Zusatz im Januar 2006:

 

Dass ich die Fähigkeit habe, auf meine Gedanken zu achten, bedeutet nicht, dass ich Gedanken willkürlich so hervorbringen kann, wie es mir gerade passt. Wir alle sind von Stimmungen abhängig. Wahrscheinlich mehr, als wir wahrhaben wollen. Wir sind aber unseren Stimmungen nicht ohnmächtig ausgeliefert. Wir sind nicht schlechthin die Macher und Meister davon. Stimmungen, Emotionen und Gedanken „wirken“ wechselseitig aufeinander ein.

 

Das Wort „wirken“ setze ich hier in Anführungszeichen, weil der Wirkzusammenhang, um den es hier geht, nicht ein rein naturwissenschaftlich feststellbarer kausaler Zeitfolgezusammenhang objektiver Ereignisse ist. Eine rein naturalistische, empirisch objektive Betrachtung würde die Elimination unseres subjektiv-mentalistischen Vokabulars erfordern. Eine interessante Frage ist dabei, ob die prinzipielle Durchführbarkeit dieses programmatischen Vorhabens erwiesen werden kann. – Gedanken und Denkweisen würden als Dispositionen zu beobachtbarem Verhalten aufgefasst werden. Die subjektive Erwägung von Verhaltensoptionen und Verhaltensalternativen müsste als eine objektive Ereignisfolge von nachweisbaren Probehandlungen beschrieben werden.

 

Wir haben lediglich die Fähigkeit, den Strom unseres Bewusstseins [und letztlich auch unsere Denk- und Verhaltensweisen] durch Gedanken etwas zu modifizieren, indem wir uns bestimmte Rede-, Denk- und Verhaltensmuster nach und nach, mehr oder weniger, zueigen machen. Mit der Fähigkeit modifizierender Anverwandlung gegebener oder sogar lediglich möglicher Gedankeninhalte [auch verhaltenswirksamer Denkweisen und Denkinhalte] ist die Qualität der Freiheit „gegeben" bzw. „vorausgesetzt" bzw. „mitgedacht". Durch Reflexionen auf Fragen wie „was soll ich tun?" bzw. „was darf ich nicht tun?" ergibt sich, dass wir eine Freiheit in der Annahme bzw. Zurückweisung von aufgefassten Denkinhalten voraussetzen.

 

Verhaltenswirksamkeit von Denkweisen bzw. Denkinhalten ist kein naturwissenschaftlich-kausales Konzept. Anders formuliert: Wirksamkeit der Gedanken ist kein naturwissenschaftlich-kausaler Zusammenhang. – Es ist eher ein „Manifestations“- bzw. „Konkretisierungs“zusammenhang, indem wiederholbare, (mehr oder weniger) abstrakte Gedankeninhalte oder Denkweisen zur Darstellung und Ausprägung gelangen.

 

Auch für die Relativierung und Modifikation gegebener Denkinhalte ist diese Freiheit „gegeben" bzw. „vorausgesetzt", möchte ich betonen. Ein empirisch naturwissenschaftlicher Nachweis für diese Freiheit gelingt uns dennoch nicht. Die Voraussetzung von Freiheit der Entscheidung, des Zu-eigen-machens, der Annahme und Zurückweisung [von Denk- und Verhaltensweisen], so groß ihre alltägliche Rolle auch ist, ist Glaube und kein „objektivierbares" Wissen. Im Sinne einer harten Naturwissenschaft mit objektiven Messvorschriften für all ihre Größen.

 

Ein prädeterministischer Fatalismus [auch für die Annahme von Denkinhalten] ist der gegenteilige Glaube. Er wird durch manche eindrucksvolle empirische Evidenz gestützt und entspricht unseren Erwartungen von Vorhersagbarkeit und Erklärbarkeit. Er entspricht unsrem „Wissenschaftsglauben" und einem weithin propagierten Wissenschaftsideal. Dennoch schießt dieser Standpunkt über seine Evidenzbasis hinaus und stellt insofern auch „lediglich" einen Glauben dar und kein wirklich erhärtetes Wissen. Beide Standpunkte sind nicht „objektivierbar" und besitzen die Eigenschaft der selffulling prophecy. Die fatalistische Option kann uns dazu führen zu übersehen, was von uns selbst abhängt und sollte insofern niemandem für die eigene Person angeraten werden. Diese Option ist bisweilen interessant dargestellt [z. B. bei Diderots sympathischem „Jaques, der Fatalist"], aber moralisch letztlich doch destruktiv.

 

Im alltäglichen Leben kann die moralische Destruktivität der fatalistischen Option allerdings zum Teil verkraftet werden, weil wir in hohem Maße Eifer für moralische Scheinwerte bzw. moralische Halbwahrheiten besitzen. Die Selbstsabotage und Erfolglosigkeit unseres Strebens und der es leitenden Ziel- und Verfahrensvorstellungen erscheint unter diesem Gesichtpunkt zum Teil sogar als zweckmäßig in einem höheren Sinn.

 

Der Mangel an Fähigkeiten, sich von den eigenen [bzw. zueigen gemachten] Gedankeninhalten zu distanzieren, schafft uns eine Menge an Konflikten und an Leid, mit andern und auch mit uns selbst.  Oft wäre es hilfreich, wenn wir manche unserer Annahmen, die wir vielleicht gar nicht wahrhaben [wollen], erneut auf den Prüfstand stellen würden. Aber dagegen gibt es eine innere Vermeidungstendenz, einen „unbewussten" Widerstand, sozusagen die Macht der betriebsblinden Gewohnheit. Es gibt einen Willen zum Anhaften an bestimmten Denk- und Verhaltensweisen. Dieser Wille will manchmal nicht sehen, wie zweckmäßig es sein könnte, auf problematische Seiten der eigenen Denk- und Verhaltensweisen zu achten.

 

Wir finden den Ausweg aus problematischen Situationen oft nicht dort,  wo wir ihn suchen und auch nicht so, wie wir ihn suchen. Wir machen mitunter alles noch schlimmer durch die Art unserer Problemlösungsversuche. Das ist die große Gefahr der Hetze und der Stressprogramme: hier gehen Achtsamkeit und Distanzierungsfähigkeit weitgehend verloren. Die hirnarchäologisch alten, psychologisch naheliegenden Programme wie Angst, Panik, Drohung, Trotz, Vergeltung und power play kommen zum Ablauf. - Auch kindliche Muster melodramatischer Ohnmacht und vergeltenden Trotzes.  Diese typischen Denk- und Verhaltensmuster passen aber für die Art unserer „modernen" Probleme nur selten. Das heißt: nahe liegen sie uns schon, aber durch sie finden wir in der Regel keinen Ausweg. Keinen Ausweg und keine konstruktiven Ansätze.

 

Eine kleine [gedankliche] Modifikation der Denk- und Verhaltensweisen kann mitunter der Anfang einer Wendung der Dinge zum Besseren sein. Man entdeckt, dass es auch anders geht, was man vorher nicht wahrhaben wollte oder konnte. Deshalb ist die Aufmerksamkeit auf die „Gedanken" von so großer Bedeutung. Vielleicht sollte man sagen: „Achte auf die Art deines Denkens, auf deine Denkweisen!, auf die Muster!" Denn hier liegt die Wiederholung und Verfestigung, die zu Konsequenzen führt.