den Menschen zur Einsicht in die Natur der Dinge, wenn er die richtigen Schlüsse aus den zutreffenden Be­obachtungen zu ziehen imstande ist. Hinzu kommt die Frage, welche Verallgemeinerungen zulässig und statthaft sind. [Verallgemeinerungen und Schlüsse sind zweierlei, wenn man unter „Schlüssen“ nur rein logische Schlüsse versteht.] – Wir gehen na­türlich davon aus, dass es unserer Wissen­schaft durch günstige Umstände und große Geistes­anstrengung tatsäch­lich gelingen konnte, die richtigen Schlüsse und die richti­gen Verallge­meinerungen aus den rich­tigen Beobachtungen zu ziehen bzw. anzustellen. Selbstverständlich ist dies keineswegs, denn manche Beobachtungen sind irrelevant, mache Schlüsse unmaßgeb­lich und manche Verall­gemeinerungen unstatthaft! Deshalb gilt manchen von uns „Wissen­schaft“ nur als eine Art von methodisch gehegtem Irrtum.

 

Man denkt und redet derart, wie man es gelernt hat. Man sagt dann auch etwas, weil man es eben nicht besser weiß. Und hält es letztendlich auch selbst für wahr. [Dies ist eine Reminis­zenz an F. Nietzsche, 1873, „Über Lüge und Wahrheit im außermoralischen Sinn.“]

 

Aber zurück zu unserem eigentlichen Thema! Also: In sei­nen jungen und stür­mischen Jahren zeigte das Univer­sum noch wenig Interesse an regelmäßig wiederkehrenden Abläufen, damals ging alles kreuz und quer, das Durcheinander war groß. Überall brodelten die fürchterlichsten Dinge und führten zu katastrophalen Eruptio­nen. Da­mals konnte kein Leben entstehen, - diese rätselhafte Daseinsform mancher materiel­ler Kör­per, - be­darf es dazu doch geregelter Abläufe und fester Zeiten, wie man sie heute hat, inner­halb von einigen Milliarden Jahren, mit Früh­ling, Sommer, Herbst und Winter und eben dem wiederkehrenden Frühlingsvollmond.

 

Als das Uni­ver­sum noch klein und winzig war, dafür aber enorm dicht und immens heiß, gab es noch nicht ein­mal die Atome und Elemente, aus denen wir bestehen. Da war an uns selbst erst recht noch nicht zu denken, niemand konnte voraussehen, wozu es kommen würde. Da­mals gab es noch nicht einmal den Unterschied von Licht und Materie, keinen durchsichtigen, von Licht durchfluteten  Raum, keine gleichmä­ßig fließende Zeit, alles war völlig anders, als wir es kennen, - und sehr ungemütlich. Nur das junge und wilde Univer­sum war da, das nicht wusste, wohin mit all seiner ungezügelten Kraft. Ein furchtbarer Zustand, seiner selbst völlig unbewusst, der dumpf und qualvoll nach Gestalt­prägung rang! Eine einigermaßen feste Ges­talt gab es damals nämlich noch nicht, weder in räumlicher noch zeitlicher Hinsicht.

 

Auch Erde und Mond waren nicht von jeher zusammen. Zunächst schweifte die Erde allein auf ihrer Bahn im Schwerefeld der Sonne. Durch die unterschiedlichen Abstände zu den ande­ren großen Pla­neten, Jupiter und Saturn, ergaben sich, gravitativ bedingt, beträchtliche Schwankungen der Erd­rotationsachse. Sie „eierte“ ganz beträchtlich. Die Schiefe der Erdbahn zum Himmelsäquator betrug teilweise bis zu sechzig Grad, was glühend heiße Sommer, meh­rere Mo­nate ohne Sonnenuntergang und extrem kalte und finstere Wintermonate zur Folge hatte. [Heute beträgt die „Schiefe der Ekliptik“ ca. 23 Grad. Bei 0 Grad würden Himmels­äquator und Erdbahn in eins fallen, die Erdachse stünde dann senkrecht auf der durch die Erdbahn definierten Ebene. Bei 90 Grad würde die Erde sozusagen auf der Bahnebene rollen, und die Sonne stünde bisweilen über den Erdpolen im Zenit. Heute gleicht die Erdrotation der Rota­tion eines Kreisels, wobei die Rotationsachse ein wenig schräg zur Unterlage steht.]

 

Außerdem rotierte die Erde sehr viel schneller als heute, der Tag dauerte nur fünf bis sechs Stunden. [Die Schiefe der Ekliptik ist die „Ursache“ der Erd-Jahreszeiten, die Rotationsge­schwindigkeit die „Ursache“ der Tageslänge.]

 

In der Frühzeit des Sonnensystems kam es oft zu Zusammenstößen von Himmelskörpern, weil die Macht der Gravitation die Verhältnisse noch nicht so weitgehend geordnet hatte wie in späteren, ruhigeren Zeiten. Verschiedene Himmelskörper schwirrten wild umher, es kam oft zu katastrophalen Zusammenstößen. So kam es auch zu dem gewaltigen Zusammenstoß der Erde mit einem planetoiden Himmelskörper, aus dessen Trümmern, wiederum vermittelst der ordnenden Kraft der Schwere, sich der heutige Mond bildete. Von da an änderte sich manches auf der Erde. Im Laufe der Zeit bremste der Mond die Erdrotation ab zu der heutigen Tages­länge von 24 Stun­den. Außerdem stabilisierte der Mond durch seine Gravitationswir­kung die Schiefe der Erdbahn auf die heutigen 23 Grad. Dieser Wirkung verdanken wir le­bensfreundliche kli­matische Verhält­nisse auf der Erde. Bei den extremen Sommern und Wintern, die aus einer ursprünglich teil­weise sehr viel größeren Schiefe der Erdachse resul­tierten, hätte das irdische Leben nicht ent­stehen können. Der Mond schirmt die Erde ab von den destabilisierenden Schwerkraftwir­kungen der großen Planeten. Auch heute noch verlang­samt er die Rotation der Erde. Auch heute noch entfernt er sich mehr und mehr von der Erde. Irgendwann wird er sich aus dem Schwerefeld der Erde entfernt ha­ben.

 

Es gibt also triftige Gründe, sich der [noch immer] wiederkehrenden Abläufe an der nicht mehr ganz so stürmischen Periphe­rie des Universums zu erfreuen, des geregelten Wechsel­spiels der Jah­res­zeiten und der Woche des ersten Frühlingsvollmondes, der Osterwoche. Ohne die Regelmä­ßigkeit des Zusammenspiels von Kräften der Sonne und des Mondes hätten die Le­bensformen der Erde, nicht entstehen können. Die Vielfalt der Lebensformen mitsamt der Blüte des menschlichen Bewusstseins, in all seinem rätselhaften Für und Wider. Das mensch­liche Bewusstsein mit der gewaltigen Fähigkeit, zu fast allem, maßgeblich und unmaßgeblich, mit triftigen und weniger triftigen Gründen, Stellung zu nehmen.

 

P.S. Unter dem Titel „Ohne ihn“ erschien in der Zeit [Nr. 47] vom 13.11.2008 ein Artikel von Herbert Cerutti mit der These: „Wenn die Erde den Mond nicht hätte, wäre menschliches Le­ben nicht möglich.“ Diesen Artikel habe ich dankbar rezipiert.

 

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