Namenstaufe und hinweisende Ausdrücke

Ist ein Name wie Napoleon synonym mit einer singulären Kennzeichnung, z.B. der "Sieger von Austerlitz" oder "Besiegter von Waterloo"? Ich möchte es, Kripke und Putnam folgend, verneinen.

Starr heißt der Gegenstandsbezug eines Sprachausdrucks, wenn dieser Ausdruck in allen denkbaren Situationen dasselbe Stück Wirklichkeit bezeichnet. Die Identität des bezeichneten Gegenstandes gibt den Ausschlag und die Frage bleibt offen, ob wir über eine explizite sigu­läre Kennzeichnung verfügen. Die Namenstaufe ist ein Beispiel: "Ich taufe dich auf den Na­men Rosamunde". So wurde ein Name fest mit einem bestimmten Lebewesen verbunden, mit einem kleinen Kind vor den Augen einer kleinen Menschenmenge. Natürlich hätte der Welt­lauf anders stattfinden können, dieses Kind wäre nicht geboren und nicht getauft worden, aber diesen Taufakt als Geschehnis vorausgesetzt, wird der Name nun in allen denkbaren weiteren Geschehnissen mit derjenigen Person verbunden, die darauf getauft wurde. Diejenige hier vor euren Augen, hinweisend bezeichnet. Keine weitere Eigenschaft der Person, sie mag sich so wandlungsfähig erweisen wie sie kann und will, mag wie im Märchen in Stein und Tier ver­wandelt werden, zählt für die künftige korrekte Verwendung des Namens, nur diese Identi­tätsrelation mit einem bestimmten Stück außersprachlicher Wirklichkeit, das im Taufakt be­zeichnet wurde.

Der Hinweis identifiziert etwas ohne begriffliche Kennzeichnung. "Dies da", stellt einen sin­gulären Bezug auf ein Einzelding her, "ein solches da" auf eine Eigenschaft an einem in der Situation vorfindlichen Einzelding.

Viele naturwissenschaftliche Begriffsbildungen beruhen auf hinweisender Bezugnahme. Die Länge „1 Meter“ war ehemals durch hinweisenden Bezug auf einen Platin-Iridium-Prototyp in Paris definiert: die Länge von einem Meter hatte all dasjenige, was ebenso lang war wie der edle Prototyp. Heute ist diese Länge definiert durch eine Teilstreckenlänge derjenigen Stre­ckenlänge, die ein Lichtstrahl in einer Sekunde durchläuft. Die Sekunde selbst ist definiert als diejenige Zeitspanne, in der Cä­sium-Licht das So-und-so-Vielfa­che seiner Wellenlänge durchläuft. – Man hat also einen hinweisenden Bezug und setzt ande­res in Relation hierzu: „eben die Zeitdauer, in welcher ...“, „eben die Länge, die ...“.

Die Sekunde ist die Zeit, in der das vom Cäsium-133-Atom abgestrahlte Licht 9 192 631 770 mal schwingt, also die Zeitdauer für eine bestimmte Anzahl von Periodendurchläufen. (Gesetz über die Zeitbestimmung, Bun­desgesetzblatt, Jahrgang 1978.) Ein Meter ist definiert als der Abstand, den Licht im Vakuum innerhalb des Zeitintervalls von 1/299 792 458 Sekunden durchläuft. - D.h. es ist gesetzlich festgesetzt, wie schnell das Licht sich ausbreitet: Licht durchläuft pro Sekunde 299 792 458 m. - Einsteins Prinzip der Konstanz der Lichtge­schwindigkeit zusammen mit bestimmten Quantenzuständen des Cs-133-Atoms sind die Grundlagen der ge­setzlichen Zeit- und Längeneinheit geworden. Früher war der Meter durch einen in Paris aufbewahrten Nor­malmeter (aus einer Platin-Iridium-Legierung) definiert worden. Diese Definition war wohl bereits so exakt, dass die meisten Streitigkeiten wegen exakter Längenbestimmungen an anderen Gegenständen zumindest theo­retisch entscheidbar waren.

Heute können wir sagen, dass der Urmeter nicht exakt ein Meter lang gewesen sein muss oder gar jetzt noch, trotz einiger [geringfügiger] Austauschprozesse mit seiner Umgebung, exakt 1 m lang sein muss, weil die Defi­nition eine andere ge­worden ist. Interessanterweise kann man sich verständigen, obwohl man nur ungefähr von demselben spricht und die jeweils gültige Definition vielleicht gar nicht kennt. Obwohl man nicht ganz genau weiß, wovon man spricht, kommt man doch zurecht.

Eine festgesetzte Anzahl von Schwingungsperioden [ca. 9 x 109] einer bestimmten Art von Licht [des Cs-133 Atoms] unter idealen Bedingungen [wegen Vakuumlichtgeschwindigkeit c] definiert die Einheiten räumlicher und zeitlicher Erstreckungen. Der Wechsel eines bestimmten Quantenzustandes [der sich nicht minimal-konti­nuierlich ändern kann] in einen anderen führt zur Abstrahlung von Licht einer charakteristischen, stabilen Fre­quenz. Die Zeitspanne für eine bestimmte Anzahl von Schwingungen bzw. für den Durchlauf einer bestimmten Anzahl von Wellenlängen wird als Definition der Zeitdauer „1 sec“ verwendet, ein bestimmter Anteil der ent­sprechenden Raumstrecke [bei der Lichtausbreitung] als Definition der Länge „1 m“. Gemäß dieser kompli­zierten Definition erreicht man eine größere Präzision als durch die Anknüpfung an irgendwelche anderen peri­odischen Prozesse, z. B. den Erdumlauf oder gar den Herz­schlag des jeweils amtierenden amerikanischen Prä­sidenten. Man kann nun z. B. Aussagen treffen wie die, dass die Erdrotation sich in minimal unterschiedlichen Zeiträumen vollzieht und daher nicht ganz regelmäßig erfolgt.

Ein anderes Beispiel für hinweisende Bezugnahme in der naturwissenschaftlichen Begriffs­bildung: ein Mol eines Stoffes ist diejenige Menge dieses Stoffes in Gramm, die eben so viele Moleküle enthält wie 2,016 g Wasserstoff. Die relative Molmasse eines Stof­fes gibt an, das Wievielfache der Masse eines H2-Moleküls ein Molekül dieses Stoffes besitzt. Die Definition setzt also fest, dass jedes Mol die gleiche Anzahl von Molekülen besitzt.

Auch bei alltäglichen Ausdrücken wie „Wasser“, „Gold“ usw. ist vermutlich die hinweisende Komponente „ein Eben-solches-wie“ enthalten. Bei Wasser sagen wir zwar: „Wasser ist H2O“. Das „ist“ dieser wissenschaftlichen Identifikation ist nicht leicht zu verstehen: die Ei­genschaft, unter „Normalbedingungen“ eine Flüssig­keit zu sein, und die Eigenschaften, dass wir weitgehend daraus bestehen, dass wir es trinken können, uns damit waschen, Zähne put­zen usw., reichen nicht aus, um von Wasser zu reden, wenn es nämlich nicht wirklich H2O sein sollte. So Putnam in seinem Aufsatz „die Bedeutung von Bedeutung“ [„The Meaning of „Meaning““, 1975] Vermutlich aber steckt der hinweisende Bezug auf die äußere Wirklich­keit mittlerweile in einer hinweisenden Identifikation bezüglich der Bestandteile des Wassers, nämlich Wasserstoff und Sauerstoff. Oder gar der Bestandteile dieser Bestandteile? Hier ge­raten wir in den Themenbereich der „Verflüchtigung des Materiellen“. Ehemals war die Rela­tion „Eigenschaftsidentität“ bezüglich eines realen Vorkommnisses von Wasser Definitions- und Begriffs-bildend. Es hat allerdings niemals einen Gegenstand namens „Urwasser“ analog dem „Urmeter“ gegeben, weil es aus praktischen Gründen wahrscheinlich nicht erforderlich war, ein derartiges Vorkommnis zu „installieren“ oder zu „realisieren“. Bei Maßen und Ge­wichten hat es in der Praxis, vielleicht besonders auf den Märkten, oft Streitigkeiten gegeben. Definitionen von hinreichender Unumstrittenheit und „Entscheidbarkeit“, hinreichend objek­tive Maßverfahren für praktische Situationen muss­ten gefunden werden. Ein maßgeblicher Vorteil von „Wissenschaft“ bestand nun darin, immer mehr Dinge immer eindeutiger messbar zu machen. – Im Falle der Quantenphysik wurden sogar physikalische Grenzen der Messbar­keit präzise beschreibbar. Das ist eine ganz erstaun­lich Tatsache. Es wird hier behauptet, dass bestimmte Grenzen der Messbarkeit präzise zu messen sind. Das Ausmaß unvermeidlicher Unschärfen bestimmter Messgrößen wird z. B. gemäß der Unschärferelationen präzise erfasst.