Von der Sterblichkeit des Menschen und dem Gedanken der Nicht-Sterblichkeit

 

Eines Schattens Traum ist der Mensch. Pindar, Pythische Oden VIII, E, 95. Was spielt es für eine Rolle, ob jemand es zu etwas gebracht hat oder nicht? Einer Eintagsfliege gleicht er doch. – Pindar verwendet den Ausdruck „jemand sein“ im Sinn von „ein Person von allge­meinem Ansehen sein.“ Ich habe dafür eingesetzt: „es zu etwas gebracht haben.“ Das Be­wusstsein der Sterblichkeit wird also in diesem alten Text mit der Frage von „Wertgesichts­punkten“ ver­bunden, an denen wir sterbliche Menschen uns messen. – In unterschwelliger Weise kommt so­gleich das Motiv der Fraglichkeit bzw. Nicht-Fraglichkeit dieser Gesichtspunkte hinzu.

 

Kontext: Pindar singt das Preislied auf den Ringkämpfer Aristomenes von Aigina. Die fünfte Strophe der Ode enthält folgende Aussagen: Der Sieger im olympischen Ringkampf erstrahlt in öffentlichem Glanze. Die Verlie­rer dagegen  schleichen bedrückt durch die Gassen, „getroffen vom Stachel des Unglücks.“ Wenn ich richtig infor­miert bin, haben die antiken olympischen Ringkämpfer bis zum äußersten gekämpft, d.h. auch Behinde­rung und Invalidität als Folge des Wettstreites in Kauf genommen. Nur der Sieger tritt ein „in helles Licht und freundliches Dasein“ und hat in einigen Fällen auch wirtschaftlich ausgesorgt. Im pythischen Spiel wird also „nicht allen glei­chermaßen auf eine glückliche Heimkehr entschieden.“ „Wem aber jüngst ein Erfolg zufiel, der erhebt sich in hoffnungsbeflügeltem Mannesmut zu überquellender Wonne, sein Trachten lässt Reichtum hinter sich.“ Ange­sichts des „gottgeschenkten Glanzes“ setzt er sich wohl über die Tatsache hinweg, ein bloßes Ein­tagswesen zu sein und feiert die augenblickliche Erhebung trotz alle dem.

Unser persönliches Ich ist keine dauerhafte Einrichtung in dieser Welt. [Rem. an J. Beloff, wohlwollend zitiert von Popper in „Das Ich und sein Gehirn“. S. 135] „Ich habe kein Verlan­gen nach persönlicher Unsterblichkeit; eigentlich würde ich eine Welt für ärmer halten, in der mein Ich eine dauerhafte Einrichtung wäre.“

Tot sein ist etwas ganz anderes als leben. Aber nicht, dass Tod und Leben nichts miteinander zu tun hätten. Leben heißt, noch nicht gestorben sein, und tot sein heißt, nicht mehr leben. Leben heißt, sterben müssen Man lebt, indem man mehr und mehr seinem Ende entgegengeht.

Th. Mann lässt seinen Joseph [„Joseph und seine Brüder“, Band 1,  5. Hauptstück, Die Fahrt zu den Brüdern, Der Mann auf dem Felde] sehr anmutig sprechen: „Bedenke aber, dass alles zu zweien ist in der Welt, Stück und Ge­genstück, damit man es unterscheide, und wenn neben dem einen das andere nicht wäre, so wären sie beide nicht. Ohne Leben wäre kein Tod, …“

Ich möchte auf den alltagssprachlichen Charakter der Unterscheidung von Tod und Leben hinweisen. Die Krite­rien für die Unterscheidung, in einigen Fällen zugegebener Maßen hinreichend präzise, sind dennoch nicht für alle Arten von wirklichen Dingen hinreichend scharf definiert. Es gibt Dinge, bei denen wir nicht sagen können, ob sie tot oder lebendig sind [z. B. Viren] und es gibt wohl auch Zustände des Menschen, bei denen der Unter­schied nicht scharf ent­scheidbar ist. In der Fernsehserie „Raumschiff Enterprise“ sagt Dr. McCoy in einer Folge: „Es ist Leben, Jim, aber nicht wie wir es kennen.“ Die Frage ist hier nahe liegend, wie wir Leben von Nicht-Leben unter­scheiden. „Le­bensformen organisieren sich, indem sie ständig Energie aus ihrem Umfeld ziehen, sich aber gleich­zeitig von ihrer Umgebung abgrenzen. Durch die ständige Energiezufuhr aus der Um­welt bewahren sie sich ihre Struktur und ihre individuelle Integrität. Ohne Aufrechterhaltung dieser Tätigkeit nimmt die Entropie zu, der Organismus verliert seine Organisation und zuletzt seinen individuellen Standort. Tod nennen wir das gemeinhin.“ [Henry Gee in „Was ist Leben?“, Zeit vom 21.10.1999, Rubrik „Wissen“] Der Autor bemerkt zu diesem Definiti­onsversuch, dass dabei zuviel eingeschlossen wird. Sterne und Galaxien z. B. sind ebenfalls „Einheiten, die Res­sourcen verbrauchen, um ihre Energiezufuhr zu sichern.“ – In der Folge zeigt er auch die Probleme, die entstehen, wenn man auf „Repro­duktivität“ abhebt. Stoffwechsel, Bewegung von innen heraus [sua sponte], Irritabilität und Reproduktionsfähig­keit waren die klassischen „Lebensmerkmale“.

Der Tod, den wir fürchten, befreit uns von allen Befürchtungen und Sorgen zugleich. – Die Auffassung des Todes als Verlust von Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit, die ihrer­seits streng naturalistisch aufgefasst werden, gehört in die Linie Epikurs. - Nach Epikur be­steht die menschliche Seele aus besonders feinstofflichen Atomen, ein moderner Naturalist würde die Auffas­sung der Beseelung [des Lebendigseins] als funktionelles Derivat des zuge­hörigen körperli­chen Organismus bevorzugen.

Ein nie enden wollendes Leben wäre beängstigend. [Rem. an E. Tugendhat] Wie wenn einer zu einem nicht enden wollenden Hundeleben verdammt wäre.

Mit der Idee einer ewigen Wiederkehr, die Nietzsche wieder auferstehen ließ, würde das Le­ben für immer in sich eingesperrt. [Rem. an L. Lütkehaus, Vom Ende und vom Enden]

Nicht das Sterben ist unerträglich, sondern die Furcht, vorher nicht gelebt zu haben. [Rem. an D. Laing] – Dieser Gedanke ist uralt und findet sich ebenso prägnant bei Marc Aurel: „Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird zu leben." Man kann sagen: „Mit dem Nachdenken über den Tod verbindet sich die Frage, wie man leben soll.“ Thema ist also unser Denken und Sprechen, sowie auch die nahe liegende Assoziation. Z. B. „Was ma­chen wir aus dem flüchtigen Leben?“ – Der Sinn unseres Lebens und Sterbens besteht z. B. darin, uns nach der Regel der gemeinsamen Freiheit zu richten. -

 

Die Frage: „Gibt es ein Leben vor dem Tod?“ ist ebenso weitläufig wie die Frage „gibt es ein Leben nach dem Tod?“ Verschiedene Aufklärer am Vorabend der französischen Revolution [z. B. La Mettrie und Helvetius] gaben dem Thema eine politische Bedeutung. Sie hielten den Religionsglauben an die Fortdauer der menschli­chen Seele für eine klerikale Erfindung [„Pfaffentrug“], um den Menschen von politisch wirksamer Unzu­friedenheit abzuhalten. Wer glaube, das eigentliche Leben beginne erst nach dem Tod, der werde die hiesigen Machtver­hältnisse gleichgültig akzeptie­ren und somit nicht Partei für die Umgestal­tung dieser Ver­hält­nisse ergreifen. Das Argument ist „ideologiekritisch“ und polemisch. Es beinhaltet aller­dings die Denkfigur der unvollständigen Disjunktion und hält des­halb keiner Prüfung stand. Wer an die Unsterb­lichkeit seines geisti­gen Innern glaubt, könnte doch an zeitlichen und ewigen Glück glei­chermaßen interessiert sein. Dies gilt auch für Fra­gen der zeitlichen und ewigen Gerechtig­keit. Die Option für Nicht-Sterblichkeit [in Glau­bensfragen] ergibt sich nicht aus Mangel an Interesse für’s eigene, materielle Wohl­ergehen. Die Kompensation von Frustra­tionserfah­run­gen mag zwar eine Rolle [bei der Option für Nicht-Sterblichkeit] spielen, aber auch die eigenartige Be­schaffenheit des menschlichen Bewusstseins spielt eine große Rolle dabei. Seine Eigenart nämlich, dass wir als Be­wusstseinssubjekt von objektiven und subjektiven Denk­inhalten zu abs­trahieren vermögen. Wir sind Körper, Psyche und geistiges Bewusstsein in einem und vermö­gen im Bewusstsein [des Bewusstseins] Form und Inhalte [des Bewusst­seins] zu unterschei­den. Und wir denken über Fragen nach, bei denen es, allein von Beobachtungen und Experimenten her, keine zureichenden Beweise- und Er­kenntnisgründe für eventuelle Antworten geben kann.

 

Neben einer politisch-ethischen Variante der Frage nach dem Leben vor dem Tod ist eine in­dividuell ethische zu nennen: ein Leben vor dem Tod im Einklang mit Erreichbar­keiten, die von einem selbst abhängen. Gibt es ein solches Leben vor dem Tod, oder geht in der Vorbe­reitung eines solchen Lebens unser Leben dahin, wie z. B. Seneca bemerkte. Ein Vorrat von nur begrenzter Lebenszeit für dieses Leben stellt uns vor die Frage, was wir damit anfangen, bzw. was uns besonders wichtig ist und was nicht. – Man kann diese Frage auffächern: „Wie wollen wir leben?“ „Wie sollten wir leben?“ „Worauf kommt es wirklich an?“ „Sind wir das geworden, was wir sein wollten?“ – Letzt Variante ist in einem berühmten Epigramm des Martial formuliert: „Quod sis, esse velis nihilque malis.“ Im Epigramm X, 47 geht es um die Frage, „welche Dinge das Leben glücklicher machen“. Martial sagt z.B.: „Besitz, nicht durch Anstrengung erworben, sondern ererbt.“ Oder: „Keine Gerichtsprozesse, selten offizielle Kleidung, eine ruhige Gesinnung.“ Und dann eben: „Was du bist, dass wolle auch sein und nichts lieber! Fürchte weder deinen letzten Tag, noch wünsche ihn herbei!“ – Das sind die Stacheln unseres Sterblichkeitsbewusstseins: „Haben wir gelebt, wie wir es wollten?“ „Gelebt, wie wir es verantworten können oder konnten?“ „Verantwortlichen und glücklichen  Gebrauch von unserer unwiederbringlichen Lebenszeit gemacht?“ „Der Situation eine verantwortungsvolle und glückliche Wendung gegeben und etwas Gutes daraus gemacht?“

 

Ähnlich sind auch die Todesbetrachtungen der Denker aus der „existenzialistischen“ Linie: z. B. Kierkegaard, Jaspers und Heidegger. Unsere Zeit ist begrenzt, also sollen wir uns nicht zu sehr in der Zerstreuung verlieren, sondern uns auf unsere „eigensten Möglichkeiten“ konzen­trieren. Hätten wir immerzu unbegrenzt viel Zeit vor uns, könnten wir alle wichtigen Dinge noch in der Zukunft tun. Tatsächlich aber besteht die Gefahr, dass wir sterben müssen, bevor wir [„wahrhaft“] gelebt haben. – Ob das „wahrhafte“ Leben, bezüglich dessen hier eine Ver­säumnisangst geschürt wird, ein Leben der Sinnenlust, der Besonnenheit oder ein Leben von ir­gendetwas anderem ist, führt m. E. in eine Ethik der „eigentlichen“ Moral bzw. des mehr und minder Gebotenen. Kernpunkt ist dabei das unbedingte Gebotensein, bzw. die Frage nach einem überkonventionellen Inhalt des moralischen Gebotenseins. – Danach sind auch Refle­xionen am Platze, was wir andern und uns selbst tatsächlich antun. In Diskrepanz zu dem, worauf es eigentlich ankäme.

 

Auch Seneca in interessanter Mehrdeutigkeit: „In der Vorbereitung des Lebens entgleitet es uns.“ Er leitet daraus die Emp­fehlung ab, sofort mit dem „Leben“ anzufangen. „Protinus vive!“ Das „wahrhafte“ Leben, das nach stoischer Auffassung jederzeit in der Macht des Menschen steht, besteht bei ihm darin, im Einklang mit der Vernunft das jeweils Bestmögli­che zu tun. Im Gegensatz zur existenzialistischen Linie wird allerdings auch angesichts des Todes ein gefasster und friedvoller Geist als die beste Gemütsverfassung gelobt.

 

Seneca sagt: „Dum differtur, vita transcurrit.“ Während wir es aufschieben, vergeht unser Leben. Das ist eine Aufforderung zur Sorge, mit dem eigenen Leben nicht zu kurz zu kommen. Man kann es so lesen: „Geht auf das Vergnügen des Lebens, post mortem nulla voluptas.“ Die Anspielung auf diese Lesart macht Senecas Rhetorik schillernd und interessant. Natürlich aber spielt S. hauptsächlich darauf an, ob unser Vergnügen dem Anspruch einer freien und selbstbestimmten Lebensweise genügt. „Der größte Teil des Lebens entgleitet den Menschen, wenn sie Schlechtes tun, ein großer Teil, indem sie nichts tun, das ganze Leben, indem sie Nebensäch­liches tun.“ [Epistula ad Lucilium, 1] – S. lehnt aus seiner Sichtweise auch die traditionelle Klage über die Kürze des mensch­lichen Lebens ab. [De brevitate vitae.] Worauf es wirklich ankommt, steht nach stoischer Auffassung jederzeit in eines Menschen Macht. Das Ideal der moralischen Autonomie des menschlichen Willens wird hier zum höchsten Gut des Menschen, und zwar in Vollständigkeit, so, als bräuchten wir nichts anderes zum glückli­chen Leben.

Ob es nach unserem Tod noch etwas gibt, das wir selbst sind, ist unerweislich. - Ob es vor unserem Tod etwas gab, das wir selbst waren, ist eine fast ebenso heikle Frage. Entsteht doch kaum eine Eigenschaft unserer selbst effektiv [allein] aus uns selbst.

Das einzelne menschliche Leben mit seinen Plänen, Sorgen und Wichtigkeiten ist glücklicher Weise vergänglich, das der Menschheit insgesamt auch.

Mein Leben fällt in eine Zeitspanne zwischen der ungeheuer langen Zeit meines Noch- nicht- gewesen- seins und einer ungeheuer langen Zeit meines Nicht- mehr- sein- werdens. Nicht- mehr- noch- nicht und Noch- nicht- nicht- mehr ist die Spanne meines Lebens.

Solange wir leben, steht uns der Tod bevor. – Mors me sequitur, fugit vita. [Seneca]

Untergehen muss, was entsteht. Der Tod ist sicher für den, der geboren wurde. [Bhagavadgita, 2. Gesang, Vers 27]

In rastloser Betriebsamkeit vertun wir unsere unwiederbringlich verfließende Lebenszeit.

Der Mensch selbst bleibt nicht, nur sein Schweigen. Da er aber auch dann, wenn er sprechen wollte, dies nicht könnte, weil er ja gar nicht mehr existiert, ist schon zuviel gesagt, dass sein Schweigen bliebe.

Wie bang und bleich verblüht ihr so bald! Rheingold, 2. Szene.

Alles, was ist, endet. Ein düstrer Tag dämmert den Göttern. Rheingold, 4. Szene.

Wir sinken hinab in die ewige Nacht des Vergessens.

Der Tod ist das Ende des uns bekannten individuellen Lebens. Feststellen können wir dieses Ende nur bei anderen und nicht bei uns selbst. Wenn sie sich nicht mehr bewegen und wenn sich nichts mehr an ihnen regt, sind sie tot. Es spricht einiges dafür, dass auch uns selbst höchst individuell und persönlich früher oder später ein ähnliches Ende bevorsteht. Wir wer­den uns nicht mehr bewegen und an uns selbst wird sich eines Tages auch nichts mehr regen.

Der Tod ist das Ende von Stoffwechselprozessen, die in einem bestimmten Organismus nur begrenzte Zeit ablaufen können.

Dass wir mit modernen Messapparaten das Aussetzen physiologischer Funktionen genau be­stimmen können, trägt zum Verständnis des Todes so gut wie nichts bei. – Der Tod war und ist bis in die Gegenwart hinein ein unbegreifliches Ereignis. – Die Abwesenheit des le­bendi­gen Menschen in seinem Leichnam macht den toten Körper in allem Kulturen zu einem Ge­genstand der Befremdung und der Faszination.

Das Wissen um unsere Sterblichkeit bleibt unserem inneren Erleben irgendwie fremd. – Un­ser Bewusstsein hält sich im Grunde genommen für unsterblich, da es keine Vorstellung von seinem eigenen Ende entwickeln kann. [Rem. an Thomas Nagel]

Auch nach S. Freud bleibt das Wissen um unsere Sterblichkeit für uns fremd und abstrakt. Wir beziehen es ir­gendwie nicht richtig auf uns selbst, oder möchten nicht darauf hingewiesen werden. Unbewusst glauben wir, wir seien unsterblich. Eventuell: Unsere unbewusste Subjektivität weiß nichts vom Hinschwinden in der Zeit, nichts von der Sterblichkeit. Da Nicht-Wissen des Unbewussten weitgehend Modus unseres Handelns und Den­kens ist, leben wir aus dem subjektiven Grundgefühl, unsterblich zu sein.

Im Gegensatz zum eigenen Tod, an den wir irgendwie nicht recht glauben können, weil wir ihn uns nicht vergegenwärtigen können, und weil er zukünftig ist, ist der Tod anderer einer­seits ein objektives Faktum, andererseits macht er uns u. U. tiefen subjektiven Eindruck. Der Tod des anderen ist objektive Tatsache und subjektives Phänomen zugleich. Der eigene Tod hat eine Art von verdeckter Anwesenheit, so wie das Zukünftige in der Gegenwart als innere Tendenz verborgen und unentfaltet, also nur potentiell vorhanden ist. Aber es handelt sich im Unterschied zu vielen anderen Potentialitäten um eine Potentialität, deren Realisierung uns nicht erspart bleiben wird. Von dem, was geschehen kann oder könnte, geschieht normaler Weise noch nicht die Hälfte wirklich. Aber mein Sterben-können ist ein letztliches Sterben-Müssen, obwohl ich mir subjektiv nicht vergegenwärtigen kann, wie es für mich sein könnte, tot zu sein. – Was uns hier begegnet: in der ersten Person singularis sind Betrachtungen nicht möglich, die in der zweiten und dritten Person möglich sind.

„Unsere Einstellung zum Tod ist tatsächlich widersprüchlich: einerseits scheint der Tod un­ausweichlich, andererseits gibt es Momente, in denen wir das bezweifeln.“ [G. S. Kirk, Grie­chische Mythen, Ihre Bedeutung und Funktion, S. 55]

"Nemo nisi suo die moritur", formuliert Seneca, "nur der eigene Tod ist uns effektiv tödlich", möchte ich sehr frei übersetzen. Es gibt kein Alter, in dem man nicht sterben könnte, und insofern sind wir jederzeit alt genug zum Sterben: jederzeit und überall kann uns der Tod ereilen. - „Tau­send Tiere, tausend Menschen sind gestorben, ehe sie sich vom Tod bedroht fühlten.“ - Wie­de­rum Seneca: "Incertum est, quo loco te mors exspectet: itaque tu illam omni loco exspecta!" Allzeit sterbensbereit sollen wir leben, meint er überspitzt, wohl um uns zu höhe­rem Be­wusstsein über die wirklich wichtige Aufgabe unseres Lebens anzuspornen, d.i. nach seiner Auffassung selbstgenügsame stoische Gelassenheit, die scharf unterscheidet, was in ihrer Macht steht und was nicht. "Eins steht in unserer Gewalt, ein anderes nicht. In unserer Gewalt steht unser Denken, unser Tun, unser Begehren, unser Meiden - alles, was von uns selber kommt. Nicht in unserer Gewalt steht unser Leib, unsere Habe, unser Ansehen, unsere äußere Stellung alles, was nicht von uns selbst kommt." So beginnt Epiktets Darstellung der stoi­schen Moral. Die stoische Moral ist „eigentliche“ Moral des Selbst-Seins und des Selbst-Mächtig-Seins. Ausgehend von dem, was wahrhaft und effektiv in meiner Macht steht, wirke ich auf diejeni­gen Bestandteile meiner selbst und der mich umgebenden Wirklichkeit, die nur mehr oder weniger in meiner Macht stehen.

Wir wissen nicht, ob der Tod das Ende dieses individuellen Lebens schlechthin ist, denn Wie­dergeburt oder ein Weiterleben anderer Art in einem Jenseits- unserer- Erfahrung ist denkbar, wenn auch völlig unerweislich. Auf dieser Erde werden andere nach mir geboren, nicht ich selbst noch einmal. Aber wer kann es denn ganz genau wissen? Andere Welten, an­deres Le­ben, vielleicht sogar der identischen Lebewesen, wer schließt es aus, obwohl nicht viel dafür spricht? Du stirbst vielleicht in einem Universum und lebst in einem andern fort. Oder du stirbst und wirst später wiedergeboren, weißt nur nichts mehr von deinem vergange­nen Le­ben, bist aber derselbe wie zuvor. - Gemäß der Identität deines reinen Selbst, also gemäß der Identität eines nicht-empirischen Wesens. - Kann es ein Wissen geben in diesen Dingen? Nein, es kann in Fragen mit solchen Implikationen keine stichhaltigen Antworten geben.

Dieses Nicht-Wissen-können ist in einem Wissen-können höherer Stufe entscheidbar. Letzt­lich wegen der Raum- Zeit- Struktur als Daseins­weise der uns erkennbaren Wirklichkeit. Der Begriff einer unkörperlichen, unvergänglichen Seele ist nicht-empirisch. Er ist metaphysisch-transzen­dent. – Meine Philosophie, die ich für kantianisch bzw. kantisch halte, ist reflexiv und selbst-referentiell: Wissen-können bezüg­lich des Wissen-könnens wird hier in einer all­gemeinen Weise prinzipiell vorausgesetzt. Nicht-empi­risches Wissen ist möglich als Wis­sen des Wissen-könnens [und Nicht-Wissen-könnens] in einer prin­zipiellen und sehr allge­mei­nen Weise. – Damit hätten wir ein nicht-empirisches und doch nicht-transzendentes Wissen-kön­nen.

Epikur ist der Klassiker der materialistischen Todesbetrachtung. Der Tod beseitigt mit dem Leben auch denjenigen, der den Tod als Schmerz empfinden könnte. Soweit unsere auf Wahr­nehmung gegründete Erkenntnis reicht, klingt das plausibel. Aber wir wissen es nicht, weil für uns nicht erkennbar ist, worin das innere Ich des Menschen besteht, und ob und wie es exi­stiert. Möglicherweise existiert ja ein inneres, nicht-zeitliches bzw. überzeitliches Ich und überdauert den wahrnehmbaren Tod des Menschen in einer nicht-wahr­nehmba­ren Weise. Es ist gerade die Frage, ob dergleichen existiert. Wir sollten zugestehen, dass wir es nicht wissen können. Die Möglichkeit ist hier die bloße Denkbarkeit, aber immerhin. Epikur aber sagt „nein“ in dieser Frage. Bei der Beseelung eines Le­bewesens denkt er konsequenter Weise an einen materiellen Lebensstoff, den Fall des menschlichen Lebens eingeschlossen. Der Weg zu den Nicht-Sterblichkeits-Lehren führt über den limitativen, ex-negativo Charakter des inneren Ich-Selbst. „Alle Dinge sind nicht das Ich.“ [Ein Buddha-Wort]  – Aus dieser Abgrenzungs­weise ergibt sich der nicht-materielle, eventuell nicht-sterbli­che [„todlose“] Charakter des Ich. Kant kritisiert den Schritt vom Subjekt zur Substanz als Paralogismus [Trug- bzw. Fehl­schluss] und behauptet die Unentscheidbarkeit der Frage [nach Essenz, Existenz und Exis­tenzweise des denkenden Wesens für sich selbst].

Etwas, das Eigenschaftsträger ist, im Unterschied zu den ihm anhaftenden Eigenschaften, also die Sache selbst, bzw. das Innere von etwas im Unterschied zu seinen äußerlich wechselnden Eigenschaften, nennt Kant „Substanz“. Die limitativ und ex negativo verfahrende Denkre­zeptur zur Entdeckung des reinen Ich-Selbst gerät nun in der Tat auf den Gedanken eines Et­was, das nur als Subjekt und Substanz gedacht werden kann. Gerade aber wegen dieser limi­tativen Denkanweisung ist es „bloße Form des Bewusstseins“, inhaltslos und abstrakt, weil man ja von allem Gegenstandsbezug absehen wollte. Macht man nun ein Etwas besonderer Art daraus, vergisst man den Weg, wie man dazu kam. Weil man von allem Gegenstandsbe­zug absehen wollte, kann es nun auch kein besonderer Gegenstand sein. Sagt man aber, nein, es ist ein Etwas ganz besonderer Art, hat man dann doch wieder ein (in seiner Existenz) er­kennbar Wirkliches daraus ge­macht. Was Kant mit seinem Paralogismus-Vorwurf besonders rügt, ist der Sach­verhalt, dass man den Übergang macht von dem Gedanken eines nicht-zeitli­chen Etwas zum Gedanken eines beharrlichen Etwas in der Zeit. Hier hat man den Pfad der Limitation explizit verlassen und aus der reinen Denkbarkeit [des Subjekts] eine erkennbare Wirklichkeit ge­macht: ein beharrlich Reales in der Zeit. Würde man wirklich von allem Inhalt des Bewusst­seins abstra­hieren, dürfte man nicht den Gedanken einer Beharrlichkeit des Rea­len in der Zeit hinzubrin­gen. Tut man es doch, setzt man voraus, es gäbe im Falle des Be­wusstseins (der „Form“) meines Bewusst­seins einen nicht-empirischen Inhalt bzw. eine durch dieses Bewusstsein erkennbare Wirk­lichkeit.

Der Paralogismus beruht also auf einer Äquivokation des Begriffs „Subjekt“ bzw. „Sub­stanz“. Subjekt des Bewusstseins ist einmal die „Grenze der Abstraktion“, die bloße „Form des Bewusstseins“, ein zweites Mal dann aber ein beharrliches Etwas, das als Eigenschafts­träger existiert. – Dabei muss das reine Ich-Selbst denkerisch tatsächlich als Subjekt und Sub­stanz angesetzt werden. Wegen der limitativen Abstraktionsrezeptur allerdings als ungegen­ständliches Etwas, sozusagen etwas, das kein Etwas ist.

Der „Trug“ des Paralogismus [der nicht-empirischen Unsterblichkeitslehre] besteht also darin, das bloße Bewusstsein des „Bewusstseins überhaupt“ für „referenziell“ bzw. für ge­genstandsbe­zogen zu halten. Hier trifft sich Kant mit der Buddha-Formel: „Alle Dinge sind nicht das Ich.“ Paraphrasieren wir probehalber: „Alle wahrnehmbaren Gegebenheiten sind nicht das Ich“, so wird deutlich, wie der junge Wittgenstein es ausdrückte, dass das Ich kein Bestandteil der wahrnehmbaren Wirklichkeit ist. Paraphrasieren wir probehalber: „Alle Denkbarkeiten sind nicht das Ich“, so haben wir den Gesichtpunkt, dass „Ich“ hier für das ungegenständliche Be­wusstseinsinnere steht, für das abstrakte, limitativ bestimmte Ich-Selbst, das kein „denkbares Ding“ ist. Es ist das Denken selbst, in Abstraktion von allen Denkbar­keiten. Ob es nun unabhän­gig von objektiven und subjektiven Wahrnehmungsgegebenheiten auch ein nicht-wahrnehm­bares, transzendent-metaphysisches Ich-Selbst-Etwas gibt, ist nach Kants Prämissen uner­weislich. Es gehörte, wenn es so etwas gäbe, allerdings in den Bereich der Denkbarkeiten. Der Buddha lehnt es möglicherweise sogar explizit ab. Er lehnt den altin­dischen Atman ab und verkündet eine „Anatta-Lehre“. Man kann folgende Position darin se­hen: „alle Aussagen, auch gegenseitig sich verneinende, über das Ich sind unentscheidbar“. Es gibt in dieser Frage keine zureichenden Erkenntnisgründe. „Ich existiert“ ist unent­scheid­bar, „Ich existiert nicht“ ist ebenfalls unentscheidbar. Von der angeblichen Sache her gesehen ist die Frage offen.

Das Nicht-wissen-können in Fragen transzendent-metaphysischer Art ist weder subjektive Ohnmacht noch eine Form des Nicht-wissen-wollens. Es ist auch keine empirisch-objektive Unerweis­lichkeit in dem Sinne, dass die objektive Datenlage die Hypothese der Nicht-Exis­tenz oder Sinnlosigkeit solcher Angelegenheiten nahe legen würde. Dieses Nicht-Wissen-können ist objektive Unerweislichkeit im Sinne prinzipieller und all­gemei­ner Unerweislich­keit, von der wir wissen können. Diese Art von Unerweislichkeit kor­respondiert also einem absoluten, nicht-empirischen Wissen-können. In Anspielung auf Hegels Einleitung zur „Phä­nomenologie des Geistes“ merke ich an, dass wir auf diese Art einen nicht-empirischen und nicht-hypotheti­schen Erkenntnisinhalt propagieren. (Nur kehrt Hegel dieses Argument zu Unrecht gegen Kant.) Das „Absolute“ „will durchaus bei uns sein.“ Es (das „absolute“ Wis­sen-können) ist bei uns auf die Weise einer Voraussetzung, die wir in un­seren Reden machen, dies aber nicht zwangsläufig bemerken. Z:B. auf die Weise des Wissen-könnens um unser Nicht-wissen-können in transzendent-metaphysi­schen Fragen. Z. B. auf die Weise des Wis­sen-könnens in sehr allgemeinen Prinzipien gegenständlicher Erkenntnis über­haupt. Das sind Positionen des Wissen-könnens a priori, dessen Thema nichts anderes zu sein vermag als die prinzipielle Möglichkeit [Fähigkeit] einer Gegenstandserkenntnis durch Wahrnehmung und Experi­ment. Raum und Zeit sind die allgemeinsten Grundbedingungen des Gegebenseins der für uns wahrnehmbaren Wirklichkeit.

Wir propagieren also ein absolutes Wissen-können bezüglich der „Grenzen“ des Wissen-kön­nens, eine Art Meta-Theorie der „absoluten“ Erkenntnis. Diese Theorie der „absoluten“ Er­kenntnis ist selbst „absolute“ [nicht-hypo­thetische] Erkenntnis. – So etwas ist möglich: Das Nachdenken über Denk- und Undenkbarkeit ist selbst etwas Denkbares. In Entsprechung: Aussagen über prinzipielle Regeln der Erkennbarkeit [von etwas als etwas] sind selbst er­kenntnismäßig entscheidbar [in diesem oder jenem Falle).

Das reine Denken, sofern es Inhalte und Bezug auf erkennbare Wirklichkeit haben will [bzw. kann], wird bei Kant auf Wahrnehmungsmöglichkeiten eingeschränkt. Raum und Zeit sind die Grund­strukturen wahrnehmbarer Gegebenheiten. Innerhalb der Grenzen möglicher Wahr­nehmung liegen alle unsere Erkenntnisse und in dem thematischen Bezug auf allgemeine Be­dingungen möglicher Empirie besteht der einzig legitime Inhalt nicht-empirischer Erkennt­nisansprüche. Das ist der Grundgedanke von Kants Apriori-Philosophie: „Die Möglichkeit von Erfahrung gibt unseren Erkenntnissen a priori objektive Realität.“ Beschränkt man den Subjekt- und Substanzgedanken auf raum-zeitlich wahrnehmbare Gegegenheitsmöglichkei­ten, ergibt sich die Vorstellung eines beharrlich Realen in der Zeit, also die Vorstellung von etwas Beständi­gem, dessen Eigenschaften [bzw. Zustände] an ihm zeitlich wechseln. In fort­währender Um­formung bleibt es erhalten, eventuell einem quantifizierbaren Grundgehalt gemäß, d. h. es stellt eine Erhaltungsgröße dar. Das ist die Vorstellung von Materie, bzw. von materieller, physikalischer Energie. Sie ist die Substanz der uns erkennbaren Wirklichkeit.

Ich bin mir meiner Existenz bewusst als innerlich notwendiger und wesentlicher Vorausset­zung all meines Denkens. [Die Möglichkeit des Bewusstseins meiner selbst als denkenden Wesens ist das Subjekt selbst bzw. die „Form“ meines Denkens.] Das bedeutet aber nicht, dass ich mir damit der Existenz eines denkenden Wesens in sachlicher oder tatsächli­cher Hin­sicht bewusst bin. „In sachlicher Hinsicht“: objektiv empirisch tatsächlich, metaphy­sisch tat­säch­lich oder sonst irgendwie tatsächlich, wenn es andere Arten von Tatsächlichkei­ten geben sollte. – Auch nicht subjektiv tatsächlich. Aus welchem Grund? Weil die Denkan­weisung, die uns das innere Ich entdeckte, die Regel war, von allem Etwas des Denkens, in­haltlich oder gegenständlich, abzusehen. Also habe ich keine objektiv empirische oder objek­tiv meta­physi­sche Erkenntnis derart, dass [im Falle des Bewusstseins „des Denkens überhaupt“] ein den­kendes Wesen tatsächlich existiert und die oder jene Eigenschaften haben müsse. Das Ich des Bewusstseins ist das, was bleibt, wenn man von al­lem Inhalt des Bewusstseins bzw. von allem sachlichen Bezug abstrahiert. Also gibt es mit dieser Art von Ich-Bewusstsein keinen Inhalt bzw. keinen sachlichen Bezug. Dies ist die Be­deutung von „subjektiv“, wenn man das Ich als „subjektive“ Bedingung des Den­kens be­zeichnet. Diese Bedeutung von „subjektiv“ ist zu unterscheiden von der „subjektiven“ Gegeben­heitsweise meiner Empfindungen, Wahrneh­mungen, Gefühle usw., also von der Subjektivität des Bewusstseinsstroms. Mein Bewusst­seinsstrom ist an die Möglichkeit meines Ich-Selbst-Bewusstseins gebunden, das Ich-Selbst dieses Bewusstseins für sich selbst ge­nommen muss auch von dieser Art des Gegebenseins abstrahieren.

Mein Tod ist eine Grenze meines Lebens und meiner Welt. Reminiszenz an Wittgenstein, Tractatus. Satz 6.4311 lautet: "Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht." Wer tot ist, lebt nicht mehr, es gibt ihn nicht mehr. Übrig geblieben sind sein Name und ein verweslicher Leichnam, der nicht mehr die Person ist, die war, sondern nur ein Über­rest davon.

Niemand von uns weiß, wie nah' an der Grenze er sich bewegt.

 

„Stündlich in Gefahr, ist niemals der Mensch seines Lebens gewiss.“ [Horaz, Oden II, XIII, 13]

Der Schritt vom Noch- nicht- sein zum Sein ist die Geburt, vom Sein zum Nicht- mehr der Tod.

Unser Leben ist eine flüchtige Episode zwischen Noch- nicht und Nicht- mehr.

Aus dem Nichts- seiner- selbst emporgestiegen zu einer flüchtigen Gegenwart, in ein Nichts-seiner- selbst verschwindend, und das auf immer. Weil Vergangenes eigentlich niemals zu­rückkehrt. - Ähnliches kann sich wiederholt ereignen, Identisches nicht. Nichts von dem, was war, kehrt wirklich zurück.

Der tote Mensch ist der Überrest eines Menschen, nicht mehr der Mensch selbst. Auf dem Friedhof liegen Überreste von Menschen, die nicht mehr existieren. Sie haben gelebt, jetzt sind sie tot. Non-entis est praedicatum? Es sind sie gar nicht selbst, die nicht mehr sind, ant­wortet der Spott.

Tot-sein ist ein Wort für die letzte und endgültige Abwesenheit im Lebensgesichtskreis von anderen. – Darüber hinaus: Wir werden irgendwann alles vergessen haben und von allen ver­gessen worden sein.

Was von uns übrig bleibt, sind nicht wir selbst. - Das Übrigbleibende von uns selbst sind wir nicht selbst. – Was aber bleibt hier? – Jedenfalls nicht wir selbst. – Bleibt überhaupt etwas, das wir selbst sind? – Das können wir nicht wissen.

Stichwort „übrig bleiben“. Das Übrigbleibende ist möglicherweise zweierlei. Den Leichnam kann man als wahrnehmbares Überbleibsel bezeichnen. Er ist das, was als das Übriggeblie­bene eines Menschen zunächst nachweisbar bleibt. Frage ist nun, ob es noch ein anderes Über­bleibsel gibt, den Menschen selbst, von dem das wahrnehmbare Übriggebliebene das Über­bleibsel ist. Es ist denkbar, dass es so etwas gibt. Im Falle unserer Überlegung wäre es der Mensch selbst, als nicht-empirisches Etwas. Wir wissen aber nicht, ob dergleichen exis­tiert, weil wir vom empirisch Nachweisbaren absehen wollten, und weil die reine Denkbar­keit ei­nes nicht-empirischen, metaphysischen Etwas nicht als Nachweis seiner Existenz ge­nügt.

Die jüdisch-christliche Vorstellung einer Auferstehung von den Toten beinhaltet die Wieder-Erweckbarkeit des Menschen selbst aus den [u. U. stark verwesten] Überresten, die er selbst nicht mehr ist. Ob der Mensch selbst dabei irgendwie dauert oder neu entstehen kann und sich der alten Überbleibsel auf’s Neue bemächtigt? – Das ist ein Beispiel für eine Frage, über wel­che die biblische Überlieferung mit Nicht-Sterblichkeitslehren bezüglich des Menschen in Berührung kommt. – Eine explizite Unsterblichkeitslehre [bezüglich der menschlichen Seele] ist der Bibel im Unterschied zu indischen Atman-Lehren fremd, wie ich mir aus berufenem Mund habe erklären lassen. - Vom Lauf der Dinge her gesehen, wie wir ihn kennen, ist diese Vorstellungsart [der Auferstehung] wenig plausibel, sie erscheint mir sogar entlegener als die Vorstellung erneuter Geburten in anderen Körpern, zu allen Zeiten, überall. Hierfür spräche z. B., dass sich unsere typische Daseinsmuster und Verhaltensweisen über das individuelle Le­ben hinaus immer wieder erneut manifestieren, die für den Großvater typischen Untugenden z. B. erneut im Enkel. Und vor allem die mystische All-Einheit des ethischen Bewusstseins: Was ich andern antue, tue ich irgendwie mir selbst an. - Was sind wir denn unabhängig, von alle dem, was uns äußerlich und innerlich zukommt, und was wir uns zueigen gemacht ha­ben? Möglicherweise nichts. – Weil wir nicht wissen, was im Menschen der Mensch selbst ist, gibt es keine Besser-Wisserei in diesen Fragen [der Fortexistenz oder erneuten Existenz], sondern nur das Bewusstsein unzureichender Erkenntnisgründe für alle Vorstellungsarten physischer Permanenz und / oder Reinkarnation. – Das ist hier der „definitive“ Standpunkt.

Die Präexistenz unseres Ich-Selbst liegt uns im allgemeinen weniger am Herzen als seine Fort-Existenz. Verfolgt man allerdings die Reflexionskette bezüglich des reinen Ich-Selbst über die Stationen Nicht-Materialität, Nicht-Vielheit, Nicht-Auflösbarkeit bis hin zu dem Ge­danken des Nicht-Entstehens und Nicht-Vergehens [wg der Abstrahierbarkeit von allem räumlichen und zeitlichen Geschehen], liegt es in der Konsequenz, das reine Ich als „todlos“ und „geburtlos“ zugleich anzusehen. Im jüdisch-christlichen Vorstellungskreis käme der Mensch unter diesem Gesichtspunkt vielleicht zu nahe an Gott heran. Möglicherweise ist der Unsterblichkeitsglaube aus diesem Grund ein Fremdkörper in der biblischen Überlieferung. [Man kann auch sagen: in der jüdisch-christlichen Tradition ist der Mensch „Kreatur“, also ens creatum.]

Wo ist der Mensch, wenn er gestorben ist? Dort, wo auch die Ungeborenen weilen, sagt Se­neca. - Weilen die Ungeborenen irgendwo? - Ich vermute, dass wir die Frage so nicht stellen dürfen, da sie sich daraus ergibt, dass der Mensch im Geist seinen Geist von seinem [des Menschen] raum-zeitlichen Dasein abzulösen vermag. Wenn nämlich ein rein materieller Körper durch Auflösung in seine Bestandteile aufhört zu existieren, finden wir nichts Be­fremdliches daran, dass „die Sache selbst“ nun nicht mehr existiert. - Die Frage: „wo sind die Abgeschiedenen?“ enthält erstens eine Nicht-Sterblichkeits-Präsupposition, zweitens setzt sie das raum-zeitliche Dasein als Seinsart des Existierenden überhaupt voraus. Beides aber sind, trotz einer gewissen Plausibilität, unentscheidbare Voraussetzungen. Fragen, zu denen es keine entsprechenden Erkenntnisgründe gibt.

Die Fortdauer der menschlichen Seele wird uns m. E. besonders durch die Vorstellung eines letzten Gerichts nahegelegt. Auch hieraus ergibt sich die Prävalenz des Nicht-Endens vor dem Nicht-Anfangen. – Die Prävalenz der Fortdauer im Unterschied zur ebenfalls denkbaren Prä­existenz [des geistigen Innern des Menschen] entspricht einer Prävalenz der moralphilosophi­schen Motivation der Religionslehre vor der spekulativen. Hier ergibt sich allerdings die Frage, wie wir uns von unberechtigten spekulativen Wissbarkeitsbehauptungen schützen kön­nen. Das ist der Ansatz von Kants „Kritik“: es geht darum, einen stichhaltigen Standpunkt bezüglich der Situation des prinzipiellen Nicht-Wissen-könnens in manchen Dingen zu bezie­hen. Das ist eine Denkfigur wissenden Nicht-Wissens. Die Behauptung der Existenz eines rein geistig Inneren im Menschen ist ebenso wenig zureichend begründbar wie die Behaup­tung der Nicht-Existenz dieses Inneren. Behauptet wird auf solche Weise das Nicht-Zurei­chen, bzw. der Mangel an Beweis- und Erkenntnisgründen.

Der Mensch selbst, der da war, ist in seinem Leichnam nicht präsent. Er ist abgeschieden. Die alten Ägypter versuchten durch Mumifizierungstechniken und Monumentenbau die physische Gestalt ihrer Pharaonen immerwährend zu erhalten. In anderen Völkern war es z. B. üblich, Knochen und Haare eines Verstorbenen an die Hinterbliebenen zu verteilen, die Gebrauchs­gegenstände daraus verfertigten. Aus dem Schädelknochen machte man z. B. einen Kalktopf. Dies mag uns makaber anmuten, hat jedoch mit dem Mumifizierungsverfahren die Gemein­samkeit, dass dem Abgeschiedenen dadurch eine Art physischer Präsenz im Kreis der Hinter­bliebenen verschafft wird. Man will nicht nur eine Erinnerung an den ehemals Lebenden ha­ben, sondern als Erinnerung ein Überbleibsel von ihm selbst. [Rem. an ein SWR-Feature über Todesbilder. Jahr der Sendung war ca. 2001]

Inneres Subjekt, das Ich selbst, ist eine [die?] innere Fähigkeit der Bejahung und Verneinung [auch des Unentschieden-sein-lassens], eine Fähigkeit des Annehmens und Nicht-Annehmens, des Sich-So-Verhaltens und des Sich-nicht-so-verhaltens. – Unentschieden-sein-lassen ist Bejahung und Verneinung auf „höherer“ Ebene. – Ich mache mir z. B. eine Ansicht zueigen, welche die Unentscheidbarkeit bzw. Nicht-Wissbarkeit bezüglich des Dasein Gottes beinhal­tet. – Auch die Existenz eines bleibenden Ich-Selbst ist unentscheidbarer Aussageinhalt.

Durch das Denken und seine fast grenzenlose Ablösbarkeit von allen Dingen und auch von allen gegebenen Bewusstseinsinhalten ist der Mensch „über die Wirklichkeit hinaus“, über Tod und Leben insgesamt. Sonderbarer Weise geht er auch in seinen empirischen Bestrebun­gen, in Fragen des Wollens, der Lust, der Fortpflanzung, der Macht und des Erwerbs von Mitteln des Lebens über die Grenzen seines individuellen Lebens hinaus, so als sei er un­sterblich und könne deshalb und für alle Fälle von nichts genug bekommen. Unsere Ängste, Hoffnungen und Begierden versteigen sich über uns selbst hinaus. Eine Einübung in Zufrie­denheit würde uns in manchen Fällen durchaus glücklicher machen, aber es ist, als ob wir das nicht sein wollten. Der innere Drang nach Da­sein, Wohlsein und Fortpflanzung treibt uns weit über das Maß des Zuträglichen hinaus. Der Vielbegehrende verausgabt sich in dem Be­stre­ben, die Grenzen seiner Natur zu überschreiten. Die Zuträglichkeitsillusion besteht dabei hauptsächlich in einem Irrtum bezüglich der unbe­grenzten Genussfähigkeit. Dabei belehrt uns jeder Magendehnungsversuch durch Fressen und Saufen, dass es Folgeprobleme gibt, die uns die Sache vergällen. Es ist also nicht nur in der Frage des etwaigen jenseitigen Heils rat­sam, die Sterblichkeit des Menschen zu bedenken, sondern auch in Fragen der profanen Le­bens­lust. Das Motiv „quid aeternis ani­mum consiliis minorem fatigas?“ wird von Horaz häu­fig angesprochen und stammt aus der Linie Epikurs.“ - „Warum quälen wir unseren endlichen Geist mit endlosen Plänen?“, kann man übersetzen. Schöner noch: „Wozu in dieser kurzen Frist so vielerlei Pläne? „Warum so viel?“ [quid multa?], „warum über­nehmen wir uns der­art?“. Das memento mori wird hier umfunktioniert in Fragen des diesseitig möglichen Glücks. – Auch Seneca, obwohl Stoiker, verfolgt diesen Gedanken, und zwar in einer sarkastischen Version: „Warum so viel Aufwand? Ein einfaches Begräbnis macht weniger Mühe.“

Der Aufforderungscharakter des Sterblichkeitsbewusstseins wird also verschieden gedeutet: „Macht keine Pläne für die Ewigkeit, auf dieses Leben kommt es an“, sagt man in der Linie Epikurs. „Ihr habt ein Weiterleben zu befürchten oder zu erhoffen, je nachdem, wie ihr euer irdisches Leben hier führt“, sagen viele Religionen. Treten wir aus der falschen Antithetik „Sterb­lichkeit – Nicht-Sterblichkeit“ heraus, weil sie für uns unentscheidbar ist, bleibt die moral­philosophische Frage nach der „eigentlichen“ Moral. „Eigentliche“ Moral ist die der gleichen Freiheit aller, sie erstrebt eine besondere Art der Harmonie aller mit andern und sich selbst. „Uneigentliche“ Moral ist „instrumentalisierte“ Moral. Sie dient nicht der gleichen Freiheit aller, hat geheime, unlautere Absichten und gründet weitgehend in Ressentiment und rancune. Allerdings darf man sie nicht schlechthin verwerfen, als „Surrogat“ der Tugend, wie Kant sagt, weil uns mit einer offenen und zynischen Verachtung landläufiger Sitten und Ge­bräuche wenig gedient ist. Es kann ja alles noch sehr viel schlimmer werden, als es ist. In der Heuchelei liegt wenigstens die Anerkennung der Tugend. Und im Übrigen ist es nicht mög­lich oder gar rat­sam, die „wahren“ Motive anderer entlarven zu wollen.

Montaigne hat in seinem Essay „Philosophieren heißt sterben lernen“ für den „Aufforde­rungscharakter“ des To­desbewusstseins das schöne Wort vom Sterblichkeitsbewusstsein als „Stachel der Besinnung“ gefunden: „Hal­ten wir inmitten von Festen und Freuden stets diesen Stachel der Besinnung auf unser Los wach, und lassen wir uns nie so ganz vom Genuss hin­reißen, dass uns nicht dabei zuweilen durch den Geist ginge, auf wie mancherlei Art diese unsere Fröhlichkeit dem Tode ausgesetzt ist und wie mannigfach uns sein Zugriff droht.“ – Er plädiert in Epikurs Linie für Mäßigung und Ausgeglichenheit. In der Ruhe liegt für ihn Kraft und Lebensfreude in einem. Auch ich vermute mit zunehmendem Alter mehr und mehr, dass die wilden dionysischen Lüste eine starke Bedro­hung für die Art desjenigen seelischen Gleichgewichts darstellen, das wir durchaus anstreben sollten, um nicht in Unfreiheit und Abhängigkeit zu geraten. Die anzustrebende Mischung aus Lust und Besonnenheit, und dass wir die Lüste so genießen, dass wir uns dabei nicht allzu oft übernehmen, weist mehr und mehr in die Richtung apolli­nischer Künste.

Der Essay-Titel Montaignes: „Philosophieren heißt sterben lernen“ könnte auch lauten: „Philosophieren heißt leben lernen mit [trotz? ] des Bewusstseins höchsteigener Sterblichkeit.“ In all meinem Dünkel, meinen ach so gewaltigen Vorhaben, meinen Gewissheiten und großartigen Wertvorstellungen sollte ich mich daran erinnern, ein sterblicher Mensch zu sein. Die flüchtige Gegenwart des Augenblicks ist zu einem bestimmten Anteil in meiner Verfügungsmacht, ohne Garantie, für wie lange. Daraus gilt es, das „Bestmögliche“ zu machen, ohne dass dog­matisch bestimmt werden könnte, worin dies besteht.

Montaigne betont sehr stark den Gedanken des „Nicht-Anhaftens“, der, wie man sehen kann, in der europäischen Antike gleichermaßen wie z. B. in der buddhistischen Tradition ein zentrales Motiv darstellt. Den Krankheiten gewinnt er auf folgende Weise einen positiven Aspekt ab: Unser Lebenswille besteht in einem Kleben an den Gü­tern des Lebens. Die Krankheit nun, sie nimmt uns die Lust an den Gütern des Lebens, so dass wir dem Tod, dem Befreier von allen Plagen, gefasst, bzw. einverstanden, entgegengehen. Irgendwann ist genug.

Das Leben ein Wunder, das Bewusstsein ein flüchtiger Rausch. – Ein betrunkener irischer Dichter sagte: „Realität ist diejenige Illusion, die sich aus Mangel an Alkoholzufuhr ergibt.“ Das ist zugegebener Maßen eine unmoralische Bemerkung.

"Gleich wie die Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen," sagt Homer.

Der römische Dichter Horaz, der im Zeitalter des Augustus lebte, ist ein Dichter epikureischer Lebensklugheit. Seine Motive sind die Endlichkeit des Lebens, die Absage an Scheinwert und Ambition, Wert des unwiederbringlichen Augenblicks, Vertreibung der Sorgen, Lob des Wei­nes, Talent zum glücklichen Leben. Er kennt die Erlösung von Konkurrenz und Ver­gleich, er kennt den erfüllten Augenblick individuellen Glücks. Sehr schöne Verse über die Unaus­weichlichkeit unseres Todes sind z.B. folgende:

Omnes eodem cogimur, omnium

versatur urna serius ocius

sors exitura et nos in aeternum

exilium inpositura cumbae.

Das ist nicht leicht zu übersetzen, ohne dass es seine Schönheit verliert. Ungefähr heißt es: Denselben Weg geht alles. Früher oder später wird uns das Los aus der Urne zuteil und der Nachen bringt uns in ewiges Exil hinweg.

Fort müsst ihr, und ihr kehrt nicht wieder.

Zuvor aber werden die festlichen Tage, Wein und duftende Narde gelobt:

Ob du in Gram dein Leben vertrauert hast, ob hingestreckt auf heimlichen Rasengrund manch seligen Festtag du dir schufest, köstlichen alten Falerner schlürfend. Horaz, Oden, Liber II, Nr. 3

Von Zeit zu Zeit sollen wir uns bewusst sein der flüchtigen Einmaligkeit des gelebten Augen­blicks.

Seinen endgültigen, letzten Tod überlebt niemand, obwohl heutzutage die Menschen fast alles überleben.

Leben und Sterben ist gewissermaßen dasselbe, denn Leben besteht darin, peu à peu zu ster­ben. Leben heißt, noch nicht gestorben sein, leben heißt, früher oder später sterben müssen. Wer nicht mehr sterben muss, ist schon tot. Aber das nützt ihm überhaupt nichts mehr, weil es ihn nicht mehr gibt.

Sterben muss auch ich. Aber hoffentlich nicht gleich jetzt.

Beruhigt einschlafen und nicht mehr erwachen, ist der angenehmste Tod, den wir uns vor­stellen können.

„Einen guten Tod stirbt nicht, wer plötzlich dahinscheidet, sondern wer bestehende Konflikte noch lösen kann, seine Beziehungen mit Familienangehörigen und Bekannten vollenden und mit sich selbst in’s Reine kommen kann.“ [Rem. an einen Palliativmediziner mit langjähriger Erfahrung in der Sterbebegleitung]

Ein beruhigter, loslösungsfähiger Geist ist das Beste, was wir haben können.

Mit dem Bewusstsein der Hinfälligkeit, der Sterblichkeit bzw. des Sterben-müssens verknüpft sich die Frage, wie man leben sollte, welche Lebensweise man wählen sollte, soweit das von einem selbst abhängt. [Heidegger spricht insofern mit Grund vom „Aufrufcharakter“ des Sterblichkeits-Bewusstseins. Diese Motivverknüpfung findet sich übrigens in allen religiösen Traditionen, auch bei Stoikern und Anhängern Epikurs.] Was aber ist es, das von einem selbst abhängt? Trotz der immensen Arbeitsteilung, die für die Lebensweise des Menschen so cha­rakteristisch ist? Wovon und wozu bin ich frei? – Insofern gelangen wir in den Umkreis ethisch-moralischer Fragen wie: „Was soll ich tun?“, „was kann ich tun?“, „was steht in mei­ner Macht und was nicht?“ – Sind wir z. B. die Meister unse­rer Aufgeregtheiten? Oder könn­ten wir es durch lang anhaltende, intensive Übung werden? Nehmen wir, durch inneren Drang gedrängt, Verhaltensweisen, Denkmuster und Verkehrsformen an, die uns in Konflikt stürzen mit anderen und uns selbst? Ist es unser Anteil, diesen konfliktschaffenden inneren Drang zu mäßigen? „Unser Anteil besteht nur im Handeln an sich, nicht in dessen Erfolg.“ Ein Ge­danke, den wir in der stoischen Tradition ebenso finden wie in der fernöstlichen Tradition. [z. B. Epiktet, gleich am Anfang seines Handbuches, z. B. Bhagavadgita, 2,47]

Ich habe auf die Frage abgehoben, welche Denk-, Verhaltens- und Umgangsweisen uns in Konflikt bringen mit anderen und uns selbst. Eine Mäßigung des inneren Dranges soll erfol­gen gemäß dem „Maß“ einer weitgehenden Reziprozität und Harmonisierung [Zusammenfü­gung] menschlicher Freiheitsspielräume [d.h. gemäß der Goldenen Regel]. Wenn wir einan­der nicht lieben können, so brauchen wir das auch nicht, aber wir sollten [zumindest bzw. immerhin] einander mit Respekt ertragen [lernen]. Es erhebt sich hier die Frage, inwieweit wir den Kampf der Gegensätze vermeiden können, wollen oder sollten. Konfliktscheuheit gilt vielen als tadelnswert. Heraklit meinte : Je gegensätzlicher die Gegensätze sind, die zur Har­monie gelangen, desto interessanter das Zusammenfügungs-Phänomen. Das kann man iro­nisch, sogar mit einem Unterton von Zynismus versehen, auffassen. Allerdings sollten wir „Harmonie“ als eine besondere Art von gelingender Zusammenfügung verstehen. Ansonsten haben wir die Gefahr einer Verherrlichung von Zwang, Gewalt und des „Kampfes der Gegen­sätze“. Die erzwungene Einheit ohne freies Kräftespiel ist sicherlich Tyrannei. Das „Maß“ ist die [prinzipiell] gleiche Freiheit aller, so vage diese Vorstellung auch in concreto sein mag. Das Wort „prinzipiell“ mit den Zusatzfragen: „immerhin?“ und „lediglich?“.

Der Psalm sagt: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden!“ Das entspricht dem „Aufrufcharakter“ des Sterblichkeitsbewusstseins. Es ist fast trivial, dass wir dazu aufgerufen sind, das Beste aus unserem Leben zu machen, soweit das von uns selbst ab­hängt. Was aber ist das Beste für uns und was hängt von uns selbst ab? Es geht darum, uns die richtigen Fragen und die richtigen Maßstäbe [nach und nach] zu eigen zu machen, um dieses Beste zu bestimmen. Es kann sein, dass es gar nicht so gut für uns ist, in bestimmten Dingen die weitgehend üblichen Maßstäbe und Wertschätzungen unserer Umgebung anzu­nehmen. Ein gewisses Maß an Prüfung, bewusster Annahme, bewusster Verwerfung und be­wusster Modifikation der Üblichkeiten [des Verhaltens und Denkens] ist durchaus unser An­teil. Al­lerdings sollen wir uns von den üblichen Gebräuchen und Wertschätzungen nicht da­durch unterscheiden, dass wir sie in ihrem moralisches Niveau unterschreiten. – Das ist der The­menbereich der „eigentlichen“ Moral im [eventuellen] Unterschied zur landläufigen oder übli­chen. Das Thema hängt eng zusammen mit Fragen der Aufmerksamkeit auf das, was wir tun, und welche Verhaltensweisen mit diesem Tun praktiziert werden. Offensichtlich auch eine Frage des „erwachenden Bewusstseins“, denn manche Handlung und manche Verhal­tensweise gestehen wir uns nicht ein, um sie nicht auf den Prüfstand gestellt zu sehen. Ich gehe davon aus, dass wir „in der Praxis“ mit einem schwer analysierbaren Gemisch von Tat­sachen-, Interpretations- und Wertfragen konfrontiert sind.

Das „Beste“, was jemand in seinem Leben erreichen kann, ist eine spezifische, nein, sogar höchst individuelle Mischung aus „eigentlicher“ Moral [des wahrhaften Selbst-seins] und individuellem Bedürfnis, in Überein­stimmung mit äußeren Gelegenheiten, die nur bedingt in seiner Macht stehen. Er erkennt Möglichkeiten und weiß sie zu nutzen gemäß einer Ordnung von Präferenzen, die er sich zueigen gemacht hat. Selbstverständlich darf er bedürfnisorien­tiert handeln, seine Verantwor­tung betrifft nur die Art, wie er bedürfnisorientiert handelt und die Anordnung der ihn dabei leitenden Wertgesichts­punkte. Es ist ja zumindest denkbar, dass wir unsere Bedürfnisse derart befriedigen, ohne andere und uns selbst zwangsläufig zu schä­digen, obwohl manche von uns zu wissen glauben, die Verhältnisse hätten dies bereits völlig unmöglich gemacht. Wir halten dies für eine falsche Option in einer unentschiedenen Ange­legenheit.

Gibt es die Möglichkeit einer Harmonie mit andern und sich selbst? Das ist natürlich nur [?] [immerhin ?] ein ethisches Ideal. Klar wird aber dabei, dass es nicht ausreicht, das Ge­lingen eines spezifisch menschlichen Lebens nach irgendwelchen momentanen Wichtig­kei­ten, kurz- oder mittelfristigen Interessen zu beurteilen, sofern in der Frage der Maßstäbe viel­leicht doch nur willkürliche Festsetzungen getroffen wurden.

In der „Praxis“ sind wir niemals allein Täter und niemals allein Opfer, sondern Mit-Täter und Mit-Opfer in komplexen Wirkungs- und Wechselwirkungsketten menschlicher Handlungen und Verhaltensweisen. Die ethische Beurteilung der menschlichen Dinge fordert zunächst einmal festzustellen, was wir andern und uns selbst mit denjenigen Verhaltensweisen antun, die wir uns im allgemeinen Mit- und Gegeneinander zueigen gemacht haben.

Unser eigenes Leben beurteilen wir erfahrungsgemäß in verschiedenen Lebensphasen ganz verschieden, wobei Stimmungen eine große Rolle spielen. Bei so viel Veränderung stellt sich die Frage, was die gewichtigen Gesichtspunkte der Reflexion sind bzw. sein sollten und was die weniger gewichtigen. Vollkommen klar ist mir, dass manche Zeiten und manche Um­stände für einen Menschen so schlimm sein können, dass es bereits ein moralisches Verdienst darstellen kann, an keinem Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Hier denke ich an Kriegsge­schehen, öffentlich inszeniertes Unrecht usw.. Beurteilungen dieser Art führen zugegebener Maßen sehr schnell in endlose Weitläufigkeit und sind in abschließender Endgültigkeit für den Menschen gar nicht möglich.

Das Sterblichkeitsbewusstsein ist ein instruktives Beispiel dafür, dass der Mensch in seinem Denken über die Wirklichkeit hinaus zu gehen vermag und auch tatsächlich darüber hinaus­geht. Insofern kann man den Men­schen u.a. auch definieren als das Tier, das von seinem Tod etwas weiß, bzw. das auch über seinen Tod nachdenken kann. Die Definition läuft auf den­selben Sachverhalt hinaus wie den, dass der Mensch ein zum Denken befähigtes Lebewesen ist. Das zum Denken und Sprechen befähigte Tier vermag u.a. auch „bloße“ Denkbarkeiten zu denken und ist insofern jedenfalls nicht völlig auf das tatsächlich Wirkliche festgelegt, das es sehen und greifen kann. Es vermag nachzudenken über Leben und Sterben gleichermaßen. [Mit der effektiven „Entscheidbarkeit“ verschiedener „spekulativer“ Behauptungen ist es ein weiter gehendes Problem.]

Der Mensch geht in seinem Denken über das subjektiv und objektiv für ihn tatsächlich Wahr­nehmbare weit hinaus. Er vollzieht Verallgemeinerungen, obwohl er nur eine begrenzte Menge von Dingen wahrnehmen kann. Er vollzieht eine typisierende Auffassung der Wirk­lichkeit, konstruiert Modelle [der Wirklichkeit] und redet von abstrakten Entitäten, die nie­mand sehen kann, wie z. B. Beziehungen zwischen Zahlen, Inkonsistenzen einer Theorie usw..

Dass der Mensch in seinem Denken über die Wirklichkeit hinausgeht, kann man auch daran sehen, dass er sich zu nicht beantwortbaren Fragen aufschwingt. Man kann sie zwar nicht mit zureichenden Erkenntnisgründen beantworten, also nicht hieb- und stichfest, aber sie betref­fen Denkbarkeiten. Sie hängen mit der Qualität seines Bewusstseins zusammen, das Denk­barkeiten hervorbringt, obwohl es in seinen Erkenntnisansprüchen auf Wahrnehmungsmög­lichkeiten beschränkt ist.

„Was wird mit mir sein, wenn ich gestorben bin?“ Das ist eine Frage, die man sich durchaus zu stellen vermag. Gewissermaßen enthält diese Frage eine Nicht-Sterblichkeits-Präsupposi­tion: Wer oder was ist dieses Ich-Selbst, um dessen Sein [hier: Existenz] nach dem Gestor­bensein es hier geht? Ein Etwas, das kein empirisches Etwas ist, weder ein objektives noch ein subjektives Etwas, sondern das „Dass“ selbst des Denkens von Denkbarkeiten ganz all­ge­mein. Gedanklich wird dieses innere Ich-Selbst unterschieden von alle dem, was da gedacht werden kann, von allen subjektiven und objektiven Gegebenheiten. Es selbst ist eine reine Denkbarkeit. Wir haben damit die Unterschei­dung der subjektiv und objektiv bestehenden Individualität vom „Dass“ des Bewusstseins selbst. Subjektives und objektives Sein ist all das, was ich nicht selbst bin, jedenfalls nicht selbst im Sinne des eigentlichen „Kerns“ meines Bewusstseins, nicht sein Innerstes. Die bestimmte Indivi­dualität, derer ich mir bewusst werde, ist der vergängliche, der sterbliche Teil meiner selbst, aber das denkende Bewusstsein, das denkend von allem zu abstrahieren vermag, ist kein sub­jektives oder objektives Etwas, son­dern nicht-empirisches Subjekt.

Um Vorstellungen zu ha­ben, sei es vom Leben, sei es vom Sterben, muss man sicherlich le­ben. Ich vermute, dass man ein Gehirn, einen Blutkreislauf und vieles andere dazu benötigt. Aber mit dem, was der Mensch zu denken vermag, besonders mit der Aufmerksamkeit auf das Bewusstsein selbst, geht der Mensch über seine Individualität und über jede gegebene Wirk­lichkeit hinaus. Oder vielleicht besser gesagt: Gemäß dem, worauf er sich denkend be­zieht, löst er sich von alle dem mehr und mehr ab.

Man kann sagen, der Mensch sei körperlich und psychisch manifestierter Geist: inkorporiert und „inpsychisiert“. Das ist besser als zu sagen, er bestehe aus einem Geist, einer Psyche und einem Körper, und der Geist sei eines unter vielen. Denn das absolut Innere des Bewusstseins, worauf ich meine Aufmerksamkeit richten kann, das Bewusstsein und Denken selbst bezüg­lich der Vielfalt des verschiedenartig Denkbaren [der Gedankeninhalte], ist kein empirisches Et­was, weder subjektiver noch objektiver Art. Es ist limitativ und ex negativo bestimmt als ein besonderes Distanzierungs- und Ablösungsvermögen von alle dem, was mir subjektiv und objektiv präsent ist. Wenn das Ich-Selbst überhaupt „etwas“ ist, dann ist es ein Etwas ganz besonderer Art. Sehr abstrakt und überindividuell. Nicht-körperlich, nicht-psychisch, nicht-sterblich, nicht-geboren. All dies aber wegen des Charakters der „bloßen“ Denkbarkeit.

Man kann sagen: alles subjektiv und objektiv Vorhandene ist nicht das innere Ich-Selbst. Also ist das innere Ich-Selbst nichts subjektiv oder objektiv Vorhandenes. Das innere Ich, das wir denkend von allem subjektiv und objektiv Tatsächlichen unterscheiden, existiert weder sub­jektiv noch objektiv tatsächlich. Es ist die Denkbarkeit von alle dem für sich selbst genom­men. Was subjektiv präsent und objektiv tatsächlich existiert, ist bedingtes, kausal oder inter­dependent abhängiges Dasein. Nichts davon hat den Charakter eines eigenständigen Selbsts, wie es uns in Gedanken vor­schwebt. Gemäß seiner limitativen, ex-negativo verfahrenden Denkrezeptur kann das innere Ich-Selbst auch nichts Individuelles sein, durch das einer von uns sich von den anderen unter­scheidet. Es ist also gar nicht leicht zu sagen, in welchem Sinne es uns gibt und in welchem Sinne nicht. Subjektiv und objektiv gibt es uns nicht als eigenständige Wesen, sondern nur als „Gruppierung“ verschiedener Daseinsfaktoren, der rei­nen Denkbarkeit gemäß gibt es uns nicht als von anderen unterscheidbares Individualwesen.

Warum ist [der] Geist nicht naturalisierbar? Weil er, als gedachtes Inneres der Bewusstseins, weder etwas objektiv noch etwas subjektiv Vorhandenes darstellt. Geist [hier synonym mit Denkbewusstsein] ist ein umfassendes Prinzip der Denkbarkeit „von allem“. Von subjektiv und objektiv Gegebenem, und von Denkbarkeiten abstrakter, „kontrafaktischer“ oder hypo­thetischer Art. Er ist zum Teil beschreibbar als Fähigkeit zu internen Modellen der Wirklich­keit und zum Probehandeln, entzieht sich aber aufgrund seiner spezifischen Vergewisserungs­fähigkeit [als umfassendes Abstraktions- und Distanzierungsvermögen bezüglich der objekti­ven und sogar subjektiven Wirklichkeit] der Beschreibung als äußerer, materieller Gegens­tand und als subjektiver Wahrnehmungsinhalt zugleich.

Die Bewusstseinsart [Art, Modus des Bewusstseins] bezüglich des inneren Ich-Selbsts ist eine besondere, einzigartige. Es ist nicht möglich, dass ich mir der Nicht-Existenz meiner selbst bewusst sein könnte. Das Argument hat also wesentlich ein modallogisches Gepräge: Sofern ich Bewusstsein von irgend etwas habe, ist es notwendig für mich, mir auch meiner Existenz bewusst sein zu können. Es besteht für mich die Notwendigkeit der Möglichkeit des Bewusst­seins meiner selbst. „Das ‚Ich denke’ muss alle meine Vorstellungen begleiten können.“ Diese Art des Bewusstseins ist nicht durch Beobachtung und Experiment begründet. Durch Beob­achtung und Experiment konstatierte Zusammenhänge sind nicht derart prinzipiell, son­dern einfach faktisch festgestellt. In diesem Sinne ist Bewusstsein nicht naturalisierbar, aus der Beobachtung objektiv oder subjektiv bestehender Zusammenhänge begründet, als Phä­nomen der Wirklichkeit erklärbar usw.. Das notwendig mögliche Bewusstsein ist vielmehr als Vor­aussetzung unseres Denkens aufweisbar, sei es des Denkens über wirkliche Dinge oder über Denkbarkeiten. „Aufweisbar“ hier im Sinn einer besonderen Art von allgemeiner und prinzi­pieller Reflexion.

Eindeutig aussagbar ist die Unentscheidbarkeit. Wird Fortdauer sein meiner selbst oder Ver­nichtung? Gefangen sind wir in der wissbaren Unentscheidbarkeit dieser Frage. So wie einer leibt und lebt, tut er dies nur für begrenzte Dauer. Aber der Mensch selbst, der in seinem Le­ben [teilweise] gegenwärtig und anwesend war, wir wissen nicht, ob er auch existiert, ohne dass wir ihn sehen und hören können. Wir wissen nicht einmal, was der Mensch unabhängig von seinen äußeren und inneren Eigenschaften ist. Das Sein, das wir aus Erfahrung kennen, ist eine Wahrnehmungsmöglichkeit. Diese Art von wahrnehmbarer Wirklichkeit ist zeitlich be­grenzt. Wir wissen nicht, inwiefern eine andere Art von Existenz etwas Mögliches ist. Es wäre eine nicht-empirisch, metaphysische Art von Existenz. Eine reine Denkbarkeit. Nichts spricht zwingend dafür, nichts zwingend dagegen.

Nemo ante mortem beatus habendus, sagten die Alten. Der Gedanke wird auf Solon, einen der sieben Weisen des griechischen Altertums, zurückgeführt. Schau auf eines langen Lebens Ende, wenn du die Vorfälle eines Lebens im Hinblick auf Glück und Unglück bewerten möchtest. Weiß man vor seinem Tod, ob vermeintliches Glück kein Unglück war? Oder ver­meintliches Unglück kein Glück?. Weiß man es nachher? – Tage können kommen, da er­scheint uns unser Glück als Trug und Wahn, Tage können kommen, da erscheint uns unser bitterstes Leid aus­gleichshalber auch als Trug und Wahn. [Rem. an Th. Manns Roman „Jo­seph und seine Brü­der“, Ende Band 1]

„Leben und Liebe sind schön, doch seine Vorteile hat auch der Tod, …, und wo einst Sorge und Furcht war des Glücks, da ist nun Beruhigung. Wo war Joseph? In Abrahams Schoß. Bei Gott, der ihn ‚zu sich genommen’. Oder was sonst der Mensch an Worten für letzte Abwesen­heit findet – alle gesucht, dass tiefste Geborgenheit sanft und sicher, wenn auch etwas hohl und öde damit bezeichnet sei.“ [Th. Mann, „Joseph und seine Brüder“, Ende Band 1]   

Ein philosophisches Todesproblem haben wir insofern, als wir in dieser Frage vielfältige Ver­bindungen von nicht-empirischen und empirischen Fragestellungen und Behauptungen vor­finden. Epikur z. B. hielt sich an plausible empirische Behauptungen und fasste die Phäno­mene „Leben“ und „Bewusstsein“ von der äußeren Wahrnehmung her auf. Wenn der Mensch gestorben ist, existiert er nicht mehr und kann insofern auch nichts mehr von diesem Zustand empfinden, der nicht mehr sein eigener ist. In der Erfahrungswelt gibt es möglicherweise keine immerwährend bestehenden Daseinsgebilde, jedenfalls nicht im makroskopisch hyper­atomaren Bereich. Vielleicht entzieht sich auch diese Frage unserer Erkenntnis. Jedenfalls gilt: Wer geboren wird, muss auch irgendwann sterben. Das erscheint uns bisweilen als tri­vial. Wahr­nehmbare Menschen, so wie wir sie kennen, auch ihre Launen, Stimmungen und Gedanken, existieren nur für eine begrenzte Zeitspanne. Nichts aber sagt uns, ob das Subjekt des Denk­bewusstseins nicht doch als ein Etwas in einer nicht-empirischen Wirklichkeit zu existieren vermag, dabei Gedanken denken und nicht-empirische Empfindungen haben kann. Es handelt sich bei diesen Annahmen zwar um willkürliche, gewissermaßen nicht plausible Thesen, um bloße Denkbarkeiten, welche über die erfahrbare Wirklichkeit hinausgehen. Inso­fern können sie nicht zum Thema nüchterner naturwissenschaftlicher Forschung gemacht werden.  Aber mit dem Nachdenken über das Bewusstseinsinnere, also durch das Bewusstsein des Bewusst­seins, lösen wir uns vom subjektiv und objektiv Gegebenen ab und beziehen uns, jedenfalls mehr oder weniger, auf reine Denkbarkeiten. – Epikur verbindet also die empiri­sche Fest­stellung der begrenzten Dauer des menschlichen Lebens mit der nicht-empirischen Behaup­tung der Nicht-Existenz eines nicht-empirischen [nicht-materiellen, nicht-zeitlichen und nicht-räumlichen] Bewusstseinsinneren.

Obwohl „bloße“ Denkbarkeit, ist das Ich-Selbst kein willkürlich Erdachtes, sondern ein not­wendig möglicher Gedanke bezüglich alles für mich Denkbaren. Der Gedanke des Ich-Selbst ist eine Potentialität bezüglich all dessen, das ich tatsächlich denke. Es ist der Gedanke der unhintergehbaren Gebundenheit des für mich Denkbaren an die prinzipielle Möglichkeit mei­nes Bewusstseins davon.

Der Standpunkt, dem ich in der Todesfrage zuneige, ist die empirische Hinfälligkeit und Ver­gänglichkeit des wahrnehmbaren Menschen, inklusive aller uns bekannten psychischen und mentalen Funktionen, bei gleichzeitiger Offenheit aller Fragen, welche Existenz und Essenz eines nicht-empirischen Ich-Selbst betreffen. Die jüdisch-christliche Vorstellung einer Aufer­stehung von den Toten [um sozusagen einmal im Leben kompetent und wahrhaft beurteilt zu werden, nämlich im Lichte göttlicher Allwissenheit] halte ich für eine Mischform empirischer und nicht-empirischer Annahmen. Eine empirische Annahme ist z. B. die Voraussage einer Reorganisation der nach und nach in alle Welt sich zerstreuenden empirischen Überbleibsel eines Menschen in naher oder etwas fernerer Zukunft. – Die Existenz eines reinen Ich-Selbst, das zerstreute Überbleibsel seines ehemaligen Körpers reorganisiert bzw. sich dieser Über­reste erneut bemächtigt, ist dagegen nicht-empirische, spekulative Annahme. Da es kein Wis­sen gibt in all diesen Dingen, außer der philologischen Kenntnis literarisch überlie­ferter An­sichten, bleibt uns als letzter Standpunkt lediglich die Behauptung spezifischer Arten des Nicht-Wissen-könnes wegen des nicht-empirischen und spekulativen Charakters der an­ge­sprochenen Themen.

Religionen haben es wohl ganz allgemein weniger mit Gott [und/oder anderen metaphysisch-transzendenten Wesen] zu tun als mit dem Menschen selbst und sind insofern mehr philoso­phische Anthropologie als Theologie und Metaphysik. Die Religionsanlage des Menschen „erklärt und erhellt“ sich durch die „Natur“ des menschlichen Bewusstseins und ist insofern allgemein menschlich. Der Ausdruck „erklärt und erhellt sich“ bedeutet: „weil das menschli­che Be­wusstsein dieses sonderbare Distanzierungs- und Abstraktionsvermögen ist, das sich seiner selbst bewusst sein kann im Unterschied zu allen von ihm illuminierten Dingen.“ Also erneut: Aus dem „Wesen“ des menschlichen Bewusstseins erklärt sich die Religionsanlage. Insofern kann man das „vernunftbegabte Sinnenwesen“ gleichsetzen mit dem „religionsbe­gabten bzw. religionsausbildenden Tier.“ Die Sphäre der Denk­barkeiten ist weiter als die Sphäre der wahrnehmbaren Wirklichkeit. Der Mensch geht in sei­nem Denken über die je­weils gegebene Wirklichkeit hinaus, sei es subjektive oder ob­jek­tive Wirklichkeit. Man kann auch sagen, er gehe im Denken über das Denken hinaus, bzw. das Denken selbst, bzw. das denkende Subjekt, sei im Gedachten nicht als Gegebenes zu fin­den. – Das entspricht der „systematischen Flüchtigkeit des Ich.“ [Ryle.] Es gibt keinen Kom­mentar, zu dem nicht sei­nerseits ein erneuter Kommentar denkbar wäre.

Kann man nun aber auch sagen, es gäbe wegen der Ablösungsfähigkeit des menschlichen Bewusstseins auch geistige Dinge, reine Denkbarkeiten und der Mensch habe deshalb neben dem Erkenntnisbezug auf eine wahrnehmbare Wirklichkeit auch einen Erkenntnisbezug auf eine transzendente, nicht-wahrnehmbare Wirklichkeit? Hat der Mensch „Transzendenzbe­zug“? Von einem solchen Transzendenzbezug kann man nicht ohne weiteres sprechen. We­gen der Raum-Zeit-Bindung unseres erkennenden Bewusstseins, anders ausgedrückt: wegen der Bindung unseres gegenständlichen Bewusstseins an strukturelle Wahrnehmungsgegeben­heiten bleiben die Denkbarkeiten „bloße“ Denkbarkeiten. Erkenntnismäßige Existenzaussa­gen und Eigenschaftszuschrei­bungen sind im Positiven wie im Negativen „unentscheidbar“, „ohne möglichen Erkenntnis­grund“, „ohne möglichen Gegenstandsbezug“, „ohne möglichen Erkenntnisinhalt“. Optieren kann man für eine „metaphysisch-transzendente“ Ordnung der Dinge, die für uns alle bewirkt, dass „das Gute“ letzt­lich siegt. Wir können darüber spekulie­ren, was alles Voraussetzungen dafür wären, z. B. ein allmächtiger, herzenskundiger Schöp­fergott oder einfach ein „Karma“ als Grundgefüge „aller menschlichen Dinge“. Als Erforder­nis „letzter, wahrhafter Gerechtigkeit.“ – Eine eigentümliche Kombination von Wissbarkeiten und interessierten Op­tionen [in der Sphäre „bloßer“ Denkbarkeiten] ist für die Situation des Wissenkönnens be­zeichnend, in welcher der Mensch steht.

Kierkegaard und Bultmann versuchten, den menschlichen Gottesbezug, bzw., in erheblicher Abschwächung: den Religionskeimling, aus der „Verfassung des menschlichen Daseins“ zu verstehen. In der Sache halte ich dies für äquivalent zu dem Versuch Kants, die Anlage zum Religionsglauben mit der „Natur der menschlichen Vernunft“ in Zusammenhang zu bringen. Eine gehobene, gewissermaßen unalltägliche Sprechweise eignet beiden Darstel­lungsversu­chen. Es ist kein besonders alltäglicher und auch kein besonders präziser Begriffsversuch, von der „Verfassung des menschlichen Daseins“ zu sprechen. Die Rede von „Bewusstsein“ kann zwar an alltägliche Gebräuche anknüpfen, enthalt aber ebenfalls Merkmale einer for­cierten Übung. In all diesen Reflexionen und „Geistesübungen“ kann uns allerdings ein Zu­sammen­hang von Subjektivitätsbewusstsein, Subjektbewusstsein, Transzendenzoption usw. klar wer­den. Die Sprache dafür wird durch Einschränkungen, Hinsichtnahmen usw. aus der Alltags­sprache herausgearbeitet. Nicht aber im Sinne naturwissenschaftlicher und mathemati­scher Präzision, die unsere Argumente unangreifbar und definitiv machen könnte. Vielmehr spielen z. B. solche Subtilitäten  wie die Betrachtung in der Erst-, Zweit- oder Drittperson-Perspek­tive eine erhebliche Rolle Wir sind nicht auf einen naturalistischen Objektivis­mus vorver­ständigt. Lediglich auf eine Grundannahme bezüglich der Wissbarkeit in Fragen des Wissen­könnens.

Stichwort „naturalistische Vorverständigung“: Was ist die Alternative zu einem naturalisti­schen Menschenbild? Gibt es auch ein anderes Vorverständnis, das in thematisch-sachlicher Hinsicht angemessen wäre? – Die Frage hat es in sich. Es kann keine objektiven Befunde da­für geben, dass objektive Befunde in thematischer Hinsicht nicht ausreichend wären. Objekti­vismus und Naturalismus sind gleichzusetzen. Man hat also einem naturalistischen Men­schenbild in sachlicher Hinsicht nichts entgegenzusetzen. Das gilt auch für die Eigenschaft, ein bewusstseinsfähiges Wesen zu sein. Einer naturalistischen-objektivistischen Betrachtung können wir nicht entgegnen, sie sei durch ihr naturalistisches Vorverständnis objektiv unvoll­ständig, und es gäbe da noch andere objektive Zusammenhänge, die man zu berücksichtigen habe.

Wenn wir nun [probehalber] die subjektive Innenperspektive als Ausgangspunkt einer nicht-naturalistischen Selbstverständigung ansehen, so müssen wir dabei zugestehen, dass es uns nicht um einen Beleg dafür gehen darf, dass Subjektivität auch auf irgendeine Art ein objekti­ves Faktum darstellt. Es gilt vielmehr die objektive Unerweisbarkeit des originär Subjektiven. Wir reden von der Ablösbarkeit des Bewusstseins und versuchen auf die subjektive Existenz von subjektiven Bewusstseinsinhalten hinzuweisen. Der Ausgangspunkt ist erkenntniskritisch und stammt aus dem Arrangement des methodischen Gültigkeitszweifels [Descartes], welcher den hypothetischen Charakter aller Behauptungen bezüglich der äußeren Wirklichkeit ent­deckt. Aber sogar im subjektiven Bewussteinsstrom entdecken wir kein nicht-empirisches Subjekt, Ich-Selbst usw. als einfach „subjektiv gegeben“, „im Bewusstseinsstrom vorfindlich“ o. dgl. – Das war z. B. ein zentraler Punkt bei Hume. - Nein, hier, sowie schon jenseits objek­tivierender Betrachtungen, steigen wir weiter auf zum reinen Denkbarkeitsbewusstsein be­züglich alles Gegebenen überhaupt, es sei nun subjektiv oder objektiv gegeben, falls derglei­chen existieren sollte. Solcherart werde ich mir meines Bewusstseinsinneren bewusst, des absoluten Subjekts. Von diesem Denkbarkeitsbewusstsein her, von der eigentümlichen Art seiner Gewissheit und Unbezweifelbarkeit her, die weder objektive, noch subjektiv Gegebe­nes betrifft, erfolgen unsere Reflexionen auf das eigenartige Wesen des menschlichen Be­wusstseins.

 

Wir ziehen ein Fazit unserer Betrachtung. Was leistet unsere Todesbetrachtung, was beinhal­tet sie? - Sie hat z. B. eine sprachlich begriffliche Komponente und sagt uns das Triviale bzw. die Selbstverständlichkeit, dass der Tod der Übergang ist vom Leben zum Nicht-mehr-leben. In diesem Sinne verstehe ich auch die Aussage, der Tod sei die Trennung von Leib und Seele. Der Leib geht seines Lebendigseins verlustig, er büsst seine Beseeltheit ein.

 

Wir bemerkten, dass der menschliche Tod aus empirisch objektiver, auch aus naturwissen­schaftli­cher Sicht, nichts Befremdliches an sich hat. Aus dieser Sicht wäre es wohl eher er­staunlich, wenn es in der objektiven, raum-zeitlich ausgebreiteten Wirklichkeit immerzu dau­ernde, unvergängli­che Wesen geben sollte.

 

Wir haben weiterhin bemerkt, dass das Sterblichkeitsbewusstsein auf eine etwas unklare Weise hinüberspielt in die ethische Thematik: „worauf soll es mir ankommen in meinem Le­ben“. Worauf sollte bzw. soll es mir ankommen angesichts der Tatsache, dass wir alle auf lange Sicht gleichermaßen tot sein werden? Ist es ratsam, eine Angst zu schüren, dass man in Sachen der Lust und Freude zu kurz gekommen sein könnte? Oder geht es darum, irgendwel­chen Maßstäben der Verantwortung [vor Menschen, vor Göttern, vor Gott?] zu genügen? Ober beides in spezifischer Mi­schung? Das ist der Themenkomplex „was soll ich tun?“ Das ist der Themenkomplex ganz unterschiedlicher Versäumnisbesorgnisse angesichts der Le­benszeit als knapper Ressource. Was sollten und könnten wir machen aus unserem Leben, und was machen wir tatsächlich daraus. Das ist eine Frage des Menschen nach sich selbst mit ei­nem starken ethischen Akzent.

 

Wir haben weiterhin bemerkt, dass es bewusstseinsphilosophische und nicht-empirisch spe­kulative Gesichtspunkte der Todesfrage gibt. Es übersteigt alle empirisch objektiven und em­pirisch subjektiven Wahrnehmungsbefunde, ein Ich-Selbst zu sein, bzw. sich eines reinen Ich-Selbst bewusst werden zu können.

 

Die naturalistische Deutung des Todesphänomens korrespondiert der naturalistischen Deu­tung des Ich-Selbst-Bewusstseins. Wer in seinem Denken lediglich eine Disposition zu beob­achtbarem Verhalten sieht, z. B. eine komplizierte Fähigkeit des Probehandelns, bemerkt nicht die eigenartige Ablösungs- und Abstraktionsfähigkeit des menschlichen Denkens bis hin zum Gedanken eines nicht-empirischen Subjekts.

 

Das reine Ich-Bewusstsein „manifestiert“ sich in der individuellen menschlichen Psyche, diese wiederum in einem individuellen Körper. „Ich-Selbst“ ist das Innere des Bewusstseins, im Gegenzug zu vielfältig möglichen Bewusstseinsinhalten, Der Gedanke des Ich-Selbst als Subjekt möglichen Denkens überhaupt ist das abstrakteste Bewusstsein, das wir haben kön­nen. Es grenzt an Selbstvergessenheit für das eigene materielle Wohl und Wehe, wenn man einmal absieht von alle dem, was man über die eigene Person zu wissen glaubt. „Ich bin jetzt hier“ ist die allge­meine Beschaffenheit meines gegenstandsbezogenen Bewusstseins. „Jetzt“ „hier“ und „ich“ sind dabei subjektiv und situationsbezogen, zeitlich zugleich mit dem Be­wusstsein meiner selbst als des denkenden Wesens. Wir geraten hier u. a. in die weitläufige und subtile Problematik der hinweisenden Ausdrücke: „hier“, „jetzt“ und „ich“ sind hinwei­sende Aus­drücke, denen in situationsbezogener Weise unterschiedliche Referenzen zugeord­net werden. Bei dem Aus­druck „ich“ verästelt sich die Problematik weiter in die Unterschei­dung des Subjekts- vom Objektgebrauch des „ich“. Wenn ich auf das subjektive Selbstbe­wusstsein reflektiere „ich bin jetzt hier“, dann kann ich mich nicht irren derart, dass ich mich mit je­mand anderem ver­wechsle, selbst aber nicht hier bin u. dgl.. Beim Objektgebrauch von „Ich“ gibt es Verwechslungsmöglichkeiten. Ich kann mir irrtümlicher Weise Eigenschaften zuschreiben, die ich nicht habe. Bezüglich des sonderbaren Subjektgebrauchs, wo keine Ver­wechslung möglich ist, erhebt sich letztlich die Frage, ob er referentiell oder nicht-referentiell ist. In welchem Sinne gibt es das denkende Wesen für sich selbst? Gibt es überhaupt das den­kende Wesen? - Hier geraten wir in die Paralogismusthematik, der wir mit besonderen Uner­weislichkeitsbehaup­tungen bezüglich Essenz und auch [!] Existenz begegnen. Wir haben also ein relativ kompli­ziertes Zusammenspiel von Erweisbarkeits- und Unerweisbarkeitsbehaup­tungen.

 

© copyright Jürgen Baader, Bad Dürkheim, 2002 – 2004

 

P.S. Zusatz 2012.

 

„Frage: Wissen Sie, dass Sie nach diesem Leben in irgendeiner Form weiterleben werden?

Antwort: In keiner Form. Ich werde ohne Form leben.

Frage: Ewig?

Antwort: Ewig. Ich bin schon ewig hier und ich werde ewig hier sein.

Frage: Werden Sie nach Ihrem Tod Bewusstsein haben?

Antwort: Ja, denn der Tod hat nichts mit Bewusstsein zu tun.

Frage: Werden Sie nach dem Tod eine Identität haben?

Antwort: Keine Identität.“

[Aus einem Interview mit John McCall, Seattle Post Intelligencer]

[Zitiert nach „Osho, Autobiogrophie, 2005]

 

„Rajneesh“ Chandra Mohan Jain, der sich zeitweise Acharya Rajneesh,  dann Bhagwan Shree Rajneesh und zuletzt Osho nannte, war ein umstrittener, sehr medienwirksamer „Guru“ der 70-er und 80-er Jahre. – Zur „Sektenbewegung, deren spiritueller Lehrer er war, möchte ich mich nicht äußern. Aber das Interview zeigt seine geistreiche, ironische Art und erscheint mir deshalb der Berücksichtigung wert. Zunächst verneint er, „nach diesem Leben in irgendeiner Form weiterzuleben.“ Aber er verneint es auf überraschende Art. „Ich werde in keiner Form weiterleben“, bedeutet für ihn: „ich werde leben, aber ohne Form.“ M.E. ist hier der Gedanke des inneren Ich, dieses umfassenden Abstraktionsvermögens, das von allem Inhalt des Denkens sich zu unterscheiden vermag, deutlich ausgesprochen. Der Mensch, der darauf reflektiert, hat eine nicht-empirische, nicht-zeitliche und nicht-räumlichen „Entität“ thematisiert. Dieses „Ich“ ist insofern das „Ewige“ im Menschen, wegen seiner nicht-empirischen Natur dem Entstehen und Vergehen enthoben. – Das ist m. E. eine gelungene Version des Paralogismus der nicht-empirischen, „rationalen“ Psychologie. Genau dieser Begriff vom Inneren des Bewusstseins liegt auch der Bhagawadgita zugrunde:

 

„Nie war die Zeit, da ich nicht war

...

Nie kommt der Tag, da wir nicht sind.“ [2. Gesang, 12]

 

Das innere Ich ist nicht-zeitlich und nicht-räumlich und insofern dem Entstehen und Vergehen enthoben, dies ist m. E. auch der Kern der Kantischen Seelen-Paralogismen.

 

Auch ein weiterer Aspekt dieser Art von Seelen-Lehre ist bei Chandra Mohan sehr prägnant ausgesprochen. – Das innere Ich des Bewusstseins hat sehr wohl mit Bewusstsein zu tun, Kantisch gesprochen ist es die „Form des Bewusstseins“. Aber es ist erstaunlicherweise überindividuell, nicht-körperlich und auch nicht-psychisch, weil es von allen Inhalten des Bewusstseins zu sondern ist, bzw. sich zu sondern vermag, lediglich [immerhin?] die Grenze der Abstraktion darstellt. Die Existenz „ohne Form“ bedeutet also: weder physisches noch psychisches Daseinsgebilde und dennoch gedanklich thematisierbar. – Ob man ein beharrliches Etwas aus diesem sonderbaren Etwas machen darf, ist das punctum saliens. Kant sagt, nein „Ihr habt doch von allen Bedingungen sachhaltiger Erkenntnisreferenz abstrahiert! Deshalb ist es nicht o.k., im Nachhinein doch wieder mit einem beharrlichen Etwas zu kommen.“