Geschichte und Politik

 

In der Geschichtsbetrachtung halten wir es mit Arthur Schopenhauer, der in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit, Kap. V, 29 [Parerga II], schrieb: "Die Wilden fressen einander, und die Zahmen betrügen einander, und das nennt man den Lauf der Welt."

 

"Dankt Gott mit jedem Morgen, dass ihr nicht braucht fürs Röm'sche Reich zu sorgen!" dichtete Goethe in Faust I, Auerbachs Keller in Leipzig.

 

"Befreien muss man sich aus dem Gefängnis der Alltagsgeschäfte und der Politik." (Epikur, Weisungen Nr. 58)

 

"Denn kein Zweifel: was unter den jetzigen staatlichen Verhältnissen gerettet wird und sich zu dem entwickelt, was es werden soll, davon kann man mit Recht sagen, einer Schickung Gottes verdanke es seine Rettung." (Platon, Politeia, VI, 492 e)

 

[Platon traute der großen Menge der Menschen in Fragen der Philosophie, der Gerechtigkeit und des gehobenen Geschmacks nicht viel zu. "Die große Menge lobt immer nur das Falsche," meinte er und ließ sich zu antidemokratischem Ressentiment hinreißen. In diesem Punkt können wir ihm nicht folgen. Die entscheidende Frage in politischen Dingen ist vermutlich die Frage nach der Alternative und der am wenigsten ungerechten und unerträglichen Regelung.

In Fragen der Gerechtigkeit und dem, was aus Gründen der Gerechtigkeit an Regeln des Zusammenlebens zu fordern ist, sind wir alle reizbar, verletzlich und stolz. Unser persönliches Wohl und Wehe hängt leider in hohem Maße von politischen Dingen ab, was uns nicht gerade zu einer ruhigen und ausgeglichenen Sichtweise stimmt.

Zudem liegt die Welt in Fragen der von Menschen zu schaffenden Gerechtigkeit tatsächlich im Argen: das Leben der meisten ist trotz aller menschlichen Errungenschaften erbärmlichen Zufällen preisgegeben.

Der Streitigkeiten über das politisch Erforderliche ist nun kein Ende, Entscheidungen und ihre Durchsetzung sind letztlich eine Frage von Machtverhältnissen. Insofern ist das politische Leben weitgehend eine Frage von Machterwerb und Machtkampf und zwingt die Beteiligten zu einem unerfreulichem Spiel, das selten fair und auf etwas längere Dauer kaum zu gewinnen ist. Sie müssen sich zuerst die Macht verschaffen, etwas zu bewirken. Die Tragik der Sache aber ist, dass sie in der Vorbereitung zur eigentlichen Tat ihre Kräfte verbrauchen. [Und die Füße derer, die sie hinaustragen werden, stehen in der Regel schon vor der Tür.]

 

„Da man Macht haben muss, um das Gute durchzusetzen, setzt man zunächst das Schlechte durch, um Macht zu gewinnen.“ [Ludwig Marcuse]

 

Ein gewöhnlicher sterblicher Mensch sollte sich nicht allzu viel Gutes erwarten vom politischen Treiben und schon froh sein, wenn er nicht gezwungen wird, in einen Krieg zu ziehen. Nicht einmal dies war z.B. den Generationen meiner Eltern und Großeltern beschieden. Die großen Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts waren für sie schicksalsbestimmende Macht. [Die Nazis, die den zweiten Weltkrieg herbeiführten, kamen sogar auf demokratische Weise an die Macht.]

 

Glücklicherweise gibt es außerhalb der Politik schöne Künste und Wissenschaften, denen man sich mit weniger Vorbehalt zuwenden kann (obwohl es auch hier das hässliche Problem der Anerkennung und des Einflusses gibt). Es ist mir immer unverständlich geblieben, dass es in Wissenschaften und Künsten erfolgreiche Menschen gibt, die sich politischer Tätigkeit zuwenden und bereit dazu sind, alles andere dafür zurückzustellen.

 

Churchills Kennzeichnung der modernen Demokratie als schlechter Regierungsform, die aber im Vergleich mit allen andern bekannten Veranstaltungen auf diesem Gebiet noch die am wenigsten schlechte ist, ist ein akzeptabler Standpunkt. Ich sehe darin aber keinen Anlass zu behaupten, politische Tätigkeit sei zu irgend einer Zeit schon einmal eine großartige Sache gewesen.]

 

Alle Formen von Herrschaft sind für gewisse Gruppen von Betroffenen unerträglich, und jede Hierarchie hat eigene Methoden der Unterdrückung.

 

Wir handeln in der gesellschaftlichen Situation, und unsere Handlungen wirken zurück auf die gesellschaftliche Situation. Die Situation ist weitgehend auf menschliche Handlungen zurückzuführen, aber sie ist dennoch nur zu geringem Teil ein geplantes Ergebnis geplanter Aktivitäten.

 

Gesellschaftliche Zustände, Entwicklungen u. dgl. sind nur in sehr begrenztem Maße prognostizierbar und planbar. Manche Abhängigkeit und Auswirkung übersieht man ganz einfach. Und es ist nicht so, dass alle dasselbe wollen und Einigkeit besteht über die zu erreichenden Ziele und anzuwendenden Mittel. Es bestehen verschiedene Interessen, Ziele und Wege sind kontrovers.

 

Die anhanltende, nicht endende Diskrepanz zwischen Absicht und Tat, zwischen Anspruch und Wirklichkeit, ist ein Grundcharakteristikum der von Menschen gemachten Umstände. [Rem. an Lem]

 

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