Reflexion und Abstraktion
Hier ist der Ort, unseren Blick auf eine eigenartige
Reflexivität der augustinisch-cartesianischen
Meditation zu richten. Beide behaupten:
"Denken ist ein subjektives Phänomen [im Sinne
subjektiven, nicht- objektivierbaren Gegebenseins].
"Denken ohne
Subjektbezug ist nicht möglich."
Die Fragen, die sich hier erheben, sind folgende:
1. Was ist Denken, und woher
können wir das wissen?
2. Warum ist Denken ohne Subjektbezug
nicht möglich, und woher können wir das wissen?
Eine Frage von der Art "Was ist ...?" kann
in verschiedener Weise Antwort erhalten. "Was ist Licht?" kann z.B.
so beantwortet werden: "Licht ist Helligkeit. Es bewirkt, dass ein zum
sehen befähigtes Auge sichtbare Dinge wirklich sehen kann". Diese Auskunft
gibt uns eine Erläuterung der alltäglichen Wortbedeutung bzw. einer Komponente
dieser Bedeutung. Eine andere Art, die "was ist ...?"-Frage zu
beantworten, ist die Aussage der modernen Naturwissenschaft: "Licht ist
elektromagnetische Strahlung [eines bestimmten Frequenzbereichs]." Oder
auch: „Licht ist Photonenstrahlung. Es wandert als Welle und kommt als Teilchen
an.“ Es ist nicht so, dass diese Antworten [die physikalische und die
Wortbedeutungsantwort] sich gegenseitig ausschließen würden. Die naturwissenschaftliche
Auskunft ist keine Worterklärung, sondern eher eine Erklärung der [alltagssprachlich bezeichneten] Sache selbst und setzt das
Wortverständnis voraus. Der Alltagssprecher muss von der
naturwissenschaftlichen Identifikation der Sache nichts wissen, um das Wort
korrekt zu verwenden und entsprechende Dinge zu bezeichnen.
[Nach den Überlegungen, die uns Hilary Putnam in
"The Meaning of "Meaning" vorführt, sind allerdings Fälle und Umstände
denkbar, in denen ein Alltagssprecher trotz völliger Übereinstimmung mit dem
Alltagsverständnis des Wortes etwas als Licht bezeichnet, von dem die Experten
sagen würden: "Das ist kein Licht." Das ergibt sich aus dem
hinweisenden Charakter und der Starrheit des bezeichnenden Ausdrucks.]
[Die Worterklärung, die ich angeführt habe, findet
sich sehr schön bei Platon, Politeia, VI, 507 d - e:
"Selbst wenn unsere Augen mit Sehvermögen ausgestattet sind und wir
versuchen, davon Gebrauch zu machen, und andererseits auch an den Gegenständen
Farbe haftet, so wird doch offenbar der Gesichtssinn nichts sehen, und die
Farben werden unsichtbar sein, wenn nicht ein Drittes, eigens dafür geschaffen,
hinzukommt. - Und was ist das? - Nun, was du Licht nennst."]
Nun zur Frage: "Was ist Denken?" Wir
fassen sie zunächst als eine Frage nach einer Wortbedeutung (bzw.
Bedeutungskomponente) auf. Erst an späterer Stelle möchten wir zu der weiteren
Frage übergehen, ob eine objektive Sacherklärung und reduktive
Identifikation erfolgen kann, z.B. in der Art: "Denken ist ein neuronales,
gehirnspezifisches Ereignismuster."
Was wird bei A. und D. als Denken bezeichnet? Zum
Beispiel: die Gültigkeitserwägungen bezüglich irgendwelcher angeblicher
oder wirklicher Wahrheiten. Das Bewusstsein der Urteilsenthaltung, des
schwebenden, in seiner Gültigkeit unentschiedenen Urteils, ist subjektives
Bewusstsein. Die Meditation hat uns angeleitet zu einer Rückwendung (Reflexion,
reflecto, flexi, flectus: rückwärts beugen, drehen, wenden) des Denkens zu
sich selbst. Dabei fiel uns auf: die Möglichkeit einer Subjektivität des
Denkens (im Sinne des suspendierten Objektivitätsanspruchs). Etwas, das lediglich
subjektives Bewusstsein ist, ohne objektives Kriterium seines Gegebenseins: das
ist D.s Begriff des Denkens.
"Unter Denken verstehe ich alles, was derart in
uns geschieht, dass wir uns seiner unmittelbar aus uns selbst bewusst
sind." (Principia, I, § 9)
Am Anfang der sonderbaren Überlegung, die bei
Descartes Meditation heißt, steht der Entschluss zu weitgehender
Urteilsenthaltung. Wir sind dazu imstande anzunehmen, verschiedene Aussagen,
seien lediglich problematisch gültig, auch wenn wir im praktischen Leben
vielleicht niemals an ihrer Gültigkeit zweifeln. Das Bewusstsein der
Urteilsenthaltung setzt voraus, 1. dass wir Aussagen über Aussagen treffen
können, 2. dass wir [sprachlich darstellbare]
Aussageinhalte in subjektiver Gegebenheitsweise aufzufassen vermögen.
[Widerspruchsfreiheit ist das eigentliche Kriterium
der Denkbarkeit, die Darstellbarkeit gedanklicher Inhalte im Medium der
Subjektivität [im Sinne des Nicht-Objektiven] ist etwas Zusätzliches, das den
Übergang von Denkbarkeit zu subjektiv "wirklich" gegebenem Denken
ausmacht. Hier tritt die Schwierigkeit auf, dass es dem subjektiven Geist
gelingt, Widersprüchliches, also eigentlich Undenkbares, zu denken, ohne es zu
bemerken. So kann ein subjektiv gegebener Gedanke einen logischen Widerspruch
implizieren, indem Widersprüchliches von einer Sache gedacht wird. Zudem trägt
die subjektive Zeitfolge von Gedanken dazu bei, dass wir Widersprüchliches
denken können, ohne es zu bemerken.]
Nicht nur, dass wir subjektives Bewusstsein haben,
wir sind uns u. U. auch noch bewusst, subjektives Bewusstsein zu haben, und
haben somit Selbstbewusstsein. (Apperzeption) Selbstbewusstsein tritt hier auf
weniger auf als Bewusstsein von etwas, das ein Selbst ist, sondern eher als ein
Bewusstsein von Bewusstseins. Ich bin mir z. B.
bewusst, dass ich körperliche Dinge zu sehen glaube. Erst mit dem Gedanken
einer übergreifenden Einheit allen subjektiven Bewusstseins sind wir beim
Bewusstsein einer (in allen Fällen von subjektivem Bewusstsein identischen)
Einheit (des Denkens) angelangt. [Die Einheit eines identischen Selbst hat eher
den Charakter einer Forderung als den eines gegebenen Phänomens.]
Die Meditation führt uns zu Aussagen über Aussagen.
Sie führt uns auch zu der Aussage, dass wir uns gewisser Fähigkeiten bewusst
werden können: der Fähigkeit, ein Urteil in der Schwebe zu lassen, der
Fähigkeit zum (subjektiven) Bewusstsein subjektiver Gegebenheiten, eigentlich
sogar der Freiheit des subjektiven Denkens: Unabhängigkeit davon, aufgrund
äußerer und innerer Stimulanz mein Urteil in
bestimmter Weise fällen zu müssen.
Wir sind nicht zu fortwährendem Irrtum verdammt. Wir
sind frei dazu, Wahres für wahr zu halten, weil es wahr ist. Die Meditation
gibt uns ein Beispiel, bei dem wir das zweifelsfrei erkennen können. Wir
entdecken vermittelst der Meditation das Phänomen einer selbstbewussten
Subjektivität. [Die Unbezweifelbarkeit meines Denkens für mich selbst stellt
allerdings keine objektive Evidenz [bezüglich meines Denkens] für andere dar.]
Die Fähigkeit, unser Urteil in der Schwebe zu lassen
(Urteilssuspension) führt uns zum subjektiven Bewusstsein. Wir besitzen die Fähigkeit,
Gedanken zu fassen und auf ihre Wahrheit hin zu beurteilen, und wir besitzen
darüber hinaus die Fähigkeit, uns dieser Beurteilungsfähigkeit bewusst zu
werden.
Subjektives Bewusstsein ist Bewusstsein von etwas,
nicht von nichts: es handelt sich allerdings um das Bewusstsein von lediglich
subjektiv gegebenen Bewusstseinsinhalten. Im subjektiven Bewusstsein z. B.
eines objektiv unentschiedenen Urteils bin ich mir eines Aussageinhalts
bewusst, kann aber bezüglich des subjektiven Gegebenseins dieses Inhalts nicht
irren, weil ich damit nichts als objektiv gültig behaupte. Dennoch kann ich
eine Folgerung ziehen: Ohne die (vorauszusetzende) Existenz eines (des)
Subjekts könnte es die Subjektivität der gültigkeits-suspendierten
Urteile nicht geben.
Die Verfechter des linguistic
turn pochen auf die Unhintergehbarkeit der Sprache. Sprachliche Äußerungen sind
in allen Fällen objektive Vorkommnisse, in einzelnen konkreten,
unwiederbringlichen Äußerungsereignissen werden wiederholbare Wörter und Sätze
zum Ausdruck gebracht, z.B. "Schnaps, das war sein letztes Wort." Ich
mutmaße, dass der entschiedene Ansatz beim Faktum der Sprachäußerung den Blick
auf die nichtobjektivierbare Subjektivität verstellt, weil auch subjektive
Inhalte mit öffentlichen Wortbedeutungen bezeichnet werden. Ich meine
allerdings, dass diese Sachlage nicht ausreicht, die Möglichkeit rein
subjektiver Realität auszuschließen. Unsere Sprache hat Bezeichnungen für
Phänomene, über deren Existenz letztlich nicht anhand von objektiven Befunde
entschieden werden kann, z.B. "Schmerz". Die Wortäußerung selbst ist
dabei öffentliches, allgemein zugängliches Vorkommnis, nicht aber das Phänomen.
Sprachkonventionen, z. B. Gebrauchregeln für Wörter
sind etwas objektiv Feststellbares. Es ist dennoch möglich, im Einklang mit
bestehenden Sprachkonventionen Fiktionen zu entwerfen einerseits von
Superstoikern, die auf der Folter lächeln und dennoch subjektiv Schmerz
empfinden, andererseits von perfekten Simulanten ohne subjektive
Schmerzempfindung. Wittgenstein hebt zunächst zu Recht hervor, dass die
korrekte Verwendung von Sprachausdrücken ein in hohem Maße regelgeleitetes
Geschehen darstellt. Allerdings versucht er, aus der Existenz von
intersubjektiven und objektiven Kriterien der Ausdrucksverwendung die
Unmöglichkeit von rein subjektiven Gegebenheiten zu folgern. Wort und
Zeichenverknüpfungen, die objektiv feststellbaren Anwendungsregeln
genügen, könnten aber dennoch einen Spielraum für subjektive Existenz mit
essentiell privatem Charakter gewähren.
Die (mir subjektiv bewusste) Fähigkeit, die
Gültigkeit einer Aussage als unentschieden anzusehen, setzt die Existenz des
denkenden Subjekts als (denkendem und denkbaren) Träger von
Subjektivitätsphänomenen voraus. Das ist der erstaunliche Weg von der
Zweifelserwägung zu der ganz einzigartigen Gewissheit, dass das subjektive
Bewusstsein des Denkens einen Wissensanspruch um die Existenz des denkenden
Subjekts begründet bzw. impliziert. Descartes nennt als Beispiel
selbstbewusster Subjektivität u. a. Trauminhalte, weil wir daran sehen können,
dass Aussageinhalte ohne entschiedenen Objektivitätsanspruch durchaus im
Bereich des Denkbaren liegen: "Ich kann glauben, ich sähe oder ginge, ...
, wie dies in den Träumen oft vorkommt." (Principia,
I, § 9) Mit dem subjektiven Bewusstsein meines Sehens oder Gehens wird kein
objektives Faktum behauptet. Es gilt:
Die subjektive Unmittelbarkeit des Bewusstseins ist
kein objektiv erweisliches Faktum.
Woher weiß ich, dass ich zweifle? Könnte es auch sein,
dass ich irre, wenn ich glaube, Gedanken zu denken und Erwägungen ihrer
Gültigkeit anzustellen? - Diese Möglichkeit, die in der heutigen Diskussion
keineswegs abwegig erscheint, wird von A. und D. nicht berücksichtigt. Aber der
Standpunkt von A. und D. ist insofern plausibel, als Aussagen der Art "mir
scheint, dass ..." denkbar sind, die mit keinem Anspruch auf Objektivität
verbunden sind. Auch diese Äußerungen subjektiven Bewusstseins werden in einer
konventionell geregelten Sprache vollzogen, weisen aber hin auf die Existenz
von etwas Nicht-Objektivierbarem.
Wenn es mir so vorkommt, als sei ich krank, dann
muss es keine objektiven Befunde geben, obwohl ein Arzt mein Empfinden als
Symptom einer Krankheit deuten kann. Die Kundgabe einer subjektiven 'Entität'
wird hier mit einer objektiven Ursache in Verbindung gebracht. Aber das heißt
nicht, dass wir damit bei hinreichende objektive
Kriterien für subjektives Empfinden angelangt sind. Das subjektive Bewusstsein
und sein Inhalt kann niemandem nachgewiesen werden. Sowohl die Möglichkeit
eines objektiven Befundes ohne subjektives Symptom als auch die Möglichkeit des
subjektiven Symptoms ohne den objektiven Befund muss eingeräumt werden. Die
Sphäre des Subjektiven wird durch Betrachtungen von 'Ursache-Symptom-Relationen'
weder destruiert noch reduziert (auf Tatsachen der objektivierbaren,
körperlichen Wirklichkeit).
Hier liegt wahrscheinlich eine Quelle unserer
heutigen Schwierigkeiten, die cartesianische Meditation zu akzeptieren: wir
glauben an objektive Kriterien für das Stattfinden von Subjektivität, ohne zu
bemerken, dass wir im Falle echter Subjektivität (der prima persona singularis) ein hölzernes Eisen fordern. Die Kundgabe von
subjektiven Empfindungen, stimmliche Verlautbarung usw. ist durchaus ein objektiv
registrierbares Faktum, auch der Gebrauch von Worten und Zeichen. Aber wir
gehen zu weit, wenn wir deshalb die objektive Gegebenheit von
Subjektivitätsphänomenen propagieren und dabei übersehen, dass Subjektivität
bedeuten kann, dass es dafür keine hinreichenden objektiven Kriterien, sondern
nur subjektives Bewusstsein gibt. Rein subjektive Art des Gegebenseins stellt
eine erstaunliche Art von Evidenzsphäre dar, die auf objektive Bestätigung zu
verzichten vermag. Genau in diesem subjektiven Faktum (vom
nicht-objektivierbaren Gegebensein subjektiver Gedankeninhalte) liegt die
Nicht-Reduzierbarkeit des Subjektiven auf objektive Gegebenheiten begründet. -
Umgekehrt: Wer diese Art von Subjektivität leugnet, dem können wir keinen
objektiven Befund des Gegenteils entgegenstellen.
Fichte war sich einerseits über die Unerweislichkeit
des subjektiven Bewusstseins völlig im Klaren und anderseits auch darüber, dass
einzig die Existenz des absoluten Subjekts des Denkens überhaupt (des
subjektiven und des objektiven) als Gehalt nicht-hypothetischer,
philosophischer Gewissheit in Frage kommt. Gerade der Versuch, in der
Philosophie zu einer 'zwingenden' Evidenz zu gelangen, führte auch ihn zu dem
Ausgangspunkt bei der nicht-objektivierbaren, unerweislichen Subjektivität. Die
Möglichkeit, dass es auch anders sein könnte, lässt sich bei keinem Faktum
allein aufgrund seiner Denkbarkeit allein ausschließen, lediglich die
Möglichkeit undenkbaren Denkens ist völlig ausgeschlossen, und das Denken
vermag sich als Subjektivitätsphänomen (im Sinne des Nicht-Objektivierbaren)
bewusst zu werden. Der nächste Schritt ist dann die Zuordnung subjektiver
Inhalte zu einem nicht-empirischen, absoluten Subjekt. Wer hier mit der Fiktion
subjektlosen Denkens kommt, hat die "Sache" nicht genügend
verstanden: das fragliche Subjekt meint lediglich die Bindung aller denkbaren
Inhalte an Denkbarkeit überhaupt. Man kann sagen: an eine Fähigkeit bzw. ein
Vermögen zu denken. Diese Fähigkeit, dieses Vermögen für sich selbst genommen
ist das Subjekt. Wir übergehen und vergessen diesen
entscheidenden Punkt, wenn wir einen objektiven Träger dieser erstaunlichen
Fähigkeit als zusätzliches Subjekt (des Vermögens) fordern.
Es ist eine berechtigte und sehr interessante Frage,
welche objektiven Befunde für die Annahme sprechen, ein Wesen X sei zu
subjektivem Bewusstsein befähigt. Bei Tieren z.B. glauben wir an Subjektivität,
aber nicht an selbstbewusste Subjektivität. "Können Tiere denken?",
ist eine Frage, die schon Kindern nahe liegt. Wenn es nun keine zureichenden
objektiven Kriterien für subjektive Unmittelbarkeit des Bewusstseins gibt, dann
müssen wir folgern, dass diese Frage objektiv unentscheidbar ist. Ich kann mir
vorstellen, dass Tiere denken können, aber obwohl es denkbar ist, nehme ich nicht
an, dass es wirklich so ist. Es wäre sehr aufschlussreich zu fragen, aus
welchen Gründen wir in dieser objektiv unentscheidbaren Sache einen Standpunkt
favorisieren. - D. mag über Tiere eigenartige Ding gesagt
haben, aber es ist klar, dass die objektive Existenz von subjektivitätsbegabten
Lebewesen nicht zum Bereich rein subjektiven Bewusstseins ohne jegliches
Objektivitätskriterium gehört. [Fichte spricht in dieser Frage mit
erstaunlicher Souveränität von einer Mischform von Ich und Nicht-Ich und sagt
damit in puncto "Realität des Fremdsubjektiven" etwas sehr
Wichtiges.]
Aus der "subjektiven Tatsache", dass
ausschließlich eine begrenzte Menge von Bewusstseinsinhalten [im Unterschied zu
etwaigen subjektiven Bewusstseinsinhalten anderer Wesen] für mich subjektiv
unmittelbar sind, folgt nicht das Geringste bezüglich einer Unmöglichkeit
objektiv vorhandener Wesen mit einer ebensolchen Fähigkeit zu subjektivem
unmittelbarem Bewusstsein. [Eines Jeden denkendes Ich mag ununterscheidbar
dasselbe sein, aber es kann dennoch verschiedene unterschiedener
Bewusstseinssubjektivitäten geben, weil das eine Frage verschiedener
Bewusstseinsinhalte ist.] Die Frage wird wiederum sein, aufgrund welcher objektiver Kriterien ich zur Annahme einer solchen
Fähigkeit, die essentiell gar nicht nachweisbar sein kann, berechtigt bin. Ich
kann mich bezüglich der Subjektivität eines anderen Wesens irren; - sowohl
bezüglich ihrer Existenz (oder Nicht-Existenz) als auch bezüglich ihres
Inhalts.
A. und D. berufen sich auf das subjektive
Bewusstsein des Denkens, das ohne den Anspruch auskommt, etwas von der uns
umgebenden Wirklichkeit zu wissen: "es scheint mir so. dass ...",
"gesetzt der Fall dass, ...". Es handelt
sich um in ihrer Gültigkeit problematisierte Aussagen. Unmittelbares
Gegebensein des Denkens qua Subjektivität wird nicht erklärt oder (von irgend
etwas anderem) abgeleitet. Ich setze vielmehr voraus, dass ich zur
Gültigkeitserwägung bezüglich irgendwelcher Aussageinhalte befähigt bin. Für
das subjektive Bewusstsein meiner Gedanken reicht es aus, dass ich sie habe,
keinerlei objektives Kriterium einer objektiven Existenz ist dafür relevant.
Deshalb ist es auch verfehlt, für die Subjektivität der persona prima singularis einen Nachweis zu fordern. Subjektives
Bewusstsein kann und muss niemanden nachgewiesen werden. Was uns diesmal in
unseren Überlegungen verwirrt, ist der Vorgriff auf die Frage nach der Realität
des Fremdpsychischen: die Existenz unserer Mitmenschen ist nämlich eine
objektive Tatsache. Die Subjektivität unserer Mitmenschen ist eine Mischform
von objektiven Tatsachen und subjektiven Gegebenheiten.
A. und D. starten ihre Untersuchung mit der Aussage,
dass uns solche Subjektivität gegeben sei. Es ist die subjektive Aussage des
subjektiven Gegebenseins eines oder mehrerer Gedanken, mit der sie starten.
Denken ist etwas, das derart in uns geschieht, dass wir uns seiner unmittelbar
bewusst sein können. Sie starten also mit einer Art subjektivem Bewusstsein des
Denkens, mit einer (subjektiven) Aussage des subjektiven Gegebenseins von
Gedanken. Man könnte sagen: "Das ist subjektives Selbstbewusstsein".
Das Wort "selbst" zeigt Reflexivität (Rückbezug) an: Es gibt ein
Denken, das sich seiner selbst (im Gegensatz zu äußeren Dingen) bewusst wird,
d. i. es gibt ein Denken bezüglich des Denkens. Man könnte sagen: Es muss gar
nicht so sein, dass ein einzelner Gedanke das Bewusstsein seiner selbst
darstellt, aber zu jedem Gedanken erscheint möglich (denkbar) ein
Hintergedanken, der das Bewusstsein des ersten Gedankens darstellt. Analog: Zu
jedem Kommentar kann es einen weiteren Kommentar geben. [Wenn die Langmut eines
Herausgebers unerschöpflich ist, wird jede Rezension eines Rezensenten wiederum
rezensiert, spottet G. Ryle in „Concept
of Mind“. Es ist klar, dass wir irgendwo
willkürlicher Weise aufhören müssen. Wir versuchen auch nicht, durch Zählen die
größte aller Zahlen zu ermitteln, sondern begnügen uns mit der Aussage, dass es
für jede natürliche Zahl eine Nachfolgezahl gibt.]
In einem weiteren Schritt verschärfen A. und D. ihre
subjektive Feststellung des unmittelbaren Gegebenseins von Gedanken zur Aussage
über die unumgängliche Existenz eines denkenden Wesens. Die genannte
Rückbeziehung eines Gedankens auf einen Gedanken (Aussage über eine bestimmte
Aussage) wird damit überboten zu einem Gedanken über Denkbarkeit überhaupt, der
selber Gedanke ist.
Damit haben wir eine ganz besondere Variante von
Selbstbezüglichkeit (Reflexivität). Die Aussage, dass das denkende Subjekt
unumgänglich existiert, ist nicht nur Denken bezüglich irgendwelcher
anderer Gedanken, sondern sie besitzt das Merkmal der Rückbezüglichkeit
auf sich selbst. Wir finden hier sozusagen ein sich selbst sehendes Auge.
Der Bezug des Gedankens auf sich selbst muss ab
diesem Punkt aufgefasst werden als Bezug auf ein denkendes Wesen, dem alle
Gedanken zugehören. Dies resultiert aus dem allumfassenden Charakter einer
Aussage über Denkbarkeit überhaupt. Festgestellt wird das Merkmal einer
umfassenden Einheitlichkeit für alles subjektive und objektive Denken: seine
Gebundenheit an ein denkendes Subjekt.
Die Art des Reflexionsbewusstseins übertrifft in
diesem Falle das analoge Beispiel, dass es den Kommentar eines Kommentars geben
kann. Erst ein Kommentar, der etwas feststellt über die Möglichkeit von
Kommentaren toto genere und dabei erkennt, dass er
selbst auch Kommentar ist, der wiederum kommentiert werden kann, erreicht diese
Art von Rückbezüglichkeit.
Wir haben die Frage behandelt, wieso uns Descartes
Reflexion nicht auf die Unhintergehbarkeit der Sprache, sondern auf die
Subjektivität des Denkens zurück führt. Die
Unhintergehbarkeit der Sprache wird dabei nicht bestritten.
Unser Denken ist reflexiv (Reflexion), wenn es sich
nicht auf äußere Dinge, sondern auf sich selbst in seiner subjektiven
Gegebenheit bezieht. 'Bezug auf sich selbst' bedeutet hier: Es gibt ein Denken,
das sich auf die subjektive Gegebenheit von gedanklichen Aussageinhalten bezieht.
In diesem Sinne von Reflexion unterschied Locke unsere Vorstellungen in
Sensationen und Reflexionen, wobei Sensationen die Wahrnehmungen von äußeren
Dingen und Reflexionen Selbstwahrnehmungen sind. - Damit sind wir bei der
zuerst genannten Bedeutung des Ausdrucks 'subjektiv' im Sinne von
'nicht-objektiv', 'nicht objektivierbar' und 'objektiv unerweislich'. - Dass es
solche Phänomene gibt und dass sie mit einer wesentlich intersubjektiven
Sprache überhaupt zu bezeichnen sind, ist nach den ordinary-language-Untersuchungen
des späten Wittgenstein in der Tat erstaunlich. Aber man sollte zugeben, dass
der Glaube an die subjektive Existenz von Gedanken- Traum- und anderen Inhalten
(in eben diesem Sinn des Nicht-Objektivierbaren) nicht lediglich die Ausgeburt
verstiegener philosophischer Traktate, sondern eine weit verbreitete
Überzeugung von Normalmenschen bis zurück in älteste Überlieferungen darstellt;
- trotz des ebenfalls weit verbreiteten Mangels an Sensibilität (bei uns
Heutigen) für übertriebene Erwartungen bezüglich naturwissenschaftlicher Absichten,
Subjektives irgendwie dann doch zu objektivieren. - Unser Beispiel für diese
Art von Subjektivität soll sein: das Wahrnehmungsbewusstsein im Sinne einer
Aussage, die auf jeden Objektivitätsanspruch verzichtet. 'Mir scheint, dass
...' usw..
Nun der weitere Schritt von dieser 'empirischen'
Subjektivität zum nicht-empirischen Subjekt! Es genügt nicht zu sagen:
"Alle Gedanken, die mir zwischen Kaffee und Mittagessen vorgekommen sind,
hatten den Bezug auf ein Subjekt." In diesem Falle hätten wir aus einer
gegebenen Menge von Gedanken ein gemeinsames Merkmal, nämlich 'Subjektbezug',
abgesondert (abstrahiert). - Selbst wenn wir 'Subjekt' hier gleichsetzen mit
dem Ich als der Grenze der Abstraktion, so wie es der frühe Wittgenstein
behandelt hat (Tactatus, 5.631 - 5.641), fehlt uns
noch der Gesichtspunkt, dass wir diese Art von Subjektbezug für alle nur
möglichen Gedanken (Aussageinhalte) voraussetzen und voraussehen. Wir haben mit
dem nicht-empirischen Subjekt ein Subjekt nicht nur einer bestimmten Menge von
bekannten Gedanken, sondern ein Subjekt des Denkens überhaupt.
Also reicht weder die Fähigkeit subjektiver
Reflexion noch die Fähigkeit einer Merkmale aussondernden Abstraktion aus, um
das Ich als Form des Denkens einzuführen. Die Existenz des absoluten Subjekts
muss ausgezeichnet werden, als ein Sachverhalt ganz besonderer Art, insofern
seine Gültigkeit aufgrund seiner Denkbarkeit allein entscheidbar ist. Das genau
ist der Sinn von Fichtes Rede 'Selbstsetzung des Ich'. Wir werden uns nicht nur
über die Fähigkeit zu weitgehender Abstraktion klar, wir werden uns darüber
hinaus klar über die Fähigkeit des Denkens von etwas überhaupt, was immer es
sei.