14. Metaphysische, psychische und körperliche Personalität

 

Unsere Betrachtungen laufen letztlich darauf hinaus, nur diejenigen Lebewesen „Person“ zu nennen, in deren Denken ein 'inneres' [unkörperlich inneres] Subjekt sich der Existenz seiner selbst zu vergewissern vermag. Die subjektive Fähigkeit, die Existenz dieses Ego [als nicht-empirisches Subjekt] zu denken, ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung personalen Daseins [in der Wirklichkeit]. Die Annahme eines zeitlich andauernden Subjekts willentlicher und zurechenbarer Handlungen, dann auch in der Interaktion mit anderen, voneinander unterscheidbaren Handlungssubjekten, geht darüber weit hinaus.

Ich bitte den Leser an dieser Stelle, mit der Frage nach objektiven Kriterien personalen Daseins vorsichtig und problembewusst umzugehen. Diese Frage führt u. a. zum Thema "Existenz und Erkennbarkeit des Fremd-Psychischen". Es gibt keine hinreichenden objektiven ("äußeren") Merkmale sowohl der Existenz als auch des Inhalts einer fremden Subjektivität. Andererseits ist 'denkbar', dass Tiere und sogar allgemein als unbelebt geltende Dinge über selbstbewusste Subjektivitäten verfügen, wie z. B. in Märchenerzählungen fingiert wird. [Allerdings sind wir geneigt, sprechende Tiere wie z. B. den gestiefelten Kater nicht als Tiere, sondern als verwandelte Menschen anzusehen.] Auch Maschinen 'könnten' bewusstseinsfähige Subjektivität besitzen, was wir gerade deshalb zugeben müssen, weil wir die Existenz und Nicht-Existenz von Subjektivität letztlich nicht für objektiv nachweisbar halten.

Nicht-Nachweisbarkeit von Subjektivität gilt auch für die persona prima singularis. Gerade in diesem Fall wurden wir uns [anhand der cartesianischen Meditationsrezeptur] der eigenartig kriterienlosen Existenz des Subjektiven bewusst. ("Da gibt es etwas, das nichts objektiv Nachweisbares ist, aber es ist auch nicht nichts.") Wir sollten die Nicht-Objektivierbarkeit des Fremd-Psychischen (bezüglich Existenz und Inhalt) im Auge behalten und dennoch die Frage zulassen, aufgrund welcher objektiver Gegebenheiten wir zur Anerkennung fremden personalen Dasein bereit sind. In eigener Sache setzen wir solches Dasein (oft ganz unbewusst, vielleicht leichtfertig?) voraus. Die Tatsache, dass es historisch-gesellschaftlich gegebene Praktiken für die Anerkennung von fremder Subjektivität gibt, sollten wir nicht so auffassen, als gäbe es objektive Beweise ihres Vorhanden- oder Nichtvorhandenseins. Es gibt allerdings keinerlei Gründe, ihr Vorhandensein auszuschließen.

Die Existenz von Subjektivität ist kein ‚hartes Faktum’. Aussagen darüber sind keine durch spezielle ‚wissenschaftliche’ Verfahren definitiv. [nachdrücklich] ‚erhärtete‘ Aussagen wie physikalische oder chemische Gesetzmäßigkeiten oder auch z. B. Blutwertbestimmungen. ‚Harte’, objektive Fakten wurden im Falle der cartesianischen Anleitung sogar wegen ‚prinzipieller‘ empirischer Fallibilität [trotz ihrer eventuell speziell-methodisch einwandfreien Erhebung] aus der Menge möglicher Gewissheiten ausgesondert. Das Verdikt lautete: „nur empirisch gültig! Nicht völlig unbezweifelbar!“. Anders gesprochen: Qua Urteilssuspension (Urteilsaufschiebung, Innehaltung im Urteilen) sind wir auf eine Sphäre von Gegebenheiten aufmerksam geworden, für welche die ansonsten üblichen Gültigkeitsanforderungen beiseite zu setzen sind. Wir sind von einer Sphäre problematischer Gültigkeiten [bezüglich äußerer Dinge] in eine Sphäre unproblematischer, weil nichts behauptender Gegebenheiten übergewechselt. Wir haben damit eine Sphäre subjektiver Existenz subjektiver Bewusstseinsinhalte in’s Spiel gesetzt. Man hüte sich, hier sogleich mit einer Rede von der Objektivität des Subjektiven zu beginnen.  – Wer sein Urteil zurückhält, stellt keine Behauptung einer Wahrheit zur Debatte, er kann deshalb nicht Falsches für wahr oder Wahres für falsch halten und hat doch Aussageinhalte in Erwägung.

Das ist übrigens auch der Sinn von Husserls Existenzeinklammerung in der phänomenologischen Methode gewesen. E. Husserl interessierte sich allerdings sehr viel mehr als Descartes für den Inhalt des Bewusstseinsstroms im Einzelnen. Er wirft für seine Nachfolger daher das Problem auf, inwiefern bestimmte Inhalte des Bewusstseinsstroms „aufweisbar“ und analysierbar sind, z. B. als Wahrnehmungsobjekte, Denkobjekte usw., gemäß ihrem Aufbau nach „Konstitutionsprinzipien“. Descartes interessiert sich vorwiegend für die Form dieser Bewusstseinsinhalte, d. i. für die eigenartige Subjektgebundenheit aller Denk- und Aussageinhalte. Das führt ihn in unmittelbarer Folge dazu auf die Frage der eigenartigen Substantialität dieses Subjekts.

Ein anderer Punkt, der zu Verwirrungen in den Diskussionen über Descartes führt, ist die eigenartige Potentialität des Subjektbewusstseins. Die cartesianische Meditation entdeckt die Gewissheit [eigentlich die Gewissheitsfähigkeit im Sinne einer spezifischen Unbezweifelbarkeit] der Subjektexistenz [des ex negativo als unkörperlich gekennzeichneten ‚inneren’ Subjekts]. Das bedeutet aber nicht, dass ich selbst oder irgend jemand anderes sich dieser Existenz fortwährend oder auch nur gelegentlich bewusst sein müsste. Es ist lediglich so, dass er sich bei Befolgung der Zweifelsmethode dieser Existenz vergewissern könnte. Wenn mich jemand fragt: "Woher weißt du denn etwas von der Existenz des inneren Subjekts?", dann antworte ich am besten: "Die Annahme und Behauptung des denkenden Subjekts besteht respektiv der Unmöglichkeit [Undenkbarkeit] der gegenteiligen Annahme.“

Die Existenz dieses Subjekts beruht also auf Denkbarkeit allein. Das "Ich bin" bezüglich dieses Subjekts ist gültig wegen seiner Denkbarkeit allein, weil es nämlich die Denkbarkeit von etwas Denkbarem überhaupt (formaliter betrachtet, im Gegensatz zu denkbarem Inhalt) betrifft."

Für ein Wesen mit personaler Existenz gilt folgendes: von ihm kann gedacht werden, dass es denkt und sich seiner selbst als denkend bewusst zu werden vermag. - Wir denken von ihm: „es ist Subjekt.“ Seinem subjektiven Denken wohnt inne die Fähigkeit der Vergewisserung seiner selbst [als absolut innerem Subjekt]. Dieses Subjekt ist sozusagen der Kern aller weiteren personalen Eigenschaften wie z. B. eines verantwortlich steuerbaren Willens.

John Locke (Essay Concerning Human Understanding, 1690) vertritt den bemerkenswerten und äußerst aktuellen Standpunkt, dass weder die Identität eines menschlichen Organismus noch das Bewusstsein eines nicht-empirischen, inneren Ego hinreichende Bedingungen personalen Daseins darstellen. Im Falle der leiblichen Identität fasst Locke den geradezu verwegenen Gedanken, dass es sich dabei nicht einmal um eine notwendige Bedingung personaler Identität handelt, so als ob unter extremen Umständen eine andere Person und nicht ich selbst mit meinem Körper handeln könnte. Locke hielt den Austausch von Körpern zwischen zwei Personen zumindest für vorstellbar. Er schloss daraus mit völligem Recht, dass die Identität (Dieselbigkeit) des menschlichen Körpers in verschiedenen Situationen [in letzter Konsequenz] kein identisches Subjekt der Zurechnung (imputatio) (von Handlungen) begründet.

"Alles Recht und alle Gerechtigkeit von Belohnung und Strafe" gründen allerdings in der personalen Identität eines von anderen unterscheidbaren Willens. Es muss also möglich sein, verschiedene handelnde Subjekte in unterschiedlichen Situationen und zu ganz verschiedenen Zeiten voneinander zu unterscheiden und erneut zu erkennen, um ihnen die jeweils eigenen Handlungen zuzurechnen. (Locke versuchte es mit der Kontinuität der Erinnerung, was ihm selbstverständlich Kritik einbrachte, nicht aber das Verdienst schmälern kann, ein wirkliches Problem erkannt zu haben.)

Andererseits verhilft uns das innere [mentale, geistige, absolute, nicht-empirische usw.] Subjekt nicht zu einem hinreichenden Begriff personaler Identität: Wie wir alle wissen, eignet sich gerade die Zurechnung zeitlich zurückliegender Handlungen nicht zum Gegenstand unbezweifelbarer Gewissheit. [„Wer war das?“ – „Wir wissen es nicht!“] Das Subjekt, dessen Existenz im Denken so sicher erscheint, erlaubt keine Reidentifikation mit einem Subjekt vergangener Handlungen, und es erlaubt auch nicht die Kenntnis bzw. Identifikation eines Individuums im Unterschied zu anderen Individuen. Genau darum aber geht es bei der Handlungszurechnung. Auch hierüber war sich Locke im klaren: das cartesianische Subjekt hilft uns nicht zur Kenntnis einer individuellen Person. Vor diesem Hintergrund lesen wir Lockes Definition von Person:

 

"ein denkendes, intelligentes Wesen, das der Vernunft und der Reflexion fähig ist und sich selbst als es selbst - als dasselbe denkende Ding, das zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten denkt - betrachten kann; was es allein vermittelst des Bewusstseins tut, das vom Denken nicht zu trennen und für es wesentlich ist."

(Essay Concerning Human Understanding, II, xxvii, 18)

 

Das absolute Subjekt des Denkens hat universellen Charakter, indem seine Existenz eigentlich nichts anderes beinhaltet als den Bezug aller Denk- und Aussageinhalte [bezüglich subjektiv und objektiv Bestehendem] auf Denkbarkeit überhaupt. [Bezug auf ein mögliches Bewusstsein, möglicher Bezug auf ein Bewusstsein usw.] Personale Identität erfordert neben der Möglichkeit eines Selbstbewusstseins dieser universellen Art einen individuellen, subjektiven Geist, der sich selbst und seine Handlungen von andern zu unterscheiden vermag. Für diese Unterscheidung gibt es keinen unbezweifelbaren Wahrheitsanspruch wie im Falle der Existenz des denkenden Subjekts.

Eines jeden denkendes Ich ist dasselbe: 'Bewusstsein überhaupt', ‚limitativ’ gedacht [gekennzeichnet] im Unterschied zu jedem etwaigen Inhalt dieses Bewusstseins  und qua Ununterscheidbarkeit [wg. dieser extremen Inhaltslosigkeit] von etwas anderem, das seinesgleichen sein könnte, ein nichtempirisch gedachter (denkbarer) Singular.

Es ist ein lediglich notwendiger Weise mögliches Bewusstsein, das in allem Denken mit dem Merkmal völliger Inhaltslosigkeit als Form des Bewusstseins vorausgesetzt wird, sozusagen ein Etwas, das kein Etwas ist.

Eine individuelle Person dagegen ist eine individuelle Subjektivität im Unterschied zu andern Subjektivitäten, eine Kollektion [Bündel] von subjektiv gegebenen Inhalten, die nicht nur bezogen sind auf Denkbarkeit überhaupt, sondern die eine Einheit darstellen dessen, was 'wirklich' subjektiv [im Sinne von nichts objektiv Behaupteten] in einem sich von anderen unterscheidenden subjektiven Bewusstsein gegeben ist.

Hinzu kommt [als dritte Instanz von Person-Sein] die körperliche Person [im Sinne der Wendung 'Verstoß gegen die Person']. Denn wir müssen zugeben, dass trotz denkbarem interpersonellen Körperaustausch Personen durch objektive Geschehnisse betroffen [im Sinne einer Läsion] werden können. Also ist die Person nicht einfach ein unberührbares Etwas jenseits der körperlichen Wirklichkeit. Es ist einerseits die Frage, welcher Körper ich selbst (im Unterschied zu andern) bin und welcher körperliche Läsionen welche Person betreffen.

Ich halte die nicht-empirische ("metaphysiche") Personalität für eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung psychischer Personalität, die psychische Personalität für eine notwendige nicht aber hinreichende Bedingung körperlicher Personalität.

Sonderbar, dass es nicht gelingt, das Pferd anders herum aufzuzäumen! Ein bestimmter Körper z. B., oder auch nur ein bestimmtes Gehirn, als wiederkehrender Gegenstand in unterschiedlichen Situationen, ist weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung für die Identität [Dieselbigkeit] der Person. Diesen Gesichtspunkt kann man auch so formulieren: Das Gehirn ist das zugehörige Gehirn zu einer bestimmten Person und nicht die Person die zugehörige Person zu einem Gehirn. ‚Denkbar’ erscheint nämlich, dass dieselbe Person sich eines neu konfigurierten oder sogar erneuerten Gehirns bedient. Also ist ein bestimmtes Gehirn keine notwendige oder hinreichende Bedingung personaler Existenz.

Dis gilt, obwohl es uns umgekehrt naheliegend erscheint, dass die Person nicht ganz ohne irgendein Gehirn existieren „kann“. Das „kann“ [ebenso wie das „notwendig“ in „notwendige Bedingung“ wird hier äquivok: die subjektive Fähigkeit nichtempirischen Subjektbewusstseins als „notwendige“ Bedingung personalen Daseins einerseits, anderseits ein Gehirn als „notwendige Bedingung“ einer empirisch existierenden Person.  Im ersten Fall werde ich mir einer weitgehenden Fähigkeit zur Urteilssuspension bewusst und verknüpfe meine personales Dasein mit diesem möglichen Bewusstsein, im anderen Fall rede ich von einer empirischen Korrelation objektiver Tatsachen mit subjektivem Bewusstsein. Das sind Bereiche unterscheidbarer Arten von Evidenz. Objektiv-empirische Evidenz mit ihren spezifischen Entscheidungsverfahren ist etwas anderes als subjektives Bewusstsein von Subjektivität, subjektives Bewusstsein von subjektiven Empfindungen besitzt wiederum nicht die darüber hinausgehende [logische] Evidenz eines Bewusstseins von genereller Denkbarkeit.

Allerdings, - dies ist besonderer Erwägung wert -, vermag sich das [denkbare] Bewusstsein genereller Denkbarkeit im subjektiven Bewusstseinsstrom zu „manifestieren“. Diese „Manifestion“ entspricht dem Bezogensein von Subjektivität auf allgemeine Denkbarkeit. Das abstrakte Subjektbewusstsein schließt [sozusagen] dergleichen Phänomene nicht aus. Subjektivitäten, die sich ihrer selbst bewusst sind und Subjektivitäten, die sich ihrer selbst nicht bewusst sind, erscheinen gleichermaßen als ‚denkbar’. ‚Undenkbar’ ist lediglich, dass das Subjekt der Denkbarkeit im Vollzug der subjektiven Selbstzuschreibungen [con Bewusstseinsinhalten] nicht existiert.

  

[Hinzu kommen Klassifikationen von subjektiven Gegebenheiten in eher kognitive, eher volitive und eher affektive Bestandteile.]

[Eine besondere Frage ist die Frage nach der Subjektivität des Tieres, von der wir annehmen, dass sie ‚gegeben’ ist, aber nicht zum Bewusstsein ihrer selbst (empirische Apperzeption) oder gar zum generellen Bewusstsein von Denkbarkeit überhaupt ('reine', nicht-empirische Apperzeption) zu gelangen vermag.]

 

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