Autorschaft
Ich folge dem Gedanken [französischer Autorenkreise?],
dass der Begriff der Autorschaft zwar konventionell, üblich und gebräuchlich, aber
oberflächlich ist. Es gibt gewissermaßen keine wirklich eigenen Werke, die man
sich selbst im Gegensatz zu andern eindeutig zurechnen könnte. Was durch uns
selbst geworden ist, ist selten genau von dem zu unterscheiden, was nur durch
die Mitwirkung von anderen entstehen konnte. Im Zusammenspiel und der
Überlagerung vieler Verhaltensweisen vieler Beteiligter, Mächtiger und weniger
Mächtiger, entsteht das menschlich Alltägliche. Möglicherweise gibt es
überhaupt nichts „in der Wirklichkeit“, was ganz allein aus selbst kommt. Wenn
doch, dann vielleicht nur „in der Idee“.
Wer sich in Systemen fortgeschrittener Arbeitsteilung
selbst etwas zuschreibt und zugute hält, tut dies in der Regel aufgrund von
Wahrnehmungs- und Erinnerungsverlusten und schmückt sich, oft ohne es zu bemerken,
mit fremden Federn. Bei Kindern nennt man das: „sich mit etwas wichtig machen“,
bei Erwachsenen bemerkt man es nicht in gebührender Weise, weil man im
alltäglichen Kampf um Geltung und Anerkennung den klaren Blick für solche Dinge
verloren hat. Il faut faire bonne figure, sagt man
und rechnet sich sogar noch das gute Licht, das die eigenen Vorzüge zur Geltung
bringt, selber zu. – Im Falle des Misserfolgs tendiert man dann allerdings
zweckmäßiger Weise zu einer anderen Sichtweise.
Es gibt hier einen Zusammenhang mit der Ideologie
persönlicher Leistung, der Konkurrenz und des Punktesammelns, die sich in hochfahrender
Weise mit der Frage verteilender Gerechtigkeit und sozialer Lebenschancen verknüpft.
Wir glauben an selbst verschuldetes Glück und selbst verschuldetes Unglück, obwohl
wir diese Konzepte in fast keinem Fall hinreichend präzise durchführen können.
Man kann solche Gesichtspunkte unter die Rubrik „Mythen des Alltags“ [Roland
Barthes] zählen. In Diskussionen über Freiheit, Gnade und Prädetermination,
letztlich um die „überzeitliche“ Heilsbestimmung des menschlichen Handelns,
sind solche Themen erstmals in der Geistesgeschichte aufgetaucht. Also in
religiösen, weltanschaulichen Zusammenhängen, wohin sie, genau genommen, nach
wie vor gehören. – Heute tut man oft so, als könne man über die Gültigkeit
solcher Standpunkte weltanschaulich neutral, sozusagen objektiv und empirisch-naturwissenschaftlich,
entscheiden. Das ist m. E. ein Fall von „Betriebsblindheit“, „Bewusstseinsmangel“,
vielleicht sogar „Unbewusstsein“. In Fragen der Voraussetzung und des leitenden
Vorverständnisses möchte man sich nicht allzu deutlich aussprechen, weil man
ahnt, dass solche Diskussionen leicht zu Endlosdiskussionen werden.
Es ist interessanterweise die 2 ½ tausend Jahre alte
Buddha-Lehre, die in Ungenug-sein [dukkha] [„die Dinge sind unserer Erwartung niemals vollkommen
entsprechend“], Vergänglich-sein und Nicht-selbst-sein [anatta] [sondern
Überindivduell-typisch-sein] grundlegende Merkmale
aller menschlichen Lebensphänomene sah. „Alle Dinge sind das Nicht-Selbst“,
hieß es hier. Was und wer ich bin, das bin ich nicht wahrhaft selbst. Und was
ich zu denken und zu tun vermag, das ist etwas, womit ich mich nicht identifizieren
kann und soll, jedenfalls nicht allzu sehr. Wir leben körperlich, psychisch
und geistig sozusagen in allumspannenden Recycling- und Umgruppierungs-Prozessen
mit zeitweise bestehenden strukturbildenden
[„morphogenetischen“] Wirbelzentren [„Meme“].
Sterne mussten explodieren, um die Elemente zu
schaffen, aus denen unser Organismus besteht. Sprache und Denken entwickelten
sich auf körperlicher Grundlage und brachten in erdumspannendem
Ausmaß Rede- und Denkweisen über den Menschen und letztlich über sein Denken
selbst hervor. – Wenn auch nicht allein darauf zurückführbar, entfalten sich
Subjektivität und Denkbewusstsein [welche ich nicht gleichsetze] auf
natürlicher Grundlage. Bezüglich der spezifischen Gegebenheitsweisen der Denkinhalte
und ihrer Bewusstseinsarten [Evidenzen] halte ich Subjektives und Geistiges
nicht für naturalistisch „reduzibel“, bzw. nicht für „erklärbar“ auf objektiv
empirischer Grundlage allein.
„Es gibt“ körperliche, subjektive und geistige
Lebensströme und Austauschprozesse, Zerlegung von vorgefundenen Materialien
und Neugruppierungen von veränderlichen Versatzstücken, erwartete und unerwartete
Wiederkehr ähnlicher und unähnlicher Bestandteile und Gruppierungen von
Daseinsfaktoren. Von einer allgemeinen Warte her betrachtet ist jeder
Verdauungsprozess eine Zerlegung gegebener Materialien und eine „eklektische“
Neugruppierung dieser Bestandteile zu etwas mehr oder weniger Eigenem. Aber
die nachweisbaren Bestandteile des „Eigenen“ sind immer nur das Fremde. Die
Bestandteile des Neuen sind immer nur das Alte. Selbst die Kombinationsverfahren
unterliegen typischen Mustern.
Es ist gut möglich, dass wir niemals Gedanken denken,
die wahrhaft uns selbst eigen sind. Inhaltsgleiche oder sehr ähnliche Gedanken
wurden bereits von anderen gedacht und wahrscheinlich auch viel prägnanter
formuliert. Das wahrhaft Eigene an unseren Gedanken betrifft nicht deren
Inhalt, ja nicht einmal die für uns typische Weise der Anverwandlung,
Auffassung und Aneignung, sondern die Tatsache, dass wir selbst es sind, die
sich da etwas zueigen oder nicht zueigen machen. Was wir denken, machen wir uns
in Stellung-nehmender-Weise zueigen, bejahend,
verneinend, relativierend, [meist vorschnell] wertend usw..
Das wahrhaft Eigene des Selbst-seins dabei ist
einfach nicht dingfest zu machen. In diesem Sinne bleibt das Dass des Selbst-eigen dem Was des Sich-Selbst-zu-eigen-machens
unvermeidlicher Weise auf immer fremd. Alle Gedanken-Inhalte sind das
Nicht-Selbst. Und „spricht die Seele, so spricht, ach, die Seele nicht mehr.“
[Schiller]