Die Freude der Fische
Tschuang-Tse und Hui-Tse, zwei chinesische Philosophen, stehen am Fluss Hao und beobachten einen Schwarm Fische. Tschuang-Tse eröffnet das Gespräch mit Zug 1:
Tschuang-Tse: „Sieh, wie die Fische umherschnellen. Das ist die Freude der Fische.“
Hui-Tse: „Du bist kein Fisch. Wie kannst Du wissen, worin die Freude der Fische besteht?“
Tschuang-Tse: „Du bist nicht ich. Wie kannst Du wissen, dass ich nicht wissen kann, worin die Freude der Fische besteht?“
Hui-Tse: „Ich bin nicht du. Aber ich weiß, dass Du kein Fisch bist. So kannst Du nicht wissen, ob sich die Fische freuen.“
Tschuang-Tse: „Wie kann jemand wissen, ob sich die Fische freuen oder nicht, war deine Frage. Du wusstest, was ich wissen kann und was nicht, fragtest mich aber doch?“
Überlegungen dazu:
1. Zug
Tschuang-Tse eröffnet mit dem Anspruch, Fremdsubjektives im Falle von Fischen zu erkennen. Er wagt eine Behauptung darüber [bezüglich Existenz und Beschaffenheit dieses Subjektiven].
Der Opponent Hui-Tse kontert mit der kritischen Aufforderung: „Sage mir, wie und woher du wissen kannst, dass sich die Fische freuen!“ Hui-Tse geht über diese Aufforderung noch hinaus, indem er die Ansicht anklingen lässt, dass Fremdsubjektives nur an einem Wesen der gleichen Art erkennbar ist [Artspezifik, ‚Speziesismus’ von Subjektivem]. Er bestreitet mit dieser Behauptung [in puncto „Artspezifik“] Erkenn- und Wissbarkeit des Behaupteten.] Implizit aber erkennt er an, dass man erkennen könnte, dass sich die Fische freuen, wenn man selbst ein Fisch wäre. [Wie sähe die Sache bei einem Hund oder einem hoch entwickelten’ Säugetier aus, wie bei einem Vogel?]
[Vorausgesetzt wird jedenfalls, dass es sinnvoll ist, nach einem Woher und Wie des Wissens zu fragen, wo eine Behauptung aufgestellt wird.]
1. Zug
Tschuang-Tse verteidigt sich, indem er die Voraussetzung des Gegners nach dessen eigenem Argumentationsmuster auf Erkenn- und Wissbarkeit befragt [abklopft]. „Sage mir, wie und woher du wissen kannst, was ich wissen kann und was nicht!“ Dabei verschärft er auf Unerkennbarkeit des Fremdsubjektiven sogar im Fall eines Wesens der eigenen Art [Privatheitsargument, Unerkennbarkeit des Fremdsubjektiven]. „Weil du nicht wissen kannst, was ich weiß, kannst du auch nicht wissen, ob ich nicht doch etwas über die Freude der Fische weiß.“
Ich übergehe hier den Punkt, dass man eine Theorie gerechtfertigter menschenmöglicher Wissensansprüche entwerfen kann, ohne Objektivierbarkeit des Fremdpsychischen beanspruchen zu müssen. Fragen der Logik und Erkenntnisgültigkeit sind nämlich nicht auf Psychologie des Subjektiven gegründet. Tschuang-Tse könnte uns z.B. schwerlich erläutern, welche Art von Befunden genau für seine weitgehende Behauptung [von der Freude der Fische] sprechen; - oder auch welche Art von Beobachtungen er als Erschütterung seiner Behauptung [bezüglich der Freude der Fische] akzeptieren würde [Verifizierbarkeit, Falsifizierbarkeit]. Auch die Frage, was an seiner Behauptung auf wirklicher Beobachtung beruht und was auf Deutung der Beobachtung, ist hier einschlägig.
Hui-Tse jedenfalls wiederholt die Behauptung artspezifischer Erkennbarkeit des Fremdsubjektiven, mit der er seinerseits über das Ziel hinausschießt. Er vertritt eine These über Erkennbarkeit und Wissenkönnen, um den Erkenntnisanspruch des ersten Zuges zurück zu weisen. „Ich bin nicht du, aber über gewisse Grenzen deines Wissens, die in diesem Falle eindeutig überschritten werden, kann ich durchaus Bescheid wissen.“ – Er beansprucht [in diesem Fall] Wissbarkeit des Wissenkönnens [für sich und jedermann].
2. Zug
Tschuang-Tse weist darauf hin, dass die Frage nach dem Wissenkönnen im Falle seines Gegners eigentlich nicht offener und konstruktiver Natur war, sondern lediglich Behauptung des Nicht-wissen-könnens. Insofern ist die kritische Rückfrage tatsächlich selbst von einem unerwiesenen Erkenntnisanspruch getragen.
Schlussfolgerung
„Man weiß es nicht, und man kann es auch gar nicht wissen“ ist die Pointe in vielen entlegenen, unentscheidbaren Fragen. Damit wird allerdings ein ‚kritischer’ Standpunkt bezogen, der nur dann ‚wehrhaft’ gegen Vorurteil und Aberglauben agieren kann, wenn ihm bestimmte Unerweislichkeitsbeweise gelingen, bzw. wenn es starke Gründe dafür gibt, von der Unerweislichkeit von Tatsachen charakteristischer Art[en] auszugehen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Tschuang-Tse seine Behauptung durch Überbietung der gegnerischen Skepsis verteidigt. Gerade wenn sich der ‚kritische’ Standpunkt der eigenen ‚Wehrhaftigkeit’ entäußert, muss er die unglaublichsten Möglichkeiten einräumen, also auch, dass jemand u. U. über die Freude der Fische ganz genau Bescheid weiß.
Der Autor der Fabel hat uns also in eine Aporie [Rat- und Weglosigkeit] des Wissenkönnens hineingeführt; - am Beispiel einer Subjektivitätsannahme [bezüglich fremdartiger Wesen].
Ein ganz anderer Verlauf würde das Streitgespräch vermutlich nehmen, wenn Tschuang-Tse sich auf Neurophysiologie des Fisches beriefe, die durchaus mit der Neurophysiologie des Menschen in auffälliger Verwandtschaft stehen könnte. Da bezüglich des Menschen eine Korrelationsforschung wegen neurophysiologischer und subjektiver Gegebenheiten durchaus existiert, könnte es am Ende eine Verkettung von Gründen geben, die für die Annahme einer Freude der Fische sprechen.
Ich nehme aber an, dass eine gewisse Unerweislichkeit bezüglich fremder Subjektivität bestehen bleibt, sogar bei Wesen der eigenen Art, sicherlich erst recht bei Individuen ‚weit entfernter’ Arten. [Mancher wird nun behaupten, er wisse mehr über das subjektive Innenleben seines Hundes als über die Subjektivität seiner engstvertrautesten Mitmenschen. Ist das vielleicht nicht auch ganz gut so?]