15. Arten von Evidenz
Die Existenz des denkenden Subjekts allein ist einer besonderen Art von Gewissheit fähig. Nur der Geist, das ‚innere’, unkörperliche Subjekt des Denkens, ist sich seiner Existenz zweifelsfrei bewusst. Warum ist diese Art von Gewissheit nicht möglich bezüglich der Existenz des Leibes? Warum ist diese Art von Gewissheit nicht möglich bezüglich der Existenz einzelner körperlicher Gegenstände oder auch körperlicher Gegenstände überhaupt?
Wir behaupteten: "In
unserem Denken ist Gewissheit unserer selbst als denkender Wesen vorhanden,
aber nicht die Gewissheit unserer selbst als körperlicher Gegenstände oder
körperlicher Personen." Die entscheidende Feststellung hierzu lautet: Empirische
Erkenntnis gestattet empirische Gewissheit, aber empirische Gewissheit ist
nicht absolute Gewissheit. Bezüglich körperlicher Dinge besteht die Möglichkeit
der irrtümlichen Identifikation und der irrtümlichen Zuschreibung bestimmter
Merkmale; - zumindest prinzipiell. Bezüglich der Existenz meiner selbst als
Voraussetzung all meines Denkens bestehen diese Irrtumsmöglichkeiten nicht. Es
ist erstens nicht möglich, dass ich nicht existiere, während ich (etwas) denke,
und zweitens ist es nicht möglich, dass sich das denkende Ich mit etwas anderem
verwechselt, wenn es denkt, es sei das denkende Ich. - Anders ausgedrückt: Es
gibt Äußerungen in der ersten Person singularis, für
die gilt: sie sind immun gegenüber Irrtumsmöglichkeiten, die auf der
fehlerhaften Identifikation einer Person oder Sache beruhen.
[Im Kinderspruch heißt es:
"Denke nie, gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist
gedankenloses Denken." Dem können wir nicht zustimmen, da wir metatheoretische Überlegungen einer bestimmten Art (Denken
des Denkens, welches seinerseits ebenfalls Denken ist) akzeptieren.
Es ist nicht möglich, dass
ich mich bei der Aussage "ich empfinde Freude" insofern irre, dass es
zwar jemanden gibt, der Freude empfindet, ich aber fälschlicherweise annehme,
dass ich diese Person bin. - Dieses sprachliche Phänomen nennt der späte
Wittgenstein den "Subjektgebrauch" des Wortes "ich".
Objektgebrauch des Wortes 'ich' wird angenommen für Kontexte, in denen die
fälschliche Identifikation meiner selbst denkbar erscheint. Wenn ich z. B. in
einem Ringkampf feststelle: "Ich blute." - Im cartesianischen Kontext
geht es offenbar um den Subjektgebrauch von 'ich'. In moderner
sprachanalytischer Terminologie kann demnach die Behauptung Augustins und
Descartes auf folgende Weise ausgesprochen werden: "Auch das 'ich' des
Subjektgebrauchs ist ein referentieller Ausdruck, d.i. ein Wort, das für etwas steht." - Wittgenstein
macht es zu einem Scheinsubjekt analog der Formulierung "es regnet",
die kein tätiges Subjekt des Regnens voraussetzt. Demnach wäre der
Objektgebrauch des Wortes 'ich', für welchen Fehlidentifizierung denkbar
erscheint, referentiell, der Subjektgebrauch in der
cartesianischen Meditation lediglich schein-referentiell.
[Wittgensteins Unterscheidung der Gebrauchsweisen des Wortes 'ich' finden sich
im Blue Book. Sidney Shoemaker bespricht diese
Unterscheidung im Aufsatz "Selbstreferenz und Selbstbewusstsein",
siehe Sammelband, Analytische Philosophie des Geistes, Hg. Peter Bieri]
Zurück zu Augustin und
Descartes: Das Wort 'ich' im cartesianischen Kontext benennt etwas, von dem
zweifelsfrei gewusst werden kann, dass es existiert. Die Frage nach dem Was
dieses Existierenden beantworten wir: "es ist ein immaterielles
Subjekt."
Dasjenige Wesen, dessen
Existenz wir zweifelsfrei erkennen, ist das denkende Wesen .
Wir können uns nicht irren bezüglich der Existenz dieses Subjekts. Damit ist
eine Aussage gefällt über Dasein und Wesen von etwas, bezüglich dessen nicht
die Möglichkeit des Irrtums besteht.
Unsere Kenntnis der uns
umgebenden Wirklichkeit beruht auf Beobachtung und Experiment und ist somit
empirisch gültig. Das Wissen um die Existenz des denkenden Subjekts dagegen ist
kein empirisches Faktum. Es ist ein Sachverhalt ganz besonderer Art.
Kantisch gesprochen:
"Erfahrung lehrt uns zwar, dass etwas so oder so beschaffen sei, aber
nicht, dass es nicht anders sein könne." (B 3) Empirische Fakten werden
aufgrund von empirischem Zeugnis angenommen. Wir vergewissern uns dieser Fakten
durch Beobachtung und Experiment. Wir erreichen in dieser Vergewisserung
[letztlich 'nur'] [aber ‚immerhin’] empirische Gewissheit, dass etwas sich so
und so verhalte, keinesfalls aber ein Wissen, dass es sich "ganz
unmöglich" anders verhalten könnte. Die logische Möglichkeit bleibt
bestehen, dass das Faktum ein anderes wäre. Der Wert der Beobachtung besteht
gerade darin, uns des Faktums empirisch zu versichern, aber gemessen am
Bewusstsein z.B. von logischen Notwendigkeiten sprechen wir von etwas, das
'lediglich' empirisch gültig ist. - Das geht weit hinaus über die seit Hume so wichtige Nichtverifizierbarkeit empirischer Allsätze, die bedeutet, dass ich aus der Tatsache, dass ich
nur weiße Schwäne kenne, nichts von der Unmöglichkeit schwarzer Schwäne
berichten kann. Auch die Tatsache, dass es weiße Schwäne gibt, wissen wir
'lediglich' [aber ‚immerhin’] aus Erfahrung.
Was aus prinzipiellen
Gründen (z.B. wg log. Gesetze) nicht anders sein
kann, das ist notwendig, wenn auch eventuell tautologisch, z.B.: "Das
Wetter ändert sich oder es bleibt, wie es ist." Wofür die Möglichkeit des
Andersseins besteht, das ist kontingentes Faktum.
Fakten sind ganz einfach nicht schon aus prinzipiellen Gründen determiniert.
Die Zweifelsbetrachtung des
Augustinus und Descartes startet mit der Festsstellung der bezweifelbaren
Gültigkeit vieler Behauptungen und endet mit der Feststellung absoluter
Gewissheitsfähigkeit bezüglich der Existenz des denkenden Subjekts. Wir
unterliegen keinem Irrtum bezüglich [der Existenz] unserer selbst als denkendem
Subjekt und das heißt, dass die Existenz des denkenden Wesens einer besonderen
Art von denkender Gewissheit fähig ist. Es bleibt nichts anderes, was
entsprechend der Rezeptur der Zweifelsbetrachtung in Frage kommt. Das ist der
Geist (lat. mens) in
unserem subjektiven Bewusstsein, eine nicht-körperliche Existenz als Träger
mental-subjektiver Bewusstseinsinhalte.
Der methodische Zweifel
erweist sich als Methode, dasjenige denkend zu erwägen, was auf die Weise einer
unumgänglichen und unbezweifelbaren Voraussetzung unseres Denkens existiert.
Neben Aussagen mit prinzipiell bezweifelbarer Gültigkeit gibt es eine Aussage,
die das Denken insgesamt betrifft. Diese Aussage ist selbstreferentiell:
ein Denken des Denkens, das ebenfalls Denken ist.
In meinem Körper befindet
sich u. a. Herz, Lunge und Gehirn, aber kein denkendes Subjekt. Zu meinem
Körper wird lediglich hinzugedacht ein Subjekt, dessen Leib dieser Körper ist.
Das denkende Subjekt wird erfasst als dasjenige, an dessen Existenz ich nicht
zweifeln kann, als Grenze der Abstraktion, als reine Form des
Bewusstsein und kann also kein Teil der wirklichen Welt und auch kein
Teil meines Körpers sein. Kein Teil der Wirklichkeit und kein Stück der Welt,
sondern nur die reine Form des Denkens.
Kein Teil und kein Stück des
Wirklichen. Das heißt, auch nichts Unsichtbares oder tief im Körperinnern
verborgen Vorhandenes. Was tief im Innern der Milchstrasse vorhanden ist, oder
was tief im Körperinnern verborgen ist, es erregt beides unsere Phantasie. Die
cartesianische Meditation entdeckt uns allerdings, dass es auch das körperlos
Innere des denkenden Subjekts gibt. Also besitzen wir im Denken die Gewissheit,
dass es ein körperlos Inneres gibt, obwohl wir es nicht anschaulich vorstellen
können. Aus dem Bedürfnis, den Gedanken dann doch wieder zu veranschaulichen,
ergibt sich die Verirrung, den Geist tief im Körperinnern oder hoch über aller
Welt zu suchen, anstatt als Inhalt (Gegenstand) unbezweifelbarer Gewissheit.
In der Aussonderung und
Zurückweisung alles prinzipiell Bezweifelbaren liegt eine Art Bilderverbot. Wer
meint, er persönlich könne sich nichts körperlos Unanschauliches vorstellen,
den weisen wir darauf hin, dass er in der Gewissheit des „Ich denke“ die
Existenz eines körperloses Selbst zu denken vermag.
Mit Fichte zu sprechen: in
unser aller menschlichem Denken vermag sich ein sich selbst setzendes Subjekt
bewusst zu werden. So ist bei Fichte aus der allgemeinen Vernunft ein Vermögen
geworden, einen Inhalt (‚absolut’ besonderer Art) zu denken, der keiner
weiterer Begründung bedarf und keine weitere Begründung gestattet, weil er an
sich selbst absoluter Gewissheit fähig ist. Das meint: Selbstsetzung des
absoluten Ich.
Dazu die Bemerkung von Paul Feyerabend:
"Nachdem ich ein paar
Seiten aus Descartes' Meditationen verdaut hatte, erklärte ich Mama, dass sie
nur existiere, weil ich existiere, und dass sie ohne mich keine Chance
habe." (Paul Feyerabend, Zeitverschwendung,
Suhrkamp 1995, S. 44)]
An einer solchen Bemerkung,
die eine feinsinnige Ironie enthält, können wir üben, Verwirrung aus der
cartesianischen Meditation herauszuhalten: Die Aussonderung des Bezweifelbaren
in der cartesianischen Überlegung hat methodischen Charakter und dient der
Unterscheidung verschiedener Arten von Evidenz. Beobachtung, äußere und innere
Erfahrung belehren mich über die Existenz meiner Mutter, und ich zweifle nicht
wirklich daran, der Nachkomme meiner Eltern zu sein. Das ist die empirische, assertorische Evidenz der normalen Erfahrung. Rein fiktiv
kann eine Wirklichkeit gedacht werden, die aus anderen Fakten besteht; -
logisch notwendig ist nur das, dessen Gegenteil widersprüchlich ist. Die
Gewissheit des inneren Ich ist dagegen apodiktischer Art: es mag der Fall sein,
was da wolle, so ist es doch nicht möglich, dass ich mich bezüglich der
Existenz meiner selbst als denkendem Wesen irre.
Die Art der Gewissheit ist
der entscheidende Punkt: die Existenz materieller Gegenstände ist nicht
derselben Art von Gewissheit fähig wie die Existenz des inneren Subjekts. - Da
nun das lateinische Wort für Mutter, nämlich "mater"
in den Wörtern "materiell", "Material" anklingt, ergibt
sich die Möglichkeit, den Anhängern Descartes' und besonders Fichtes den
psychologischen Subtext einer Abwertung des mütterlichen Wirklichkeit und der
Natur zu unterstellen, deren Abkömmlinge auch sie sind. Fichte soll tatsächlich
in einen Mutterkonflikt verwickelt gewesen sein, wobei sich die Einzelheiten
meiner Kenntnis entziehen.
[Wir werden zumindest eine
Mutter finden, die Descartes'sche Gedanken hervorragend nachvollziehen kann: M.
E. G. Ascombe, geb. 1919, Mutter von mehreren Kindern,
Schülerin Wittgensteins und eine hervorragende Repräsentantin
sprachanalytischer Philosophie. Ihr Aufsatz (1975) ist das Beeindruckendste
zum Thema, was ich gelesen habe. Er befindet sich ebenfalls im erwähnten
Sammelband, Analytische Philosophie des Geistes, Hg. Peter Bieri,
der Titel lautet: „Die erste Person“]
Augustin und Descartes
weisen uns nachdrücklich hin auf zwei Phänomene: Erstens existiert das Subjekt,
es wird in abstrahierender Reflexion ‚entdeckt’, zweitens kann es kein Teil der
Welt und eines Körpers sein. Das folgt aus der Tatsache, dass es kein
apodiktisches Wissen um äußere Dinge gibt. Deshalb vermag es nur im Kontext der
grammatisch ersten Person bezeichnet zu werden, d. i. in cartesianischem
Kontext. In diesem Kontext lässt sich das Bewusstsein herstellen, dass es
bezüglich der uns umgebenden Wirklichkeit keine absolute Gewissheit gibt. - Das
heißt keineswegs, dass wir die Dinge um uns herum für einen luftigen Traum
halten sollten. Wir stellen gegenüber der Gewissheit des inneren Subjekts
lediglich die andere Art von Evidenz fest.
[So weit ich sehe, haben
Descartes und Kant den Ausdruck 'Evidenz' speziell für die anschauliche Gewissheit
arithmetischer und geometrischer Sachverhalte reserviert. Erst bei Fichte
findet sich der Ausdruck auch für die spezifisch philosophische Gewissheit des
absoluten Ich. Interessant ist die Erwägung, dass es der einzig mögliche Inhalt
dieser Art von Gewissheit ist.]
Was ist es für eine Art von
Innen und Außen, die sich hier gegenüberstehen? Das Innere meines Körpers ist
ein Inneres bezüglich bestimmter räumlicher Begrenzungen, d.h. ein relativ
Inneres. Wer kann sich nun noch darüber verwundern, dass die Innerlichkeit des
selbstgewissen Geistes die absolute Innerlichkeit ist? – Kein Teil der Welt,
kein Stück der äußeren oder nur relativ inneren Wirklichkeit, sondern das
absolut Innere des Denkens überhaupt. Das reine Subjekt kann kein
raum-zeitliches Wesen sein. Deshalb ist es nicht raum- zeitlich. Wegen der
abstrahierenden Reflexion, in der es entdeckt wird, wird es von allem ‚Inhalt’
des Denkens unterscheidbar, bzw. als Form des Denkens überhaupt ein ganz
einzigartiger ‚Inhalt’. Es ist ein Denkbares ganz besonderer Art: nur ex negativo zu kennzeichnen, wg. der abstrahierenden
Reflexion. Mehr als dieser prinzipiellen Denkbarkeit bedarf es nicht zu seiner
Existenz, weil es sich handelt um das Subjekt des Denkens überhaupt. [Ein
Existierendes, dem Existenz zuerkannt wird allein aufgrund seiner Denkbarkeit
war eigentlich die Formel des ontologischen Gottesbeweises. Bezüglich des
denkenden Subjekts gelingt uns das Argument fast zwanglos: sein Nicht-Nicht-sein-können, d.i.
eine besondere Art von Existenznotwendigkeit wird uns deutlich, wenn wir den
Zweifelserwägungen des Augustin und Descartes folgen. Die Gleichsetzung von
"Subjekt" und "Substanz" finden wir erstmals bei Fichte.]
Erneut zum
"Subjektgebrauch des 'ich'": In punkto (des subjektgebrauchten)
"ich" unterliegen wir auch keinem Irrtum durch Fehlidentifikation, so
dass uns Verwechslungen unterlaufen könnten: Es mag jemand das Knie einer Dame
mit seinem eigenen verwechseln, dass er sich selbst mit jemandem andern
verwechseln könnte, wenn er das Wort "ich" gebraucht, um von sich
selbst zu sprechen (vermittelst Selbstzuschreibung subjektiver Prädikate wie
'... empfinde Freude'), ist nicht zu befürchten. [Es sind nur spezielle
subjektive Kontexte der ersten Person, für welche diese Irrtumsimmunität gilt.]
Das Wort "ich" [im Subjektgebrauch] ist gefeit gegen das Fehlschlagen
der Bezugnahme. Existenz und Anwesenheit seiner Bezugnahme sind garantiert.
Wenn man nun überlegt, was es denn ist, das diese unbezweifelbare Existenz
besitzt, dann erfolgt als einzig ernstzunehmende Antwort: es ist das absolut
Innere des Denkens; -wegen der Aussonderung alles Bezweifelbaren. Das ist der
Gegenstand und Inhalt der apodiktischen Gewissheit.
Was sich seiner selbst so
sicher als denkend bewusst ist, ist der Geist in uns, ein unräumliches,
immaterielles Wesen. Als Gegenstand der Gewissheit ist das absolute Ich ein aus
sich selbst leuchtendes Licht (lux lucifica). Auch die Metapher vom sich selbst sehenden Auge
ist treffend. Das folgt aus der Garantie des Selbstbezugs und aus der Frage
nach der Art des Wesens, das dieser garantierte Bezug betrifft.
Als Ödipus vom Mörder des Laios und dem Verursacher der Pest in Theben sprach, sprach
er von sich selbst, aber das wusste er nicht. Es ist also möglich, dass jemand
nicht weiss, dass er von sich selbst spricht, wenn er
es de facto tut. Das ist aber nur der Fall, wenn er von sich selbst als
körperlicher Person spricht. Wenn er das Wort "ich" verwendet, weiss er mit Sicherheit, dass er von sich selbst und keinem
andern spricht: das weiss er nicht nur de facto, denn
die Möglichkeit von Bezug auf Nicht-Existierendes, Fehlidentifizierung,
Verwechslung und Merkmalstäuschung besteht nicht. Selbst wenn er denkt, er sei
Jesus Christus in Person, verwechselt er nicht einfach Jesus Christus mit sich
selbst, sondern er denkt: "Ich und kein anderer ist Jesus Christus."
Ein gesunder Mensch erkennt die Unrichtigkeit der Behauptung sofort. "Es
ist nicht nur bezweifelbar, sondern offensichtlich falsch, dass er Jesus
Christus ist", wird mancher sagen. Als Gegenstand des apodiktischen
Selbstgewissheit bleibt nichts anderes übrig als ein geistiges Ich, Grenze der
Welt und der Abstraktion, die reine Form des Bewusstseins, alles andere ist
Inhalt, an dem man zumindest prinzipiell zweifeln kann.
Wenn J. G. Fichte
behauptete, er sei in seinem individuellen Denken auf das Denken des absoluten
Ich gestossen, dürfte er nicht zu widerlegen sein,
wenn es ihm tatsächlich gelungen sein sollte, das absolute Ich wirklich nur als
Grenze der Abstraktion in seiner puren Nicht-hinweg-Denkbarkeit
aufzufassen. Es ist der Inbegriff des unbezweifelbaren Wissens; - nicht mehr
und nicht weniger. Die persönliche Identifikation mit Jesus Christus hält
dieser Anforderung nicht stand. Diese Identifikation entspricht nicht der
Aussonderung des Bezweifelbaren, unserem spekulativen Bilderverbot.
Im Denken ist die Gewissheit
eines Subjekts vorhanden, was nun aber ist das Subjekt? ["Es ist ein
Subjekt, das es in sich hat", könnte man ironisch meinen. Damit behält man
recht, wie uns später Fichte demonstrieren wird.] Es
ist kein körperliches Ding, hörten wir schon von Augustin und Descartes, Es der
pure Geist, der grössere Gewissheit gestattet als
alles andere. Wir haben damit den Übergang vom "Ich denke" zur
Feststellung vollzogen, das im Denken ein implizites Denken eines absoluten
Selbst stattfindet. Wir sind beim Denken eines absoluten Subjekts und beim
Denken eines Absoluten angelangt. Fichte hat uns gelehrt, das Absolute als
Subjekt zu denken. In apodiktischer Gewissheit geschieht nichts anderes, als
dass das absolute Ich sich seiner selbst bewusst ist. Das Absolute, wenn es so
etwas überhaupt gibt, kann überhaupt nichts anderes sein als das absolute Ich
unseres Denkens. Und existieren muss es, sonst hätte ich nicht die Gewissheit
meiner selbst in der cartesianischen Meditation.
Es gibt eine Überlegung, wodurch
wir das Feuer des spekulativen Geistes auf der Stelle entzünden kann: „Wenn ihr
von allem Inhalt der Denkens abstrahiert, dann bleibt die reine Form des
Denkens,“ sagt uns Kant (analog der Descartes’schen
Aussonderung des Bezweifelbaren). – Messerscharf schließen Fichte und Hegel
daran an: „Dann haben wir an der reinen Form des Denkens einen absoluten
Inhalt.“
Die Existenz des inneren Subjekts ist ein
Sachverhalt der ganz besonderen Art: er ist absoluter Gewissheit fähig. An der
allgemeinen Form des Denkens hat das Bewusstsein einen absoluten Inhalt. – Aus
genau diesem Grund wird für Hegel aus der allgemeinen Logik eine Metaphysik des
Absoluten: Aus der allgemeinen und formalen Beschaffenheit des Denkens wird ein
absoluter Inhalt des Bewusstseins. Und die allgemeine Beschaffenheit des
Denkens bestand in der genannten Art des Subjektbezugs. Also wir die Identität
von Substanz und Subjekt Prinzip des absoluten Bewusstseins und des
Bewusstseins des Absoluten. Für das Bewusstsein gewöhnlicher Sachverhalte, die
niemals Gewissheit des Unbezweifelbaren gestatten, gilt selbstverständlich die
Nicht-Identität von denkendem Subjekt und gedachtem Inhalt.
Dasselbe, wiederum anders
formuliert: An der formalen Beschaffenheit allen gegenständlichen Denkens haben
wir einen Gegenstand ganz besonderer Art: das Absolutum
des Denkens. – Wenn wir von aller Sache des Denkens abstrahieren, dann bleibt
das reine Ich als eine Sache ganz besonderer Art. Es ist eigentlich gar keine
Sache und doch muss es existieren. Das reine Nichts an Sachhaltigkeit ist der
absolute Denkinhalt. Wer wird sich da noch wundern, dass spekulative Dialektik
zum Prinzip des absoluten Gedankens wird und dass wir letztlich auch nicht vor
der Identität von Sein und Nichts
zurückschrecken werden?- Das gilt natürlich auch nur
für den absoluten Inhalt. Die gewöhnliche Sache ist die Identität des
sachhaltig Gedachten mit sich selbst.
Wir müssen zugeben, dass all
dies in Fichtes Kant-Interpretation angelegt und vorhanden ist. Wer genau
hinsieht, erkennt die entscheidende Überlegung in Descartes Übergang zur Frage:
„Was ist es denn, dessen Existenz so gewiss ist?“.
Von der aufklärerischen
Aufforderung, selbst zu denken, sind wir gelangt zu einem Denken des Selbst.
Die Verwandlung des sprachlichen Reflexivs in ein Transitiv ist der spekulative
Gedankengang der cartesianischen Meditation. Wenn das Wort „ich“ im
cartesianischen Kontext ein referentieller Ausdruck
ist, dann wird Descartes Gleichsetzung des Ich mit einem nicht-körperlichen
inneren Selbst eine hochplausible Konstruktion.
Für die Kenner subtiler
sprachanalytischer Reflexion verweise ich auf Aufsätze von Elizabeth Anscombe und Sidney Shoemakers. G. E. M. Anscombe
glaubt zwar, dass die Herleitung eines cartesianischen Ich eher eine reductio ad absurdum der Annahme darstellt, das Wort „ich“
im cartesianischen Kontext sei referentiell
gebraucht. Ich persönlich halte es für denkbar, dass es einen Weg gibt, diese
Schlussfolgerung zu umgehen. In normalen Kontexten, wo „ich“ für die
körperliche Person steht, die ich selbst bin, ist „ich“ ein sachbezüglicher
Ausdruck, der Satz des erkennenen Ödipus „ich selbst
bin der gesuchte Verbrecher“ enthält die Identifikation von jemandem mit
jemandem, von Ödipus selbst mit dem gesuchten Verbrecher und dem Verursacher
der Not in Theben. Es ist völlig richtig, wenn Elizabeth Anscombe
sagt, das Selbstbewusstsein des denkenden Subjekts sei nicht genuine
Tätererinnerung, ein Punkt, den auch schon Locke hervorhob: Die
zurechnungsfähige Person ist weit mehr als aktuelles Bewusstsein des denkenden
Ich, sie ist eine besondere Art von körperlichem Wesen mit der Fähigkeit zu
verantwortungsbewusster Handlungsweise. Es findet in der unmittelbarer
Gewissheit des „ich denke“ keine Identifikation oder Reidentifaktion
anhand von irgendwelchen sachhaltigen Merkmalen statt. Das ist der Witz der
Sache und wiederum eine Folge der Zurückweisung des Bezweifelbaren.
Das Fehlen von
Identifikation und Reidentifikation (anhand von
„normalen“ Merkmalen) hat auch zu B. Russells zeitweiligem Konzept von Kurzzeitselbsten geführt.
Nach der Lektüre der
genannten Aufsätze bin ich nicht mehr von der Überwindung der Metaphysik durch
logische Sprachanalyse überzeugt. Plausibel erscheint mir viel mehr die immer
subtilere erneute Erzeugung metaphysischer Inhalte aus dem Geist der Sprache.
Gerade Anscombes Konditional
„demnach entdecken wir, dass
wenn ‚ich‘ ein referentieller Ausdruck ist, Descartes
dann recht hatte, was der referentielle Gegenstand
ist“ (G. E. M. Anscombe, Die erste Person, in:
Analytische Philosophie des Geistes, Hg. Peter Bieri,
S. 234)
macht deutlich, dass sich
das Phänomen sprachlich trotz naheliegender
Destruktionsversuche beständig neu erzeugt. Ich behaupte z.B.: „Ich bin J. B.
und nicht: etwas in mir ist J. B..“ – Man könnte
denken: Das reicht schon für die Widerlegung des Descartes aus. Aber man höre Anscombes Gedankenexperiment mit der sensorischen
Deprivation, das uns wieder auf die Fährte Descartes' zurückführt:
„So akzeptieren wir die
Annahme, und es scheint zu folgen, dass dasjenige, wofür ‚ich steht, ein
cartesianisches Ego sein muss.
Wir wollen mal annehmen,
dass es irgendein anderer Gegenstand ist. Ein naheliegender
Kandidat wäre: dieser Körper. Man stelle sich nun vor, ich geriete in einen
Zustand ‚sensorischer Deprivation‘. Die Sicht ist weg. Ich bin überall örtlich
betäubt, und vielleicht lässt man mich in einem Tank voller lauwarmen Wassers obenauftreiben; ich bin unfähig zu sprechen oder
irgendeinen Teil meines Körpers mit irgendeinem andern Körperteil zu berühren.
Nun sage ich zu mir selbst: ‚Ich will das nicht noch einmal geschehen lassen!‘ Wenn der mit ‚ich‘ gemeinte Gegenstand dieser Körper ist,
dieses menschliche Wesen, dann wird er unter diesen Umständen meinen Sinnen
nicht gegenwärtig sein; und wie anders kann er für mich ‚gegenwärtig‘ sein?
Verlor ich jedoch das, was ich mit ‚ich‘ meine? Ist mir das nicht gegenwärtig?
Bin ich auf das ‚Bezugnehmen in Abwesenheit‘ beschränkt? Ich verlor nicht mein
‚Selbstbewusstsein‘; noch kann der von mir mit ‚ich‘ gemeinte Gegenstand mir
nicht mehr länger gegenwärtig sein. Beide Punkte scheinen für sich genommen
richtig zu sein und sind von der betrachten ‚garantierten Referenz‘ erfordert.
... Es wurde immer wieder
von einigen beanstandet, wie Descartes auf seine res cogitans schliessen konnte. Das aber heisst
vergessen, dass Descartes erklärt, dass seine Essenz nichts anderes als Denken
sei. Das Denken, das diesen Gedanken denkt – das ist es, was durch das ‚cogito‘ garantiert wird. (a. a. O., S. 234)
An diesem Text, obwohl M. E.
A. Anscombe letztlich doch zu anderen Folgerungen
gelangt, ist mir klar geworden, dass sich eine spekulative Metaphysik in der
Linie Descartes – Fichte in einem selbst-perpetuierenden
Streit endlos und unlösbar erzeugen und destruieren lässt.
Die Gedanken Augustinus‘ und
Descartes‘ nähren sich [in immer neuen Varianten] im Feuer vernichtender Kritik
wie Phönix aus der Glut eigener Asche. Liegt es vielleicht in der Natur der
Sache, der Sprache und des Denkens, dass Gedanken einer ganz bestimmten Art
ihre Kritik und Interpretation überleben?
Für Elizabeth Anscombe verbindet sich die zunächst so zwingende
Argumentation des Descartes' mit kaum "duldbaren Schwierigkeiten".
Descartes hat seine res cogitans als substantielles Dauerwesen begriffen, Anscombe anerkennt nur die Folgerung auf einen zeitlichen
Teil des cartesianischen Ego. Das ist das oben erwähnte Kurzzeitselbst. Hieraus
ergibt sich:
"die kaum duldbare
Schwierigkeit, eine Identifikation desselben referentiellen
Gegenstandes in verschieden 'ich'-Gedanken zu
erfordern." (a. a. O., S. 234)