Menschliche Freiheit in alltäglicher und in philosophischer Sicht

 

In alltäglichen Redeweisen verfolgen wir oft den Gedanken: „Frei bin ich, wenn ich machen kann, was ich will.“ Im Gegenzug: „Wenn ich etwas tun muss, was ich nicht will, dann bin ich nicht frei.“ Bzw.. „dann fühle ich mich unfrei“. Ebenso: „Wenn ich mangels Gelegenheit oder mangels gegebener Möglichkeiten nicht tun kann, was ich will, dann fühle ich mich un­frei, bzw. dann bin ich tatsächlich unfrei.“

 

Ich will z. B. etwas, aber mangels Gelegenheit kann ich nicht tun, was ich will. „Die Verhält­nisse, sie sind nicht so“, dichtete Brecht in seiner lakonischen Art. Notwendig­keit und Sach­zwang zwingen mich, an­ders zu handeln, als ich will. Offen bleibt hier der Gesichtspunkt, ob ich in einer solchen Situ­ation frei dazu bin, etwas anderes zu wollen als das, was ich zu­nächst will, bzw. zunächst wollte. Wenn nicht mög­lich ist, was man will, dann könnte man ja u. U. seinen Willen modi­fizieren und wollen, was möglich ist. So bereits in der Antike empfohlen: „Wenn nicht mög­lich ist, was du willst, dann wolle, was möglich ist!“ [Marc Aurel?]

 

Also: es gibt die Frage, ob ich in einer bestimmten Situation frei dazu bin, etwas anderes zu wollen als das, was ich zu­nächst will. Das ist die Fähigkeit, meinen Willen zu modifizieren, die wir manchmal überse­hen. „Bin ich frei dazu, meinen Willen zu ändern?“ – Das ist die Frage der Willensfreiheit.

 

Zunächst also hatten wir  einen Begriff von Handlungsfreiheit aufgefasst: „Frei bin ich, wenn ich machen kann, was ich will.“ Ich setze hinzu: „Es wirkt befreiend, wenn man machen kann, was man will.“ Dies ist ein alltäglicher Begriff von Handlungs-Freiheit. Dieser Begriff klingt auch an in Nietzsches Diktum: „Wollen befreit, dies ist die wahre Lehre von Willen und Freiheit.“ Ein raffinierter Aphorismus über das Verhältnis von Willen und Frei­heit, weil er die Ausdrücke „Wahrheit“, „Willen“ und „Freiheit“ in einen ungewöhnlichen Zusammen­hang bringt. Im Gegenzug zur traditionellen Frage, ob der Mensch einen [prä]determinierten oder einen freien Willen hat, wird hier ein Stück Psychologie des Freiheitserlebens in den Focus der Aufmerk­samkeit gerückt.

 

Das Gefühl der Freiheit ist mit dem Gefühl des gesteigerten Lebens verbunden, mit dem Ge­fühl von Ma­chenkönnen und Machbarkeit, also mit dem Gefühl der Macht. So Nietzsches psychologische Bemerkung. – Wir möchten nicht verschweigen, dass Nietzsche einem indivi­dualistischen und antiegalitären Freiheitsverständnis huldigte. Er war ja ein dezidierter Anti-Demokrat und hielt die große Menge in Fragen der philosophischen Wahrheit und des ästheti­schen Geschmacks für inkompetent. – Man kann hier Nietzsche gegenüber Bedenken äußern, auch wenn man in künstlerischen Dingen für elitären Geschmack plädiert. In moralischen Fragen propagierte Nietzsche offenbar gleich von Anfang an den Grundsatz: „Eines schickt sich nicht für alle.“ – Ein Goethe-Wort, für das es durchaus eine sinnvolle Deutung gibt. Wenn man dieses Motto aber an den Anfang aller Überlegungen bezüglich Gut und Böse stellt, darüber hinaus dann den Gegensatz von Gut und Böse auch noch mit dem Gegensatz von gutem und schlechtem Geschmack zusammenbringt oder gar gleichsetzt, dann kann sich daraus schon aus Prinzip und der bloßen Denkbarkeit nach kein wechselseitig gülti­ges Richt­maß des Handelns und Verhaltens ergeben. - Deshalb war Nietzsche als Denker der [noch unausgeglichenen] Jugend schon gleich nach seinem Tod beliebt. Ich setze ironisch hinzu: Es ist das Vorrecht des esprit fort und des freien Genies, in sei­nen Erkenntnissen und Irrtü­mern gleichermaßen großartig zu sein.

 

Die bisher genannten Freiheitsbegriffe haben etwas Gemeinsames. Freiheit ist Freiheit von Zwang, von äußerem [und eventuell auch von innerem] Zwang. Z. B. wenn ich machen kann, was ich will. Losgelöst, au­ßerhalb bzw. unabhängig von Zwang. Dasselbe noch einmal anders formuliert: Wenn ich aus mir selbst heraus denken und handeln kann. Eventuell auch, dies gilt für den Fall der Willensfrei­heit: wenn ich wollen kann, was ich will. – Hier wird es schwierig.

 

„Vom Wollen und Nicht-Wollen abhängig“, dies jedenfalls ist eine Komponente des alltägli­chen Gebrauchs des Wortes „frei“. Das Wollen höherer Stufe, also Wollen des Wollens, ob es der­gleichen gibt und wie viele Stufen [höherstufigen Wollens] man annehmen soll, mit wel­chen Gründen und aufgrund wel­cher Evidenzen man solche Annahmen macht, damit gerät man in schwierige Diskussionen. [Anspielung auf Harry G..Frankfurt]

 

Inte­ressant ist übrigens auch die Frage, ob es bei Gefühlen, Stimmungen und Gedanken frei gewollte Eigenanteile, sozusagen reine Aktivität [Kant: „absolute Spon­taneität“], „gibt“. – Beispiel für Eigenaktivität in Gefühl und Stimmung sind m. E. sogenannte Ge­fühls- und Stimmungsma­schen oder -muster. Man hat sich z. B. ein melodramatisches Leidensgefühl oder ein Ent­rüstungsmuster zueigen gemacht, das dann gewohnheitsmäßig bei bestimmten auslö­senden Situationen akti­viert wird. Als Subjekt der Gewohnheitsbildung ist man sozusa­gen betriebs­blind tätig gewe­sen und ver­kennt im Nachhinein die Eigenaktivität in dem, was man sich zueigen gemacht hat. – Frage also: „Gibt es bei Gefühlen und Stimmungen Eigen­aktivität?“ Hat man sich ein Gefühlsmuster in einer Art von Lernverhalten mit einem Anteil von Eigenaktivität zueigen gemacht? Wenn ja, welche Art von „Eigenaktivität“] ist hier im Spiel? Empirisch nachweis­bar, meta­physisch vorhanden, a priori vorauszusetzen? – [Wir lassen diese Frage hier offen, weil sie die Beantwortung klärender Rückfragen erfordert.] - Ich selbst glaube an ein höher­stufi­ges Wollen. Ich gehe von der Mög­lichkeit einer willentlichen Modifikation meines Wollens aus. Zu jeder willentlichen Hand­lung ist ein höherstufiger Wille bezüglich der Art des Wol­lens denkbar, die Reihe ist poten­tiell unendlich. – „Potentiell unendlich“, darunter verstehe ich: „Nenne mir eine Zahl, und ich vermag, dir eine höhere zu nennen. Gebe mir einen Kommen­tar, und ich vermag, ihn wiederum zu kom­mentieren.“ „Nenne mir eine Handlungsweise, z. B. ein Ziel oder eine Verfahrensweise deines Handelns, und ich vermag, mir eine Modifikation dazu auszudenken.“– [Das Gegenteil der potentiellen Un­endlichkeit ist die aktuelle Unendlichkeit. Beispiel in Wag­ners Rheingold, wo Wotan nach Abschluss der Bauarbeiten an Walhall singt: „Vollendet [ist] das ewige Werk.“ Gerade darin, dass es nicht vollendet werden kann, erkennt man doch das ewige Werk, denkt dann vielleicht der unbe­fangene Hörer.]

 

[Praktisches Beispiel des höherstufigen Wollens: der Wunsch und Wille, nicht mehr rauchen zu wollen. Können wir mit begründetem Erkenntnisan­spruch annehmen oder ablehnen, in solch einer Sache ein Vermögen der Willensmodifikation zu besitzen? – Eine Entscheidung in solchen Fragen besitzt das Gepräge der selffullfilling prophecy, vermute ich. „Es ist, wie man’s nimmt“, lautet eine Pfälzer Spruchweisheit, fast von konstruktivistischem Niveau.]

 

Die hohe philosophische Tradition [Descartes, Kant, Fichte, zugebener Maßen auch Schelling und Hegel] legt das Hauptgewicht auf fol­gende Be­deutungskomponente. Frei bin ich, frei ist mein Denken und mein Verhalten [die Annahme, Verwerfung und Modifikation meiner Denk- und Handlungsweisen], sofern ich nicht „durch [äußere] Bedingun­gen“ „necessiert“ [Kant] bin, sofern ich also nicht äußerlich [aber auch nicht innerlich, z. B. durch psy­chische Manipula­tion, Suchterkrankung o. dgl.] zur Entscheidung bezüglich meiner Den­k- und Handlungsweise genötigt bin. Auch hier ist Frei­heit dem Gezwungen- oder Ge­nötigt-sein entgegen­gesetzt. Ein Abgelöstsein bzw. zumindest ein partielles Loslösungsvermögen, darin besteht unsere Freiheit. Ein Loslassenkönnen ist also durchaus ein zentraler Punkt der Frei­heit, das möchten wir einer gängigen Sprechweise als Wahrheitsgehalt konzedieren. – Die freie Entscheidung zur Denk- und/oder Verhaltensart steht also im Gegensatz zur erzwunge­nen, genötigten bzw. ne­cessierten Entscheidung. - Es geht um die Fähigkeit, trotz vielfältiger Abhän­gig­keiten und „Bedingungen“ irgendwelchen Ansprü­chen an die Denkform und an die Handlungsform [hier dann unter dem Titel der moralischen Verant­wor­tung] gerecht zu werden. – Ironisch kann man sagen, dass man manchmal gerade in der Vielfalt der überde­terminieren­den Bedin­gungen entdeckt, dass dadurch keine Vollständigkeit des zwangsläufi­gen Bedingt-Seins zu­stande kommt, es bleibt uns trotz aller Bedingtheiten eine gewisse Plas­tizität des Verhaltens. Wenn man Termine an zwei verschiedenen Orten zur gleichen Zeit hat, ist man vielleicht an keinem von beiden Orten „effektiv“ anzu­treffen. Das ist sozusa­gen die höhere Raffinesse der Über­determination menschlicher Hand­lungsweisen. – Trotz aller anderen, auch physikali­schen, chemischen, biologischen, hormonellen und hirnphysiologi­schen „Bedingun­gen“ und „Verhältnisse“, innerhalb, bzw. gemäß derer sich menschliches Denken und Verhalten ereignet, bleibt uns ein Freiheitsspielraum, eine gewisse Plastizität des Denkens und Verhaltens. – Das setzen wir, so wie wir reden, ganz einfach als Normalfall, voraus. – [Diese Voraussetzung zeigt sich z. B. in der Beweislastregel, dass man die Gestalt­barkeit unserer Verhaltensweisen als Normalfall ansieht, Zwanghaftigkeit dagegen als Son­derfall. Für die Gültigkeit der Aussage, dass mein Verhalten zwanghaft geschehe, benötige ich sozusagen eine Expertise.]

 

Man kann sagen: Trotz der „Bedingungen“ und „Verhältnisse“ gilt es [z. B. im Fall der mora­lischen Verantwortung], „das Beste“ aus gegebenen Situationen zu machen, und ich bzw. wir besitze(n) die Fähigkeit dazu. Freiheit, trotz Abhängigkeit von zeitlich vorange­henden Bedin­gungen, ist also die Fähigkeit, der „sittlichen [ethischen] Einsicht“ teilhaftig und im prakti­schen Verhal­ten [durch Annahme, Verwerfung und Abänderung irgendwelcher Denk- und Verhaltens­weisen] auch gerecht zu werden. Diese Einsicht betrifft lediglich die „wahre“ Ver­antwor­tung und die „wirkli­che Verbindlichkeit“, d. i. das Prinzip der gemeinsamen Freiheit, das [vo­rausgesetzer­maßen] be­achtet werden soll[te]. „Ich achte das Prinzip der gemeinsamen Frei­heit“ oder „ich erkenne in meinem Mitmenschen ein Freiheitswesen“ ist dasselbe; - jeden­falls wenn man von einer Dis­kussion über den Unterschied von „als Freiheitswe­sen erkennen“ und „als Freiheitswe­sen behan­deln [anerkennen]“ absieht.     Also, wiederum leicht variiert: „das Prinzip der gemeinsa­men Freiheit be­achten.“ In der Hoffnung, dass es nicht zynisch klingt, mit dem Zu­satz: „so viel als möglich“. Denn ultra posse nemo obligatur, über das Können hinaus kann [eigentlich] niemand ver­pflichtet werden. – Trotzdem wird es bisweilen versucht. – Man denkt z. B., es müsse doch möglich sein, einen Konkurrenten im Wettkampf auszustechen. Es ist aber nicht von vornherein klar, welche „Dinge“ oder „Ereignisse“ effek­tiv in meiner Macht stehen. Klar ist lediglich, dass ich mich z. B. dem Fairnessgebot für den Wett­kampf unterwerfen kann oder könnte. Damit hätte ich dann sogar gewahrt, „worauf es wirklich ankommt“. – Ironischer Zusatz: „Soviel als möglich“. Denn ultra posse nemo obli­gatur.

 

Der Mensch „im wirklichen Leben“ trifft sehr fragwürdige Unterscheidungen zwischen dem, was „wahrhaft“ bzw. „wirklich“ in seiner Macht steht und was nicht. Durch viele Grade der Mittelbarkeit in Fragen menschlicher Machbarkeit, - wir sind ja Prothesengötter -, kann diese Frage leicht in eine unentscheidbare Endlos-Diskussion ausarten. – Und wir treffen fragwür­dige Prioritätsentscheidungen. In entwaffnender Art kann man sich hier, sozusagen formulie­rungstechnisch, an Laotse anschließen. „Der Beru­fene wahrt die Fairness im Wettkampf, denn genau darin besteht für ihn der Gesichtspunkt, auf den es am meisten ankommt.“ – Bei Laotse hieß es in etwa: „Er wahrt die Bescheidenheit, denn genau das ist für ihn das Größte.“ Eben­falls in die­sem Sinne war für Epiktet, den Stoiker, dasjenige, worauf es ankommt, also dasje­nige, worum es uns unbedingter Weise gehen sollte, effektiv in unserer Macht. – Man sieht an dieser Stelle übrigens, dass Macht und Freiheit sprachlich und gedanklich in engem Zusam­menhang ste­hen, nicht nur psychologisch, wie oben anlässlich der Nietzsche-Bemerkung angesprochen. Frei bin ich, wozu ich mächtig bin, wozu ich mächtig bin, dazu bin ich frei. Die stoische Lehre vertritt bezüglich dieses Zusammenhangs den Gedanken, dass eine be­stimmte Art von Freiheit jederzeit in eines Menschen Macht steht. Ein unerschütterliches Selbstbewusstsein der inneren Freiheit ist das stoische Ideal. – Man hat daraus das Folge­problem entwickelt, ob der stoische Weise auch auf dem Folterstuhl frei und glücklich sei. Eine differenzierte Analyse dieses Folgeproblems führt aber hier zu weit.

 

Kant hat die Zusammenhänge [zwischen Erkenntnis, Freiheit und Notwendigkeit] sehr genau durchdacht. Voraussetzung sowohl der sittlichen Ein­sicht als auch des verantwortlichen Han­delns gemäß dieser Einsicht ist Freiheit im Sinne ei­nes Abgelöstseins vom Prädeterminismus der Ursachen und Wirkungen. [Genau genommen setzt bereits jegliche Fähigkeit zu einer sachgerechten Erkenntnis ein Abgelöstsein vom Prädeterminsmus der Ursachen und Wirkun­gen voraus, nämlich wozu? - Bezüglich genau dieser Sacherkenntnis. – Ich halte diesen Punkt für erwähnenswert, möchte mich aber hier auf Begriffe der Verhaltens- und Willensfreiheit konzentrieren.] Der „nega­tive“ Begriff der Freiheit ist also: das Nicht-Nezes­siert sein [durch die Vergangenheit]. Die Freiheit „wovon“. Der positive Beg­riff, der etwas zu diesem Nicht-Nezessiert-Sein hinzunimmt: das ist die Freiheit, das Beste aus einer Situ­a­tion zu machen, im Sinne einer Moral der gemeinsamen Freiheit. Dies ist die Freiheit „wozu“. Der Erkenntnis­grund, dass ich Willensfreiheit besitze, also der Grund, woher ich wissen kann, dass es so etwas gibt: das Phänomen der [ethischen] Überlegungen, eventuell das Phänomen wahrhaft morali­scher Einsichten, zumindest der Denkbarkeit nach, im Sinne einer Moral der Freiheit, nicht im Sinne einer Mo­ral gemeinsa­mer Unfreiheit, sozi­aler Macht und Kontrolle. Also ist die Willens- und Verhal­tensfreiheit Vor­aussetzung der Verant­wortung. – Der Mensch be­sitzt die Fähigkeit, das Wahre zu erkennen und um diese Wahren willen etwas zu tun, kann man mit Platon [Phile­bos] sa­gen, der noch nahe an alltägli­chen Redeweisen seine Überlegun­gen vorführte.

 

Es „gibt“ eine gedanklich erfassbare Moral der gemeinsamen Freiheit und eine sozial­psy­cholo­gisch existierende, konventionelle Moral der sozialen Kontrolle, welche leicht in eine Moral der gemeinsamen Unfreiheit und des Ressentiments ausartet . Es ist ein subtiles Thema, die Beziehungen dieser unterschiedlichen Moralen darzustellen, denn sie sollten m. E. nicht ein­fach gegeneinander ausgespielt werden, wie es oft geschieht. Man kann von unter­schiedlichen Mo­ral-Sphären sprechen, die schwer durchschaubare Beziehungen zueinander unterhalten. Die Qualität einer histori­schen, konventionellen Moral „bemisst“ sich an dem Stand allgemeiner Freiheit des menschli­chen Verhaltens, der in ihr erreicht wurde. Man kann vom Üblichen abweichen, indem man sich dar­über erhebt, aber auch, indem man, was das darin Erreichte betrifft, dahinter zu­rückfällt. Ein gegebener Zustand an realisierter Freiheit lässt sich umgekehrt als gegebener Zustand der entsprechenden Unfreiheit auffassen, das ist der ergänzende Gesichtpunkt. Wir leben in einer Welt aus Licht und Schatten zugleich. - Wir Menschen haben übrigens sowohl zur gedanklichen Moral der Freiheit als auch zur konventi­onellen Moral, die leicht in eine Moral der Unfreiheit und sozialen Kontrolle ausarten kann, ein doppel­tes Verhältnis. Wir können nicht mit und nicht ohne alle diese Bereiche leben. Es gibt den Missbrauch der reinen moralischen Ideale, er ist sogar häufig. Es gibt sinnvollen Gebrauch konventioneller Moral, aber auch ih­ren Missbrauch. Es gibt Scheinheiligkeit, Kon­troll- und Machtanmaßung unter Berufung auf den Gedanken einer Sitte allgemeiner Freiheit, selbstverständlich auch unter Berufung auf Üblichkeiten. – Es gilt: „Die Motive moralischer Be­trachtungen sind selten rein mora­lisch.“ Ich setze hinzu. „Die angeblichen Motive einer Sache sind vielleicht niemals die einzigen.“ Anderer­seits ist es wieder selten, dass man einen Vorwand und eine Unaufrichtigkeit ein­deutig entlarven kann, weil Schein und Sein sich raffiniert ver­mischen. – Diesen Punkt trifft Laotse sehr gut, wenn er den verlautbar­ten Reden misstraut und die Kraft der Stille und des guten Beispiels rühmt. In die­ser Weise kommen die wichtigsten Inhalte, um die es bei der freien Sitte geht, oft am besten zur Dar­stellung. Den­noch sollten wir die denkende Betrach­tung in Fragen der freien Sitten nicht für inkompetent und wahrheitsun­fähig erklären, auch wenn diese Betrachtungen nicht zu blei­benden und unumstößlichen Worten führen. An der Wahrheitsfähigkeit unserer Reden müs­sen wir ir­gendwie „trotz allem“, trotz allem ideologi­schen Schein, irgendwie festhalten.]

 

An dieser Stelle haben wir, vielleicht fast unbemerkt, den Freiheitsbegriff von der prin­zipiel­len Betrachtung in’s Juristische und Politische verschoben. Dieser Begriff passt nämlich eben­falls unter die Rubrik, „inwieweit kann ich machen, was ich will?“. – Es ist der Begriff von Freiheit, der uns alle wahrscheinlich am meisten umtreibt und erregt. Es geht hier nicht um das Losgelöst-Sein vom Präde­terminismus natürlicher Kausalzusammenhänge, sondern le­diglich um die Unabhängigkeit von der Nötigung und den Zwang durch andere Menschen. Kant sagt in der Me­taphysik der Sit­ten [AA VI, 237], „es gibt ein einziges angebo­renes Menschen­recht“. Dieses einzige angeborene Menschrecht besteht nach Kant in der „Unab­hängigkeit von eines anderen nötigender Willkür, sofern sie mit jedes ande­ren Freiheit nach einem Gesetz zusam­men bestehen kann.“ Wohlgemerkt „Unabhängigkeit, sofern ...“. Nicht „Unabhängigkeit simpliciter“, nicht „Unabhängigkeit schlechthin“. – Und dann auch noch „... bestehen kann“. Die Wechselseitig­keit bestehender bzw. anzuerkennen­der menschlicher Freiheit, welche konsens­fähige Regel­setzung [durch Men­schen] im menschli­chen Miteinan­der erforderlich macht, ist hier das punctum saliens. Hier betreten wir ein besonderes Problem­feld: Da nie­mand Richter in eigener Sache sein kann und darf, sind Regeln bezüglich der [legislativen] Rechtsnormfestsetzung, dann der autorisierten Jurisdiktion [Be­stimmung des Rechtes im Einzelfall gemäß der festgesetzten Regeln im allgemeinen], dann auch noch der Rechtsdurchset­zung [Exekution, Erzwingung] mit allen Merkmalen eines ordentlich geregel­ten Verfahrens [nach und nach] zu erfinden. Zweck der Ver­anstaltung: das gute Miteinander im äußeren menschlichen Ver­halten gemäß einer öffentlich verkündeten und dann auch geltenden Normsetzung. Das äußere Verhalten, sofern und soweit es durch Regeln des äuße­ren Miteinanders harmonisiert werden „kann“ und „muss“. –  [Ja, die Modal-Aus­drücke „kann“ und „muss“. Aber mit lediglich indikativi­schen Reden kommen wir einfach nicht aus auf die­sem weiten Feld.]

 

Jede menschliche Gesellschaft bedarf der Erfindung [bzw. Ermittlung] und Festsetzung von Spielregeln, durch welche die Freiheits­spielräume der einzel­nen miteinander harmonisiert werden können. Zu diesem Zweck müssen z. B. Spiel­regeln gefunden bzw. erfunden werden, wie im Falle von Streitigkei­ten und Regelverstößen [z. B. auch von institu­tioneller Seite her] gehandelt werden darf oder soll. Verfah­rensweisen der Regelfestsetzung, der Ge­richtsbarkeit und der Regel­durchsetzung und Sanktion sind zu die­sem Zweck erforderlich und zu erfinden. In all diesen An­gelegenheiten gilt der staatsbür­gerliche Grundsatz der Konsens- und Partizi­pati­onsfähig­keit bezüglich der öffentlich gelten sollenden Regeln. Das Merkmal „Konsens und Partizipa­tion“ bezüg­lich dieser Spielregeln kann sich dabei auf verschie­dene Abstrakti­onsstu­fen der Art [menschlichen Handelns] bezie­hen. Es kön­nen z. B. Spielre­geln der Regelfindung in Streitfällen sein. Im Einzelfall erzielt man z. B. keine Einig­keit, was häufig vorkommt, aber man kann eventuell eine Einigkeit bezüglich eines Ver­fahrens der Streit­schlichtung finden bzw. erfinden. Das wäre das Phänomen, das ich als „höhere Abs­traktions­stufe“ angesprochen habe. Oder, wenn nicht einmal über die Art des Streitschlich­tungsverfah­rens Einig­keit erzielt werden kann, womit man ebenfalls  in besonde­ren Fällen rechnen muss: Man setzt dann das Problem eventuell noch eine Stufe höher und versucht sich an Spielregeln der Regelfin­dung für die Regelfin­dung in Streit­fällen. Um hier kein Missverständnis zu provozieren: Kein einzelner und keine einzelne gesellschaftliche Gruppe kann die Abstrakti­onshöhe eines Prob­lemlösungsver­fahrens [in der Rechtsfeststellung] einseitig definieren. Entscheidend ist der Gesichtspunkt, sich im Falle eines Streites einem Schiedsrichter zu un­terwerfen, der auch Durchsetzungsmacht bezüglich seiner Entscheidungen besitzt. Von der tatsächlichen Existenz eines Machtmonopols hängt es ab, ob der staatsbürgerlichen Freiheit Wirklichkeit verschafft werden kann. – Wir stoßen hier auf eine Fülle von nachfolgend erör­tungsbedürftigen Fragen, die ich hier lediglich andeuten kann. Gibt es z. B. ein Widerstands­recht im Falle willkürlicher, diskriminierender Normsetzungen? – Das ist das Problem un­gerechter Rechtssetzungen, als besonders drückend empfunden unter einer despotischen [ty­rannischen]  Staatsgewalt. – Oder gibt es gar ein Recht auf Revolution im Falle eines despoti­schen Staatswesens, wie es z.. B. die amerikanischen Ver­fassungsväter proklamiert haben. [„No taxation without representation“, war z. B. ein Slogan der damaligen Zeit.] Kant hat Widerstands- und Revolutionsrecht für ausgeschlossen gehalten, obwohl er anderer­seits die Ideale der französi­schen Revolution [liberté, egalité] als Staatsaufgabe propagierte. Als Ziele einer auf Refor­mismus verpflichteten Politik hält er diese Ideale für berechtigt, ja sogar für geboten.

 

Die Kantischen Begründungszusammenhänge in all diesen Fragen hat der Kantianer Julius Ebbinghaus [1885 – 1981] in einer ganzen Reihe von rechtsphilosophischen Vorträgen und Aufsätzen dargestellt. – Er hat auch eine Sammlung von Vorträgen zu „Deutschlands Schick­salswende“ [1. Aufl. 1946, 2. Aufl. 1947, V. Klostermann] veröffentlicht. Nach dem Zusam­menbruch der Nazi-Diktatur waren ja Fragen des „Widerstandsrechts“, des soldatischen Ge­horsams u. dgl. in hohem Maße virulent. In Erinnerung aus meiner Frankfurter Studienzeit ist mir eine Art Katechismus in staatsbürgerlichen Grundfragen, der in dieser Sammlung enthal­ten war. Diese Sammlung war im Jahr 1978 allerdings lediglich über die Universitätsbiblio­thek zugänglich, im Gegensatz zu den „Gesammelten Aufsätzen, Vorträgen und Reden“, die auch im Buchhandel erhält­lich waren. [1968, Georg Olms Verlagsbuchhandlung Hildesheim]

 

Aber wir wollten ja noch etwas über das Motiv der Konsens- und Partizipati­onsfrage bezüg­lich öffentlicher Re­gelsetzung sagen. Warum der Konsens- und Partizipations­gedanke an dieser Stelle, wo es um die rechtliche Regelung menschlicher Freiheitsspiel­räume geht? – Antwort: Wenn der Staatsbürger nur Gesetzen un­terworfen wäre, welche er selbst zum Zweck der wechselseitig gültigen Freiheit für erforder­lich hält und an deren Zustan­dekommen er partizi­pieren kann, dann wäre genau dadurch seine Freiheit nur durch Regeln der wech­selsei­tig gültigen Freiheit begrenzt. – Man sieht, dass eine Rechtsphilosophie kanti­scher Pro­venienz in kon­junktivischen Sätzen einen Beurteilungsmaß­stab bezüglich faktisch gegebener Rechts­über­zeugungen zu entwi­ckeln versucht. – Trotz komplizierter Sprache liegen diesen Überle­gungen umgangssprachlich nachweisbare Denkfiguren in puncto „Gerechtigkeit“ zugrunde.

 

Die staatsbürgerliche Freiheit wird bei Kant von vornherein auf zu ermittelnde Bedin­gungen einge­schränkt. Bedingungen, unter denen ein möglichst hoher Grad von Unab­hängigkeit zwischen den Staatsbürgern wechsel­seitig be­stehen kann. Das ist die Bedingung der rezipro­ken Gültigkeit in normativen Fragen.  - Einsei­tig können wir einander lediglich Ge­walt antun, welches natürlich Unrecht wäre, einseitig können wir uns aber keinerlei Verbindlichkeit auf­erlegen. Was ich von einem andern will, hat für diesen keinerlei verpflichtenden Charakter, auch wenn ich noch so sehr davon überzeugt bin, ich hätte die Einsicht, die auch für ihn gilt. Um das weit­läufige Thema hier abzukürzen, weise ich nur auf Kants Grundansicht in diesen Dingen hin. Herr­schaft von Men­schen über Men­schen ist legitim, wenn sie zum Zwe­cke der gemeinsamen Rechtssicher­heit erfolgt. Bestehende Herrschaftsverhältnisse, geschichtlich gegeben und auf Tradition beruhend, mit einer für den einzelnen unwiderstehlichen Zwangs­gewalt werden als unumgängliche Voraussetzung eines öffent­lich existierenden Rechts in Anspruch genommen. Obwohl Anhänger der Ideale der französi­schen Revolution, hat Kant ein Recht auf Revolution und Widerstand gegenüber der öffentli­chen Gewalt verworfen.

 

Die staatsbürgerliche und rechtliche Qualität der Regelungen unseres Freiheits­gebrauchs bemisst sich daran, ob wir ein Partizipationsrecht bei ihrem Zustandekommen hat­ten. – Im Ideal sehen wir eine Ratsversammlung, welche wechselseitig gültige Spielregeln des Frei­heitsgebrauchs beschließt für alle jene Fälle, wo ein Harmonisierungsbedarf unserer Freiheits­spielräume besteht. Jeder der im Rat sitzt oder im Rat auf angemessene Weise repräsentiert ist, wird derart nur Regeln unterworfen, an deren Zustandkommen er partizipiert. Dadurch wird die staatsbürgerliche Freiheit gewahrt, obwohl und indem der einzelne Regeln unterwor­fen wird.

 

Im Zusammenhang von Überlegungen zur politischen Freiheit kann es sogar zur Rede von äußeren bzw. materiellen Bedingungen der Freiheit kommen. Man möchte z. B. Gerechtig­keit in der Verteilung materieller Ressourcen. [Das sind nach einer neueren Sprechweise die soge­nannten capabilities.] Oder die Fähigkeit des einzelnen, z. B. ein Staatsamt zu erlangen, soll nicht von Geburt und sozialer Stellung abhängen. – Determination durch soziale Tatbestände lehnt man ab. - Ein Prinzip der Wechselseitigkeit bezüglich tatsächlich bestehender Optionen wird hier zum leitenden Ge­sichtspunkt. Man begreift also soziale Mechanismen als politisch verantwortbar und zu ver­antwortend. – Interessant für uns hier ist nur folgender Aspekt, der fast auf eine Art Dialektik im Freiheitsbegriff hinzudeuten scheint. – Wir haben begonnen mit einer Freiheit und Unab­hängigkeit bezüglich Determinismus der äußeren Umstände, jetzt aber sprechen wir von ma­teriellen Bedingungen und realen Chancen des Freiheitsgebrauchs im politischen Gemeinwe­sen. – Aber die Grundstruktur des Begriffs ist auch hier gewahrt. Das Ziel eines Nicht-Fest­gelegt-Seins durch Determinationen außerhalb des menschlichen Wil­lens. So weit als mög­lich möchte man die willensfremde Determination des Willens vermeiden, das scheint mir die Logik dieser Denkfigur zu sein.

 

Dies war jetzt ein Exkurs in puncto „politische“ bzw. „staatsbürgerliche Freiheit. Wir waren ursprünglich ausgegangen von Fragen des Handelnkönnens und des Wollenkönnens.

 

Im Falle der sittlichen Wahrheit, also im Falle einer Erkenntnis der normativen Gültigkeit der [anzunehmenden] Regel[n] [der herzustellenden gemeinsamen Freiheit], muss ich erstens die Fähigkeit haben, diesen [normativen] Gedankeninhalt zu erfassen und für gültig zu befinden, zweitens die Fähig­keit, diesem Gedanken Einfluss auf mein Verhalten zu geben. Beides sind „Freiheiten“, „Fä­higkeiten“, „Vermögen“. Beide beinhalten eine Freiheit „wozu“. Beide bein­halten die Fähig­keiten, „von selbst“ [„sua sponte“] einen Anfang zu machen. „Anfang“ im Sinne des Nicht-Bedingt-Seins durch zeitlich vorangehende Ereignisse. Vorher-Bestimm­tes steht ja nicht mehr in meiner Hand, bzw. nicht mehr in meiner Macht.

 

Die Fähigkeit, von selbst einen Anfang zu machen [Spontaneität] führt uns auf die Bindung des menschlichen Denkens an ein Hier und Jetzt, die Bindung an eine gegenwärtige Situation [des Denkens und des Verhal­tens]. Dies ist die Bindung des Subjekt-Seins an die Subjektivität des Hier und Jetzt. – Hier und Jetzt sind ja keine objektiven Lokalisationen, sondern beziehen sich auf die subjektive Gleichzeitigkeit mit meinem Denken und Verhalten. Auch der Unter­schied des Jetzt-noch-nicht und Jetzt-nicht-mehr ist nichts Empirisch-Objektives, weil wir ohne Objektivitätskriterium von „jetzt“ reden. – Das Wort „jetzt“ beruht nicht auf objektiver Zeitlokalisation. - Im Hier und Jetzt bin ich dazu befähigt, das Prinzip der gemeinsamen Frei­heit [so viel als möglich] zu verwirklichen, also der wahrhaften Verantwortung gerecht zu werden, bzw. „das Beste“ aus der Situation zu machen. Die Vergangenheit kann ich nicht mehr verän­dern, geschehen ist geschehen, die Zu­kunft kann ich nur aus der Gegenwart heraus beeinflus­sen. – Freiheit, Subjekt-Sein, die Fä­higkeit, von selbst einen Anfang zu machen, gehören also zusammen auf die gedankliche Seite des Menschseins, man könnte sagen, auf die „spirituelle“ Seite. Hier besteht ein ge­danklicher Zusammenhang bezüglich der Fähigkeit, sittliche Einsicht zu haben und ihrem Inhalt gerecht zu werden.

 

Man kann also ebenfalls sagen: „Freiheit ist die Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu leben gemäß dem Richtmaß „eigentlicher“ Verantwortung. Das Richtmaß ist die gemeinsame Freiheit all derer, die ebenfalls von selbst Anfänge machen können, also die wechselseitige Anerkennung von Freiheitsspielräumen, die sich durch Absprache, Vereinbarung, Vertrag in eine Überein­stimmung nach Regeln bringen lassen. Nach von Menschen für Menschen vereinbarten und festgesetzten Regeln des menschlichen Verhaltens. Freiheit ist also eine Gestaltungsmacht des menschlichen Verhaltens, im Hier und Jetzt. Sie löst ihn aus der Abhängigkeit von der Situa­tion in einer gewissen Weise heraus, indem er für verschiedene Verhaltensweisen optieren kann. Die Frage nach dem Sollen und Dürfen, zunächst aber im Sinn einer Moral der gemein­samen Freiheit und nicht im Sinne einer Moral der sozialen Kontrolle und Besserwisserei, führt ihn auf diesen Begriff. Der alltägliche Begriff, „machen können, was man will“, und der höhere philosophische Begriff „wollen können, was man will“, sind gleichermaßen in diesen gedanklich konstruierten Zusammenhängen enthalten. „Machen können, was man wahrhaft soll“ ist dabei aber der primäre Inhalt, aus dem sich die Zusammenhänge gedanklich ergeben.

 

Das Freiheitswesen findet sich in Situationsabhängigkeiten verschiedener Art. Physikalisch, biologisch, physiologisch, psychologisch, soziologisch, alles, was den Menschen betrifft. Aber er kann sein Denken und seine Fähigkeiten kultivieren, um das Beste aus einer Situation zu machen. Unsere Freiheit ist eine Freiheit unter vorgegebenen Bedingungen. Die Fähigkeit, unter vorgegebenen Bedingungen „von selbst“ neue Anfänge zu machen. Das Wozu gibt da­bei den „positiven“, allerdings nicht konkret festzusetzenden Gesichtspunkt. Es ist nicht die Freiheit und Fähigkeit, schneller, klüger und mächtiger als andere zu sein, sondern lediglich die Freiheit zur wechselseitigen Vereinbarung, soviel als möglich. Mit diesen Vagheiten muss man gedanklich umgehen lernen, das ist dann Philosophie. Man hängt sich an irgendwelche Bedeutungskomponenten des alltäglichen Sprechens, die unsere Aufmerksamkeit erregten, und verfolgt gewisse allgemeine, gedankliche Zusammenhänge. Es handelt sich dabei sowohl um Sprach- und Formulierungsarbeit als auch um Überlegungen „aus Begriffen“.

 

P.S. 1: Das Platon-Zitat stammt aus Philebos, 58 d. In einer längeren, sehr verklausulierten Pas­sage äußert Sokrates die Ansicht, dass „in unserer Seele von Natur ein Vermögen“ sei, „das Wahre zu lieben und alles um seinetwillen zu tun“. Im Falle der sittlichen Erkenntnis gibt es also zumindest prinzipiell die Fähigkeit in uns, das „einsehbar“ Gebotene zu erkennen und dieser Einsicht Einfluss auf unsere Handlungsweise zu gewähren.

 

P.S. 2: Das Nietzsche.Zitat ist aus Zarathustra, 2 Teil, auf den glückseligen Inseln. Kontext:

 

„Aber so will's mein schaffender Wille, mein Schicksal. Oder, daß ich's euch redlicher sage: solches Schicksal gerade – will mein Wille. Alles Fühlende leidet an mir und ist in Gefängnissen: aber mein Wollen kommt mir stets als mein Befreier und Freudebringer. Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille und Freiheit – so lehrt sie euch Zarathustra. Nicht-mehr-wollen und Nicht-mehr-schätzen und Nicht-mehr-schaffen! ach, daß diese große Müdigkeit mir stets fern bleibe!“

 

© copyright Jürgen Baader, Bad Dürkheim, 2007. Überarbeitung 2011 für einen Vortrag an der  Mannheimer Abendakademie/ VHS im Rahmen des Unesco Welttags der Philosophie, 17.11.2011. – Der Vortrag wurde am Samstag, den 19.11.2011 gehalten und durch Auslassungen auf eine Zeit von 20 Minuten gekürzt.