5. Subjektivität der ersten Person Singularis

 

Es gibt einen Bereich originärer Subjektivität, - lediglich in der ersten Person Singularis als "gege­ben" festzustellen -, für dessen "Phänomene" keine objektiven Kriterien ihrer Existenz existieren. Die objektiven Kriterien des Schmerzexperten gehen sehr weit hinaus  über diese Art von Subjekti­vität; -. bis in's Soziologische. Beispiele für originäre Subjektivität sind vielleicht lediglich: Traumin­halte, Schmerzempfinden ohne 'relevante' Hirnprozesse u. dgl.. Daher in der Philosophie (der Sub­jektivität bzw. des subjektiven Geistes) die Faszination für so extreme Dinge wie z.B. rein subjekti­ven Schmerz ohne 'relevantes' objektives Kriterium.

 

Sehr schön W. Busch: "Das Zahnweh, subjektiv genommen, ist ohne Zweifel unwillkommen; doch hat's die gute Eigenschaft, dass sich dabei die Lebenskraft, die man nach außen oft verschwendet, auf einen Punkt nach innen wendet und hier energisch konzentriert. Kaum wird der erste Stich verspürt, kaum fühlt man das bekannte Bohren, das Rucken, Zucken und Rumoren - und aus ist's mit der Weltgeschichte, vergessen sind die Kursberichte, die Steuern und das Einmaleins. Kurz jede Form gewohnten Seins, die sonst real erscheint und wichtig, wird plötzlich wesenlos und nichtig:" [Balduin Bählamm, Kap. 8]

Dazu ein Zusatz: Von Zahnschmerz zu reden, bedeutet zuge­gebener Maßen, einen objektiven Zustand eines Zahnes als Ursache für ein subjektives Empfinden anzusehen. Weil viele von uns Zahnschmerzen kennen, können wir durch diese objektive Herkunft versuchen , die spezifische subjektive Qualität des entsprechenden Schmerzes zu kennzeichnen. Allerdings bleibt erstens die Möglichkeit einer gleichartigen subjektiven Empfindung ohne ent­sprechenden objektiven Krankheitsbefund eines Zahnes und zweitens die Möglichkeit der Abwe­senheit einer gleichartigen subjektiven Empfindung bei tatsächlich bestehendem objektiven Be­fund.

Nicht zu vergessen: es bleibt die Möglichkeit ganz verschieden subjektiver Empfindungs­weisen von Zahnschmerz bei ganz ähnlichem objektiven Befund.] Insofern gibt es den Schmerz "subjektiv" genommen. Der erste Fall führt uns zum Problemkreis der Simulation, des lediglich ein­gebildeten Schmerzes und des Phantomschmerzes, der zweite zu Fragen der Unempfindlichkeit ro­buster und/oder trainierter [stoischer] Naturen.

 

Die Subjektivität des andern, in der dritten Person formuliert, ist insofern keine originär gegebene Subjektivität als sie sich mehr oder weniger als Disposition zu beobachtbarem Verhalten auffassen lässt. Sie ist in jedem Falle mit objektiven Evidenzen und Befunden verbunden, mit Behauptungen über äußerlich Beobachtetes, worüber Kontroversen denkbar erscheinen und Expertisen sinnvoller Weise eingeholt werden können. Die Expertise des Schmerzexperten erreicht Tatsachen dieser ob­jektiven Art, die originäre, reine und unvermischte Subjektivität wird von diesem Expertengutachten aber nicht erreicht. Die Expertise erreicht sogar Tatsachen der Art, wie die, dass das, was wir für unser subjektives Empfinden halten, weitgehend ein Konstrukt vor historischen und gesellschaftlichen Hintergründen darstellt. Formu­lierungen wie „Ich ist ein anderer“ (Rimbauld) oder „Ich, das sind andere“ oder „Ich bin nicht, was ich bin“ [bei Shakespeare] werden in solchen Zu­sammenhängen sinnvoll.

 

["Wir Individuen sind nicht nur durch individuelle unbewusste Antriebe, sondern ebenso sehr durch den objektiven Geist unserer Gesellschaft und Kultur weit über das uns individuell be­wusste Maß hinaus gelenkt. (C. F. Weizsäcker, Zeit und Wissen, S. 332)]

 

Leicht denkbar (angesichts gegenwärtiger Tendenzen des veröffentlichten Bewusstseins) er­scheint mir eine Zeitströmung des Neuro- und Kognitionsexpertentums, welches die völlige Objekti­vierung des Subjektiven propagieren und beanspruchen wird. Man wird in übertreibender Weise behaupten, man könne die Gedanken eines Menschen äußerlich lesen [anhand eines bildgebenden Verfahrens der modernen Gehirnforschung] ohne ihn selbst danach befragen zu müssen. Wir sollten dabei allerdings eine versprechende Programmatik nicht mit einem restlos durchgeführten Forschungsvorhaben in eins setzen.